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Das Lehrerzimmer

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Das Lehrerzimmer Grenzen von Pädagogik

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Kultur

„Das Lehrerzimmer“ ist ein gut beobachtender und ziemlich intelligenter Film, der es durch seine erzählerische Schlichtheit schafft, das System Schule treffend zu problematisieren.

Leonie Benesch und İlker Çatak bei der Vorstellung des Films
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Leonie Benesch und İlker Çatak bei der Vorstellung des Films "Das Lehrerzimmer" auf der Berlinale 2023. Foto: Martin Kraft (photo.martinkraft.com) (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 4. Januar 2025
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Dass der Kern dieser Probleme über die Schule hinausgeht, wird leider nur angeschnitten. Insgesamt ist der Film aber sowohl als unterhaltendes wie als politisches Werk definitiv sehenswert.

Die junge Lehrerin Frau Nowak (Leonie Benesch) tritt eine neue Stelle an. Ihre Art zu unterrichten und ihr Idealismus bringen dabei viel frischen Wind in die etwas eingestaubte Schule, die seit einiger Zeit ein Problem mit Diebstählen hat. So spricht sie sich stark gegen das Verdächtigen von Schüler*innen aus. Was in den Klassenzimmern gut anzukommen scheint, stösst im Lehrerzimmer eher auf Unverständnis. Diese Anspannungen verstärken sich, als es so scheint, die Sekretärin sei verantwortlich für die Diebstähle. In kurzer Zeit findet sich Frau Nowak, die den Verdacht gegen die Sekretärin ausgesprochen hat, in einem unaufhaltsamen Strudel zwischen Gerüchten, empörten Eltern, unzufriedenen Schüler*innen und erbosten Kolleg*innen.

Grenzen von Pädagogik

Mit Das Lehrerzimmer gelingt Regisseur und Co-Drehbuchautor İlker Çatak ein und tolles und kritisches Schulporträt, das vor allem von seiner Authentizität lebt. So ziemlich jede Person, die in diesem Jahrtausend in Deutschland zur Schule gegangen ist, wird Eigenheiten wiedererkennen. Seien es Sprüche wie „Du kannst dir das Feuerzeug nach dem Unterricht bei mir abholen.“, das seltsame Getue mit Nachnamen in Gegenwart von Schüler*innen oder die Art, Kindern suggestive Fragen zu stellen, bevor man mit ihnen schimpft. Letzteres wird übrigens herrlich vorgeführt, wenn im Laufe des Films derartige Anschuldigungen auch gegenüber Erwachsenen gemacht werden und sich die Rollen genauso verteilen wie zwischen Schüler*innen und Lehrkräften.

Trotz diesem Vorführen, das auch für den einen oder anderen witzigen Moment sorgt, ist Das Lehrerzimmer kein Film, der wütend wirkt. Er bleibt eher zurückhaltend, beobachtend und wirft Fragen auf. Er versucht nicht, das System Schule komplett zu zerstören, sondern überlässt das diesem selbst. Er zeigt letztlich vor alles die Dysfunktionalität von allem. Ein System, in dem keine Lösung die optimale zu sein scheint. Eins System, in dem sich zwar viele Personen falsch verhalten, es aber auch einfach keinen Spielraum für Fehler gibt, ohne dass alles ausser Kontrolle gerät und sich die Dinge mehr als alles andere verselbstständigt haben. Ein System, das zum Scheitern verurteilt ist.

Doch auch, wenn Das Lehrerzimmer dadurch viel individuelle Schuld von den Schultern seiner Figuren nimmt, ist er nicht komplett hoffnungslos. So wird gerade fehlende Transparenz gegenüber den Kindern, getreu dem Motto „Was im Lehrerzimmer passiert, bleibt im Lehrerzimmer“, als ein Hauptproblem dargestellt. Das ironische und umso deprimierende daran ist, dass genau das eigentlich dem pädagogischen Ansatz von Frau Nowak widerspricht. Es zeigt nämlich, dass ohne grössere Systemveränderungen kein pädagogischer Ansatz perfekt funktioniert. Dass der autoritäre Weg einfach nicht mehr angemessen ist, zeigt der Film wie selbstverständlich nur am Rande. Dass der antiautoritäre Weg in dieser Umgebung aber auch nicht funktioniert, ist die eigentliche Erkenntnis des Films.

Ein Schnellkochtopf der Probleme

Das ist unfassbar frustrierend und zeigt, wie wenig gute Lehrkräfte oft ausrichten können. Dass diese Tatsache die Stimmung in Klassen- und Lehrerzimmern komplett vergiftet, ist nur die logische Konsequenz. Die Solidarität untereinander, sowohl unter den Schüler*innen als auch im Kollegium, ist wahnsinnig fragil und gefügig von den vielen verschiedenen Drucksituationen, die die Schule bietet. Sei es in Form von Leistungsdruck unter den Schüler*innen, Druck durch Unterbesetzung im Kollegium oder etwas ganz anderes. Inwiefern dieser Druck dabei Ursache oder nur Katalysator ist, ist eine völlig eigene Diskussion, fest steht aber, dass er mit vielen gesellschaftlichen Problemen korreliert und diese manifestiert. Seien Sexismus, Klassizismus oder, und darauf geht Das Lehrerzimmer am konkretesten ein, Rassismus.

Dabei zeigt sich auch, wie ungefiltert und unreflektiert Kinder diese Dinge häufig aufnehmen und sich Gerüchte, Mobbing, etc. daraus bilden. Spannend ist, dass die Erwachsenen es sind, die die entsprechenden Stigmata bilden. Kinder reproduzieren sie nur. Das Lehrerzimmer erkennt das und nutzt den besonderen Mikrokosmos Schule, um es darzustellen. Die Rolle, die der Film der Schule dabei zuschreibt, ist sehr interessant. Er versteht Schule als Ort, der ähnlich wie ein Gefängnis funktioniert. Eine Gruppe von Menschen dürfen ein Gebäude nicht ohne Weiteres verlassen und werden dabei von einer anderen Gruppe Menschen beaufsichtigt. Diese sind nicht ihre Vorgesetzten, stehen aber dennoch in einem systematischen Machtungleichgewicht zu ihnen. Dazu sind beide Orte in gewissem Masse einseitig isoliert von der Aussenwelt. Sie können nur bedingt auf die Aussenwelt einwirken, werden selbst aber durch ihre Strukturen geprägt und spiegeln ihre Probleme oftmals so pur wider, wie nichts anderes. Dabei gilt, die Schule ist nicht der Ort, an dem die Probleme angerührt wurden. Er ist der Schnellkochtopf, der die zubereitet. Diese Erkenntnis könnte zwar prominenter im Film vorkommen, die allgemeine Umsetzung und das Herausstellen dieses Drucks gelingt aber hervorragend.

Massgeblich verantwortlich dafür ist die Inszenierung. Die kalten Farben und das 4:3 Bildformat sowie die schwere, von Streichinstrumenten geprägte Musik vermitteln ein klaustrophobes, stressiges und unangenehmes Gefühl. Dass die Kamera dazu sehr beobachtend, fast schon voyeuristisch wirkt, unterstützt das noch zusätzlich. Trotz vereinzelter komischer Momente kann Das Klassenzimmer daher auch durchaus schwer zu ertragen sein. Das mag überdramatisiert und vereinzelt auch etwas repetitiv sein, ist aber zum einen nie langweilig und verstärkt die Problematisierung nur.

Hendrik Warnke
film-rezensionen.de

Das Lehrerzimmer

Deutschland

2023

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98 min.

Regie: İlker Çatak

Drehbuch: İlker Çatak, Johannes Duncker

Darsteller: Leonie Benesch, Leonard Stettnisch, Eva Löbau

Produktion: Ingo Fliess

Musik: Marvin Miller

Kamera: Judith Kaufmann

Schnitt: Gesa Jäger

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.