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Star Wars: Rückblick auf eine Saga

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Ein einmaliges Experiment Star Wars: Rückblick auf eine Saga

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Kultur

Filme wie Lucas „Star Wars” (sechs Teile) spalten die Kinogemeinde in „absolute” Befürworter und eben solch „absolute” Gegner.

Star Wars-Kulisse im Disneyland.
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Star Wars-Kulisse im Disneyland. Foto: Christopher Michel (CC BY 2.0 cropped)

Datum 25. Mai 2020
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Als „The Empire strikes back” Anfang der 80er Jahre in die Kinos kam, gab es sogar Linke, die diesen Titel mit der Regentschaft Ronald Reagans im Weissen Haus in Verbindung brachten. Die Kostüme einiger Schauspieler mussten dazu herhalten, dem Sechsteiler eine Nähe zum Faschismus zu bescheinigen. Aber solche mehr auf der Spekulations- und Verschwörungsebene schwimmenden Halb- und Fehlinterpretationen gehen an einer genauen Sicht des Films sicherlich schnurstracks vorbei.

Man mag – zu Recht – über die Qualität der sechs Filme streiten; mir beispielsweise gefallen die Teile IV, V und VI (Geschichte Luke Skywalkers) – also die zunächst gedrehten – doch ein wenig besser als die danach entstandenen Teile I, II, und III (Geschichte des Vaters Anakin Skywalker). Doch über solche geschmacklichen und sicherlich auch qualitativen Unterschiede hinaus – die sicherlich auch den technischen Neuerungen zuzuschreiben sind, die dazu verleiten, aufgrund von CGI u.a. mehr auf digitale Effekte zu setzen – bilden alle sechs Teile doch eine dichte, geschlossene dramaturgische Einheit – was von anderen Mehrteilern des Kinos in dieser Hinsicht nicht immer gesagt werden kann.

Zudem ist ein einigermassen qualifiziertes Urteil über einen „reinen” Sciencefiction kaum möglich, ohne den erzählerischen Subtext zu berücksichtigen. Dazu gehört es nämlich in vielen Fällen, einen Film von seiner „rein” erzählerischen Aussage her zu beurteilen, vom Genre, seinen Übertreibungen (gerade bei Sciencefiction-Produkten), seinen erfundenen oder phantasierten Figuren – und von denen gibt es bei Lucas ja nun wahrlich mehr als genug – zu abstrahieren.

Die Quintessenz, die Grundaussagen solcher Geschichten werden bereits an der Grundkonstellation in „Star Wars” deutlich: einer Vater-Sohn-Geschichte, der Frage nach der Wiederholung in der Geschichte, der Frage nach „Gut” und „Böse”, die in „Star Wars” gar nicht so eindeutig ist, wie es vielleicht scheint (Anakin ist z.B. eher eine tragische Figur als die Ausgeburt des Bösen). Auch die Frage der massiven in den sechs Teilen angewandten Gewalt müsste man vielleicht eher in einem Subtext so lesen, dass es hier weniger um brachiale Gewalt geht – darum sicherlich auch –, sondern eher um die aufeinander stossenden Kräfte und ihre Vorstellungen (die konkreter sind, als es bei oberflächlicher Betrachtung aussehen mag).

Missverständnisse können schon dort anfangen, wo es um die sprachliche Übersetzung einiger Begriffe des Films geht. In der deutschen Synchronisation wird der englische Begriff „force” durchweg mit „Macht” übersetzt. Doch „force” ist mehrdeutig. Es kann Gewalt heissen, Macht, Kraft. Und aus dem dialogischen Zusammenhang – etwa wenn Yoda oder Obi Wan Kenobi darüber sprechen – wird bei genauem Hinhören verständlich, dass mit force vor allem die innere Kraft und die Selbstbeherrschung, die Geduld, die innere Ruhe und die Selbstdisziplin gemeint sind – also ein Konglomerat von Eigenschaften, die den Jedi auszeichnen sollen – und ihm übernormale Fähigkeiten verschaffen (etwa wenn Materie allein durch den „Willen” bewegt werden kann). Diese Konstruktion ähnelt eher der buddhistischen Philosophie, als dass sie mit einer westlichen, gar fundamentalistischen Gewaltphantasie in Einklang gebracht werden könnte.

Auf der anderen Seite versteht der Sith Lord unter force genau eine solche Gewalt- und Herrschaftsideologie – und in der Unterscheidung zwischen der „hellen” und „dunklen” Seite der Macht findet dies im Film seinen begrifflichen Unterschied. Yoda und Obi-Wan Kenobi weisen immer wieder darauf hin, dass die erste Voraussetzung für den „Übergang” zur dunklen Seite der Macht nicht irgendeine bösartige Auffassung ist, der Wille zur Unmenschlichkeit oder gar Allmachtsphantasien, sondern fehlende Selbstbeherrschung in kritischen Situationen und die Verführung durch negative Gefühle. Genau dies begreift Anakin nicht; er will „das Gute” mit aller Macht bewirken und gerät so auf die dunkle Seite der Macht.

Voraussetzung der Geschichte ist die Zerrissenheit der Welt, hier: des gesamten Universums. Auf der direkten Handlungsebene findet dies seine Entsprechung in der Zerrissenheit einer Familie – der Skywalkers. Dieses Zerreissen geht so weit, dass der Sohn und die Tochter vom Vater nichts wissen, bzw. fast nur Falsches. Der Tod Anakins und seine Auferstehung als Darth Vader in den Diensten des Sith Lord, der das Universum in einer kosmischen Diktatur unterwerfen will, zerreisst die Familie – deren Mutter zu dem Zeitpunkt stirbt, als aus Anakin Darth Vader wird – über den „normalen” Zerfall einer Familie hinaus bis ins Unbewusste. Auch Bruder und Schwester ahnen nichts über ihre Verwandtschaft. Die Macht zerreisst die Familie und stürzt ihre Kinder in den Zustand des Verlusts von Erinnerung und Herkunft – so, wie sich der Kosmos in zwei Welten spaltet: das „Imperium” und die „Rebellen”.

Die Geschichte selbst kann sich nur entwickeln als ein Fortschritt vom Unbewussten zum Bewussten, also im wesentlichen der Suche Lukes nach so etwas wie „Erleuchtung” und „Aufklärung”. Die Jedi sind dabei sowohl Katalysatoren wie kosmische Urkraft – denn sie wissen, dass Macht (im Sinne der „dunklen Seite”) ein rein zerstörerisches Element darstellt, während das Universum nur zu Frieden und Gerechtigkeit finden kann durch Selbstbeherrschung, Geduld, Ausgleich, gegenseitigen Respekt aller unterschiedlichen Kulturen usw.

Hier liegen auch die Unterschiede in den Familienmitgliedern begründet: Während Anakin Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Herrschaftsideologie zu opfern bereit ist und in diesem Sinn auch Erinnerung auslöschen muss, soweit sie nicht diesem Zweck dient (er will Luke auf die dunkle Seite der Macht holen; nur für diesen Zweck ist es für ihn sinnvoll, seine Vatereigenschaft zu offenbaren), geht es Luke und seiner Schwester um Aufdeckung, Aufklärung, Klarheit und Transparenz – sozusagen. Sie wollen wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden hier eine Einheit der Aufklärung, nicht der Erfüllung eines Herrschaftszwecks.

Was die Frage der Wiederholung der Geschichte angeht, so bilden die zwei Teile der Serie – die Geschichte Anakins und Lukes in jeweils drei Teilen – nur scheinbar einen Beweis für diese These. Sicherlich, im Kampf zwischen heller und dunkler Seite der Macht scheint sich vieles in beiden Teilen zu gleichen. Doch bei genauem Hinsehen geht es nicht um Wiederholung, sondern um die Kraft, den Charakter zweier Personen, die die Geschicke der Geschichte bestimmen – nicht im Sinne von „Personen machen Geschichte”, sondern im Sinne von „Kräfte bestimmen die Geschichte”.

Erst im Tod von Anakin Skywalker wird deutlich, in welcher Weise es möglich ist, Menschen auf die dunkle Seite der Macht zu ziehen. Erst im Tod erkennt Anakin den Weg, den er gegangen ist. Dabei ist die Familienbande zu Luke nur scheinbar der entscheidende Auslöser. Es ist eher das Verhalten Lukes gegenüber dem Sith Lord, der vergeblich versucht, Luke auf die dunkle Seite der Macht zu ziehen. Denn Luke hat gelernt, sich zu beherrschen und nicht Wut zum Angelpunkt seines Handelns werden zu lassen. Dies muss sein Vater in diesem Moment klar erkennen – eine äusserst tragische Situation vor dem Hintergrund seines Weges an der Seite des Sith Lord.

Berücksichtigt man diesen Subtext der sechs Filme in einer Zeit zwischen 1977 und 2005, also einer Zeit enormer, z.T. grundlegender gesellschaftlicher, v.a. sozioökonomischer Veränderungen, ist „Star Wars” eindeutig bezogen auf diese grundlegenden Fragen der mittelbaren und unmittelbaren Gegenwart. Es wäre zu simpel, einzelne Figuren der Filme mit lebenden Personen in Verbindung zu bringen. Aber der rote Faden der Geschichte ist doch eindeutig auf die Gegenwart, in der die Filme entstanden sind, bezogen. Auf welcher Seite dieser Gegenwart Lucas Filme stehen, ist dabei kaum zu verkennen. Letztendlich kreist auch „Star Wars” um die Frage, welches Prinzip die Welt regieren soll. Die zentrale Kategorie ist hier die Macht in (fast) all ihren Facetten – selbst auf den Nebenkriegsschauplätzen der Filme – etwa bei Boba Fett, der auf Tatooine einen eigenen, schäbigen Herrschaftsbereich aufgebaut hat. Der Anfang der Geschichte (die drei Folgen um Anakin Skywalker) aber sind die entscheidenderen: Zwei Personen aus der demokratischen Republik – Senator Palpatine und Anakin – wechseln aus einem demokratischen System in eines der Diktatur und der brutalen Herrschaft.

Das funktioniert nur, weil innerhalb des demokratischen Systems, vor allem dem Senat, Korruption und Intrige, bereits an der Tagesordnung sind und nur noch eine Minderheit an den Regeln der Demokratie, Republik, Humanität und Gleichberechtigung der verschiedenen Lebensarten im Weltraum festhält, vor allem die Jedi-Ritter. Der entscheidende Sprung auf die „dunkle Seite der Macht” ist die interessierte Meinung, nur mit einer Diktatur könnten die Konflikte und Widersprüche im kosmischen Zeitalter beseitigt werden. Das erinnert stark an die Theorien des frühen 20. Jahrhunderts, durch die beispielsweise ein Staatsrechtler wie Carl Schmitt die Notwendigkeit der Diktatur aus der behaupteten Unfähigkeit der parlamentarischen Demokratie begründet hatte – ein direkter Sprung zum „Führer”. Für diese Meinung steht der Sith Lord. Anakin hingegen ist in gewisser Weise der „Verführte”, wobei Verführung nur den Anfang seines Weges bildet, während die weiteren Schritte direkt in die Verteidigung der Diktatur als angemessener Herrschaftsform führen.

Darüber hinaus weist dies aber auch auf die Entwicklung der amerikanischen Demokratie nach der „Schmach” des Vietnam-Krieges und des Verlusts der Glaubwürdigkeit durch die sog. Watergate-Affäre hin und während des Aufstiegs einer politisch-ökonomischen Clique, die in der Präsidentschaft Reagans ihren ersten Höhepunkt fand. Die erneute Bestätigung, dass es in den USA keine Monroe-Doktrin mehr gebe und geben dürfe – d.h. die Begrenzung der amerikanischen Politik auf das eigene Territorium –, sondern amerikanische Interessen vielmehr global zu „verteidigen“ seien, setzte die Tradition der Einmischung allerorten wieder in Gang.

Der erste Irak-Krieg und die Contra-Affäre sind nur zwei Beispiele von vielen, die auf eine heute längst als „normal” empfundene Kontinuität des globalen Anspruchs auf Verteidigung amerikanischer Interessen verweisen. Seit der Administration Reagan kann weder in der Innen-, noch in der Aussenpolitik von irgendeiner Beschränkung amerikanischer Politik gesprochen werden. Der Machtanspruch ist global – befördert durch die Ereignisse des 11.9., nicht aber durch sie – wie viele meinen – begründet. Dieser den Globus umfassende Machtanspruch scheut vor illegalen Instrumentarien keineswegs zurück (wie nicht nur die Situation in Guantanamo oder Afghanistan beweist). Die Hoffnung auf einen Regierungswechsel – weg von Bush – könnte sich dabei als trügerisch erweisen, muss es aber nicht.

In Bezug auf die Lucas-Filme heisst dies, dass in der Geschichte der Zerrissenheit dieser fiktionalen Welt die Zerrissenheit der wirklichen Welt zum Ausdruck gebracht wird. Der Machtanspruch des Sith Lord ist unbegrenzt; er fördert seine Adlaten, er vernichtet seine Gegner. Entscheidender aber ist für ihn wie für seine Gegner die Existenz der Jedi. In denen verkörpert sich so etwas wie das Gewissen der Welt und die Standhaftigkeit gegen Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Diktatur. In einem übertragenen Sinne sind sie es, die gegen die Ideologie der „dunklen Seite der Macht” immun sind – mit zwei Ausnahmen: Vater und Sohn Skywalker. Die Wut und die Ungeduld sind es vor allem, die es dem Sith Lord ermöglichen, Anakin zu sich zu ziehen. Erst der gleiche Versuch bei Luke scheitert – und in diesem Scheitern liegt das Scheitern des Sith Lord. Die Ideologie, könnte man sagen, ist das entscheidende Bindeglied zwischen der „dunklen Seite der Macht” und deren Gegnern. Sie ist das Schmiermittel, um die Gegner des Sith Lord für ihn zu gewinnen.

Auch wenn die Ökonomie in „Star Wars” wirklich kein Thema ist, so ergeben sich doch erstaunliche Parallelen zwischen diesen Komponenten der Geschichte und der Realität. Die (neoliberale) Ideologie von der absoluten Überlegenheit der sog. Marktwirtschaft, des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Konkurrenz als scheinbar entscheidender Verkehrsform in der Gesellschaft sind wie in jeder Ideologie eine Frage weniger der Überzeugung als des „unerschütterlichen“ Glaubens. Und dieser Glaube beinhaltet eben auch die Überzeugung von Macht und Gewalt neben Geld oder durch Geld als quasi „natürlichem” politischen Konzept und Konstruktionsprinzip von Gesellschaft. Sobald bestehende Verkehrs- und Verhaltensformen und -muster zu quasi naturwüchsigen erklärt werden, ist höchste Vorsicht geboten, weil letztendlich dadurch geleugnet wird, dass sie von Menschen gemacht und also von Menschen auch wieder beseitigt werden können.

So bleibt denn Lucas Epos ein einmaliges Experiment – und vor allem insgesamt gesehen ein gelungenes.

Ulrich Behrens