Die Känguru-Chroniken Das gemässigt sozialdemokratische Känguru
Kultur
Mit den Känguru-Chroniken kommt ein Film in die Kinos, der sehr politisch und sehr links sein will. Das misslingt, "Werner 3 - Volles Rooäää!!" dürfte mehr Leute radikalisiert haben.
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7. Dezember 2020
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In der Verfilmung von Marc-Uwe Klings gleichnamigem Bestseller Die Känguru-Chroniken haben wir es mit einer erschreckend ähnlichen Handlung zu tun. Marc-Uwe (Dimitrij Schaad) und sein Mitbewohner, ein sprechendes Känguru (computeranimiert, Stimme: Marc-Uwe Kling), leben unbeschwert vor sich hin, bis sie erfahren, dass der Unternehmer und Politiker der rechtspopulistischen Alternative zur Demokratie (AzD) Jörg Dwigs (Henry Hübchen) in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihnen, auf dem Gelände des Görlitzer Parks in Berlin-Kreuzberg, in Anlehnung an den Trump-Tower den Europa-Tower errichten will.
Dieser Turm soll laut Dwigs als Symbol für die Stärke und den Zusammenhalt der immer erfolgreicher werdenden Nationalisten Europas dienen. Nachdem sich wenig später der Anarchist Marc-Uwe und das kommunistische Känguru mit einer Handvoll Klischee-Neonazis angelegt haben, werden sie von diesen bis zu ihrer Wohnung verfolgt. Die Nazis denken, Dwigs' vor der Wohnung stehender Sportwagen gehöre Marc-Uwe, und demolieren ihn kurzerhand. Dwigs stellt sie zur Rede und gibt sich den Schlägern als AzD-Politiker zu erkennen. Die Nazis stehen ab jetzt in Dwigs' Schuld und werden dazu gebracht, dem Känguru eine kurz zuvor entwendete Hasenpfote wieder abzuknöpfen.
In einer Rückblende erfährt man, weshalb Dwigs so sehr an der Hasenpfote hängt, und spätestens hier hat der Film seinen ersten grossen Fremdschäm-Moment, denn auf plumpste Weise wird eine Szene aus Tarantinos Pulp Fiction kopiert: Ein Mann erklärt dem jungen Dwigs, dass sein Vater die Pfote jahrelang in seinem Arsch aufbewahrt hätte, um sie sicher durch den Krieg zu bekommen. Als Vater Dwigs die Ruhr bekam, ging die Pfote an den Freund, der sie weiter in seinem Arsch aufbewahren sollte, um sie dann eines Tages Dwigs Junior zu überreichen.
Man könnte diese Szene als eine Hommage verstehen und sich den Vorwurf des faulen Drehbuchschreibens noch einmal verkneifen, wäre die Szene nicht so überzogen, anbiedernd und bemüht. Man könnte mit viel gutem Willen sogar noch darüber hinwegsehen, wenn nicht wenig später ein weiterer berühmter Film massakriert würde. Die Nazis jagen Marc-Uwe und dem Beuteltier mit Gewalt die Hasenpfote in deren Wohnung ab, im Anschluss pinkelt ein Nazi auf den Teppich. Das ist der Moment, wo dem prätentiösen Kinobesucher von Welt ein „Der Teppich hat das Zimmer erst richtig gemütlich gemacht“ über die Lippen gehen dürfte. Wenn er sich aber nur noch kurze Zeit beherrscht, dann wird er diesen Satz vom Protagonisten vernehmen und kann sich dann wissend in seinem Kinosessel zurücklehnen, hat er doch die Anspielung auf The Big Lebowski verstanden und der unfassbar geistreiche zweite Kniff der Filmemacher geht vollends auf.
Der Rest des Films ist leider auch nicht viel origineller. Der Bösewicht Dwigs beschliesst zusätzlich das Haus Marc-Uwes abzureissen, um dort ein Parkhaus zu bauen. Die Nachbarn und Stammgäste der angrenzenden Kneipe schliessen sich im asozialen Netzwerk zusammen und versuchen, belastendes Material über Dwigs in die Hände zu kriegen.
Ein erster Plan geht nach hinten los und Marc-Uwe landet kurzzeitig im Gefängnis. Weil der Streifen dringend eine Liebesgeschichte benötigt, macht Marc-Uwe der Nachbarin Maria (Rosalie Thomass) Avancen, und wie in allen anderen Dingen stellt er sich auch hierbei äusserst tollpatschig an. Nun geht es in Richtung Agentenkomödie, denn die Kiezbewohner*innen schleichen sich bei der Tower-Präsentation ein und stören diese nachhaltig.
Allerdings haben sie noch keine stichhaltigen Beweise, um Dwigs endgültig das Handwerk zu legen. Doch nach einer Kneipenschlägerei, bei der die schlechtesten Bud Spencer/Terrence Hill-Doubles aller Zeiten mitmischen, hält das asoziale Netzwerk die Beweise für Dwigs' krumme Geschäfte in Händen und das Happy End ist perfekt.
Zur Verteidigung könnte man anmerken, dass eine Verfilmung wahrlich kein leichtes Unterfangen war. Die Buchvorlage folgt keiner Handlung, sondern ist in Kapitel mit Sketch-Charakter unterteilt. Der Drehbuchautor Kling entschied sich dafür, einzelne Elemente seiner Trilogie zu nehmen und darauf aufbauend eine neue Handlung zu schreiben. Die nicht gerade subtile Kapitalismuskritik der Bücher wurde im Film aber noch weiter heruntergedummt.
Es ist dem Film anzumerken, dass die Hauptzielgruppe gutverdienende, irgendwie bauchlinke Millenials und deren Kinder sind. Während die Trilogie oft auf die Schattenseiten des Kapitalismus hinweist und dabei Gentrifizierung, (Selbst-)Ausbeutung, Klimawandel, die stützende Rolle der Massenmedien etc. als systemimmanent und deshalb nicht erstrebenswert ansieht, geht der Film den entgegengesetzten Weg. Alles Schlechte wird hier lediglich als Folge der Handlungen Dwigs' und seiner dummen Nazischergen hingestellt. Sobald jene erst besiegt sind, ist alles wieder eitel Sonnenschein.
Das Radikalste am Film ist ein (reales) Graffiti an der Fassade des Nachbarhauses: „Fick Neoliberalismus / Fight TTIP“. Davon abgesehen wird keine wirkliche Kritik am System geübt. Die Känguru-Chroniken lässt keine Gelegenheit aus, einen Lacher auf Kinderniveau oder einen Insidergag aus den Büchern einzufügen. Viel Zeit für Linksradikalismus ist da natürlich nicht mehr, was an sich nicht weiter schlimm ist. Es handelt sich sowohl bei den Büchern als auch beim Film um Kunst mit Unterhaltungscharakter.
Für Fans der Bücher dürfte sich die Verfilmung dennoch ob der ungenutzten Chance, linken Ideen eine grosse Bühne zu geben (bis zur coronabedingten Schliessung der Kinosäle Mitte März sahen den Film über 500.000 Zuschauer*innen), wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen: Witze zünden nur selten, die restlichen sind zu erzwungen, zu simpel, zu pubertär. Dazu kommt eine lächerlich vorhersehbare Handlung, in der die strukturelle Gewalt des Kapitalismus nicht existiert, und auch die Stimme des Kängurus klang in den Hörbüchern ehrlich gesagt sympathischer.
Wer die Bücher nicht kennt und den Film gesehen hat, wird sich fragen, was an dem Hype um die Bücher dran war. Wer beides kennt, wird sich schämen, wenn er den Film buchunkundigen Freund*innen vor dem Kinostart empfohlen haben sollte. Die Facebookseite „Königlich Bayerische Antifa“ befand, der Film sei der „massenwirksamste Beitrag zu linksradikaler Diskursverschiebung in den letzten zwanzig Jahren“. Diese Ansicht ist leider unbegründet. Vermutlich wurden mehr Menschen durch Werner 3 radikalisiert als durch Die Känguru-Chroniken. Sprach doch jener wenigstens noch Proletarier*innen an.
Die Känguru-Chroniken
Deutschland
2020
-92 min.
Regie: Dani Levy
Drehbuch: Marc-Uwe Kling
Darsteller: Volker Zack, Marc-Uwe Kling, Dimitrij Schaad
Produktion: Stefan Arndt, Uwe Schott
Musik: Niki Reiser
Kamera: Filip Zumbrunn
Schnitt: Toni Froschhammer