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Interview mit Kaveh, politischem Rapper aus Berlin

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Interview mit Kaveh, politischem Rapper aus Berlin „Ein Pauschalurteil ist wenig zielführend“

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Kultur

Interview mit Kaveh, politischem Rapper aus Berlin, über politische Musik im Allgemeinen, Hip-Hop-Kultur in Deutschland und die Vor – und Nachteile von Major-Deals.

Der Hip-Hop-Aktivist Kaveh aus Berlin auf der Bühne.
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Der Hip-Hop-Aktivist Kaveh aus Berlin auf der Bühne. Foto: fb-kaveh

Datum 19. August 2015
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Fangen wir mit einer generellen Frage. Was ist für dich guter politischer Rap? Was zeichnet das aus?

Das ist eine schwierige Frage, da es auch im politischen Rap sehr viele verschiedene Strömungen gibt.

Zunächst einmal muss meiner Meinung nach das Grundgerüst stimmen. Die Musik sollte gut klingen und authentisch sein. Leidenschaft und Überzeugungskraft spielen für mich ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Ausserdem muss ein gewisses technisches Niveau vorhanden sein. Gute und stimmige Flows, Reime, Rhythmik, die Dynamik der Stimme, die Textstruktur usw. bilden zusammen mit dem Beat das Wesen eines gelungenen Raptracks. Das ist was diese Musikrichtung ausmacht. Die Beachtung und Einheit der von mir genannten Elemente bestimmen für mich, was einen guten Rapsong ausmacht, aber auch die Aufnahmequalität sollte einem gewissen Anspruch entsprechen. Dinge also, die mit dem Handwerk des Rap zu tun haben. Das ist die eine Ebene.

Die andere Ebene ist ganz klar die inhaltliche. Manchmal ist politischer Rap ziemlich plump und liefert verkürzte Analysen, kann aber gleichzeitig viele Leute mobilisieren und deshalb auch einen emanzipatorischen Beitrag leisten. Die Kritiker sollten meiner Meinung nach bedenken, dass Rapmusik nicht immer die klarsten gesellschaftspolitischen Analysen und Lösungsvorschläge bereit hält und anbieten muss. Solange sie es schafft Menschen für Politik zu begeistern ist das auch schon sehr konstruktiv. Mir begegnen immer wieder Menschen, die mir sagen, dass sie erst durch Rapmusik politisiert worden sind. Rap ist für eine nicht unerhebliche Anzahl von Jugendlichen die erste Auseinandersetzung und Begegnung mit politischen Themen. Das sollte man nicht unterschätzen.

Guter politischer Rap ist häufig unabhängig vom geschichtlichen Kontext in dem wir uns befinden und ist wie jede andere gute Kunstform auch bis zu einem gewissen Grade „zeitlos“. Wenn man auf der anderen Seite z. B. Tracks zu konkreten Sachverhalten wie die Krise in Griechenland, dem anti-muslimischen Rassismus von Pegida & Co. oder die Eskalation in der Ukraine schreibt, kann es die für den Moment eine wichtige Wirkung haben, Denkanstösse geben und dazu beitragen eine kritische Masse zu mobilisieren. Wenn der oder die ZuhörerIn sich mit der Musik und dem Gesagten identifiziert, dann kann Musik einen auch bestärken und einen positiven Einfluss auf die politische Arbeit nehmen. Die generelle Grundlage und das bestimmende Prinzip sollten selbstverständlich sein, dass die Musik niemals diskriminierend daherkommt. Wenn Rap oder andere Musikstile gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit propagieren, haben sie natürlich keine emanzipatorisch Wirkung mehr, sondern können gegebenenfalls auch noch das genaue Gegenteil bewirken.

Welche Werte sollten für dich in der Musik vordergründig transportiert werden und glaubst du, dass deutsche Rapmusik dazu in der Lage ist zu mobilisieren wie das zum Beispiel Musikgruppen in der Türkei oder in den USA schaffen?

In Deutschland ist politische Rapmusik sehr viel weniger präsent als in anderen Ländern. In den USA gibt es Leute wie Immortal Technique, KRS ONE, Dead Prez, Talib Kweli oder Mos Def, die eine relativ grosse Reichweite haben. Diese KünsterInnen werden zwar selten in den Mainstreammedien wahrgenommen, aber selbst da gibt's Leute, wie Lupe Fiasco, der Occupy unterstützte und Obamas Israelsolidarität kritisierte oder Kanye West der, bei aller Kritik, immer mal wieder wichtige Äusserungen macht. In Frankreich könnte man Keny Arkana oder Kery James nennen, auch beide sehr politische Künstlerinnen mit relativ grosser Reichweite, die soziale Missstände und den heuchlerischen Diskurs der Politik gegenüber den Bewohnern der Banlieues und Muslime ansprechen. In England wäre Lowkey gutes Beispiel für fortschrittlochen anti-imperialistischen Rap.In Südamerika hast du Calle 13 und Ana Tijoux. In der Türkei gibt es z.B. Grup Yorum, die zwar aus einem anderen Genre kommen, aber nicht weniger Menschen mobilisieren können.

Ich denke auch hier gibt es durchaus politische KünstlerInnen, die eine grosse Reichweite haben und wichtige Impulse liefern. Der Liedermacher Konstantin Wecker z.B. kann viele Menschen mobilisieren und auch für bestimmte politische Themen sensibilisieren.

Im Rap Bereich ist das allerdings sehr selten. Und wenn es dann der Fall ist wie z.B. bei Samy Deluxe, Eko Fresh oder anderen Rappern aus dem Mainstream, dann ist es oftmals nicht besonders systemkritisch und ziemlich widersprüchlich. Denn Mainstreamrapper schreiben trotzdem weiterhin sexistische, homophobe und Luxus verherrlichende Texte. Sie nutzen die Musik vordergründig dafür um Profit zu machen oder sich in Szene zu setzten, um noch mehr Ruhm zu erlangen. Obwohl es immer wieder Rapper aus dem Mainstream gibt, die Texte mit progressivem Potential herausbringen, machen dieselben Acts das im nächsten Track schon wieder zunichte, indem sie eine diskriminierende Sprache benutzen oder bürgerliche Werte reproduzieren.

Trotzdem gibt es auch hierzulande einen Kern von politischen RapperInnen. Der bekannteste Polit-Rapper in Deutschland ist zurzeit wohl Blumio. Obwohl er viele fortschrittliche Songs produziert, veröffentlicht er seine „Rap Da News“ Folgen auf Yahoo. Während er also in seinen Liedern Menschenrechtsverletzungen anprangert, verdient er sein Geld kavehdurch die Zusammenarbeit mit einer Firma, die mithilft chinesische Dissidenten ausfindig zu machen, die dann eingebuchtet werden und Daten an US-Behörden weiterleitet. Auf der anderen Seite politisiert er durch seine Sendung eine Reihe von Jugendlichen und sensibilisiert sie für wichtige Themen.

Eine der beliebtesten, wenn nicht die beliebteste Rapgruppe innerhalb der radikalen Linken in Deutschland ist die Antilopengang. Sie sind pro-israelisch eingestellt, setzen Antisemitismus und Antizionismus auf eine Ebene, lehnen den Klassenkampf ab und suggerieren, dass personalisierte Kapitalismuskritik per se strukturell antisemitisch sei ohne dabei die Dialektik von konkreter und abstrakter Kapitalismuskritik zu verstehen. In abgeschwächter Form findet man antideutsche Tendenzen auch bei der unter radikalen Linken äusserst beliebten Crew Ticktickboom (Sookee, Neonschwarz, Kobito usw.). Auf Kritik gegenüber der US-Aussenpolitik oder israelischen Besatzung wartet man bei denen vergebens. Ausserdem treten sie regelmässig in Clubs wie About Blank (Berlin) oder Conne Island (Leipzig) auf, wo Menschen, die eine Kufiya („Pali-Tuch“) tragen nicht reinkommen.

Auch KIZ hat eine grosse Reichweite und kann durch ihr neues Album Jugendliche politisieren, zu denen man sonst vielleicht keinen Zugang haben würde. Darin sehe ich auf jeden Fall eine Chance. Es wird sich herausstellen, ob es Schule macht. Die zunehmende Prekarisierung von Lebensverhältnissen legt dies jedenfalls nahe. Hinzu kommen Künstler wie S. Castro, Disarstar und Matondo, die eine zunehmende Popularität geniessen. Das sind Beispiele dafür, dass es auch in Deutschland durchaus Interesse und Raum für progressive Musik gibt.

Kommen wir zum Thema KIZ. Die Gruppe hat ein Label Sie müssen sich dadurch natürlich gewissen Sachzwängen beugen. Andererseits hätten sie ohne das Label wohl niemals diese Reichweite. Wie ist das für dich als politischer Künstler? Lieber kein Label und damit nicht den damit einhergehenden Profitdrang oder aufgrund der Reichweite doch lieber die Zusammenarbeit mit einem Label?

Ich denke, dass das jeder für sich entscheiden muss. Ich für meinen Teil habe die Entscheidung getroffen, solange nicht bei einem Label zu unterschreiben, bis ich dort nicht die Möglichkeit kriege die überwiegend sozial- und systemkritische Musik zu machen, die ich nun mal machen möchte. Im Falle von KIZ ist das anders. Ich kann's aber verstehen und finds' verständlich, wenn jemand sagt: „Ich will erst mal bekannt werden und meinen Platz finden. Ich will 'ne grosse Nummer werden und die Reichweite dann nutzen um gezielt politische Musik zu machen.“ Das hat bei KIZ scheinbar auch funktioniert. Diesen Schritt sollte man nicht verurteilen, sondern die Wirkung begrüssen. Ich kann also die Begeisterung rund um KIZ nachvollziehen, gebe aber zu bedenken, dass man kritischer mit der Musik umgehen sollte. Die Probleme und Mängel, die mit diesem langen Leben im Mainstream einhergehen, sollten genauer beleuchtet und auch zur Sprache gebracht werden. Diskriminierende Elemente wie Sexismus usw. sollten angesprochen und kritisiert werden.

Solche Dinge sollte man keineswegs verharmlosen oder unerwähnt bleiben lassen. Das sollte dann aber meiner Meinung nach eine solidarische Auseinandersetzung sein. Man muss ja nicht jemanden entweder voll und ganz feiern oder voll und ganz verurteilen. Man kann ja differenziert mit KünstlerInnen umgehen und die müssen das dann natürlich auch ertragen und aushalten können nicht nur gefeiert, sondern auch kritisiert zu werden. Wenn wir als radikale Linke eine Umwälzung kapitalistischer Verhältnisse anstreben, dann ist es nicht besonders hilfreich homophobe und sexistische Jugendliche, sog. Verschwörungstheoretiker und selbst fehlgeleitete Salafisten oder Neonazis zu dämonisieren und zu verbannen. Ich verlange ja nicht, dass jede/r gleich den Dialog suchen soll. Aber wenn man zumindest die Mechanismen zu verstehen versucht, warum eine Person z.B. diskriminiert, dann stellt man oftmals fest, dass diese Menschen zum grossen Teil Opfer gesellschaftlicher Umstände, Erziehung und allgegenwärtiger Stereotypen sind. Im Endeffekt haben wir alle unsere Defizite und reproduzieren mehr oder weniger diskriminierende Anschauungen, aber trotzdem zeigen wir gerne mit dem Finger auf andere. Strategische Bündnisse gegen Krieg, Umweltzerstörung, Diskriminierung, Neoliberalismus und für eine menschlichere Welt sind heute wichtiger denn je. Aber jede/r kocht liebe ihr/sein eigenes Süppchen.

Vieles dreht sich um die Frage was ist sprachlich erlaubt und was ist sprachlich nicht erlaubt? Was geht mit Ironie, was geht nicht? Wie ist deine Position?

Ich plädiere dafür nicht in die Extreme zu gehen. Oftmals ist Sprache auch nur ein Spiegel gewisser Angewohnheiten und zeigt wie menschenverachtend, sexistisch, homophob und behindertenfeindlich unsere Denkweise wirklich ist. Allerdings beabsichtigt nicht jeder, der Begriffe wie „Nutte“, „Bitch“, „schwul“ oder „Spast“ benutzt, ein sexistisches oder homophobes Bild zu zeichnen. Auch wenn dieser Sprachgebrauch eindeutig kritikwürdig ist, sollte er nicht der Grund dafür sein, Menschen von linken Kontexten auszuschliessen. Das führt auch nicht gerade zum Ziel eine breite Massenbewegung zu schaffen, mit der man tatsächlich Dinge verändern kann.

Je mehr Leute man auf diese Weise ausschliesst, desto ferner rückt die Aussicht auf Emanzipation. Vielmehr sollte man sich die Frage stellen, was der Künstler damit sagen will. Was will er damit erreichen und wie benutzt er diese Ausdrücke? Ein Pauschalurteil à la „Jeder, der sexistische und homophobe Sprache benutzt ist auszuschliessen“ ist wenig zielführend.

Es bringt gerade bei jungen Menschen nichts sie zu dämonisieren, solange man noch die Möglichkeit hat Einfluss auf sie auszuüben. Auch wenn sich gewisse Personen militanten Islamisten oder rechtsradikalen Gruppen anschliessen. Ohne diesen Menschen die persönliche Verantwortung für ihre Taten absprechen zu wollen: diese Leute sind wie gesagt zu einem guten Teil auch Opfer des Neoliberalismus und Kapitalismus, der sozialen Ausgrenzung und der materiellen Begebenheiten in denen wir aufwachsen und leben. Es gibt Gründe dafür warum sich Menschen radikalisieren. Deshalb muss man sich auch mit diesen Leuten auseinandersetzen und die Gründe für diese Radikalisierung beleuchten.

Auch in Bezug auf sog. Verschwörungstheoretiker sehe ich das ähnlich. Nur weil jemand die offizielle Version von 9/11 infrage stellt – was ja durchaus verständlich ist, nach allem was wir über den Tonkin Zwischenfall bis hin zu Falschaussagen, die von der US-Regierung gezielt für die Legitimation der Irakinvasion 2003 herangezogen wurden, wissen. Obwohl ich weder an Chemtrails glaube, den Einfluss von Geheimgesellschaften nicht besonders hoch einschätze und auch bei der Frage, ob 9/11 ein „Insidejob“ war vorsichtig bin, weil ich nicht denke, dass die Faktenlage eine eindeutige Aussage zulässt, finde ich es erschreckend wie ein grosser Teil der radikalen Linken diese Menschen bekämpft und dämonisiert. Viel wichtiger ist doch, dass man mit vielen dieser Leute aktiv gegen imperialistische Kriege und neoliberale Wirtschaftsabkommen auf die Strasse gehen und dadurch einen zivilgesellschaftlichen Widerstand aufbauen kann, der besonders in Deutschland momentan unbedingt vonnöten ist.

Ebenfalls bin ich der Meinung, dass man durchaus auf gewissen Ebenen Antideutsche tolerieren sollte, wenn es um antirassistische Kontexte wie Demos geht. Problematisch wird es natürlich, wenn dann eine Gruppe wie die Antilopengang auftritt, weil das dann schon repräsentativ für eine Bewegung ist. Bei Leuten, die auf der Bühne stehen und da ihre Meinung kundtun sollte man aufpassen keine Leute zuzulassen, die sich direkt pro-Israelisch äussern oder die gerne mit der Obrigkeit Blockupy Protestler niederschlagen. Auch da ist also Sensibilität gefragt und es kommt auf den jeweiligen Kontext an. In Antira-Zusammenhängen besteht einer der Schwerpunkt darin, sich für Geflüchtete einzusetzen. Wenn nun antiimp-Gruppen und antideutsche Gruppen auf dem Gebiet nicht zusammenarbeiten wollen, leidet am Ende vor allem eine Gruppe drunter: die Geflüchteten.

So ist es auch im Rap. Wenn eine Gruppe wie KIZ klare antirassistische und antikapitalistische Positionen bezieht, welchen Effekt hat es dann, wenn sich Linke mit ihr entsolidarisieren? Es schadet der Bewegung. Deshalb ist es meiner Meinung nach besser, die kritisch-solidarische Auseinandersetzung zu suchen.

Du machst traditionell linke Musik die internationalistisch, antistaatlich und antiimperialistisch ist. Diese, gerade antiimperialistische Denkweise ist heute in der Linken in Deutschland nicht mehr unumstritten. Hast du aufgrund deiner Denkweise oft mit negativem Feedback oder Ressentiments zu kämpfen?

Das ist ein Problem mit dem ich in letzter Zeit immer mehr zu kämpfen habe. Ich werde immer häufiger ausgeladen, zum letzten Mal im AZ Mülheim, bei dem ich nur einen Tag vor der Veranstaltung ausgeladen wurde. Auch andere Gruppen distanzieren sich aufgrund meiner anti-imperialistischen, pro-palästinensischen Haltung immer mehr von mir. Ich wurde auch schon von der Linkspartei von einer Veranstaltung wieder ausgeladen, für die sie mich erst gebucht hatten. Ich werde immer seltener aus Antira-Zusammenhängen angefragt, ob ich auf Demos oder Solikonzerten auftreten will. Stattdessen fragen immer wieder Leute, die der Neuen Friedensbewegung zugehörig sind bei mir an, die mit meiner Haltung scheinbar weniger Probleme haben als Teile der radikalen Linken in Deutschland. Und dass trotz meiner radikalen Kritik am strukturellen Rassismus und meiner klaren Position in Bezug auf Asylfragen. Ich sehe mich klassischen Linken, der aus einer marxistischen, anti-imperialistischen Tradition kommt und ich fühle mich in der radikalen Linken zu Hause. Deshalb machen mir diese Distanzierungen und Ausladungen schon zu schaffen.

Wird so was dann mit dir diskutiert oder wirst du einfach ausgeladen?

Beide Fälle sind schon mehrfach eingetreten. Auch bei Veranstaltungen von denen ich ausgeschlossen wurde, gab es immer auch Leute, die sich mir gegenüber solidarisch geäussert haben. Allerdings ist es glaube ich sehr schwierig, sich bei Gruppen wie der Linksjugend [solid] (mit einigen wenigen Ausnahmen wie Kreuzkölln) und auch bei diversen Antifa Gruppen für einen pro-palästinensischen Standpunkt stark zu machen. Gerade bei solid hat man das durch den gefassten Beschluss untermauert, eine Einstaatenlösung und pro-palästinensische Positionen als strukturell antisemitisch einzustufen. Das sagt glaube ich viel darüber aus, wo wir gerade stehen in der radikalen Linken. Zumindest in der institutionalisierten radikalen Linken. Die meisten Antifa-Gruppen würde ich auch als tendenziell antideutsch einstufen und diese gehören ja bekanntlich zu den einflussreichsten Strömungen innerhalb der radikalen Linken.

Hat das nicht auch damit zu tun, dass es in Deutschland schwerer geworden ist, innerhalb der pro-palästinensischen Bewegung linke Ansprechpartner zu finden? Bei pro-palästinensischen Demos sammelt sich mittlerweile ein breites islamistisches Spektrum, das auch mit antisemitischen Parolen auffällt. Das erweckt den Eindruck, dass die Linke innerhalb der palästinensischen Bewegung nicht mehr so gut dasteht wie das mal der Fall war. Wie siehst du das?

Es ist ganz klar erkennbar, dass der Wahlsieg der Hamas, die Schwächung der linken Kräfte innerhalb Palästinas und auch der PLO, die zunehmenden imperialistischen Kriege und die jahrelange Unterstützung von Salafisten und militanter Islamisten durch die USA, Türkei, die Golf- und NATO-Staaten, einen zunehmend fanatischen Islamismus hervorgebracht haben. Das macht sich natürlich auch in den palästinensischen Gemeinschaften bemerkbar. Das ist aber gar nicht die entscheidende Frage.

Was du als antisemitisch bezeichnet hast würde ich als antijüdische Ressentiments beschreiben. Man muss hierbei ganz klar zwischen den antisemitischen Ressentiments einer deutschen, weissen Mehrheitsbevölkerung unterscheiden, bei der wir es mit einem strukturellen Antisemitismus zu tun haben und den antijüdischen Ressentiments einiger PalästinenserInnen, die zwar eine menschenverachtende, aber dennoch politische Antwort auf den Zionismus, die Besatzung und die Siedlungskolonien darstellen. Für mich ist da, im Gegensatz zum strukturellen Antisemitismus, ein ganz klarer Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu erkennen. Das ist zwar keine Rechtfertigung, man kann allerdings die Mechanismen verstehen die dahinter stecken, wenn jemandem Familienangehörige abhanden gekommen sind oder das Land weggenommen wurde.

Aber zurück zur Frage: Auch wenn die Ansprechpartner weniger geworden sind, dürfen wir eine Sache nicht vergessen: Kurz vor der Bombardierung Gazas im letzten Jahr standen die linken Kräfte bis hin zu den islamistischen Kräften parteiübergreifend kurz vor einer Einigung, im Kampf gegen den Kolonialismus zusammen zu stehen. Das heisst, dass die PalästinenserInnen die Entscheidung getroffen haben zusammen zu arbeiten, um dieser aussichtslos erscheinenden Tragödie zu entkommen. Spricht man nun von fehlenden Ansprechpartnern, banalisiert man den anti-kolonialen Kampf der PalästinenserInnen. Es geht nicht nur darum, progressive Ansprechpartner zu finden. Es geht vordergründig darum sich für die Würde der PalästinenserInnen einzusetzen. Es geht darum zu sagen: „sie führen einen legitimen, anti-kolonialen Widerstandskampf gegen einen rassistischen, ethnokratischen und zionistischen Staat.“ Ich bin der Meinung, der Staat Israel hat einen neuen Grad der Faschisierung erreicht, der eine vorher ungekannte existenzielle Bedrohung für die PalästinenserInnen darstellt.

Das kann man auch ohne Ansprechpartner thematisieren und sich solidarisch zeigen. Man kann sich für die BDS-Bewegung stark machen, die in Deutschland verpönt ist, weil es angeblich Parallelen zu „kauft nicht bei Juden“ gibt. Diese Parallelisierung ist natürlich schon aufgrund des Kontextes fragwürdig. Ich glaube es ist auch wichtig darauf hinzuweisen, dass die Frage der deutschen Verantwortung nicht losgelöst von der deutschen Verantwortung für die PalästinenserInnen betrachtet werden kann. Radikale Linke, die in Deutschland „vorsichtig“ damit umgehen möchten, wie sie mit dem israelischen Kolonialregime verfahren sollen, bedienen dadurch automatisch rassistische Argumentationsmuster und reflektieren die gängigen Doppelstandards, die hierzulande vorherrschen. Es wird vor allem deshalb rassistisch, weil man sich der Verantwortung gegenüber den PalästinenserInnen zugunsten einer menschenverachtenden, pro-Israelischen Position entzieht.

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