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Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss

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Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss Es war und es wird immer sein

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Kultur

Aus heutiger Sicht betrachtet stellt "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss" - trotz aller Kritik an Details im Film - einen Meilenstein in der medialen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik dar.

Die britische Schauspielerin Rosemary Harris (hier 1962) spielt in dem Film
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Die britische Schauspielerin Rosemary Harris (hier 1962) spielt in dem Film "Holocaust" die Rolle von Berta Palitz-Weiss. Foto: Tony in Devon (CC-BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 20. November 2024
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"Es gibt eine Dimension des Leides, die sich der
szenischen Nachgestaltung entzieht. Es existieren
Dokumentaraufnahmen, deren Eindringlichkeit das
Mass des Erträglichen fast übersteigt. Diese Aufnahmen
zu zeigen, in der Absicht zu verhindern, dass sich
jemals auch nur ansatzweise Vergleichbares wiederholt,
das ist legitim, das ist notwendig. Das Schicksal
von Millionen ermordeter Juden aber filmisch vermarktet
zu sehen, ist an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten."
(Robert Stromberger, in: "Die Welt" vom 27.1.1979, S. 24)

"Nicht die Serienverfasser haben diese Gräuel erfunden –
wir haben sie verübt. Und es sind keine nachgestellten
gewesen, sondern solche am lebendigen Fleisch. [..]
Denn ohne Auschwitz kein Auschwitzfilm: nicht die
Darstellung der Verbrechen beschmutzt uns, die
Verbrechen selbst haben es getan."
(Leopold Ahlsen, in: "Die Welt" vom 27.1.1979, S. 24)

"Das von Historikern und Publizisten seit Jahren beklagte
Desinteresse der Öffentlichkeit an der Vergangenheit entpuppte
sich hier als das, was es in Wahrheit ist: das Desinteresse
von Historikern und Publizisten an der Öffentlichkeit. Es war
wie ein Offenbarungseid."
(Joachim Fest, in: "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 29.1.1979, S. 1)

Das sind nur drei Äusserungen von (west-)deutschen Publizisten angesichts der Ausstrahlung eines Vierteilers, der in den USA von NBC produziert worden war und schon dort heftige Kontroversen ausgelöst, aber auch hohe Einschaltquoten bewirkt hatte. "Holocaust", (der Begriff kommt aus dem Griechischen und bedeutet Brandopfer) angeblich von NBC als Konkurrenzprodukt zum von ABC und CBS ein Jahr zuvor produzierten Sklavenepos "Roots" (ebenfalls in vier Teilen) "auf den Markt geworfen", wurde von knapp 120 Millionen Amerikanern gesehen – und löste 1979 schon im Vorfeld der umstrittenen Ausstrahlung in Deutschland heftige Kontroversen aus. Nicht nur, dass sich innerhalb der ARD der Bayerische Rundfunk und der Südwestrundfunk weigerten, die Serie im Hauptabendprogramm unterzubringen. Auch in den Medien wurde das thematisiert, was Eli Wiesel, selbst Opfer der Verfolgung durch die Nazis und anerkannter jüdischer Publizist in den USA, zuvor kritisiert hatte. Der Film stelle eine "Trivialisierung des Holocaust" dar, verwandle "ein ontologisches Ereignis in eine Seifenoper" und sei eine "Beleidigung für die, die umkamen und für die, die überlebten".

Letztlich, so auch Publizisten und Journalisten in der Bundesrepublik, sei der Völkermord visuell nicht darstellbar. Die Kommerzialisierung eines solchen Themas (wie durch die Serie "Holocaust") mache jegliches Bemühen um eine Hinwendung einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland zur eigenen Vergangenheit eher schwieriger. Die Rede war von Geschäftemacherei, fehlender Detailgenauigkeit, trivialer Machart, Rührfilm. Insbesondere der WDR jedoch kämpfte weiter um die Ausstrahlung der Sendung, und man einigte sich schliesslich, den Vierteiler in den dritten Programmen zu zeigen.

Der Erfolg war überwältigend und für viele unerwartet. 32%, 36%, 39% und dann 41% der Haushalte sahen die vier Folgen von "Holocaust". Mehr als 20 Millionen Menschen sahen die Serie oder zumindest eine oder mehrere Folgen. 68% der 14-29jährigen und 47% der über 60jährigen, 64% der Männer und 54% der Frauen schalteten ein. Nie zuvor bis zu diesen Tagen hatte ein zeitgeschichtliches Thema im Fernsehen ein derartiges Interesse geweckt. In der Woche der Ausstrahlung gingen rund 30.000 Anrufe von Zuschauern bei den Sendern ein.

Was war geschehen? Und was bedeuteten diese Fakten für die Zukunft?

Der Film

Teil 1: Die hereinbrechende Dunkelheit (1935-1940) 132 Minuten)

Der erste Teil beginnt mit der Hochzeit von Karl Weiss, Maler, und Inga Helms 1935. Karl ist der Sohn des jüdischen Arztes Dr. Josef Weiss, verheiratet mit Berta. Die beiden haben noch zwei Kinder, Sohn Rudi und Tochter Anna, die noch zur Schule geht. Wir lernen die Eltern von Inga und deren Bruder Hans, Soldat, kennen, deren Antisemitismus sich schon bald gegen die Familie Weiss und die Ehe Ingas mit Karl richten wird. Und schliesslich ist auch Heinz Müller Gast bei der Hochzeit – einer jener Opportunisten, die sich bald dem Regime voll und ganz zur Verfügung stellen.

Eine der Patientinnen von Dr. Weiss ist Marta Dorf, die wegen eines Herzleidens mit ihrem Mann Erik, einem arbeitslosen Juristen, Dr. Weiss aufsucht. Sie treibt ihren Mann in die Arme führender Nazis. "Warum nicht nach der Macht greifen, wenn sich einem die Möglichkeit bietet?" äussert sie gegenüber Erik Dorf, der schon bald zum Adjutanten des Chefs des sog. Reichssicherheitshauptamtes Heydrich werden soll. Er ist es, der Dr. Weiss mehr droht als warnt, Deutschland umgehend zu verlassen.

Der Film schildert im folgenden die immer weitergehenden (gesetzlichen) Einschränkungen für Juden – Verbot von "Mischehen", Verbot für Dr. Weiss, "arische" Patienten zu behandeln u.v.m. – bis hin zur sog. "Reichskristallnacht" 1937, in der auch die Eltern von Berta, Herr und Frau Palitz, Opfer des faschistischen Mobs werden und sich später selbst töten. Er zeigt uns auch, wie unterschiedlich man in der Familie Weiss die Situation beurteilt. Während Berta und auch ihr Mann immer noch hoffen, mit dem NS-Regime werde es bald zu Ende gehen, müssen sie andererseits mit ansehen, wie ihr Sohn Karl verhaftet und in das KZ Buchenwald eingeliefert wird. Rudi dagegen will sich nicht einfach widerstandslos festnehmen lassen. Er flieht aus Berlin nach Prag und lernt dort seine spätere Frau Helena kennen. Josef Weiss wird aus Deutschland ausgewiesen und über die polnische Grenze abgeschoben. Sein Bruder Moses nimmt ihn auf – bis die Deutschen in Polen einmarschieren und in Warschau ein Ghetto errichten, in das auch die Brüder deportiert werden.

Die junge Anna, die nach der Vergewaltigung durch Nazis in eine tiefe Melancholie fällt, wird durch einen Arzt nach Hadamar geschickt. Ihre Mutter und Inga ahnen nicht, dass in Hadamar "unwertes Leben" vernichtet wird. Anna stirbt mit anderen in einem Schuppen, in den man Kohlenmonoxid einlässt.

Teil 2: Die Strasse nach Babi Yar (1941-1942) (88 Minuten)

Erik Dorf ist zu einem der wichtigsten Männer im Reichssicherheitshauptamt geworden – und "Architekt" (neben Heydrich und anderen) der "Endlösung der Judenfrage". An der "Heimatfront" ist es seine Frau Marta, die ihn immer wieder anstachelt, seine Karriere im Auge zu behalten. Dorf ist es auch, der an dem Massenmord von über 30.000 Juden in Babi Yar, einer Schlucht in der Nähe von Kiew, beteiligt ist.

Im Warschauer Ghetto, in das nun auch Berta Weiss deportiert wurde, gehen die Meinungen im Judenrat, einer von den Nazis eingesetzten "Selbstverwaltung", in der auch Moses und Josef Weiss Mitglieder sind, auseinander, wie man sich gegenüber der Situation und den Deutschen verhalten soll. Erste Stimmen von jungen Zionisten werden laut, sich gegen die Ghettoisierung mit Waffengewalt zu wehren. Erste Widerstandsgruppen bilden sich, und auch Moses tritt nach anfänglichen Zweifeln einer solchen Gruppe bei.

Inga versucht verzweifelt, Kontakt zu Karl in Buchenwald zu bekommen. Müller, inzwischen einer der Nazi-Schergen im KZ, erpresst Inga. Er werde ihre und Karls Briefe weiterleiten und dafür sorgen, dass Karl nicht mehr im Steinbruch, sondern in der Künstlerwerkstatt arbeiten könne, wenn Inga mit ihm ins Bett gehe. Um mit Karl in Kontakt zu bleiben, willigt Inga angewidert ein.

Rudi und Helena fliehen über Ungarn nach Kiew, wo inzwischen auch die Armeen Hitlers eingebrochen sind. Zufällig treffen sie dort auf Hans Helms, den Bruder Ingas, der durch eine Granate verletzt wurde. Der Dank für ihre Hilfe für den Verletzten: Hans denunziert sie. Sie müssen mit Tausenden anderer in den Zug nach Babi Yar, können jedoch entfliehen. Von einem Hügel aus müssen sie mit ansehen, wie die SS eine Gruppe von Juden nach der anderen ermordet. Auf ihrer Flucht schliessen sie sich jüdischen Partisanen unter Leitung des Arztes Sascha an.

Teil 3: Die Endlösung (1942-1944) (88 Minuten)

Rudi und Helena werden von einem Rabbi, der zu den Partisanen gehört, getraut. Helena träumt wie viele andere in der Gruppe von einem jüdischen Staat in Palästina. Die Gruppe hat inzwischen etliche Waffen erbeutet und überfällt ukrainische Milizen, die auf deutscher Seite stehen.

Karl wird nach Theresienstadt deportiert und fertigt mit zwei weiteren Kunstmalern dort neben den offiziell angeforderten Bildern heimlich auch Zeichnungen über die wirklichen Verhältnisse im KZ. Einer der Maler verkauft einige dieser Bilder, die dann in die Hände der SS geraten. Alle drei werden brutal gefoltert, weil sie das Versteck weiterer Zeichnungen nicht preisgeben wollen. Einer der drei stirbt an den Folgen der Schläge. Inga hat inzwischen Müller gebeten, sie zu denunzieren, um nach Theresienstadt zu kommen und Karl nahe zu sein.

Im Warschauer Ghetto beginnt der Abtransport Tausender von Juden nach Auschwitz. Die Beschlüsse der sog. Wannsee-Konferenz werden umgesetzt: Die Vernichtung von Millionen von Menschen durch Zyklon B. Moses und sein Bruder Josef unterstützen aktiv die Widerstandsgruppen im Ghetto.

Erik Dorf mischt mit: Er ist seit längerem auf der Suche nach einer "effektiven" Methode der Massenvernichtung. Und obwohl Heydrich an den Folgen eines Attentats in Prag inzwischen gestorben ist, dient er sich auch dessen Nachfolger Kaltenbrunner als treuer Vasall des Massenmordes an.

Teil 4: Die Überlebenden (1944-1945) (101 Minuten)

Die Mordmaschinerie läuft auf Hochtouren. Dorf demonstriert Kaltenbrunner und anderen mit Dias, was in Auschwitz geschieht. Inzwischen könne man dort 12.000 Menschen pro Tag liquidieren. Dorf will seinen "Dienst an der Menschheit" filmen lassen.

Das Warschauer Ghetto wird nach und nach aufgelöst. Auch Moses, Berta und Josef Weiss werden nach Auschwitz deportiert und in den Gaskammern ermordet. Der verzweifelte bewaffnete Aufstand im Warschauer Ghetto war zuvor nach wenigen Tagen zusammengebrochen.

Bei einem Überfall der Partisanen wird Helena getötet. Rudi wird nach Sobibor deportiert. Gemeinsam mit russischen Gefangenen gelingt ihm die Flucht aus dem KZ: Man überfällt das Waffenlager der SS und etliche Gefangene entkommen. Rudi will seine Familie suchen. Noch weiss er nicht, dass alle ermordet wurden.

Karl stirbt im KZ an den Folgen seiner Misshandlungen.

Dorf wird 1945 festgenommen. Um einem Prozess zu entgehen, begeht er Selbstmord.

Der Film endet (in der im dt. Fernsehen ausgestrahlten Fassung) mit einer Szene, in der Kurt Dorf, der für die Nazis im Osten als Strassenbauingenieur tätig war, seiner Nicht Marta und ihren Kindern erklärt, Erik sei kein Held, sondern ein Verbrecher gewesen. Kurt Dorf hatte – wenn auch spät – erkannt, für welches System er gearbeitet hatte, und versucht, einige wenige Menschen durch die Beschäftigung beim Strassenbau vor der Ermordung zu retten.

Das amerikanische Original des Films endet mit der Organisierung der Flucht nach Palästina durch Rudi.

Zur Bedeutung von "Holocaust"

Aus heutiger Sicht erscheint die damalige mediale Kritik an dem Vierteiler "Holocaust" beinahe schon unverständlich. Kein Film über den Holocaust war und ist und wird in der Lage sein, das Unvorstellbare zu dokumentieren. Die filmische und literarische Verarbeitung des Völkermords wird immer nur eine schwierige und schmerzliche Annäherung bleiben. Dies gilt für jeden Versuch, Ereignisse in welcher Weise auch immer zu beschreiben, in denen es um Existentielles geht: Krieg, Völkermord und vieles mehr. Kein Kriegsfilm kann dem Betrachter auch nur annähernd das Gefühl vermitteln, was Krieg für jeden einzelnen bedeutet. Niemand wird nachvollziehen können, was permanenter Hunger tatsächlich bedeutet, wenn er oder sie nicht tatsächlich Hunger erlebt haben.

Die damalige (grundlegende) Kritik an "Holocaust" scheint mir eine, die mit (man möchte sagen: typisch intellektualistischen) Vorurteilen mehr behaftet war, denn mit tatsächlichen Argumenten. So wandelte sich die mediale Kritik auch – kaum überraschend – nach dem Publikumserfolg der Serie grundlegend. Plötzlich "erkannte" man die Bedeutung dieses Films.

Auch der Einwand, man habe – "typisch amerikanisch" (!?) – am individuellen Schicksal zweier Familien (Weiss und Dorf) versucht, dem Publikum den Schrecken nahe zu bringen und dadurch ein "Rührstück" geschaffen, ist völlig verfehlt. "Holocaust" ist kein Rührstück. Der Film produziert Emotionen: ja! Aber keine Rührseligkeit. Im Gegenteil. Er zeigt gerade durch seine individualistische Ausrichtung in Verknüpfung mit Dokumentaraufnahmen und wesentlichen Teilen der NS-Politik und gerade durch den Kontrast der Geschichten beider Familien das, zumindest vieles von dem, was man aus der Geschichte des Völkermords lernen kann, wenn man lernen will.

Die Personen des Films, die beider Familien und einiger anderer (etwa Müller, Heydrich), werden einem zunehmend vertraut – hier in einem positiven, dort in einem negativen Sinn, da wiederum in differenzierter Weise. Das beginnt mit den unterschiedlichen Meinungen und Gefühlen innerhalb der Familie Weiss bezüglich der Beurteilung des NS-Regimes und den Gefahren für die deutschen Juden. Der Film zeigt, wie ein "unpolitischer" Mann wie Erik Dorf, aufgewachsen in einer sozialdemokratischen Familie, zum kaltblütigen Verbrecher und Massenmörder wird – angestachelt durch seine Frau Marta, die nur eines im Blick hat: die Karriere ihres Mannes, sein "Ansehen". Es ist genau dieses scheinbar "Unpolitische", das Dorf die Grenze zur Inhumanität überschreiten lässt. Er wird zum Massenmörder am Schreibtisch.

"Holocaust" zeigt, so paradox das klingen mag, den nicht judenfeindlichen Antisemitismus eines Erik Dorf und eines Heydrich. Besonders deutlich wird dies in einem Gespräch zwischen Dorf und Heydrich gegen Ende des ersten Teils der Serie, das am Schluss hier wiedergegeben wird. Gerade dieses – erfundene (!) – Gespräch nähert sich in erstaunlicherweise einer These des Sozialwissenschaftlers Götz Aly: Der NS-Antisemitismus nutzte zwar den traditionellen Judenhass zur Mobilisierung des Völkermords.

Der eigentliche Grund dieses Genozids aber war die Schaffung von Raum im Osten für die NS-Politik durch Vernichtung vor allem massenhafter armer Bevölkerungsschichten in Polen und darüber hinaus. Antisemitismus war Teil einer grossraumorientierten "Bevölkerungspolitik" zur Lösung des Problems der "Überbevölkerung". Dieses "Über" war bei den Technokraten des Genozids, die kaum einmal wirklich antisemitisch argumentierten, klar definiert: Alles "Unproduktive", übrigens auch im Innern des "Reichs" (was Sinti und Roma, geistig und körperliche behinderte Menschen, Menschen mit anderen politischen Auffassungen, Homosexuelle usw. anging), sollte ein für allemal getilgt werden.

Der Raum in Europa sollte so neu strukturiert werden: im Sinne einer Ordnung, in der nur noch "nützliche Elemente" mit abgestuften Rechten Lebensrecht haben sollten. Dorthin passen auch die Äusserungen Himmlers, die Polen und andere slawische Völker, denen nur wenig Schreiben, Lesen und Rechnen beigebracht werden sollte, als Zwangsarbeitskräfte für das neugeordnete Europa zu instrumentalisieren (vgl. z.B. Götz Aly, Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991).

Das Gespräch zwischen Heydrich und Dorf gibt dies teilweise wieder. Der hasserfüllte traditionelle Antisemitismus ist für beide nur Mittel zum Zweck. Keine Überzeugung.

Andererseits verdeutlicht der Film den tiefen Gegensatz zwischen dieser Form der Barbarei und demgegenüber der Humanität, der Solidarität und auch dem Widerstandswillen, der sich nicht zuletzt unter äusserst schwierigen Bedingungen zeigt. Dr. Weiss und seine gesamte Familie – so unterschiedlich sie auch denken mögen – und Inga oder auch Helena sind die Protagonisten dieser Humanität und Solidarität, die in vielen Szenen des Films deutlich wird: ob im Ghetto, im KZ, auf der Flucht oder sonst wo. Demgegenüber zeigt "Holocaust" – zum ersten Mal in einer Spielhandlung so deutlich – die Verbrechen: die Massenerschiessungen, die Ermordung von Menschen in Bussen durch Kohlenmonoxid und vieles mehr.

Nicht zuletzt kommt auch mehrfach zur Sprache, wie wenig andere Staaten den beginnenden und dann nach der Wannsee-Konferenz forcierten Genozid wirklich zur Kenntnis nahmen.

Unter Berücksichtigung all dieser Dinge verblasst das Argument, der Fernsehsender NBC habe lediglich aus kommerziellen Erwägungen ein solches Projekt initiiert.

Der Erfolg der Serie beim Publikum war keineswegs so überraschend, wie damalige Medien schrieben. Schon Jahre vor der Ausstrahlung der Sendung hatten sich in der damaligen Bundesrepublik Veränderungen ergeben, die diesen Erfolg verständlich machen. Nach dem Antritt der sozialliberalen Koalition 1969 und im Zuge der 68er-Bewegung veränderten sich nicht nur Geschichtsbilder, der Zugang zur Geschichte wurde konkreter, demokratischer, bestehende Überzeugungen, die bis dahin als unumstösslich galten, wurden hinterfragt, eine Welle erinnerungskultureller Projekte kam ins Rollen. Die Suche nach Orientierung im Gefolge der Krise der Wachstumsgesellschaft und der ökologischen Bedrohung zeitigte u.a. auch eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und überkommenen oder falschen Geschichtsbildern. Die "Hitler-Welle" in den Medien einerseits und neu aufkeimende Nazi-Ideologen andererseits förderten – bis hin zum Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher im "Stern" 1983 – die Auseinandersetzung breiterer Schichten mit der NS-Vergangenheit. Auch in der Justiz war das Bewusstsein gewachsen, noch lebende Schergen des NS-Systems zu verfolgen und zu verurteilen. Politiker wie Filbinger und Carstens, die Mitglieder der NSDAP waren, gerieten ins Licht der Öffentlichkeit.

All dies liess "Holocaust" sozusagen auf einen fruchtbaren Boden fallen. In gewisser Weise war die Serie ein Höhepunkt dieser Entwicklung, die nie mehr ganz abriss.

Aus heutiger Sicht betrachtet stellt "Holocaust" daher – trotz aller Kritik an Details im Film, etwa falscher Uniformen – einen Meilenstein in der medialen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik dar. Wieder betrachtet, hat der Film auch heute noch eine enorme Bedeutung – neben anderen Filmen wie "Der Pianist", "Schindlers Liste" und anderen.

Anhang

Gespräch zwischen Heydrich und Dorf (im ersten Teil)

Heydrich (H): Können Sie mir das Ziel nennen?
Dorf (D): Die Eliminierung des jüdischen Einflusses in Europa, die Entvölkerung grosser, noch von Slawen bewohnter Gebiete. Die Nutzung von Polen und anderen slawischen Völkern als Arbeitskräfte.
H: Gut. Was bedeutet das praktisch: Verarmung, Verbannung, Deportation, Sterilisation, Ausrottung ...
D: Die Vernichtung von Millionen von Menschen steht nicht zur Debatte.
H: Nicht zur Debatte?
D: Aber irgendwie müssen sie in Schach gehalten werden. In Quarantäne.
H: Erfüllen die Juden irgendeinen Zweck?
D: Einen Zweck?
H: Sagen Sie mir, Dorf, was daran ist Überzeugung und was davon Opportunismus?
D: Ich bin kein Psychologe.
H: Ich bin wohl der Überzeugung, dass die Juden eliminiert werden müssen. Selbstverständlich. Aber nehmen wir einmal an, diese Rassenfrage sei Unsinn. Seit Jahrhunderten vermischen sich Juden mit Ariern.
D: Warum bestehen wir dann so unnachgiebig darauf, die Juden zu eliminieren?
H: Sie müssen es praktisch sehen. Antisemitismus als Feindbild im Innern. Die Christen mögen in vielem nicht unserer Meinung sein, aber als Gläubige können sie sich mit uns vereinen im Hass auf die Juden.
D: Haben die Juden diesen Hass nicht verdient?
H: Sie haben Christus ans Kreuz geschlagen. Brunnenvergifter, Handlanger des Satans. Ritualmörder. Mag Himmler an diesen Unsinn glauben, aber wir wissen, es ist vorsintflutlicher Quatsch. Lüge, aber eine politisch nützliche Lüge. Der Boden ist für uns vorbereitet. Gründlich.
D: Also: Ideologie und traditionelles Denken gehen Hand in Hand mit der praktischen modernen Politik.
H: Bestens! Warum wohl, glauben Sie, greift niemand ein? Wie kommt es, dass die Engländer und Franzosen kaum protestieren? Weil sie tief im Innern eine geheime Bewunderung dafür hegen, wie wir mit den Juden verfahren. Welchen Begriff hatten Sie vorhin dafür benutzt? D:Quarantäne.
H: Die Isolierung der Bakterienträger. Wie wär's, wenn wir sie nach Osten umsiedeln? Riesige Ghettos schaffen unter jüdischer Selbstverwaltung?
D: Der Ausdruck "Ghetto" könnte missverstanden werden.
H: Und was schlagen Sie vor?
D: Autonome jüdische Gebiete.
H: Autonome jüdische Gebiete. Fabelhaft.
D: Werden diese jüdischen Gemeinden bestehen bleiben?
H: Sagen wir mal so: ein vorläufiger Schritt zur Endlösung der Judenfrage.

Ulrich Behrens

Literatur:

Jens Müller-Bauseneik: Die US-Fernsehserie "Holocaust" im Spiegel der deutschen Presse (Januar – März 1979). Eine Dokumentation, in: Historical Social Research 30, 2005, S. 128-140.

Tjark Kunstreich: Die Wundreiztherapie. Wie die Westdeutschen lernten, "Holocaust" zu lieben, in: jungle-world.com Archiv 2/2004.

Harald Schmid: Die "Stunde der Wahrheit" und ihre Voraussetzungen. Zum geschichtskulturellen Wirkungskontext von "Holocaust", in: Zeitgeschichte online, Thema: Die Fernsehserie "Holocaust" – Rückblicke auf eine "betroffene Nation", hrsg. von Christoph Classen, März 2004.

Jürgen Wilke: Die Fernsehserie "Holocaust" als Medienereignis, in: Zeitgeschichte online, Thema: Die Fernsehserie "Holocaust" – Rückblicke auf eine "betroffene Nation", hrsg. von Christoph Classen, März 2004.


Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss

USA

1978

-

414 min.

Regie: Marvin J. Chomsky

Drehbuch: Gerald Green

Darsteller: Joseph Bottoms, Rosemary Harris, Michael Moriarty

Produktion: Robert Berger, Herbert Brodkin

Musik: Morton Gould

Kamera: Brian West

Schnitt: Alan Heim, Craig McKay