50 Jahre Meinungsforschung in der DDR Umfragen zur Machtsicherung
Politik
Umfragen sind heutzutage in aller Munde. Gerade vor Wahlen wie jetzt im Mai haben sie Hochkonjunktur. Das war beileibe nicht immer und überall so.
Mehr Artikel
18. Mai 2014
1
0
5 min.
Drucken
Korrektur
Das Folgende bezieht sich auf meine persönliche Sicht zu dem 1964 gegründeten SED-eigenen Institut für Meinungsforschung, dessen Mitarbeiter ich von 1972 bis zur abrupten Auflösung Anfang 1979 war. Danach war eine weitere Beschäftigung mit diesem Thema für mich, wie für alle anderen Mitarbeiter auch, leider weder möglich, noch gewünscht oder geduldet. Sie war schlicht ein Tabu.
Das Kapitel Meinungsforschung gehört für mich zum Reservoir jener vergessenen Konflikte und vertaner Chancen, die von vielen Hoffnungen getragen waren und bitter enttäuscht wurden, lange bevor die DDR unterging. An die uns bei der unrühmlichen Schliessung des „geheimnisumwitterten“ Instituts abverlangte Schweigeerklärung hatte ich mich wie alle anderen auch bis 1989 gehalten, habe dann aber Anfang der 90er Jahre dem Historiker Prof. Heinz Niemann mit Informationen und Dokumenten bei seinen Veröffentlichungen über das Institut zur Seite gestanden. Das sind bis heute die einzigen und besten Quellen zu dieser Thematik. Niemann stellt die Arbeit des Instituts sachlich fundiert dar.
Sein Hauptverdienst ist, dass er die einer vom Politbüro angewiesenen Vernichtung entgangenen Berichte des Instituts öffentlich gemacht hat, egal wie man sie dann heute deutet. Die von ihm dokumentierten Umfragen sind tatsächlich ein Glücksfall für die zeitgeschichtliche Forschung. Als das erste Buch „Meinungsforschung in der DDR - die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das Politbüro der SED“ 1993 erschien löste das ein lebhaftes Medien-Echo aus. Als dann 1995 „Hinterm Zaun – Politische Kultur und Meinungsforschung in der DDR“ erschien, blieb es schon ruhiger.
Das „Geheimnisumwitterte“ des Instituts beruht ja nicht nur auf der plötzlichen, nie richtig geklärten Schliessung des Instituts. Der mir vorliegende Beschluss zur „Beendigung der Tätigkeit des Instituts“ war so geheim, das er nicht mal an alle Mitglieder des Politbüros ging und im Text gibt es keinerlei Begründung für diesen Beschluss.
Damals waren a l l e Umfragen als ausschliessliches Herrschaftswissen Streng Vertraulich bzw. Vertrauliche Verschlusssache und es gab und gibt widersprüchliche Interpretationen über den Wert der Befragungen. Die lassen sich auch nicht mehr endgültig klären, da mit gerade mal 25 erhaltenen Umfrageberichten nur rund 10% der damaligen Umfragen nach 1989 verstreut in den Akten einzelner Politbüro-Mitglieder aufgefunden und bewertet werden konnten. Über die Zahl der Umfragen gibt es unterschiedliche Daten. In der mir vorliegenden Archivierungsliste von 1979 ist von 268 die Rede. Immerhin wurden dabei insgesamt fast 6.000 Fragen an eine halbe Million Menschen gestellt.
Aber zurück zur Gründung des Instituts, das auf einen Beschluss des Sekretariats des ZK vom 22.April 1964 datiert, was sich einordnet in die Zeit der Einführung einer umfassenden Wirtschafts- und Wissenschaftsreform namens Neues Ökonomisches Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (nach dem VI.Parteitag der SED 1963) und der Hinwendung zu bis dahin verpönter angewandter empirischer Sozialforschung. In dessen Rahmen sollte eine wissenschaftlich exakt arbeitende Meinungsforschung mittels repräsentativer Umfragen mehr zuverlässige Informationen liefern, was mit den dazu bis dato üblichen Instrumenten des staatlichen und parteiinternen Berichtswesens nicht möglich war. Allen Beteiligten war damals klar, das mit diesem Institut absolutes Neuland betreten wurde. Keiner aus der Gründungsmannschaft kam aus der Soziologie, die ohnehin damals noch in den Kinderschuhen steckte, jedenfalls in der DDR, der erste Soziologie-Kongress fand erst 1969 statt. Es mussten also zuerst methodische und technische Grundlagen erarbeitet werden, Probebefragungen vorbereitet, ehrenamtliche Interviewer ausgewählt und geschult werden, das begann alles im Juni 1964.
Die staatssozialistische Meinungsforschung war gedacht als ein Informations- und Analyse-Instrument der Parteiführung, diente vorrangig zur Machtsicherung, sollte das Erkenntnismonopol der Partei zementieren, weshalb sie auch direkt der obersten Parteiführung, also dem Politbüro, unterstellt war. Das gab dem Institut eine Sonderstellung und in manchen Augen auch einen „von oben“ kommenden Heiligenschein. Wir selbst wähnten uns damit unangreifbar, was sich als Illusion herausstellte. Im Gründungsbeschluss hiess es unmissverständlich: „Die Leitung des Instituts erhält ihre Anleitung und ihre Aufträge vom Politbüro.“ Das parteieigene Institut unterstand anfangs dem Politbüro-Mitglied Albert Norden, ab 1967 Werner Lamberz, dessen mysteriöser Tod bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen 1978 zugleich d e r Sargnagel des Instituts war, denn beim hochgebildeten Lamberz, der inoffiziell nach einer Blitzkarriere als Kronprinz und Thronfolger von Honecker gehandelt wurde, fühlten wir uns gut aufgehoben.
Wobei auch e r die Umfrageergebnisse vorrangig als „Panzerschrankwissen“ gezielt zu seiner eigenen Machtsicherung eingesetzt hat, also solange sie ihm als solches nützlich waren. Er allein entschied, an wen die Ergebnisberichte gingen, ob an das komplette Politbüro oder nur an einzelne Mitglieder bzw. deren Abteilungen. Wir gehörten damit wohl zu seiner Hausmacht, lieferten ihm unwissentlich Material für die Machtspiele, deren Opfer wir schliesslich selbst wurden. Das Institut wurde zunehmend als Sicherheitsrisiko gesehen von einer engstirnigen intellektuellenfeindlichen Führungselite, die einer regelrechten Sicherheitshysterie verfallen war. Insofern ist die Meinungsforschung auch nicht am Unvermögen einzelner im obersten Führungszirkel gescheitert, sondern am politischen System, das sich im Besitz der einzigen Wahrheit wähnte.
Die Meinungsforschung in der DDR war in das Macht- und Ideologiemonopol der SED eingebettet und den Schwankungen der Tagespolitik ausgesetzt. An denen ist sie dann auch schliesslich gescheitert. Ulbricht als einer der Gründerväter des Instituts wollte sich noch auf exakte Kenntnisse hinsichtlich der Stimmung in der Bevölkerung stützen, bei Honecker war das zunehmend nicht mehr gewollt. Er wurde dann folgerichtig zum Abwickler des IfM. Das Scheitern der DDR deutete sich auch im Ende der Meinungsforschung an und ist damit zugleich ein weiteres Indiz, dass die SED-Meinungsforscher mit ihrer Arbeit die Trends der öffentlichen Meinung weitgehend zutreffend erfasst hatten.
Zusammengefasst: Trotz aller Professionalität des Instituts hatten dessen Umfragen doch nur geringe politische Auswirkungen und damit letztendlich ihr eigentliches Ziel verfehlt.