UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Wackersdorf (2018)

8557

Wackersdorf (2018) Atmosphäre aus Melancholie und Einsamkeit

film-677583-70

Kultur

„Wackersdorf“ nimmt uns mit zurück in die 1980er, als die bayerische Landesregierung erst mit Versprechen, später mit jeder Menge Druck und Rechtsbrüchen eine atomare Aufbereitungsanlage errichten wollte – selbst gegen den Willen der Bevölkerung.

Schauspieler, Filmcrew und Zeitzeugen bei der Deutschlandpremiere des Films
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Schauspieler, Filmcrew und Zeitzeugen bei der Deutschlandpremiere des Films "Wackersdorf" am 19. September 2018 in der Oberpfalzhalle in Schwandorf. Foto: Thomas Kniess (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 25. Dezember 2024
1
0
Lesezeit4 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Trotz des historischen Themas ist das Drama dadurch sehr aktuell, fordert zur aktiven Auseinandersetzung auf und notfalls zum Widerstand gegen Bevormundung. Das ist spannend und aufwühlend, auch wenn viele Figuren schematisch bleiben und die Laufzeit hätte kürzer sein dürfen.

Schlecht steht es Anfang der 1980er um Wackersdorf. Sehr schlecht sogar. Arbeitsplätze sind rar, es mangelt der kleinen oberpfälzischen Gemeinde an einer Perspektive. Das bekommt auch der Landrat Hans Schuierer (Johannes Zeiler) zu spüren, an dem sich der Zorn der Bevölkerung entlädt und der bei der nächsten Wahl abgestraft werden soll. Da ist es geradezu ein Geschenk des Himmels, als ihm der Vorschlag gemacht wird, eine atomare Wiederaufbereitungsanlage zu bauen. Tausende von Arbeitsplätzen sollen daran hängen, der wirtschaftliche Aufschwung geht da praktisch von selbst. Als Schuierer nach der ersten Euphorie jedoch Zweifel kommen, wie sicher eine solche Anlage ist, setzt die Landesregierung jedes Mittel ein, um das Projekt notfalls auch ohne seinen Willen durchzusetzen.

Wackersdorf ist ein Film, der gleichzeitig antiquiert wirkt und dabei doch sehr aktuell ist. So manch einer wird sich bestimmt auch fragen, wozu heute noch über eine Protestbewegung gegen die Atomkraft gesprochen werden muss, die mehr als 30 Jahre zurückliegt. Schliesslich hat Deutschland dieser längst den Rücken zugekehrt, der Druck nach der Fukushima-Katastrophe 2011 war einfach zu gross gewesen, um die Entscheidung immer weiter hinauszuschieben. Wenn in dem Film davon die Rede ist, dass in der Zukunft überall solche Anlagen stehen werden, wenn die Menschen erst einmal ihre anfänglichen Ängste überwunden haben, erkannt haben, wie sicher diese Technologie ist, dann fällt es schwer, sich ein genüssliches Schmunzeln zu verkneifen.

Der Bürger, das unmündige Wesen

Wackersdorf ist aber eben nicht nur ein Film über eine umstrittene Form der Energiegewinnung. Es ist vor allem auch ein Film über die Mündigkeit des Bürgers, über politische Verlockungen, über politische Gewalt. Regisseur und Co-Autor Oliver Haffner, der bei seinem letzten Kinofilm Ein Geschenk der Götter über schauspielernde Arbeitslose sprach, nimmt auch hier wieder die Perspektive des einfachen Volkes ein. Menschen, die nicht wirklich etwas zu sagen haben, deren Anliegen ignoriert werden, die für die Politiker eine letztendlich lästige Angelegenheit sind, sobald sie ihr Kreuz in der Wahlurne gemacht haben.

Interessant ist dabei, dass im Mittelpunkt von Wackersdorf dabei selbst ein Politiker steht. Während die einfachen Mitbürger in zwei recht deutliche Lager gesteckt werden – Befürworter und Gegner –, ist Schuierer sehr viel ambivalenter. Und damit interessanter. Im Gegensatz zu dem recht schematischen Umfeld, das nur wenige Persönlichkeiten zulässt, viele Klischees bedient, darf er eine Wandlung durchmachen. Stellvertretend für das Publikum muss er erkennen, dass vieles sich besser anhört, als es ist. Dass nicht einmal er als Machtperson davor gefeit ist, dreist belogen und ausgenutzt zu werden, von Leuten, die in der Hierarchie über ihm stehen.

Die Zeiten ändern sich (nicht)

Das verleiht dem Film, das auf dem Filmfest München 2018 Weltpremiere feiert, trotz seines historischen Kontextes auch für heutige Zuschauer viel Relevanz. Das Thema Atomkraft mag heute keine Rolle mehr spielen, am Prinzip dürfte sich bis heute jedoch nur wenig geändert haben – so zumindest die Befürchtung. Wirtschaftliche Interessen stehen im Zweifel dann doch über ethische und gesundheitlichen Bedenken, wesentliche Entscheidungen werden zur Not gegen den Widerstand der Bevölkerung umgesetzt. Lügen? Kein Problem. Ist ja für einen guten Zweck. Und sei es nur der, sich die eigenen Taschen zu füllen.

Gleichzeitig wird Wackersdorf dadurch aber auch selbst zu einer ambivalenten Geschichte, inmitten einer gesellschaftlich erhitzten Atmosphäre, wenn Parteien am rechten Rand gegen die Bevormundung durch oben wettern. Dass die linken Proteste in dem Film von der Gegenseite vereinnahmt werden, die in Politik und Medien ohnehin eine einzige Verschwörung auf dem Rücken des einfachen Mannes sehen, das ist keine besonders schöne Aussicht.

Aufregerpotenzial hat der Film, nicht zu knapp, die Einblicke in die damaligen Vorgänge sind schockierend – von den schicken Broschürenversprechen bis zur gewalttätigen Niederschlagung von Protesten. Aber Haffner ruft mit seinem historischen Drama eben dazu auf, sich das nicht ohne weiteres gefallen zu lassen, Worten von anderen auch einmal skeptisch zu begegnen, von wo sie nun auch kommen mögen. Dafür lässt er sich ein bisschen viel Zeit, gerade auch weil Figuren und Inszenierung nicht die ganz grosse Spannung mit sich bringen. Zu sagen hat er jedoch mehr als genug, und es bleibt zu hoffen, dass es genug da draussen geben wird, die ihm dabei zuhören werden.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Wackersdorf (2018)

Deutschland

2018

-

122 min.

Regie: Oliver Haffner

Drehbuch: Oliver Haffner

Darsteller: Johannes Zeiler, Peter Jordan, Anna Maria Sturm

Produktion: Ingo Fliess

Musik: Hochzeitskapelle

Kamera: Kaspar Kaven

Schnitt: Anja Pohl

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.