Es brachen über mich herein: wahnsinnig kreischende Stimmen und Gitarren, rasendes Geklimper; ein Cembalo auf Speed. Unter dem frostigen Panzer schimmerten Melodien, masslos und euphorisierend, gleichsam zuckrig und erhaben, wie ein Nordlicht. Diese Musik war tausendmal intensiver als alles bisher auf Homepartys, Dorffesten und Skatepunk-CDs Gehörte. Auf dem Weg zum Schulskitag im Toggenburg hörte ich zum ersten Mal extremen, das hiess, Metal ohne Klargesang. Es war die Musik von Alexi Laiho, dem in den letzten Tagen von 2020 verstorbenen Gitarristen, Sänger und alleinigen Songwriter der Melodic Death Metal Band Children of Bodom aus Espoo in Finnland.
Idiosynkratische Magie
Die Band war damals noch nicht eine der grössten des Landes und Laiho erst auf dem Weg zum auf der ganzen (Metal-) Welt, besonders in Japan, vergötterten Gitarrenhelden, der von den Covern der Hochglanz-Gitarrenmagazine blitzte. Children of Bodom spielten aber schon in Winterthur als Vorband von Slayer. Wir gingen vor Slayer nach Hause und waren zufrieden.Ich erinnere mich nicht mehr, ob die «Ballade» im Zug tatsächlich «Everytime I Die» oder «Angels Don't Kill» war, die beiden damals bereits erschienenen langsamen Stücke der Children of Bodom. Ab Follow the Reaper fand sich auf jedem Alben mindestens eines davon. Herausragend blieben Laihos Balladen interessanterweise auch im ansonsten nur noch punktuell die idiosynkratische Magie der Alben bis Are You Dead Yet? versprühenden Spätwerk. Man höre nur das grossartige «Banned From Heaven» von Blooddrunk oder «Dead Man's Hand on You» von Halo of Blood. Diese sind auch Zeugnis davon, dass Laihos – kanonisch unterschätzte – Texte hingegen immer besser wurden.
Vielleicht spielte mir der Kamerad auf dem Weg zum Skitag aber auch einfach ein vivaldierendes Stück von Hatebreeder wie «Downfall» oder «Children of Bodom» vor. Es war auf jeden Fall zu viel. Nach einer Minute musste ich den Kopfhörer wieder absetzen.
Sie kannten sich von der Schule
Espoo, ein Wort wie Auspuff. Die Vorstadt von Helsinki, in der Laiho 1993 mit seinem Schulfreund Jaska Raatikainen die Band Inearthed gründete, war gemäss den Interviews, die ich bald nach dem Skitag in Online-Zines zu lesen begann, gut situiert, geordnet und beengend, der ideale Nährboden für eine Metalband also. Von Inearthed existieren drei Demos: Implosion of Heaven, Ubiquitious Absence of Remission und Shining sind bis heute enigmatische Perlen des Death- und-Black-Metal-Undergrounds.Bis zur Umbenennung in Children of Bodom – nach einem ungelösten Mord an drei zeltenden Teenagern am See Bodominjärvi – und dem Erscheinen des Debüts Something Wild 1997 kamen dazu: Gitarrist Alexander Kuoppala, Bassist Henkka Seppälä und Keyboarder Janne Wirman. Wirman hatte mit Metal eigentlich nichts am Hut, dafür mit Sechzehn bereits das Konservatorium in Helsinki abgeschlossen. Irgendwie kannten sie sich alle von der Schule.
Laiho gucken auf Youtube
Ebenso wichtig wie Alexi Laiho zu hören, war, ihn auf Youtube zu sehen, aus allen Winkeln auf professionell gefilmten Festivalbühnen, oder auf verwackelten Handkamera-Aufnahmen, wie er Backstage und im Tourbus eskalierte, meistens zusammen mit Keyboarder Wirman. Ihn in Interviews zu sehen, in denen er stets nur über Gitarrenhelden – seine waren «everyone involved with Ozzy Osbourne», speziell Steve Vai und Zakk Wylde – und das Gitarrenspielen zu sprechen wusste. Auf Youtube Alexi Laiho zu gucken, hatte für den schwärmenden Fan etwas von einer Soap. Weil eigentlich immer alles so toll wie immer war, faszinierten schon kleine Abweichungen in Posen, Gesten, Soli, Style und Haarfarbe.Über Gesellschaftliches oder gar Politisches wollte – oder konnte – er, mit Ausnahmen, nichts sagen. Auf dem in Deutschland indizierten Album Nihil der Black-Metal-Band Impaled Nazarene spielte er die Leadgitarre. Dabei störte ihn auch nicht, dass das von ihm komponierte «Zero Tolerance» abgrundtief homophobe Lyrics bekam. Trotz oder gerade wegen diesem solipsistischen L'art pour l'art berührten mich Laihos Auftritte und Interviews.
Wie Laiho beim Spielen die aschblonden Haare von der einen Schulter auf die andere warf, wie er die Gitarre um den Hals schleuderte, das Bein auf die Monitorbox und die Gitarre zum Solo auf das Knie stellte, die zahllosen «fucks» und «fuckings» zwischen den Songs. Die Küsse, die er und Wirman manchmal nach vollzogenem Solo-Koitus und in Backstage-Videos tauschten, die endlosen, überschäumenden, live zuweilen etwas nachlässig gespielten Gitarrenritte, dazu schwarz geschminkte Augen und lackierte Fingernägel. Diese schmächtige, zwischen androgyner Zerbrechlichkeit und metallischer Härte, zwischen Glam und Rotz changiernede Gestalt triggerte bei vielen unironischen (und männlichen) Authentizitäts-Fetischisten in der Szene der Nullerjahre Konformismus und Ressentiments.
Die in Online-Foren gegen Laiho und die Band niedergehenden Hasstiraden enthielten sicher entweder «poser» oder «gay», meistens beides. Vielleicht auch, weil sie Laihos Kunst, samt Covern und Live-Einlagen von ABBA bis Britney Spears, Rihanna und Lady Gaga, an den Pop im Heavy Metal erinnerte. Nur eben nicht als leicht abtrennbarer Eindringling von aussen, wie die Metalcore-Bands mit ihren Boyband-Refrains, sondern aus der eigenen Substanz heraus.
Mit mehr Charme und Respekt beschrieb einer aus dem Kreis des ehemaligen Brutal-Death-Metal-Festivals «Mountains of Death» einmal seine Abneigung gegen COB: Die könnten sicher spielen, seien aber halt «Flöte».
Irgendwohin, wo es spannend war
Laihos Performance reichte bis in die verwackelten Videoaufnahmen von den Saufgelagen auf Tour hinein. Je länger das so ging – länger, als gesund war, wie nun scheint – desto weniger schien es etwas ausserhalb des «Wildchild», wie er sich nach einem W.A.S.P.-Song als Künstler nannte, zu geben. Inszenierung und Realität flossen bei Laiho ineinander bis zur Verfestigung.In meinem Teenager-Selbst weckte Laihos Aura deshalb die, ja, utopische Einbildung, dass der Rausch über sich hinausweisen könnte, irgendwohin, wo es spannend war, dass ihm eine transformierte Wirklichkeit folgen konnte. Dass aus Dorf-Kollegen vielleicht Metalheads werden konnten, wie aus Büezern Revolutionäre, wenn man ihnen auf Partys nur ab und an eine COB-Ballade und die «Internationale» unterjubelte. Denn eigentlich war diese Musik ja gar nicht so anders, als die auf den Partys. An Alexi Laihos Seite stand man auf der Schwelle zwischen Festzelt und Abgrund – oder Aufbruch, hier kam es auf die Stimmung an. Wir würden wild sein und das Dorf im Rudel verlassen.
Wenn der Freund und Metal-Konspirator aus dem Nachbarsdorf im Militärkaputt seines Vaters auf dem Töffli auf verschneiter Hauptstrasse zu mir fuhr, um irgendwo auf einem Hügel im Schnee Bier zu trinken, lief bei ihm COB. Wenn ich auf dem Weg an eine Homeparty in einem Weiler mit dem Töffli am Strassenrand hielt, um eine von den Eltern geklaute Zigarette zu rauchen, lief COB. Ich hörte Alexi Laihos Musik, wie ich die Zigarette rauchte: Noch einmal tief reinziehen vor einer Nacht mit Lynyrd Skynyrd, Aggro Berlin und Mr. Da Nos. Beim Heimkommen dann Duschen und COB. Inzwischen ist der Freund weggezogen und geht im Sommer auf die Alp. Die meisten anderen sind geblieben.
Das Rudel Children of Bodom löste sich 2019 auf. Angeblich, weil Laiho Streit mit den verbliebenen Gründungsmitgliedern Seppälä, Wirman und Raatikainen hatte. Weil diese die Rechte am Bandnamen hatten, gründete Laiho anfangs 2020 zusammen mit dem letzten Rhytmusgitarristen Daniel Freyberg die Band «Bodom After Midnight». Die wenigen aufgenommenen Stücke sollen nun posthum erscheinen.