Richard (Lambert Wilson) geniesst in Marokko sein hedonistisches Leben als schwuler Maler. Er hat sich in den jungenhaften, fast noch kindlichen Malik (Habib Adda) verliebt, der um jeden Preis nach Europa will. Als Richard seine Bilder für eine Ausstellung nach Frankfurt transportiert, versteckt sich Malik im Lieferwagen. Das ist eine grosse Gefahr für Mathilda (Barbara Sukowa), bei der die beiden in Frankfurt unterkommen. Denn die sehr gute Freundin von Richard macht sich als konservative Politikerin für einen harten Kurs gegen illegale Einwanderung stark.
Warum allerdings ausgerechnet Mathildas neue Assistentin Amina (Banafshe Hourmazdi) derart skeptische Blicke auf Malik wirft, werden wir erst nach und nach erfahren im thrillerhaften Ensemblefilm, der kunstvoll ein persönliches Beziehungsviereck zum zeitpolitischen Panorama weitet.
Gleichberechtigte Perspektiven
Panoramablick auf die Frankfurter Skyline am Abend: In den Wolkenkratzern gehen die Lichter an, in den Strassen tost der Feierabendverkehr. Doch was bedeutet der Knall auf der Tonspur? Sirenen heulen, ohne dass Rauch zu sehen ist. Aber zwei parallel geführte Telefonate bringen Klarheit. „Bist du okay?“ wird da gefragt. Bis nach Marokko ist die Nachricht von dem mutmasslich islamistischen Anschlag gedrungen. Man sorgt sich um die Liebsten und fragt sich, was mit dieser unserer Welt inzwischen los ist.In derartiger Verschränkung von Privatem und Politischem, in der Verflechtung von Blickwinkeln liegt der grosse Reiz von Klandestin. Als „emotionaler Politthriller“ wird der Film angekündigt, doch die schubladenhafte Einordnung wird ihm nur bedingt gerecht. Denn es geht um vieles, das gleiches Gewicht hat und nicht gegeneinander ausgespielt werden kann: um tiefe Freundschaft, um Loyalität, um Solidarität, um Menschlichkeit sowie vor allem um das Gefühl des Fremdseins und die Sehnsucht nach Liebe.
Es ist bewundernswert, wie präzise, dicht und vielschichtig der Film seine Erzählfäden zu einem Gesamtbild verwebt: Jede Einstellung weist über sich hinaus auf das grosse Ganze, aber jedes persönliche Erleben steht auch für sich und hat einen eigenen Wert. In vier Strängen, die mit dem Namen der jeweiligen Protagonisten überschrieben sind, gestaltet das Zeitporträt ein Puzzle aus individuellen Sichtweisen, bei denen die Charaktere ihre Wünsche und Geheimnisse erst nach und nach preisgeben. Das Publikum bekommt dabei mehrere Identifikationsangebote und wird zugleich auf sich selbst zurückgeworfen. Wer zum Beispiel dachte, Richard beute Malik sexuell aus, wird später eines Besseren belehrt.
Klare Kante
Angelina Maccarone (The Look – Charlotte Rampling, 2011) erteilt in ihrem ersten Kinofilm seit 13 Jahren keine Nachhilfe in Migrationspolitik, vertritt aber eine klare Haltung, die mit ihren persönlichen Erfahrungen als Tochter eines Italieners und einer Deutschen zu tun hat. Insofern knüpft Klandestin an Maccarones frühen Film Fremde Haut (2005) an, der ebenfalls von gleichgeschlechtlicher Liebe und Migration handelt. Hier wie dort bleibt dem Publikum die Freiheit des eigenen Urteils, auch wenn die unmenschlichen Konsequenzen fremdenfeindlicher Politik wohl niemanden kalt lassen.Aus den vielen Stärken des Films ragt besonders die Beziehung zwischen Mathilda und Richard heraus. Wie man bei deren Schwelgen in Erinnerungen erfährt, waren sie in der Jugend dicke Freunde, eng verbunden durch gemeinsamen Musikgeschmack und anti-bürgerliche Haltungen. Richard lebt immer noch als eine Art verspäteter Hippie, aber Mathilda hat sich komplett der Macht, der Karriere und dem Zynismus verschrieben. Trotzdem sind sie füreinander da wie Bruder und Schwester. Nichts und niemand soll sie auseinanderbringen, trotz krasser politischer und weltanschaulicher Differenzen. Das ist doch mal ein sinnvolles Vorbild für unsere zunehmend gespaltene Gesellschaft.