Zur Sache, Schätzchen „Ich habe den Reichstag angesteckt ...”
Kultur
„Zur Sache, Schätzchen” nimmt sich weder allzu ernst, noch erhebt der Film den Anspruch, irgend etwas Tiefschürfendes verkünden zu wollen.
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21. April 2021
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Irgendwo stand Maria-Elisabeth Maier-Spils – so ihr bürgerlicher Name – zwischen allen Fronten. Ende der 60er Jahre war dies nichts besonderes und doch besonders. „Ich möchte [..] kein verstaubtes Kino machen”, erklärte sie nach dem Erfolg des Schätzchen-Streifens und zitierte in ihrem Film kräftig die „Novelle Vague”-Filme, besonders Godards „A bout de souffle”. Komödie ist das Stichwort. Und während in anderen Filmen jener Zeit und Richtung der Verbrecher auch ein solcher ist und am Schluss von der Polizei niedergestreckt wird, löst sich in „Zur Sache, Schätzchen” alles zum Wohlgefallen auf: Der Verbrecher ist keiner, die Pistole nicht geladen, aber vor allem ist der Held des Films, wie Georg Seesslen zu Recht schrieb, der Prototyp des späteren neuen deutschen Films, „der Strassendieb mit hohem ästhetischem Bildungsgrad, einer der Proletarier und Intellektueller zugleich ist, Rebell und Melancholiker, Versager und Philosoph”.
„Zur Sache, Schätzchen” nimmt sich weder allzu ernst, noch erhebt der Film den Anspruch, irgend etwas Tiefschürfendes verkünden zu wollen. May Spils Rebellion gegen den verstaubten deutschen Film der 50er Jahre ist allerdings zugleich eine Art Befreiungsschlag gegen analog dazu verstaubte Konventionen und Verkrustungen der Elterngeneration – allerdings nicht in einem hochpolitischen Sinn. Martin (Werner Enke), der Held, arbeitet nicht, für ihn gibt es keine der Ökonomie des Alltags angepasste Zeit, nichts bei ihm ist vorausbestimmt, geplant, verantwortet, beantwortet.
In zeitgenössischen Besprechungen des Films stigmatisiert man diese Figur des Films zum „Gammler” – obwohl Martin weder „gammelige Haare” trägt, noch sich selbst dieser menschlichen Spezies zugehörig fühlt. Das hilft ihm bei manchen Journalisten nicht weiter: „Es könnte bös enden – wenn die Peter-Schamoni-Produktion glaubt, mit gängiger Alltagsware, wie Studentenunruhen, Geschäfte machen zu dürfen. Auf dem Rücken einer solchen Konjunktur mag sich zeitweilig gut reiten lassen, doch die Ambitionen nur für sex- und aufruhrgeschwängerte Phantasie eines geistig Durchfallerkrankten wirken allzu durchsichtig. Die Spekulation mit dem unterkühlten Gammlerdasein, dessen 'produktive' Kräfte sich unterhalb der Gürtellinie erschöpfen, kann nur bei denen aufgehen, die dort noch Komplexe abzuladen haben” (Deutsche Nachrichten Hannover, 23.2.1968).
Die einen arbeiten am Wirtschaftswunder weiter, das in Gefahr steht (erste Wirtschaftskrise 1966/67), die anderen demonstrieren und treiben sich auf unzähligen Matratzen herum. Damit war Martin bei einem Grossteil der tonangebenden Medien durchgefallen. Der Film fiel beim Publikum allerdings nicht durch. Und dieser Erfolg lässt sich wahrscheinlich vor allem darauf zurückführen, dass die Figur des Martin tatsächlich etwas hatte von einem privaten Rebellen gegen die allzu gewohnte Ordnung des Lebens in der Bundesrepublik.
Ihm gegenüber steht schon einer, der ans Geld denkt und an Frauen, sein Freund Henry (Henry van Lyck), der Mühe hat, Martin mittags aus dem Bett zu schmeissen, damit er für den „Ideenverkäufer” Block (Helmut Brasch) Schlagertexte dichtet. Martin hat keinen Bock auf Block. Er verkriecht sich aufs Klo und philosophiert in den Tag: „Nichts tun ist immer besser als irgend etwas tun.” Auch „das” mit seiner Freundin Anita (Inge Marschall) nimmt Martin nicht allzu ernst. Sie will sich verloben, worauf er das Weite sucht, nachdem er in der Nacht zuvor auf der gegenüberliegenden Strassenseite einen Einbruch beobachtet hat.
Unser Münchner Nichtstuer muss mit Gewalt zum Handeln getrieben werden. Henry führt ihn mit einer (natürlich nicht geladenen) Pistole aus der Münchner Wohnung, um zunächst bei der Polizei seine Aussage bezüglich des Einbruchs zu machen. Aber Martin nimmt auch das nicht ernst. Er nennt nur seinen Vornamen, sagt, er sei in Landsberg geboren. Der Polizist: „Landsberg am Lech?” Martin: „Nein, in Polen.” „Also sind sie polnischer Staatsangehöriger.” „Nein, deutscher.” Wenn er in Landsberg am Lech geboren wäre, könne er aber auch polnischer Staatsangehörigkeit sein. Der Polizist: „Also doch polnisch.”
Mit der Aussage, das wird nichts. Und so hauen Martin und Henry ab, hängen sich aus Jux Bärte um, um ihre vermeintlichen Verfolger von der Polizei abzuschütteln und verkriechen sich im Schwimmbad. Der Tritt in eine Scherbe verschafft Martin die Bekanntschaft der aus grossbürgerlichem Elternhaus mit Geige spielendem Vater stammenden Barbara (Uschi Glas). Ein bisschen Pseudo-Philosophie hier, ein bisschen Flirten da, und Schabernack mit Bart im Wasser treibt die beiden näher zueinander.
Nachdem er einen Voyeur mit Fernglas (Johannes Buzalski) vor der Verfolgung durch aufgebrachte Badegäste beschützt hat und vor seinem Haus zwei Polizeibeamte seiner harren, verkriecht sich das angehende Pärchen im städtischen Zoo, klaut eine Ziege sowie einen Kinderwagen und verteidigt sich standhaft und mit dem dem Film eigenen Humor gegen den Zugriff von Zoo-Wärter und Kinderwagen-Besitzerin. Und während Henry für eine Party Blocks diesem junge Frauen organisiert und dort gegenüber einem Filmproduzenten auf guter Schauspieler macht, werden Martin und Barbara von zwei Polizisten (Rainer Basedow, Joachim Schneider) festgenommen. Irreführung der Polizei, heisst es.
Martin lässt nicht locker und verarscht die beiden Bullen nach Strich und Faden („Ich habe den Reichstag angesteckt. Sehen Sie nicht, wie ich oben aus dem Hemd dampfe?”). Barbara zieht die Notbremse und steht plötzlich im Mieder da, so dass Martin wiederum entkommen kann, weil die beiden Beamten abgelenkt sind.
Alles ist locker und leicht in May Spils Komödie. Und selbst die Schlusspointe führt nicht etwa zum Tod des vermeintlichen Verbrechers. „Es wird bös enden.” Selbst das scheint reine Verarsche.
„Zur Sache Schätzchen” ist in seinen Dialogen schnoddrig, jeder Satz, den Martin von sich gibt, untergräbt die Seriosität der „normalen” Sprache der anderen. Da lümmelt sich einer durch den heissen Münchner Sommer – doch der nächste Winter kommt bestimmt. Aus dem Nichtstuer wird irgendwann ein Erwachsener, allerdings auf vielleicht doch anderem Niveau als die vorhergehenden Generationen?
Das Bild vom pubertär gebliebenen, mehr oder weniger leicht rebellischen, un-erwachsenen, intelligenten, komischen und ironischen (meist männlichen) Zeitgenossen ohne Geld, der Kind bleiben will, taucht dann später in verschiedenen Varianten, Abwandlungen, Weiterentwicklungen im neuen deutschen Film wieder auf („Männer” von Doris Dörrie ist nur eines von zahlreichen Beispielen), schlug sich allerdings auch in unzähligen Fernsehproduktionen derart rabiat nieder, dass man die Herkunft dieses Bildes, das zum Klischee geworden ist, kaum noch wahrnimmt.
Zur Sache, Schätzchen
Deutschland
1968
-80 min.
Regie: May Spils
Drehbuch: Werner Enke
Darsteller: Werner Enke, Henry van Lyck, Uschi Glas, Rainer Basedow
Produktion: Peter Schamoni
Musik: Kristian Schultze
Kamera: Klaus König
Schnitt: Ulrike Froehner