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Riefenstahl

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Riefenstahl Kunst und Politik

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Kultur

„Riefenstahl“ ist eine Dokumentation über die umstrittene Filmemacherin. Andres Veiel verbindet eine Fülle an Material zum Porträt einer Person, die ihre eigene Lebenslüge und Propaganda als das Narrativ ihrer Biografie akzeptierte und davon nicht mehr abwich.

Leni Riefenstahl, aufgenommen 1935.
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Leni Riefenstahl, aufgenommen 1935. Foto: Autor/-in unbekannt (PD)

Datum 2. November 2024
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Lesezeit4 min.
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Der Film ist aktueller denn je, bieten sich doch Verbindungen zu Narrativen heutiger Politiker oder anderer Persönlichkeiten an, die offensichtliche Unwahrheiten als wahrhaftig verkaufen und keinen Widerspruch dabei dulden.

Wir sehen die Statue eines Diskuswerfers. Die Musik im Hintergrund scheint zu betonen, dass wir Zeuge eines besonderen Moments sind und wir schauen ehrfürchtig auf diesen vom Künstler eingefangenen Augenblick sportlicher Leistung und körperlicher Perfektion. Die Schönheit dieses jungen Menschen ist nicht nur reiner Körperkult, denn sie scheint darauf ausgerichtet zu sein, diesen Wurf zu meistern und den Athleten zum Besten der Besten auszuzeichnen.

Je mehr sich die Kamera der Statue nähert, desto mehr erkennen wir, dass wir es keineswegs mit einer solchen zu tun haben, denn vor uns steht ein wahrhaftiger Mensch, der dabei ist, den Diskus zu werfen. Die Zeitlupe betont das, was wir schon längst wissen, nämlich die Symbiose des sportlichen Eifers mit der physischen Perfektion, die sich vereinen zu einem Moment, der das Weltliche hinter sich lässt und mehr ins Transzendente geht.

Dies ist nur einer von vielen Momenten aus Leni Riefenstahls Film Olympia, eines inszenierten Propagandafilms über die Olympischen Spiele 1936, der seinerzeit gefeiert wurde und nach Ende des Zweiten Weltkriegs der Regisseurin den Ruf einbrachte, eine NS-Mitläuferin gewesen zu sein.

Der Diskurs über die Finesse bei der Inszenierung dieser wie auch anderer filmischer Werke Riefenstahls ist bis heute untrennbar verbunden mit der Diskussion um die Verbindung zwischen Politik und Kunst, welche die Regisseurin bis zu ihrem Lebensende 2003 vehement bestritt. In seiner neuen Dokumentation Riefenstahl erzählt der deutsche Filmemacher Andres Veiel (Ökozid) ausgehend von der Lebensgeschichte der umstrittenen Regisseurin davon, wie die Inszenierung von einem Menschen Besitz ergriffen hat.

Bis heute findet man die Aussage vor, man habe doch nichts gewusst von den Verbrechen des NS-Regimes. Zugespitzt könnte man behaupten, dass Veiels Film, der auf den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte, dem Hintergrund dieser Behauptung auf den Grund geht und wie es passiert, dass man eine Selbstlüge letztlich als Wahrheit anerkennt.

Zwei Stunden lang wechselt die Dokumentation zwischen den einzelnen Stationen des Lebenswegs Riefenstahls, zeigt ihre Anfänge und kombiniert diese mit Ausschnitten aus Talkshows, in denen die Regisseurin auftrat und die im Nachhinein für eine öffentliche Diskussion sorgten.

Auch unveröffentlichtes Material, beispielsweise aus Ray Müllers Dokumentation Die Macht der Bilder – Leni Riefenstahl, werden gezeigt, in denen die langen und erhitzt geführten Argumentationen Riefenstahls verfolgt werden, die sich als Verfolgte, als Opfer einer Intrige und Zielscheibe der Medien ansieht. Die zweistündige Dokumentation ist dabei nicht nur spannend und informativ, sondern auch aktuell, wenn es darum geht, dass man ein Narrativ, das man sich zurechtgelegt hat, bei steter Wiederholung als die einzige Wahrheit betrachtet.

Kunst und Politik

Wie in seinen vorherigen Projekten, beispielsweise Black Box BRD oder Beuys, ist die extensive Recherche Veiels das Fundament eines Films, dessen Aktualität evident ist. Die Auswirkungen (politischer) Gewalt sowie die Verbindung von Kunst und Politik sind die Themen in Veiels bisherigem Werk und finden sich natürlich auch in Riefenstahl wieder.

In der bekannten Filmemacherin sieht der Zuschauer die Lebensgeschichte eines Menschen, der sich im Netz einer Lebenslüge verfangen hat und dem kein anderer Ausweg mehr bleibt, als auf dessen Wahrhaftigkeit zu bestehen. Ob im lockeren Gespräch mit ehemaligen Schulfreundinnen oder beim Auftritt in einer Talkshow wird der Zuschauer stets auf die Darstellung dieses Menschen aufmerksam, der sich widerspricht und auf seinem Narrativ besteht.

Neben bekanntem Material greift Veiels Dokumentation auf den Nachlass Riefenstahls zurück, der aus Hunderten von Briefen, Skripten und Fotos sowie Heimvideos besteht, zurück, wobei es ihm gelingt, die schon erwähnten Widersprüche aufzuzeigen und bestimmte Lücken in Riefenstahls Geschichte zu schliessen. Abgesehen von der Fülle des Materials bleibt beim Zuschauer wohl aber das Bild dieser Frau bestehen, die zunächst gereizt und dann immer wütender gegen die Fragen ihres Gegenübers argumentiert, sowie die aufgezeichneten Anrufe, in den Privatpersonen Sympathie mit Riefenstahl bekunden.

Spätestens hier wird Riefenstahl nicht mehr nur informativ und spannend, sondern zunehmend beunruhigend.

Rouven Linnarz
film-rezensionen.de

Riefenstahl

Deutschland

2024

-

115 min.

Regie: Andres Veiel

Drehbuch: Andres Veiel

Produktion: Sandra Maischberger

Musik: Freya Arde

Kamera: Toby Cornish

Schnitt: Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer, Alfredo Castro

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.