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Kanye West als perfektes Produkt des Kapitalismus

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Kanye West als perfektes Produkt des Kapitalismus Wer nur auf sein »Herz« hört, denkt nur an sich

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Kultur

Kanye West outet sich während der US-amerikanischen Sendung Saturday Night Live als Fan Donald Trumps, unterstellt dem Liberalismus Zensur und macht sich vor laufender Kamera mit verschwörungstheoretischen Aussagen zum Idioten. Eine rantige Analyse.

Kanye West an einem Konzert in Boston, Massachusetts, September 2016.
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Kanye West an einem Konzert in Boston, Massachusetts, September 2016. Foto: Kenny Sun (CC BY 2.0 cropped)

Datum 10. Oktober 2018
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Die Geschichte zeigt uns, wie schnell es geht, dass vor den schwer zu lösenden Problemen statt radikaler Veränderungen der Weg in die Barbarei gewählt wird. Man kapituliert gegenüber dem menschlichen Verstand, der Rationalität, welche notwendig ist für ein Leben in einer von dem System inhärenten »natürlichen« Widersprüchen durchzogenen, kapitalistischen Gesellschaft. Dann heisst es plötzlich: »Kopf aus, Herz an.«

Hauptsache, es passiert etwas. Hauptsache, es wird etwas in Gang gesetzt. In Zeiten politischen Umbruchs ist es aber leicht, vor der tiefgehenden Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten in diffuse Scheinlösungen zu fliehen, welche die Wirklichkeit verkennen, der Lösung von Problemen gar im Wege stehen und sie möglicherweise noch verschlimmern. Wenn nicht das, so sind sie doch gute Indikatoren dafür, an welchem Tiefpunkt wir uns bereits befinden. Ein Beispiel ist Kanye Wests Auftritt in der Sendung Saturday Night Live, bei der er am Ende der Show zeigt, in welchen Irrationalismus er sich bereits vertschüsst hat.

Saturday Night Live, at its best

Zunächst muss einmal die Sendung vom 29. September 2018 gelobt werden. Gerade ihre hohe Qualität lässt Kanye Wests Absturz so deutlich werden. Die Macher*innen der Show sind Teil jener »Resistance« in den USA, die mit Gefühl und Verstand die bedrückenden Änderungen im Land aufspürt und anprangert. Dies gelingt ihnen mit einer Mischung aus Aufklärung und Humor, die wohl einmal als stilbildend für die Trump-Ära gelten wird. Zu Beginn der Show imitieren der Stargast Matt Damon und das Stammensemble detailgenau die Senatsanhörung von Brett Kavanaugh.

Dessen kuriose Verlogenheit scheint die neueste Schliche der Trump-Administration zu sein, um den Umbau zu einer illiberalen Gesellschaft zu befördern. Frauenverachtung, Verächtlichmachung des Leids anderer und ein überaus loses Verhältnis zur Wahrheit werden schamlos (um nicht zu sagen herzlos) ausgestellt. Die Comedians lassen das der Riege der »creepy old man« der republikanischen Senatsmitglieder aber nicht durchgehen und karikieren die Herren köstlich und klug. Vermutlich ging diese eindeutige Blossstellung dem millionenschweren Rapper-King auf den Senkel.

Herr West trug dann zum Konzert am Ende der Show, trotz leisen Widerstands der Mitmusiker*innen, ein »cooles« MAGA-Cap, also diese hässliche, rote Kopfbedeckung mit Aufschrift »Make America Great Again«, wie sie vom Irren mit dem Orangengesicht und seinen Anhängern berühmt gemacht wurde. Die Schirmmütze ist unausweichliches Requisit der »Hillbilly-Nuremberg-Rallies« (Bill Maher) die Trump regelmässig abhält, um sich durch Hetze zu stärken und die Leute gegeneinander aufzuwiegeln. Kanye West sieht es nun, was das Kapperl betrifft, nicht nur als sein Recht an, zu tragen, was er will (stimmt ja auch), sondern sieht es sogar noch als wichtiges Zeichen, sich nicht und niemals einschüchtern zu lassen von »den Medien«, die da so viel Lügen und Falschinformationen verbreiten und unser Gehirn manipulieren:

»They bully me. They bullied me backstage. They told me don't go out there with that hat on. They bullied me,« he snapped. »And they say I'm in the sunken place. You wanna see the sunken place? OK, Ima listen to y'all now. I almost put my Super Man cape on, cause this means you can't tell me what to do. Follow your heart and stop following your mind. That's how we're controlled. That's how we're programmed.« (www.xxlmag.com)

»Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît point«

Deep shit, man! Und so Anti-Establishment! Mit dieser wirren Aussage stellt Kanye West einerseits die Behauptung auf, man würde ihm verbieten, die Mütze des Anti-Demokraten zu tragen. Aber falsch: Man kritisiert ihn aus guten Gründen und mit gutem Recht. Damit muss er leben, so ist das in einer freien Gesellschaft. Doch stattdessen kopiert er Trumps Strategie und die der Rechten generell, in dem er sich als Opfer darstellt, gar als eine Art Jesusfigur, die für alle Unwissenden die Gefahr eingeht, das Richtige zu tun, ohne sich von falschen Propheten (Liberals eben, wie die von SNL welche sind) verunsichern zu lassen. Seine mehr als nur symbolische Message ist: »Hör auf dein Herz, nicht auf dein Gehirn.«

Das überrascht kaum mehr, denn wo wird heutzutage Selbstoptimierung, Ignoranz, Stumpfsinn nicht als Empowerment und Emanzipation verkauft? Wenn es in Artikeln auch noch als feministisch gilt, mit sexy Unterwäsche sein Selbstwertgefühl zu pushen, statt mit einer weisen Einsicht und einer nachhaltigen Handlung, die nicht das kurzzeitige Wohlbefinden zum Ziel haben. Das ist die Message von einem der einflussreichsten Geschäftsleute und Künstler unserer Zeit, der Millionen mit Kleidung und Musik macht: »Achte auf dich selbst, hör auf dein Herz, denk nicht nach, mach einfach.« Leider Bullshit. Nichts lernt man durch sein Herz, das Herz ist hier ein Organ, das Blut in die Schwellkörper pumpt – und nicht mehr.

Mit Hilfe des Gehirns und der Vernunft jedoch kann man versuchen, komplexen weltlichen Phänomenen auf den Grund zu gehen und das friedliche Miteinander der Welt in einem vernünftigen Gesellschaftssystem anstreben. Hier wiederum wäre das Herz als jener Ort, an dem die »transzendentale Idealität« in uns hineinströmt, übrigens eine gute Ratgeberin. Aber – ach komm! Trump und Mr. West und diese Art von Herz? Business zählt bei denen einzig und der gesamte empirische Weltbestand wird eingesackt und verhökert. Herzschmerz war allenfalls angesagt, als man noch versuchte, Frauen mit Gesülze rumzukriegen, das war allerdings nur so lange nötig, bis man super-rich geworden ist.

Kanye West ist letztlich bloss ein jämmerliches aber perfektes Produkt des Kapitalismus, der aus seiner Dummheit und seinem Desinteresse an der Gesellschaft auch noch Profit schlägt. Doch wie soll man damit umgehen? Vielleicht, indem man immer wieder mit dem Finger darauf zeigt und darüber spricht, was Gestalten wie er ausdrücken: Nämlich das Ohnmachtsgefühl, die Sinnlosigkeit des einzelnen Lebens in einer kapitalistischen Verwertungsgesellschaft, die noch jedes Aufmucken und jede Idee für ein besseres Leben im Keim ersticken will.

Frank Jödicke, Lutz Vössing
Erstpublikation auf skug.at