Zehn Jahre später, inmitten der Vorbereitungen für die Fussballweltmeisterschaft, erhält Maria Besuch von ihrer Mutter, die sich aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr um Marco (Matheo Labbé) kümmern kann. Parallel arbeitet Maria an einem Artikel über die Machthaber in Guatemala, die Mexiko anlässlich der Eröffnungszeremonie der WM besuchen sollen. Doch die Lage in Mexiko ist angespannt und als bei einem Polizeieinsatz ein Mitglied des Widerstandes getötet wird, bekommen Maria und ihr Kamerad Miguel (Leonardo Ortizgris) Panik. Die Anführer des Widerstandes drängen Maria, ihren Sohn entweder zurück nach Guatemala zu schicken oder nach Kuba, wo man sich um ihn kümmert. Sie muss sich nun entscheiden, ob sie weiterhin für ihre Ideale kämpfen will oder für die Sicherheit ihres Sohnes.
Leben auf der Flucht
Schon in seinem letzten Film Nuestras Madres, mit dem er unter anderem die Goldene Kamera auf den Filmfestspielen in Cannes 2019 gewann, befasste sich Regisseur César Diaz mit der Geschichte seines Heimatlandes Guatemala. Der lange Bürgerkrieg, dem zwischen 150.000 und 250.000 Menschenleben zum Opfer fielen, hat tiefe Spuren im Land, in der Kultur und natürlich in zahlreichen Familien gelassen, auch in der des Filmemachers. Seine Mutter, die für den Widerstand arbeitete, sah sich gezwungen, zu ihrer eigenen Sicherheit nach Mexiko zu fliehen, während Diaz bei seiner Grossmutter blieb. In Mexico 86, der aktuell auf den Filmfestspielen in Locarno zu sehen ist, erzählt Diaz von diesem Kapitel seiner eigenen Biografie, aber eben auch wieder von dem Kampf gegen ein System und welche Entscheidungen dieser vielen Menschen abverlangte.Von der ersten Minute an wird der Zuschauer mit der ungeheuren Gewalt des Bürgerkrieges konfrontiert, als Maria, ihren Sohn in den Armen, vom Fenster ihrer Wohnung mit ansehen muss, wie ihr Mann auf offenen Strassen von Polizisten kaltblütig hingerichtet wird. Dieses Bild markiert den Beginn einer Flucht, die viele Jahre lang andauert, unabhängig von den unterschiedlichen Identitäten, welche sich die junge Frau zurechtlegt. Alles ist nur temporär und vergänglich, und immer wieder steht alles auf dem Spiel, nicht nur ihr Leben, sondern auch die Ziele des Kampfes, denn der Gegner ist mächtig und unsichtbar.
Mit dem Eintreffen ihres Sohnes beginnt ein gefährlicher Balanceakt für Maria, die ihren eigenen Kampf und die Normalität, die ihr Sohn ihr abverlangt, miteinander vereinen will. Die Momente, in denen sich so etwas wie Normalität andeutet, beispielsweise das Fussballspiel im Park oder die Geburtstagsparty eines Schulfreundes, verlangen einen hohen Preis und sind, wieder einmal, nur zeitlich begrenzte Auszeiten von diesem Leben auf der Flucht. Diaz vermischt dramatische Elemente mit den Konventionen des Thrillers, wobei er insbesondere die Paranoia seiner Heldin zeigt, die sich gegen einen unsichtbaren Gegner verteidigen muss, der zu allem bereit ist.
Ideale
Die Figuren in Mexico 86 haben noch einen anderen Kampf auszutragen, nämlich den zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und den Idealen des Widerstandes. Bérénice Bejo betont durch ihr Schauspiel den inneren Konflikt ihrer Figur, die durch eine schier unmögliche Aufgabe zu zerreissen droht. Auch Darsteller wie Leonardo Ortizgris heben diesen Aspekt der Handlung durch ihr Schauspiel hervor, was dem Film eine ungeheure Anspannung verleiht, da man sich als Zuschauer immer fragt, wie sich die beiden Figuren entscheiden werden.Ihre Schicksale scheinen sinnbildlich für viele andere Menschen zu stehen, die der Krieg in Guatemala auseinandergerissen hat oder zur ewigen Flucht verdammt hat. Indem sich der Film als Drama versteht, geraten besonders im letzten Drittel die politischen Aspekte der Handlung etwas in den Hintergrund, was bedauerlich ist, aber zumindest der bereits erwähnten Spannung keinen Abbruch tut.