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Attila the Stockbroker: Punkrocker, Poet, Kämpfer

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Linker Aktivist und produktiver Künstler Attila the Stockbroker: Punkrocker, Poet, Kämpfer

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Kultur

Attila the Stockbroker hat seine Autobiographie geschrieben – entstanden ist eine unterhaltsame Reise durch mehrere Jahrzehnte eines aufrechten Dichters und Musikers.

Attila the Stockbroker ist ein Dichter, kein Rockstar. Und genau deshalb geht seine Autobiographie auch weit über die üblichen Sauf- und Bettgeschichten hinaus.
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Attila the Stockbroker ist ein Dichter, kein Rockstar. Und genau deshalb geht seine Autobiographie auch weit über die üblichen Sauf- und Bettgeschichten hinaus. Foto: Arguments Yard

Datum 15. Dezember 2015
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Kommunismus und Punkrock zählen zweifellos zu den schönsten Dingen. Spannungsfrei existieren die beiden freilich nicht miteinander – man braucht nur eine Anarchopunk-Platte auflegen oder einen kommunistischen Liederabend zu besuchen, um zu verstehen, dass in kultureller Hinsicht Lichtjahre zwischen diesen beiden Welten liegen. Und dennoch entstand in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder äusserst Produktives, wenn sich die analytische Kraft marxistischer Gesellschaftsanalyse mit einer selbstbewussten und kompromisslos vorgetragenen Punk-Attitüde verband. Einer der herausragendsten Wanderer zwischen den beiden Welten ist seit mehr als 35 Jahren Attila the Stockbroker. Und anlässlich der 35jährigen Existenz von Attila hat der auf den bürgerlichen Namen John Baine hörende Künstler hinter Attila – der freilich bereits ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat – seine Autobiographie geschrieben.

Attila ist ein Dichter, kein Rockstar. Und genau deshalb geht seine Autobiographie auch weit über die üblichen Sauf- und Drogen- und Bettgeschichten hinaus, die viele Musikerbiographien oft so langweilig machen. Klar, das liegt natürlich auch daran, dass Attila kein „Star“ in irgendeiner Hinsicht ist. Ganz im Gegenteil. Wie kaum ein anderer steht er für den DIY-Ethos, er bucht bis heute alle seine Shows selbst – eine kurze Phase mit Manager irgendwann in den 1980er Jahren war schnell wieder vorbei –, er bringt seine Gedichtbände selbst heraus, seit vielen Jahren erscheint auch seine Musik auf seinem eigenen Label Roundhead Records. Und er tritt überall auf, wo Menschen seine Musik und seine Gedichte hören wollen. Das bedeutet, dass Attila bis heute auch durch autonome Zentren und besetzte Häuser tourt – den Schokoladen in Berlin etwa bezeichnet er im Buch als seine Lieblingslocation in der Bundesrepublik.

Attilas Aktivitäten sind im Verlauf der Jahrzehnte immer breiter geworden. Seine ersten Auftritte als Teil einer jungen Generation von „ranting poets“ standen ausschliesslich im Zeichen politischer Gedichte, die bei Lesungen mit einer gehörigen Portion Zorn und Sarkasmus vorgetragen wurden. Früh vom Punkrock-Virus angesteckt – unter anderem wirkte der junge John Baine als Bassist der belgischen Band Contigent – begann er allerdings bald, Songs zu schreiben. Attilas Solo-Sets bestehen seither aus Gedichten und Songs, die er mit seiner Mandola vorträgt. Seit mehr als 20 Jahren ist Attila schliesslich auch immer wieder mit Band unterwegs. Nicht zuletzt, um in nicht-englischsprachigen Ländern vermehrt touren zu können, gründete er seine von Mittelaltermusik inspirierte Punkband Barnstormer. Auch das kann man von Attila lernen: es ist nichts falsch daran, mit Ende 30 noch Punkbands zu gründen. Neben all dem organisiert er seit vielen Jahren Glastonwick, sein eigenes „beer, music, poetry, and more beer“-Festival in Coombes, Sussex, unweit von Southwick an der britischen Südküste, wo der 1957 geborene John Baine aufgewachsen war.

Das Buch ist nicht einfach nur die Lebensgeschichte eines sympathischen und produktiven Künstlers, es ist vor allem auch spannende Kultur- und Sozialgeschichte. Attilas Einblicke in die Punkszene Grossbritannens und Belgiens Ende der 1970er Jahre vermitteln ein Gefühl davon, wie innovativ und rebellisch Punkrock in diesen Jahren war. Einige Jahre später stand Attila mitten in den Kämpfen gegen die organisierten Versuche britischer Neonazi-Gruppen, über die Oi-Bewegung in die Subkulturen einzudringen – zahlreiche handgreifliche Auseinandersetzungen inklusive.

Doch Attilas Aktivismus beschränkte sich nie auf Szene-Kämpfe. Mitte der 1980er Jahre war er Teil der grossen Bewegung gegen die politische Agenda von Margaret Thatcher. Während des dramatischen Bergarbeiterstreiks 1984/85 tourte er zusammen mit anderen linken KünstlerInnen unermüdlich durch Grossbritannien und nahm an Solidaritäts- und Benefizkonzerten teil. Kaum waren die Bergarbeiter durch die geballte Macht einer unerbittlichen Regierung, brutalen Polizeieinsätzen und einer gewerkschaftsfeindlichen Presse besiegt, ging die Regierung gegen die letzte grössere Erhebung gegen das neoliberale Programm von Thatcher vor: auch zur Unterstützung der 1986/87 streikenden Drucker und Zeitungsarbeiter sang und las Attila. Und gegen die Folgewirkungen der verlorenen Kämpfe jener Tage singt und liest er bis heute.

Denn mit der Niederschlagung der britischen Streikbewegung Mitte der 1980er Jahre waren die Türen zu Deregulierung und Lohnabbau geöffnet und der bis heute triumphierende Neoliberalismus begann sich in den Köpfen von PolitikerInnen und MeinungsmacherInnen durchzusetzen: „With the miners and printers beaten, employers could declare open season on trade unions and hard-fought workers' rights and they did: current UK labour conditions are the poisonous legacy of those days“, resümiert Attila in seiner Autobiographie.

In den Jahren nach den grossen Streiks wurde Attila zu einem intensiven Beobachter einer sich anbahnenden noch grösseren Niederlage. Das Kapitel über mehrere Touren durch die DDR gehört zu den stärksten des Buches. Attila beschreibt die gegenseitige Verwunderung, als er – zusammen mit seinen langjährigen Weggefährten und Brüdern im Geiste, den Newtown Neurotics, sowie mit Billy Bragg – zum ersten Mal auf der anderen Seite der zweigeteilten Welt auftritt. Die britischen Punkrocker mit eindeutigen Sympathien für den Sozialismus treffen auf die ihnen völlig fremde Welt des real existierenden Sozialismus.

Da aus der anfänglichen gegenseitigen Skepsis rasch viele Freundschaften entstanden, tourten die Neurotics und Attila in den folgenden Jahren immer wieder durch die DDR und nahmen etwa auch am hochoffiziellen Festival des politischen Liedes teil. Attila erzählt von langen Nächten der Diskussion mit linientreuen Funktionären wie mit DDR-Skeptikern gleichermassen. Während er die nicht zuletzt kulturelle Verbohrtheit ersterer bis heute nicht begreift, versuchte er letztere immer wieder davon zu überzeugen, dass im Kapitalismus tatsächlich Armut und Arbeitslosigkeit existieren.

Attila macht auf etwas aufmerksam, was vielen heute nicht mehr klar ist: die Reformbewegung in der DDR war eine linke Bewegung, die mehr Demokratie wollte – aber keinen Anschluss an die BRD ausschliesslich unter deren Bedingungen. Und so teilte er auch die Hoffnung, die viele in die Kundgebungen im Jahr 1989 setzten und die schliesslich zum Fall der Berliner Mauer und zu noch mehr Hoffnungen führten. Als diese allzu bald durch die Realität aus Arbeitslosigkeit und Deindustrialisierung enttäuscht wurden, wünschten sich viele sich die alten Verhältnisse trotz deren zahlreichen Fehlern zurück, und so bilanziert auch Attila: „Like so many people there, I shared the happiness at the fall of the Wall in 1989, and I share the nostalgia for the GDR which many people feel today. Because as the years have passed, those old beliefs – of community, solidarity, the simple life, an aversion to the rat-race – have reasserted themselves, and to some degree passed on to a new generation too.“

Attilas Autobiographie ist kurzweilige und lehrreiche Lektüre. Seine politische Haltung und sein Humor beweisen, dass jahrzehntelanger oftmals frustrierender politischer Aktivismus als in der Regel unterbezahlter Künstler nicht automatisch in Zynismus münden muss. Im Gegenteil: Attilas kompromisslose Haltung, die dazu führte, dass er auch in jenen Jahren, als er mit seinen Gedichten und seiner Musik kaum überleben konnte, nie von seinem Weg abwich, sind im besten Sinne des Wortes inspirierend. Aufmunternd und aktivierend sind seine Worte, seine Gedichte und Lieder ohnehin seit jeher.

René Dupé / lcm