Warnung vor einer heiligen Nutte Eine traumatische Erfahrung

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Kultur

„Warnung vor einer heiligen Nutte“ ist ein Drama über die Beziehung von Leben und Kunst, von Freundschaft und künstlerischer Vision.

Eddie Constantine (hier am 8. August 1972 in Amsterdam) spielt in dem Film sich selber.
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Eddie Constantine (hier am 8. August 1972 in Amsterdam) spielt in dem Film sich selber. Foto: Rob Croes for Anefo (PD)

Datum 19. Juni 2024
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Rainer Werner Fassbinder gelingt ein sehr persönlicher Film, der teils sehr interessante Einblicke in sein eigenes Schaffen und die Dynamik seines „Clans“ gibt, aber bisweilen auch Züge einer Seifenoper hat.

Die Dreharbeiten zu dem neuen Film von Regisseur Jeff (Lou Castel) sind zum Stillstand gekommen. Während man auf neue Gelder wartet, damit man die Arbeit fortsetzen kann, vertreiben sich die Crewmitglieder und die Besetzung in ihren Zimmern oder in der Hotelbar die Zeit. Dabei kommt es immer wieder zu lauten Meinungsverschiedenheiten zwischen Jeff und Herstellungsleiter Sascha (Rainer Werner Fassbinder), der zu vermitteln versucht, dabei aber wiederholt an seine Grenzen stösst. Mit seinen Schauspielern wie auch dem Team hinter der Kamera gibt es Probleme, zum einen wegen der noch immer fehlenden Bezahlung und dann wegen der regelmässigen Wutanfälle des Regisseurs. Derweil wundert sich Hauptdarsteller Eddie Constantine (Eddie Constantine) über die turbulenten Dreharbeiten und beginnt eine Affäre mit Schauspielerin Hanna (Hanna Schygulla), die schon viele Male mit Jeff gearbeitet hat und sein Verhalten daher gewöhnt ist.

Zwischen den Wutanfällen und Beziehungskisten abseits der Dreharbeiten kommt es doch zu einer Zahlung, sodass man endlich weitermachen kann. Aber damit fangen die Probleme gerade erst an, denn Jeff hadert mit dem Projekt und dessen Aussage, auch wenn er eine klare Vision hat, wie er Szenen drehen will. Seine Ausbrüche werden immer schlimmer, sodass er und die Menschen, mit denen er schon seit Jahren zusammenarbeitet, an einem entscheidenden Punkt ihrer Zusammenarbeit und ihrer Freundschaft kommen.

Eine traumatische Erfahrung

In seinem Buch Rainer Werner Fassbinder – Leben und Werk bezeichnet Autor Herbert Spaich die Dreharbeiten zu Fassbinders Whity als eine „traumatische Erfahrung“. Die Erfahrungen während des Drehs führten unter anderem dazu, dass viele der Schauspieler und Menschen, die sich im Laufe der Zeit um Fassbinder geschart hatten, deutlich wurde, was für eine Gruppe sie sind, wie sie funktionieren und welche Stellung der Filmemacher einnimmt. Für viele kam es zu einem Bruch mit Fassbinder, der in Warnung vor einer heiligen Nutte die Erfahrungen zu verarbeiten versucht und seine Mitstreiter in einem emotionalen Appell dazu aufrief, mit ihm gemeinsam diese Verarbeitung anzugehen. Warnung vor einer heiligen Nutte ist deswegen so etwas wie ein Schlüsselwerk zum Verständnis von Fassbinders „Clan“, wie er seine Gruppe nannte, doch ebenso ein Drama über die Vision eines Künstlers und die Opfer auf dem Weg dorthin.

Die fehlende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist eines der Themen, die Fassbinders Werks durchzieht. Im Falle von Warnung vor einer heiligen Nutte ist es jedoch eine sehr persönliche und künstlerische Erfahrung, die verarbeitet werden soll und an deren Ende vielleicht eine Katharsis stehen soll. Inwiefern dies der Spielfilm, der bisweilen wie das Making-of eines anderen Films wirkt, auch einlöst, ist schwierig zu sagen, gerade wegen der persönlichen Note des Projekts. Erzählerisch sind verschiedene Erfahrungen oder Perspektiven miteinander vereint, die als Ganzes gesehen vor allem einen Einblick in die Dynamik der Gruppe an sich bieten.

Abhängigkeit und Ausbeutung kommen ebenso vor wie Alkoholexzesse, wenn an der Hotelbar ein Cuba Libre nach dem anderen bestellt wird und ab einem gewissen Promillegrad die leeren Gläser als Wurfgeschosse herhalten müssen. Der Schaffensprozess wird als Chaos beschrieben, bei dem sich das Persönliche mit der Arbeit immer wieder verlagert, was zu einer sehr fatalen Dynamik führt. Fassbinders teils ätzende Ehrlichkeit, mit der er gesellschaftliche und politische Entwicklungen beschreibt, macht auch vor seiner eigenen Biografie und der seines „Clans“ keinen Halt.

Seifenoper und künstlerischer Ethos

Fast wundert man sich, wie die Herrschaften zwischen all den Bettgeschichten und Trinkgelagen es überhaupt noch schaffen, einen Film zu drehen. Der steht bisweilen auf der Kippe oder wird zu einer Fussnote, die sogar dem Regisseur selbst nicht wichtig genug ist. Manche dieser Episoden, beispielsweise Jeffs Affäre mit einem weiblichen Crewmitglied oder die problematische Beziehung zu Ricky (Marquard Bohm), wirken wie Teile einer grossen Seifenoper. Dabei bedienen die Darstellungen des Künstlers, in erster Linie die dies Regisseurs, nicht zuletzt die Klischees des kapriziösen, scheinbar ständig brüllenden und wild gestikulierenden Filmemachers. Dazwischen gibt es Unterhaltungen über die künstlerische Vision und über die Beziehung zur Gesellschaft an sich, die aber an der Oberfläche bleiben. Es bleibt jedoch die Frage, inwiefern eine solche Gemeinschaft, wie sie der Film zeigt, funktionieren kann, wenn man eine Vision hat, die singulär ist. Am Ende von Warnung vor einer heiligen Nutte sollte an der Antwort kein Zweifel mehr bestehen.

Rouven Linnarz
film-rezensionen.de

Warnung vor einer heiligen Nutte

Deutschland

1971

-

103 min.

Regie: Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder

Darsteller: Lou Castel, Eddie Constantine, Marquard Böhm

Produktion: antiteater-X-film, Nova International, Rom

Musik: Peer Raaben, Leonard Cohen, Teodoro Cottrau, Gaetano Donizetti, Mike Kellie, Gary Wright

Kamera: Michael Ballhaus

Schnitt: Thea Eymèsz, Rainer Werner Fassbinder