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Anlässlich des Todes von George Andrew Romero

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Anlässlich des Todes von George Andrew Romero Wir sind Zombie

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Kultur

Ein kurzer Exkurs zu der steilen kulturindustriellen Karriere, die dem Phänomen der Untoten in den vergangenen Jahren beschieden war.

George Romero am 66. Film-Festival von Venedig, Februar 2010.
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George Romero am 66. Film-Festival von Venedig, Februar 2010. Foto: nicolas genin (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 3. August 2017
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Knapp 400 Millionen US-Dollar – soviel soll die Produktion und Vermarktung des jüngsten Zombiespektakels World War Z verschlungen haben. Wenn Hollywood eine solch üppige Summe in die Verwertung eines jahrzehntelang randständigen Kulturphänomens investiert, dann muss es inzwischen im Mainstream der westlichen Kulturindustrie angekommen sein. Zumal sich diese enorme Investition letztendlich offenbar rentierte.

Die Zombies sind überall. Eine regelrechte Flut untoter Kulturprodukte ergiesst sich über uns, bei der jährlich Dutzende von zombieverseuchten Filmen und Videospielen publiziert werden. Längst hat der jährliche Ausstoss an entsprechenden Kulturwaren neue Höchststände erreicht, die sogar über denen der ersten grossen Zombiewelle in den Siebzigern und Achtzigern liegen, als George A. Romero mit seinen Klassikern Night of the Living Dead (1968) und Dawn of the Dead (1978) den Untoten einen ersten Popularitätsschub verschaffte. Laut der Liste der weltweit produzierten Zombiefilme, die auf Wikipedia zu finden ist (Ja, auch solch essenzielle Listen führt unsere Internetenzyklopädie), wurden zwischen 2010 und 2012 im Schnitt 35 Filme jährlich Produziert, in denen Untote eine Neben-, oder die Hauptrolle spielen. Hinzu kommen noch zahlreiche Computerspiele, in denen die lebenden Toten auf mehr- oder minder effektvolle Art und Weise in Einzelteile zerlegt werden müssen. In den Siebzigern und Achtzigern überschritt der Produktionsausstoss der Zombieindustrie hingegen nie die Marke von 12 Filmen pro Jahr.

Es ist nicht nur eine rasche Vermehrung der Zombies in der Massenkultur festzustellen, die Charakteristika der Untoten sind ebenfalls einem enormen Wandel ausgesetzt. Zum einen wird immer öfter auf eine Rationalisierung des Szenarios der Zombieapokalypse abgezielt, indem sie auf die Ausbreitung eines gefährlichen Virus oder ausser Kontrolle geratener militärischer Experimente zurückgeführt wird (World War Z, 28 Days later). Der heutige Zombie des frühen 21. Jahrhunderts, der mit der Zeit gehen will, kann sich zudem kaum noch den Schlendrian erlauben, den seine entfernten Verwandten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an den Tag legten. Beginnend mit dem britischen Zombiefilm 28 Days later (2002) und Zack Snyders effektvollen wie flachem Remake von The Dawn of the Dead von 2004, werden die Untoten schneller, agiler und auch als einzelne Exemplare weitaus aggressiver.

Romero setzte hingegen voll auf den Masseneffekt – erst in grossen Gruppen entwickeln seine Untoten ihre Gefährlichkeit. Statt des gemächlichen Schlurfens gehen die Zombies des 21. Jahrhunderts hingegen zum Sprint über, um ihre Opfer zu fassen, sobald sie diese lokalisieren. Die erfolgreiche Computerspielserie Left 4 Dead baut ihr gesamtes Gameplay gerade auf diesem Element der andauernd gegen den Spieler anstürmenden Untoten auf, deren Scheinexistenz zwischen Leben und Tod wohl einem übermässigen Konsum von Aufputschmitteln zuzuschreiben wäre.

Auf die Spitze getrieben wurde diese untote Hyperaktivität natürlich von World War Z, wo die Zombies zu einer rasend voranstürmenden und alles verschlingenden menschlichen Flut mutieren. Rund zwölf Sekunden braucht hier das von einem Zombie gebissene Opfer, um sich in einen weiteren Vertreter dieser mit der Geschwindigkeit eines Buschfeuers expandierenden Spezies zu verwandeln – das ist Effizienz. World War Z veranschaulicht auch die Kompromisse, die der Zombie bei seiner kulturindustriellen Karriere eingehen musste. Dieser mainstreamkompatible Zombiefilm muss nahezu vollständig auf Splatter-Effekte verzichten, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Diese Filmgattung bildet aber traditionell die Heimstätte der exzessiven Verwendung von Splatter- und Gore-Szenen, bei denen ja buchstäblich die (menschlichen) Fetzen fliegen. Hollywood kreierte hier einen sterilen, quasi familientauglichen Unterhaltungsfilm, der einer essenziellen und zugleich kontroversen, subversiven Darstellungsform beraubt wurde. Die „Infizierten“ in World War Z schienen nicht mehr das zu praktizieren, was die Zombies seit jeher taten: Die (noch) Lebenden vor den Augen des schockierten Zuschauers buchstäblich zu verschlingen.

Der entscheidende Bruch mit den (subversiven) Traditionen dieses Filmgenres, den World War Z vollzieht, findet aber auf der inhaltlichen Ebene statt. Die Gruppen der Überlebenden, die sich der Zombieapokalypse ausgesetzt sehen, sind seit The Night of the Living Dead von Konflikten und Widersprüchen durchzogen, die zumeist parallel zu Zombieangriffen eskalieren. Dies ist bei der Filmadaption von World War Z nicht mehr der Fall, obwohl gerade die Buchvorlage von Max Brooks sich in expliziter Kritik polizeistaatlicher Tendenzen in den USA übt. Das 2006 erschienene Buch ist wie eine Serie scheinbar echter Augenzeugenberichte aufgebaut, in denen nicht nur die Zombieangriffe, sondern auch die willkürlichen und brutalen Übergriffe der Staatsorgane auf Unbeteiligte dargestellt werden. Diese fiktive „Oral History“ des Zombiekrieges liest sich teilweise wie ein sarkastischer Kommentar zu den skandalösen Polizeistaatsexzessen bei der Bewältigung der Flutkatastrophe in New Orleans.

In der Filmadaption wurde diese subversive Ebene restlos getilgt, der Sicherheitsapparat bemüht sich hier aufopferungsvoll um Sicherheit. Zudem müssen wir uns mit der typischen idyllischen Kleinfamilie identifizierten, mit der sprichwörtlichen Keimzelle der Gesellschaft, deren Zusammenhalt den Filmemachern dramaturgisch offensichtlich weitaus wichtiger war als die Atombombeneinschläge, die die nervtötend stereotypen Handygespräche zwischen Pitt und seiner Gattin unterbrechen.

World War Z raubt somit dem Zombiefilm seine subversive, kritische Dimension. Die Zombies werden zu dem Anderen, dem Fremden schlechthin gemacht, das ausserhalb der scheinbar widerspruchslosen Gesellschaft und Familienidylle lauert – und somit deren Bedrohung durch äussere Kräfte verkörpert, die durch (israelische, US-amerikanische, europäische) Mauern und Grenzbefestigungen abzuhalten sind. Diese Externalisierung des Zombies zu einer äusseren Bedrohung bildet den fundamentalen, reaktionären Bruch, den der Film gegenüber der Filmgattung begeht. Denn selbstverständlich verweisen die Auseinandersetzungen unter den Überlebenden im klassischen Zombiefilm nur darauf, dass die Untoten etwas verkörpern, was tief in unserer eigenen Gesellschaft schlummert – etwas, was derzeit im Stadium der Latenz verbleibt, was aber auch manifest werden könnte.

Wir sind die Zombies

Die Konflikte in der Gruppe sind Ausdruck einer konfliktgeladenen Gesellschaft. Und es ist die Eskalation dieser Auseinandersetzungen, die die Überlebenden zu den Monstern werden lässt, die eigentlich in Form der Zombies ausserhalb der Gruppe lauern. Ob nun die Frage nach der richtigen Verteidigungsstrategie in The Night of the Living Dead, die drohende Vergewaltigung einer Minderjährigen durch Soldaten in 28 Days later, oder die Kämpfe mit marodierenden Banden in Dawn of the Dead; stets führen eskalierende Auseinandersetzungen innerhalb der Überlebenden erst dazu, dass die Zombies deren Verteidigung durchbrechen können. Telltales Adventurespiel zur populären Zombie-Fernsehserie The Walking Dead hat gerade diese Auseinandersetzungen zwischen den „Survivors“ zu einem zentralen Spielelement ausgebaut. Der Spieler hat immer wieder Partei zu ergreifen bei den Streitereien zwischen Gruppenmitgliedern, bei denen oft Menschenleben auf dem Spiel stehen. „Wo sind die wahren Monster, hier drinnen oder da draussen?“ – so fragt eine Überlebende, als in einem Krämerladen verschanzte Gruppenmitglieder ein Kind den Zombies zum Frass verworfen wollen, weil sie glauben, es sei gebissen worden.

„They are us.“ – „Sie sind wir“, sagt einer der Protagonisten in Romeros Dawn of the Dead über all die Zombies, die unaufhörlich vor das verschlossene Einkaufszentrum strömen, in dem sich die Überlebenden häuslich eingerichtet haben. Die Zombies, das sind wir. Der Untote visualisiert im Endeffekt all die Verstümmelungen, die das Leben im Spätkapitalismus dem Individuum solange zufügte, bis es in Auflösung überging, im kulturindustriellen Dauerbombardement gänzlich ausradiert wurde. Der Zombie visualisiert nur „das, was die Welt aus uns gemacht hat,“ wie es Adorno in Bezug auf das deformierte Subjekt im absurden Theater Becketts formulierte. Hier, im Untoten, werden die kulturindustriell deformierten „Stümpfe von Menschen, diese Menschen, die eigentlich ihr Ich verloren haben,“ (Adorno) sichtbar gemacht. Dass beschädigte Innere des massenmedial verstümmelten, des „reduzierten“ modernen Menschen, der etwa Konsum mit Freiheit verwechselt, findet in der Gestalt des Zombies seine Entäusserung und Visualisierung.

Der Zombie ist das, was das System aus uns macht. Der Hauptdarsteller in Romeros Land of the Dead (2005) bringt diese Zombiehaftigkeit der Lebenswirklichkeit der postmodernen Gesellschaftsatome im Spätkapitalismus zum Ausdruck, als er die selen- und gedankenlose Imitierung von Alltagsverrichtungen durch die Zombies beobachtet: „Ist es nicht das, was wir auch machen, so zu tun, als ob wir Leben würden?“ Dieses Gefühl der totalen Entfremdung, des leeren „Scheinlebens“ im Spätkapitalismus findet sich auch in der Gegenwartsliteratur, etwa im jüngst publizieren Roman „Der Clown ohne Ort“ von Thomas Martini: „Die Zeiten sind so niederschmetternd leer, dass uns die Luft zum Atmen, geschweige denn zum Schreien oder Protestieren fehlt. Alles ist nur noch Fassade, fahl glänzende Notwendigkeit.“ Ist dies nicht die adäquate Beschreibung des Innenlebens eines lebenden Toten? Es sind unsere inneren Verstümmelungen, die der Zombie in Form seiner äusserlichen Merkmale zum Ausdruck bring.

In bislang unerreichter Vollkommenheit wurde dieses subversive Potenzial des Zombiefilms, wo letztendlich dem Zuschauer der Spiegel vorgehalten wird, in Romeros Dawn of the Dead (1978) ausgeschöpft. Der Film zeichnet in vielen Szenen klare Parallelen zwischen den Untoten in dem Einkaufszentrum und gewöhnlichen Konsumenten, zumal auch die Überlebenden in dem Film in einen regelrechten Shoppingrausch geraten. Der hirnlose Konsum, zu dem wir alltäglich animiert werden, findet in den Shoppingcenter-Zombies seine perfekte Parodie.

Konsumzombies

Der Zombie fungiert hier als eine wandelnde Allegorie des entfremdeten, „entleerten“ und seelisch verstümmelten Konsumenten, des „Konsumzombies“, der seine Individualität vermittels der korrekten Markenwahl auszudrücken glaubt. Dieses subversive Moment kommt auch im Computerspiel zu The Walking Dead zum Vorschein, wenn es bei einem Rätsel darum geht, die Fernseher in der Auslage eines Elektronikgeschäfts einzuschalten, um die Zombies in der Strasse dadurch abzulenken.

Die Figur des Zombies transportiert aber nicht nur eine Kritik der Massenmedien, der Allmacht der allgegenwärtigen Kulturindustrie und des ungehemmten Konsumismus. In vielen Zombiefilmen werden Parallelen gezogen zwischen den Untoten und den Machtverhältnissen in autoritären Gruppen und Gesellschaftsbereichen, in denen die Individuen buchstäblich gefangen sind – in einer Dialektik aus Unterwerfung und autoritärem Exzess: Zum einen lassen sich Mitglieder des Militär- und Polizeiapparates in Zombiefilmen immer wieder zu bestialischen Gewaltakten hinreissen (Dawn of the Dead, 28 Days Later), zum anderen agieren immer wieder Banden und Milizen in Zombiefilmen mit besonderer Brutalität (Dawn of the Dead, Land of the Dead).

Der einzige schwarze Überlebende der „Nacht der lebenden Toten“ in Night of the Living Dead wird bezeichnenderweise von einem weissen Milizangehörigen erschossen. Die Soldaten, die in 28 Days Later ein Anwesen gegen die anrückenden Untoten absichern, wollen die „Zivilisation“ durch die Zurichtung der anwesenden Frauen zu Sexsklavinnen wiederaufbauen. Ein rassistisches SWAT-Mitglied läuft zu Beginn von Dawn of the Living Dead Amok, während Milizmitglieder Jagt auf Zombies machen. In Zombiefilmen findet sich somit nicht nur die Kritik am „Konsumzombie“, sondern auch am Untertanen in Uniform, am Polizei- und Militärzombie, der die Unterwerfung unter eine striktes Befehlsregime mit Exzessen gegen Untergebene zu kompensieren versucht.

Und es ist gerade diese Reflexion entfesselter Machtstrukturen, die angesichts permanenter polizeistaatlicher Erosion demokratischer Standards und angesichts der raschen Vermehrung „gescheiterter Staaten“ hochaktuell ist. Im Zombiefilm wird die drohende krisenbedingte Erosion des Zivilisationsprozesses zwischen den Mühlsteinen eines ausartenden Polizei- und Überwachungsstaates einerseits und andererseits der Banden- und Racketherrschaft dargestellt, die in Krisenzeiten in ökonomischen Bürgerkriegs- und Zusammenbruchsgebieten um sich greift. Der Zombie kann so die Machtlosigkeit der Individuen in autoritären oder heteronomen Gesellschaftsstrukturen zum Ausdruck bringen, die sie zu scheinbar willenlos Getrieben machen.

Manche Mitglieder der hoffnungslosen Milizen und Banden, die in vielen „gescheiterten Staaten“ eine anomische Terrorherrschaft errichten, legen ja eine regelrecht zombiehafte Brutalität an den Tag. Berüchtigt ist etwa der Fall des „Kannibalen von Kusair“, eines Islamistenführers im syrischen Bürgerkrieg, der vor laufender Kamera das Herz eines getöteten Feindes verspeiste. In diesem perversen Akt, der den bisherigen Tiefpunkt der Brutalisierung im Gefolge des Zerfalls des syrischen Staates markiert, scheint der Horrorfilm mit dem Horror der kapitalistischen Systemkrise zu verschmelzen.

Zombies und Klassenkampf

Hinzu kommt noch die Angst vor dem Aufstand, der blinden Wut der im Spätkapitalismus deklassierten und marginalisierten Menschenmassen, die im Zombiefilm verarbeitet wird. Der Zombie steht auch für den Hass all derjenigen, die tatsächlich aus den Einkaufszentren ausgeschlossen sind – und deren Frustration sich sporadisch in Gettoaufständen und Plünderungen artikuliert. Da draussen gehe es zu „wie in 28 Days later“ lautete ein beliebter Spruch während der Jugendunruhen von 2011 in Grossbritannien, als die marginalisierten und von den Sicherheitskräften schikanierten Kids anfingen, sich all die unerreichbaren Konsumprodukte einfach zu nehmen, deren Erwerb ihnen alltäglich auf allen Kanälen eingetrichtert wird. Im Zombie können somit auch rückwärtsgewandte, reaktionäre Ängste der Mittelklassen vor dem Umsturz der bestehenden Verhältnisse, vor den Massen der Deklassieren und Ausgegrenzten personifiziert werden. „Es begann mit Unruhen.“ So wird die Anfangsphase der durch eine Infektion ausgelösten Zombieapokalypse in 28 Day Later tatsächlich beschrieben.

Der Zombie kann in seiner symbolischen Ambivalenz aber auch zu einem revolutionären Subjekt stilisiert werden. Die progressive Auseinandersetzung mit Klassenwidersprüchen und den zunehmenden sozialen Gegensätzen im Spätkapitalismus wurde in Romeros Land of the Dead (2005) auf die Spitze getrieben. In keinem anderen Film sind die Zombies so „menschlich“ wie in Land of the Dead. Sie können Werkzeuge benutzten, sie gehen ihrer ursprünglichen Beschäftigung nach, sie kommunizieren, sie sind lernfähig – und sie können sich organisieren, um das oligarchische System zu stürzen, dass die reiche Oberschicht einer von Flüssen und elektrischen Zäunen umgebenen Stadt errichtet hat. In diesem nur oberflächlich kaschiertem Plädoyer für Klassenkampf und antiimperialistische Solidarität wird die reiche Oberschicht verschlungen, während die Überlebenden aus den Gettos der Stadt mit den Zombies eine Art Waffenstillstand schliessen, eine Koexistenz finden: „Sie wollen auch nur irgendwo in Frieden leben, so wie wir,“ erklärt ein Überlebender, der sich weigert, Raketen auf die wieder abziehenden Untoten abzuschiessen.

Nazizombies must die!

Der Zombie kann nicht nur als eine Allegorie der zunehmenden sozialen Spaltung und des eskalierenden Klassenkampfes im Spätkapitalismus fungieren, mit der Figur des Nazi-Zombies schuf das Genre den perfekten filmischen Kommentar zum krisenbedingt erstarkenden Neofaschismus und Rechtsextremismus. Nichts symbolisiert das Wiederaufleben einer archaischen, menschenverachtenden Naziideologie besser als die wandelnden Leichen von verwesenden SS-Männern und Nazisoldaten, die sich etwa im norwegischen Film Dead Snow auf eine Gruppe junger Studenten in einer abgelegenen Waldhütte stürzen. Neben dem norwegischen Streifen Dead Snow, in dem die Nazizombies mit der deutschen Besatzungszeit Norwegens in Zusammenhang gebracht werden, lässt aktuell noch der Shooter Sniper Elite – Nazi Zombie Army untote Nazis gegen den Spieler anstürmen.

Und selbstverständlich handelt es sich bei den Zombiefilmen um ein apokalyptisches Genre, bei dem die Ahnung aufscheint, dass die gegebene Gesellschaftsordnung nicht von Dauer sein kann und an ihre Entwicklungsgrenzen stösst. Die erste grosse Zombiewelle erfasste die westliche Kulturindustrie während der Krisenperiode der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als das von Vollbeschäftigung und Massenkonsum geprägte „Goldene Zeitalter“ des Nachkriegskapitalismus zu Ende ging. Die Zombieapokalypse war somit Teil einer in Krisenzeiten zunehmenden Produktion apokalyptischer und dystopischer Kulturwaren, in denen gerade die zunehmenden krisenbedingten sozialen Verwerfungen verarbeitet werden – dies ist in den vergangenen Jahren genauso der Fall wie in den Siebzigern und frühen Achtzigern des 20. Jahrhunderts.

Die Zombieapokalypse

Der Ausbruch der Zombieapokalypse visualisiert aber auch die Ängste vor dem Verlust der Integrationsfähigkeit des Kapitalismus, vor dem Verschwinden der libidinösen Bindungen (Freud), die die Gesellschaftsformation zusammenhalten – und die vom spätkapitalistischen System beständig unterminiert wird. Der Zombieangriff steht für den Moment der Panik, in dem alle sozialen Bindungen zwischen Individuum und Gruppe verschwinden und diese in Desintegration übergeht – etwa wenn auf dem notlandenden Flugzeug eine Panik ausbricht, oder wenn Menschen in einem überfüllten Stadion anfangen, sich gegenseitig totzutrampeln. Momente oder Zeiträume der Panik können auch nach Naturkatastrophen entstehen, etwa nach der Flutkatastrophe in New Orleans.

Das in Agonie übergehende kapitalistische System produziert beständig Panik – nicht nur in der Fülle von Weltuntergangsfilmen und sonstigen apokalyptischen Kulturprodukten. Das System bemüht sich beständig, alle Bindungen zwischen den Menschen auszulöschen, die nicht auf Konkurrenz und Marktbeziehungen zwischen Warensubjekten beruhen. Ein Paradebeispiel herfür sind ja die Hartz IV Reformen. Das antisoziale Hartz-Konstrukt der „Bedarfsgemeinschaft“ wurde eigens mit der Intention eingeführt, die soziale Atomisierung der Lohnabhängigen zu forcieren, die künftig darauf achten sollen, sich bloss mit niemandem in einer „Bedarfsgemeinschaft“ einzulassen, der zu einer finanziellen Belastung werden könnte. Solch in allseitige Konkurrenz getriebene Gesellschaftsatome verlieren sukzessive ihre libidinösen Bindungen an die zu einem gnadenlosen Konkurrenzsystem zugerichtete Gesellschaft, sie werden für Panik anfällig – für den Moment, in dem alle verinnerlichten sozialen Bindungen sich auflösen und die Gesellschaftsmitglieder in blinde Flucht, blinden Kampf aller gegen alle übergehen.

Zombies und Kulturindustrie

Der interessanteste Aspekt bei der Auseinandersetzung mit den Produkten der Kulturindustrie besteht gerade darin, dass diese letztendlich auf die Gesellschaft verweisen, in der sie entstanden. In den Waren der Kulturindustrie manifestieren sich die Widersprüche, Ängste und Obsessionen, die der krisengeschüttelte Kapitalismus hervorbringt, wenn auch in einer unreflektierten und gebrochen Form, die der Decodierung bedarf. Gute Rezensionen setzten sich gerade mit diesem gesellschaftlichen Subtext eines Films auseinander. Mag der Plot dröge, die Ästhetik öde und die Schauspieler hölzern wirken; dennoch bringen die Machwerke der Kulturindustrie ungewusst die Produktionsbedingungen zum Ausdruck, unter denen sie angefertigt wurden.

Ein Beispiel: Die eingangs dargelegte Hektik oder Hyperaktivität, unter der gegenwärtig viele Zombies zu leiden haben, ist Ausdruck einer allgemeinen Tendenz zur gesellschaftlichen Beschleunigung im Spätkapitalismus, wie sie etwa der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt: „Rosa unterscheidet zwischen technischer Beschleunigung, der Beschleunigung des sozialen Wandels und der Beschleunigung des Lebenstempos,“ erläuterte Spiegel-Online.

Die zunehmende „Beschleunigung“ des gesellschaftlichen Stoffwechsels, die der Soziologe konstatiert, ist selbstverständlich nur Ausdruck der zunehmenden Krisenkonkurrenz, bei der Arbeitszeiten und Arbeitsintensität gesteigert, sowie Produktzyklen verkürzt werden. Die Hektik und Arbeitshetze, die immer mehr Angestellte in den Burnout treibt, hat somit auch die Zombies erfasst, denen die Kulturindustrie selbst nach ihrem Ableben keine Verschnaufpause, keinen Schlendrian mehr gönnen will. Der Zombie der 70er Jahre konnte noch mit Konsum und Kommerz ruhiggestellt werden, die Zombies des 21. Jahrhunderts sind hingegen von der zunehmenden Krisenkonkurrenz gezeichnet.

Der Zombie als Krisenphänomen

Der Untote mit seinen sich wandelnden Charakteristika stellt somit eine Visualisierung abstrakter gesellschaftlicher Phänomene und Widersprüche dar, die zumeist in der massenmedial veröffentlichten Meinung nicht thematisiert werden. Das Genre des Zombiefilms kann dabei nicht nur bestimmte punktuelle soziale Fehlentwicklungen und Widersprüche reflektieren, die derzeit krisenbedingt überhandnehmen – wie etwa Entindividualisierung, Entfremdung, Rassismus, eskalierende Klassengegensätze oder gesellschaftliche Desintegrationstendenzen. Der Figur des Zombies haftet allein Aufgrund ihres scheinlebendigen Zustandes eine Eigenschaft an, die sie zur perfekten allegorischen Darstellung des gegenwärtigen Zustandes der spätkapitalistischen Gesellschaftsformation macht. Selbst die „sterilen“ Zombies, wie sind in World War Z massenhaft auftreten, transportieren einen sarkastischen Kommentar auf den derzeitigen Zustand des gesamten kapitalistischen Weltsystems.

Die Zombies leben selbstverständlich in einem scheinlebendigen Zombie-System. Ähnlich den sich rasant vermehrenden Zombie-Banken, die trotz faktischer Insolvenz einfach weitermachen, ist auch dem Gesamtsystem längst seine Geschäftsgrundlage abhanden gekommen. Die Grundlage des Kapitalismus, der kapitalistischen „Arbeitsgesellschaft“ stellt die Lohnarbeit dar – doch genau diese Substanz des Kapitals geht dem Gesamtsystem zusehendst verloren, wie es etwa die Explosion der Arbeitslosigkeit in Südeuropa illustriert. Es ist, als ob mit der Lohnarbeit dem System sein Lebenssaft abhandenkommen würde. Es zerbricht an seinen eskalierenden Widersprüchen, hervorgerufen durch ein Produktivitätsniveau, das die kapitalistischen Produktionsverhältnisse sprengt und Massenelend sowie Barbarei hinterlässt.

Und trotzdem scheint neben dem Zusammenbruch auch die Normalität zu existieren. Während im arabischen Raum die Bürgerkriege toben und in Spanien oder Griechenland nahezu zwei Drittel der Jugendlichen arbeitslos sind, wird etwa in der Bundesrepublik noch die Fassade einer heilen Arbeitsgesellschaft aufrechterhalten. Dieses prekäre Scheinleben, das der Kapitalismus noch in den Zentren des Systems fristet, ist auf die ausartende Verschuldung in den vergangenen Dekaden zurückzuführen. Der Kredit, die fiktive Kapitalverwertung auf den Finanzmärkten, ersetzte die reale Kapitalakkumulation in der Warenproduktion als zentralen Antriebsmotor des Systems. Die sich überall auftürmenden Schuldenberge sind nur Ausdruck dieser Krise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft, bei der das untote System mit dem Kredit im Hier und Jetzt seine Zukunft verschlingt, weil es keine mehr hat.

Der Zombie verkörpert buchstäblich diesen Krisenzustand, in dem das auf der Verwertung von Arbeitskraft beruhende System schon tot ist, aber vermittels des Kredits – des Vorgriffs auf eine imaginäre Zukunft – noch so tun kann, als ob es leben würde. Die Ahnung dessen, dass wir in einer scheinlebendigen Zombiewelt leben, schwitzt die Kulturindustrie in der gegenwärtigen Zombieinflation aus. Auf die Spitze getrieben wird diese Zombiehaftigkeit des Spätkapitalismus in der Bundesrepublik, die ja die Verschuldungsprozesse, die zur Aufrechterhaltung der heilen Arbeitsgesellschaftsfassade hierzulande notwendig sind, vermittels der enormen deutschen Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse ins Ausland ausgelagert hat. Ohne die Schuldenberge, die die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse erst ermöglichen, wäre die Bundesrepublik vor Jahren in einer Rezession versunken. Nirgends wirken die Zombies der zerfallenden Arbeitsgesellschaft somit lebendiger als hierzulande.

Tomasz Konicz
streifzuege.org