Der Untertan Früchte des Nationalismus
Kultur
Der Film "Der Untertan" zeigt wie Devotismus „funktionierte”. Die Angst vor der Macht, jeglicher Macht, vom Elternhaus über das Militär, die Burschenschaften, bis hin zum Kaiser.
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17. Januar 2024
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Als es nach dem zweiten Weltkrieg darum ging zu verstehen, was die letzten 12 Jahre in Deutschland geschehen war, wagten zunächst und bis in die 60er Jahre hinein nur wenige, diese Frage offen anzusprechen. Die politische Stimmung der 50er Jahre war eher durch (oft auch politisch gewollte) Verleugnung dieser Schreckensjahre charakterisiert, denn auf Aufklärung ausgerichtet. Es nimmt daher kein Wunder, dass Wolfgang Staudte, einer der besten Nachkriegsregisseure Deutschlands, 1951 die filmische Adaption des Mann'schen Stoffes nur in der jungen DDR in Angriff nehmen konnte.
Sein gleichnamiger Film „Der Untertan” war in der Bundesrepublik zwischen 1951 und 1956 sogar verboten. Die Systemfeindschaft zur damaligen sog. „Ostzone” war dabei nur der äussere Anlass für die Indizierung des Films. In Wirklichkeit ging es v.a. darum, die drastischen Aussagen des Romans und des Films nicht in die politische Auseinandersetzung einfliessen zu lassen. Nach 1956 – dem Jahr des Verbots der westdeutschen KPD durch das Bundesverfassungsgericht – durfte der Film dann in einer geschnittenen Fassung gezeigt werden. Erst 1971 strahlte das Fernsehen die ungekürzte Fassung von Staudtes Film aus.
Betrachtet man Film und Buch, auch die satirische, ja sarkastische Form, in der beide das Thema des „deutschen Untertans” behandelten, ist es – versetzt man sich in die Situation der Verleugner – durchaus nachvollziehbar, warum der Film immerhin fünf Jahre indiziert worden war. Denn Mann wie Staudte drangen in der Charakterdarstellung der Hauptfigur Diederich Hessling (exzellent gespielt von Werner Peters in seiner wohl grössten Rolle) tief in die „deutsche Seele” ein, sprich: offenbarten dem Betrachter bzw. Leser einige Gründe, warum sich in Deutschland vieles in Richtung Nationalsozialismus entwickeln sollte – obwohl die Geschichte selbst (oder gerade weil sie) im Kaiserreich vor dem ersten Weltkrieg spielte.
„Diederich war so beschaffen, dass
die Zugehörigkeit zu einem
unpersönlichen Ganzen, zu einem
unerbittlichen, menschenverachtenden,
maschinellen Organismus ihn beglückte,
dass die Macht, die kalte Macht, an
der er selbst, wenn auch nur leidend,
teilhatte, sein Stolz war.”
Das „Familienwerk” (Staudtes Vater Fritz schrieb das Drehbuch) präsentiert schon in den ersten Szenen den Mann'schen Ansatz zur Darstellung des Protagonisten Hessling: Die Eltern des Sprösslings erzogen Diederich – zur Angst vor der Macht. Der Vater, ein äusserst gestrenger Mann, die Mutter, eine Frau, die Diederich Schreckensgeschichten erzählte. Angst – diese mächtigste aller Mächte prägen den heranwachsenden Diederich – vom Elternhaus über die Schule, das Militär, die Burschenschaft bis hin zum Kaiser.
Sein Vater hat eine Papierfabrik – und selbstredend soll Diederich einmal den Betrieb übernehmen. Doch zuvor wird er zum Studium der Chemie geschickt, tritt in die Burschenschaft Teutonia ein und lernt auch dort wieder: Angst.
„Das Trinken, das Sprechen,
das Singen, das Stehen und
das Sitzen – alles wird kommandiert.
Und wenn man es befolgt, lebt man
mit sich und der Welt in Frieden.”
Er verliebt sich in die Tochter der befreundeten Fabrikantenfamilie Göppel, Agnes (Sabine Thalbach, die Mutter von Katharina Thalbach), wird jedoch von einem bei den Göppels zur Untermiete wohnenden Studenten namens Mahlmann (HannsGeorg Laubenthal) dazu angehalten, so lange die Finger von Agnes zu lassen, wie er dort wohnt, der selbst hinter der jungen Frau her ist. Und wieder reagiert Diederich in Angst vor der Macht:
„.. da war sie wieder, die Macht, die sich ihm aufdrängte, vor der er sich fürchtete wie vor den bösen Märchenkröten” (von denen ihm seine Mutter erzählt hatte).
Auch seine Erfahrungen mit dem Schliff im Militär führen Diederich nicht etwa zu einer kritischen, selbstbewussten Beurteilung dieser Maschinerie, nein:
„(...) Diederich fühlte wohl, dass
(...) die Behandlung, die geläufigen
Ausdrücke, die ganze militärische
Tätigkeit vor allem darauf hinzielte,
die persönliche Würde auf ein
Mindestmass herabzusetzen. Und
das imponierte ihm; es gab ihm,
so elend er sich befand, (...),
eine tiefe Achtung ein und etwas
wie selbstmörderische Begeisterung.”
Derart „vorgebildet” kehrt Diederich nach Hause zurück, beginnt eine Affäre mit Agnes, verspricht ihr sogar die Ehe – und stösst sie skrupellos wieder weg, weil sie – eine Lüge – angeblich nicht mehr „rein” sei. Statt dessen wendet er sich einer alten Bekannten zu, Guste Daimchen (Renate Fischer), denn die hat immerhin ein Vermögen von mehreren Hunderttausend Mark geerbt. Als Nachfolger seines verstorbenen Vaters entwickelt sich Diederich zum Fabrik-Despoten, der die sozialdemokratisch gesinnten Arbeiter bis aufs Blut ausbeutet und unterdrückt.
Es folgen die Aufnahme in die Stadtverordnetenversammlung und den örtlichen Kriegerverein. Und als Diederich als Zeuge gegen den Fabrikanten Lauer (Friedrich Richter), einen Freisinnigen, aussagen soll, der angeblich den Kaiser beleidigt haben soll, schwankt Diederich zwischen der öffentlichen Meinung, die eher auf Lauers Seite steht, und der Macht, die eine Verurteilung erreichen will. Von Regierungspräsident von Wulckow (Paul Esser) lässt er sich im Gerichtssaal auf die Seite der Macht ziehen. Endlich ist er am Ziel. Diederich hat gelernt – alles, was nötig ist.
Diese Geschichte – die mit der Enthüllung eines Kriegerdenkmals endet, einer Zeremonie, die im Gewitterregen endet, der wiederum die zerstörerische Wirkung des Krieges andeutet – erzählt Staudte allerdings im Stil einer Tragikomödie – mit all dem bitteren Sarkasmus, der auch Manns Roman auszeichnet, einem stillen, aber besorgten Sarkasmus, der jedem Betrachter vor Augen hält, wie sich ein wirklicher Untertan entwickelt und zu entwickeln hat.
Dieser Sarkasmus findet beispielsweise einen Höhepunkt in einer Szene, in der Diederich seinen Gesinnungsgenossen aus dem konservativen, völkischen Lager das neueste Produkt seines Betriebes vorstellt: Klopapier, bei dem auf jedem Blatt ein markiger nationalistischer oder militaristischer Spruch eingedruckt ist, wie: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.”
Staudte kennt kein Pardon mit seinem „Helden”. Und Werner Peters spielt diesen Diederich Hessling so überzeugend gut in einer Mischung aus gefährlichem Nationalisten und lächerlichem Feigling, dass es Vergnügen und Schrecken zugleich ist, wenn man daran denkt, dass Diederich einer jener Charaktere ist, die nach dem ersten Weltkrieg die sog. „völkischen” Organisationen bevölkerten und zur Machtübernahmen der Nationalsozialisten erheblich beitrugen.
Der Film zeigt aber auch – und das gehört zum wesentlichen –, wie diese Sorte von Untertanen „funktionierte”. Die Angst vor der Macht, jeglicher Macht, vom Elternhaus über das Militär, die Burschenschaften, bis hin zum Kaiser (eindrücklich hier das Bild, wie Diederich in Rom dem Kaiser in seiner Karosse hinterherläuft und buckelt), diese Angst vor der Macht, in welcher Gestalt sie sich auch äussert, treibt Diederich nicht zur Gegenwehr, zum Mut, zu dem, was wir heute Zivilcourage nennen würden (dafür stehen im Film die Arbeiter in seiner Fabrik), sondern zunächst einmal zur Feigheit (man könnte auch sagen: er kneift den Schwanz ein vor dieser Macht) und dann zu einer tiefen Bewunderung und Verehrung der Macht. Diese wiederum treiben ihn dazu an, selbst ein Stück von diesem Kuchen Macht haben zu wollen. Die familiären Voraussetzungen kommen ihm dabei zu Hilfe, sind aber nicht die wesentlichen Voraussetzungen, wie wir aus Biografie führender Nationalsozialisten wissen, insbesondere auch über Hitler selbst.
Diederich glaubt, sich ein Netz aus Positionen gesponnen zu haben, das ihn an der Macht teilhaben lässt. Zugleich verdrängt er, dass dieses Netz nur funktionieren kann, wenn man ihn lässt, vor allem der mächtige Regierungspräsident von Wulckow.
Diederich ist ein Prototyp dessen, was die Kritische Theorie (Adorno, Horkheimer) später mit dem Begriff „autoritärer Charakter” umschrieben hatte. Dieser Charaktertypus ist nicht nur autoritär im eigenen Verhalten, in der konservativen bis völkischen und natürlich auch antisemitischen Gesinnung. Er ist auch autoritär im Sinne der unumschränkten Anerkennung der staatlichen Autorität. Im Volksmund beschreibt man solche Menschen als welche, die nach oben buckeln und nach unten treten. Die Feigheit Diederichs ist dabei „nur” die im Sinne des autoritären Charakters funktionierende Verhaltenweise, die es Diederich ermöglicht, alle Widerstände auf dem Weg zur (wenn auch noch so kleinen) Teilhabe an der Macht aus dem Weg zu räumen, um gleichzeitig seine absolute Vasallentreue zu den unantastbaren Mächten „da oben” zu beweisen.
Der Film selbst zeigt, dass dies auch einschliessen kann, Angehörige der eigenen sozialen Klasse zu opfern – im Film etwa Lauer oder auch Agnes. Denn Liebe ist für Diederich nur eine Funktion der Macht – wie alles andere auch.
Neben „Rosen für den Staatsanwalt”, „Die Mörder sind unter uns” und „Rotation” gehört „Der Untertan” zu Staudtes Auseinandersetzung mit der (damals) jüngsten Vergangenheit. Und alle vier Filme gehören zum besten, was in Nachkriegsdeutschland je gedreht wurde – ob bei der DEFA oder auch nicht. Nicht zuletzt sind die genannten Filme auch heute noch sehenswert als eine Art Kulturgut, das seinen Wert nicht verlieren wird.
Der Untertan
DDR
1951
-109 min.
Regie: Wolfgang Staudte
Drehbuch: Wolfgang Staudte, Fritz Staudte
Darsteller: Werner Peters, Paul Esser, Blandine Ebinger
Produktion: DEFA
Musik: Horst Hanns Sieber
Kamera: Robert Baberske
Schnitt: Johanna Rosinski