Es gab immerhin 1993 den Hamburger Verlagspreis, der diese Ausgabe würdigte, und von dessen materieller Zuwendung die Arbeit an einem der zwölf Bände bezahlt werden konnte. Keine Institution hielt das Projekt für förderungswürdig. So blieb es bei den Begeisterten – übrigens in Ost- und Westdeutschland – hängen, sich anderweitig durchzubringen.
Kurz nach dem Fall der Mauer gab es in den Theatern Magdeburg und Tübingen ebensolche verrückte Begeisterte, die in einer Art Festival sämtliche Theaterstücke Franz Jungs aufführten und am Ende ein Gipfeltreffen einberiefen, auf das alle Jung-Forscher*innen weltweit eingeladen waren. Es kamen etliche, und vor allem kam Peter Jung, Franz Jungs jüngster Sohn, der im Gegensatz zu seinem Vater den „Weg nach oben“ in die Ölbranche gewählt hatte, nachdem er 1949 als Jugendlicher seinem Vater ins Exil gefolgt war. Und es gab eine Initiative von Armin Petras, 1988, kurz vor dem Ende der DDR, der „Die Technik des Glücks“ für eine Aufführung in der Zionskirche inszeniert hatte, aber am Abend vorher die DDR verlassen musste, da seinem Ausreiseantrag stattgegeben worden war.
Annett Gröschner war in den Ost-Berliner Zirkeln um die Sklaven und den Sklaven Aufstand in den 90er Jahren an verschiedenen nächtelangen Lesungen beteiligt und hatte in jahrelanger Forschungsarbeit und ebensolchen Reisen zusammen mit Peter Jung dessen Geschichte und die seines Vaters und seines Clans aufgeschrieben. Auch das Buch ging „unter“, wie so manche andere begeisterte Versuche, an Franz Jung zu erinnern.
Als ich die Edition Nautilus vor gut einem Jahr an die Mitarbeiter*innen übergab, war da für mich noch eine Rechnung offen. Ich hatte nicht mehr als zehn Jahre am Werk dieses Autors gearbeitet, damit es gleich wieder in der Versenkung verschwand! Ich würde ihn, befreit von den Alltagspflichten eines Verlegerdaseins, auf die Bühne bringen. Voll ausgeleuchtet, wie auch immer.
Ich stellte einen Antrag bei der grössten Hamburger Kulturförderung, er wurde abgelehnt. Ich hatte aber schon die ersten Bündnispartner*innen gefunden und machte zweierlei: Ich verdoppelte die Antragsumme für eine echte Theaterrevue und stockte das Team, zusammen mit Annett Gröschner, professionell auf. Und ich startete unmittelbar mit einer szenischen Lesung mit Musik, Film und verschiedenen Schauspieler*innen. Während wir mit der Lesung „Der Torpedokäfer“ schon tourten, kam die Zusage der Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds. Bedingungslos und ohne Abstriche. Nach 15 Lesungen in Deutschland und der Schweiz wird es also am 14. November 2018 die Premiere der Franz Jung-Revue „Die Technik des Glücks“ im HAU in Berlin geben. Lauter Begeisterte im Team, Menschen, die Franz Jung noch überhaupt nicht kannten, und solche, die endlich etwas für ihn tun können.
Wer ist also dieser Franz Jung?
Vor hundert Jahren sass er in seinem Büro am Halleschen Ufer 32, gleiche Adresse wie heute das HAU, und stempelte mit Freunden Spartakus-Parolen auf Geldscheine. Die Revolution von 1918 scheiterte, wie vieles im Leben des Schriftstellers, Dichters, Revolutionärs, Anarchisten, Finanzexperten, Schiffsentführers, Theaterautors und Mitbegründers der KAPD.Beschrieben wird er als sanft, klein und kräftig. Ein Mann, der Teile seines Lebens in der Illegalität oder im Gefängnis verbrachte und mitten im Krieg Ameisen in Schokolade besorgte und es spannend fand, die Geschichte des Volkswagenwerks in einer Minute Radioansage zu erzählen. Der schon vor hundert Jahren, er sass gerade wieder einmal im Gefängnis und hatte Zeit zum Schreiben (wenn er sich nicht mit den Fliegen beschäftigte, die er mit Zucker in Rauschzustände versetzte), die Grundlinien für eine „Technik des Glücks“ bestimmte: „Die Revolution kommt von innen“.
Er analysierte die Niederlage der Revolution, die sich als grosse Frustration in den Menschen ablagert, als eine der wesentlichen Gründe für die Blockierung des Freiheitstrebens, für die Autoritätshörigkeit, für das Mitläufertum, das letztendlich im faschistischen und stalinistischen Kadavergehorsam endete. Für sich selbst fand er den Leitspruch „Was suchst Du Ruhe, wenn Du zur Unruhe geboren bist“, und mit diesem inneren Motor wurde er eine der verwegensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Sein exzessives Bemühen, der Gesellschaft zum Besseren, der Menschheit zum Glück zu verhelfen, seine messerscharfen Beschreibungen und Analysen der Umstände strahlen bis heute. Seine Genossen und Weggefährtinnen bilden das Who is Who der künstlerischen, politischen und sozialen Avantgarde. Seine Experimente und Ansätze braucht es heute vielleicht dringender denn je, auch wenn er 1953 schrieb: „Wenn ich nach Deutschland zurückkehre, dann nur als angetriebenes Strandgut.“
Die Musik der Revue machen Die Sterne. Das Textbuch haben, unter Verwendung der Texte Franz Jungs, Annett Gröschner und die Regisseurin Rosmarie Vogtenhuber geschrieben. Am Konzept ist auch die Bühnenbildnerin Constanze Fischbeck beteiligt. Die Schauspieler auf der Bühne sind Robert Stadlober und Wolfgang Krause Zwieback. Im Film spielt Corinna Harfouch.
Das wird grosse Bühne, voll ausgeleuchtet – wie auch immer.