Webers satirische Zeitbilder, die sich mit Militarismus, Industrialisierung und Umweltverschmutzung beschäftigen, lassen jeden doppelten Boden vermissen, sind oft plakativ und meistens plump. Trotzdem hat gerade dieser Künstler eine Lithografie hinterlassen, die vielleicht wie kein anderes Bild zum Spiegel der Jetztzeit taugt, sie trägt den Titel „Der letzte Privatier“.
Was ist auf dem Bild zu sehen? Die Internetseite des A.-Paul-Weber-Museums in Ratzeburg liefert folgende Kurzbeschreibung: „Ein Mann sitzt gemütlich vor seinem idyllischen Häuschen, das er mit starken Mauern umgeben hat, in einer toten, zerstörten Welt, die ihn aber nicht zu kümmern scheint.“ [3]
Künstler der imperialen Lebensweise
Wenn Weber innerhalb des aktuellen Parteienspektrums irgendwo noch Bewunderer hat, dann in den Reihen der AfD. Die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung hat jedenfalls einmal sein Bild „Der Denunziant“ in ihrer Hauszeitung abgedruckt. [4] Gerade in diesem Umfeld erweist sich Webers Kunst aber vielleicht als subversiver als vom Künstler selbst beabsichtigt.Dass die AfD gar keine Alternative, sondern genauso neoliberal ist wie das Gros ihrer parteipolitischen Konkurrenz, ahnt wohl auch der wütendste Wutbürger in seinen stillen Stunden. [5] Der einzige Unterschied zwischen den sich untereinander kaum unterscheidenden „Altparteien“ und der neuen Scheinopposition besteht darin, dass letztere den globalen Kapitalismus gar nicht erst verstanden hat und glaubt, dass man die „Freizügigkeit von Waren“ von der „Freizügigkeit von Menschen“ abkoppeln kann. Immerhin hat die AfD den Vorteil, dass sie in aller Deutlichkeit das zum Ziel ihrer Politik erklärt, was unausgesprochen und verdrängt schon längst gängige Alltagspraxis ist: jene Lebensweise, die Weber in „Der letzte Privatier“ karikiert hat.
Die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen haben diese Lebensweise als „imperial“ definiert, womit sie deutlich machen wollen, dass der westliche Lebensstil seine Kosten externalisiert, was so viel heisst wie: auf die Natur und den globalen Süden abwälzt. [6] Für das Duo ist das der europäische Status quo. Die Politik der EU beschreiben sie daher als „Versuch, einen Wohlstand, der auch auf Kosten anderer entsteht, gegen die Teilhabeansprüche ebendieser anderen zu verteidigen“. [7]
Diese Analyse beruht nicht auf protestantischer Schuldethik, wie immer wieder behauptet wird, sondern auf ganz materialistischen Tatsachen. Globaler Handel ist bekanntlich nicht viel mehr als Import von Rohstoffen in die Zentren und Export von Abfall in die Peripherien. So war es zumindest noch in der guten alten Zeit. [8]
Wenn es aber vor einigen Jahren für den durchschnittlichen mitteleuropäischen Menschen noch möglich war, die Bedingungen und Folgen seines Lebens zu ignorieren – schliesslich waren die meisten Kriege noch fern, der Klimawandel nur eine Theorie und die Zukunft ein fröhliches Werbeversprechen –, ist dies seit den gehäuft auftretenden „Zeitenwenden“ nicht mehr ohne weiteres möglich. [9]
Wer die aktuellen Zeitungsmeldungen zusammenzählt, kann im Ergebnis das Ende der Welt für wahrscheinlicher halten als das von Fukuyama deklarierte Ende der Geschichte. Auch weniger apokalyptisch gesonnenen Zeitgenoss:innen wird die eigene Zukunft zumindest unsicherer, gefährdeter und bedrohlicher als früher erscheinen.
Warn- oder Wunschbild?
Während in nächster Nachbarschaft der Sieg eines imperialistischen Despoten über ein angegriffenes Land nicht mehr unmöglich erscheint, bombardiert etwas weiter weg (aber immer noch sehr nah) ein anderer Despot ein Volk, das kurz vorher noch massgeblich dazu beigetragen hat, einen faschistischen Staat zu besiegen, und nun versucht, auf dessen Trümmern einen Garten zu pflanzen. [10]Als Antwort auf den sich zuziehenden Ring aus Tod und Zerstörung scheint auch den Ländern auf dem europäischen Kontinent der Seligen nichts Besseres als Aufrüstung und Militarisierung einzufallen. Wenn die Welt gefährlicher wird, müssen wir es auch werden. Der Klimawandel trifft sowieso erst mal die anderen.
Obwohl sich die gesellschaftliche Mehrheit noch darüber einig ist, dass die erstarkenden Rechtsparteien nichts Gutes im Schilde führen, sieht es derzeit nicht so aus, als ob eine andere Zukunft wahrscheinlicher wäre als die der „Festung Europa“. Obwohl allen mittlerweile klar sein sollte, dass ein unbegrenzter Klimawandel humanitäre Katastrophen zur Folge haben wird, die zu Migrationsbewegungen führen, die alles bisher Erlebte wie ein harmloses Vorgeplänkel erscheinen lassen, bleiben alle, bis auf die Rechten, auffallend still.
Der Zynismus, den Parteien wie die AfD immer hemmungsloser herausschreien, ist vielleicht auch die klammheimlich gehegte letzte Hoffnung des sich noch über den menschenfeindlichen Nazi empörenden Bürgers. Im tiefsten Inneren denkt er: „Wenn es für uns ungemütlich wird, wird der Staat uns schon schützen.“ Mit anderen Worten: Grenzen sichern, Mauern hochziehen und dann gemütlich im Garten grillen. Deutschland. Aber normal.
Der anständige Bürger unterscheidet sich momentan zwar noch dadurch vom Rechtsradikalen, dass er hofft, dass die Mauern und Grenzen nicht noch weiter gesichert und hochgezogen werden müssen, weil Vater Staat ein Zaubermittel finden wird, um die drohenden Gefahren in Luft aufzulösen. Aber was wird er fordern, wenn dies nicht gelingt? Was wird der Bürger bereit sein, selbst zu tun? Was wird er bereit sein aufzugeben? Es gibt wenig Grund zum Optimismus, denn die unlängst mit Pandemie und Energiewende gemachten Erfahrungen lassen nicht einmal die Hoffnung zu, dass am Menschenrecht auf Inlandsflug und Billigfleisch gerüttelt werden darf, ohne dass es zum Volksaufstand kommt.
Ist „Der letzte Privatier“, wie ihn Weber zeichnete, für viele vielleicht eher ein idyllisches Wunsch- als ein schreckliches Warnbild?
Globale Krise, lokaler Kitsch
„For every wall you build around your fear / A thousand darker things are born in here“, dichtet der Countryrockmusiker Steve Earle in seinem Lied „The Truth“. Mehr muss man über eine Zukunft inmitten von Mauern nicht sagen.Spätestens angesichts der Klimakrise hat die Umweltbewegung begriffen, dass die Pflege des eigenen Gartens nicht mehr ausreicht. Aus „think globally, act locally“ ist inzwischen „act globally, act locally“ geworden. Tatsächlich kann eine bessere Zukunft für alle aber ohne „act globally“ nicht erreicht werden. Den von der Klimakrise am stärksten betroffenen Menschen im globalen Süden muss tatsächlich geholfen werden. Nicht, weil wir sie von uns fernhalten sollten, sondern weil wir selbst dazu beitragen, dass ihnen nur noch die Flucht zu uns als Zukunftsperspektive bleibt. „Fluchtursachen bekämpfen“ ist aber auch längst zum Lippenbekenntnis aller politischen Parteien avanciert. Zaghafte Versuche gleichen in der Praxis aber häufig nur dem Versuch, eine Badewanne zu leeren, ohne den Stöpsel zu ziehen und den Wasserhahn zuzudrehen.
Mit „Hilfe“ kann nicht mehr die paternalistische „Entwicklungshilfe“ von gestern gemeint sein. Wir sind kein Vorbild, zu dem sich auch andere entwickeln sollten. Im Gegenteil: Die grösste Hilfe würden die Völker des Südens dadurch bekommen, wenn wir unseren eigenen, weltzerstörenden Kurs ändern würden.
Und wie steht es um das „act locally“? Zwei autoritäre Besserwisser haben vor längerer Zeit in einer teilweise noch gültigen Zeitdiagnose geschrieben: „An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.“ [11] Dem ist schwerlich zu widersprechen. Soll also auch die Umweltbewegung dem Lokalismus endgültig entsagen?
Angesichts der globalen Katastrophen wird tatsächlich jede nur aufs Lokale sich beziehende Utopie unweigerlich zum Kitsch. Auch davon zeugt Webers Gesamtwerk. Und dennoch: Ein Garten muss keine Spiesser-idylle inmitten von Zerstörung sein. Gärten sind auch Orte der Begegnungen, des Austausches und des Teilens, wie Gemeinschaftsgärten und solidarische Landwirtschaftsprojekte seit Jahrzehnten zeigen. Sie sind, wie Niko Paech sagt, „Reallabore“ für eine andere Zukunft. [12] Also immerhin etwas.
Nachdem er die Welt von ihrer schlechtesten Seite kennengelernt hat, fällt Voltaires Held Candide auch nicht mehr ein als sein „il faut cultiver notre jardin“. [13] Und Bernard Charbonneau, der in Deutschland noch zu entdeckende radikale Ökologe, schliesst sein Buch „Le Jardin de Babylone“ mit dem Aufruf: „Das Wunder von Babylon ist dieser irdische Garten, den wir nun gegen die Mächte des Todes verteidigen müssen.“ [14]