Durch die Steuerflucht von internationalen Öl-, Gas und Bergbauunternehmen gehen den rohstoffreichen Ländern jährlich Milliarden-Summen an potenziellen Steuereinnahmen verloren. Genau lassen sich diese Summen nicht beziffern, da die Steuerflucht oft im Verborgenen stattfindet.
Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) und der Weltbank besagen jedoch, dass rohstoffreiche Länder jährlich einen mittleren zwei- oder gar niedrigen dreistelligen Milliardenbetrag an Steuereinnahmen verlieren.
Entwicklungshindernis Steuerflucht
Die Steuerflucht im Rohstoffsektor hat gravierende soziale, wirtschaftliche und politische Auswirkungen. Denn viele Staaten finanzieren sich zu einem Grossteil aus Einnahmen aus dem Rohstoffsektor. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten mit jährlichen Gesundheitsinvestitionen in Höhe von 8,7 Milliarden US-Dollar vier Millionen Kindern pro Jahr in 46 afrikanischen Staaten das Leben gerettet werden.Und mit 5,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr könnten die fehlenden Lehrkräfte bezahlt werden, damit jedes Kind in Afrika zur Schule gehen kann. Es fliesst also mehr Geld ab, als für diese grundlegenden Sozialleistungen benötigt wird.
Vergegenwärtigt man sich, dass die kompletten Staatsausgaben von rohstoffreichen und von Steuerflucht betroffenen Staaten wie Sambia, der DR Kongo, Tschad, Niger oder Liberia jeweils jährlich nicht über 6 Milliarden US-Dollar liegen, wird deutlich, was der Abfluss von geschätzt 30 bis 100 Milliarden US-Dollar bedeutet. Der Einwand, dass auch einige afrikanische Präsidenten korrupt seien und einen Teil der Einnahmen ihres Staates veruntreuen, ist sicher zutreffend. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Korruption von Politikern und Beamten nur etwa 1/10 der Summe ausmacht, die afrikanischen Staaten durch die Steuerflucht von Unternehmen verloren geht.
Der Verlust an Steuereinnahmen erschwert es den Ländern des globalen Südens auch, sich nachhaltig zu entwickeln und eine stabile Wirtschaft aufzubauen. Um Unternehmertum zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen, bedarf es einer Vielzahl von „Zutaten“: Strassen und Elektrizität, Bildung und Ausbildung, Forschung und Entwicklung sowie Kredite, um Investitionen und Unternehmertum zu fördern. Fehlen Steuereinnahmen, kann der Staat diese „Zutaten“ nicht bereitstellen. Der Abfluss an potenziellen Steuereinnahmen bewegt sich in einem ähnlichen Massstab wie die öffentliche Entwicklungshilfe, die nach Afrika fliesst.
Generell ist festzuhalten, dass die Anfang 2016 in Kraft getretenen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) kaum zu erreichen sind, wenn die Steuerflucht nicht bekämpft wird. Schätzungen zufolge bedarf es zur Erreichung der SDGs jährlich zwischen 750 Milliarden und 1,3 Billionen US-Dollar an öffentlichen Ausgaben. Das ist durch Entwicklungshilfegelder alleine nicht zu stemmen. Deswegen und aus Gründen der globalen Gerechtigkeit braucht es grössere Anstrengungen, um das Problem der Steuerflucht anzugehen. Wer über Entwicklung spricht, darf über die Steuerproblematik nicht schweigen.
Wie Unternehmen Steuerzahlungen vermeiden
Der Rohstoffsektor ist in vielen Ländern des globalen Südens der grösste Wirtschaftszweig. Die Taktiken zur Steuerflucht von internationalen Rohstofffirmen fangen schon bei der Verhandlung der Abbauverträge an. Dabei nutzen die Unternehmen ihre Verhandlungsmacht, ihr Wissen über technische Vertragsklauseln oder zahlen Schmiergelder, um von der Zahlung bestimmter Steuern entweder komplett oder für eine lange Zeit (teilweise bis zu 50 Jahre) befreit zu werden.Ein weiteres Mittel von Unternehmen, die Steuerzahlungen an die Regierung eines rohstoffreichen Landes so gering wie möglich zu halten, ist es, die Ausgaben und Einnahmen des Unternehmens klein zu rechnen („falsche Verrechnungspreise“). Das funktioniert zum Beispiel wie folgt: Das Unternehmen im rohstoffreichen Land verkauft die Rohstoffe (oder andere Güter) an eine Tochterfirma in einer Steueroase zu Preisen, die weit unter dem Marktpreis liegen. Da das Unternehmen dadurch im rohstoffreichen Land wenig Gewinn macht, muss es auch kaum Gewinnsteuern zahlen. Und der in die Steueroase verschobene Gewinn wird dort gering besteuert, da die Steuersätze hier häufig bei nahezu null liegen. Da auf ähnliche Weise auch bei anderen Steuertypen, beispielsweise der Mehrwert- oder Verbrauchssteuer, aber auch bei den an das rohstoffreiche Land zu zahlenden Lizenzgebühren und Dividenden getäuscht wird, entgehen dem rohstoffreichen Land immense Steuereinnahmen. Diese Steuerflucht wird durch Steueroasen ermöglicht. Gäbe es diese Steueroasen nicht, hätten die Unternehmen weniger Möglichkeiten, Steuerzahlungen in rohstoffreichen Ländern zu umgehen.
Während Deutschland nicht als Steueroase bekannt ist, liegt es bei einer anderen Möglichkeit, wie internationale Firmen Steuerzahlungen umgehen, ganz weit vorne: den sogenannten Doppelbesteuerungsabkommen. Diese Abkommen bestimmen, welcher der beiden unterzeichnenden Staaten ein internationales Unternehmen besteuern darf, um eine doppelte Besteuerung sowohl im Herkunfts- als auch im Gastland zu vermeiden. Viele dieser Abkommen werden als unfair bezeichnet, da sie häufig zum Nachteil von ärmeren Ländern gestaltet sind. Die Länder des globalen Südens müssen in vielen Fällen grössere Teile ihrer Steuerhoheit abgeben als die reicheren Vertragspartner aus dem globalen Norden.
Die Nutzung von Steuerabkommen zur Steuerflucht ist dabei nicht illegal. Wie die NGO ActionAid am Beispiel eines australischen Bergbauunternehmens in Malawi zeigt, ist diese Praxis jedoch moralisch höchst fragwürdig. So konnte sich das Unternehmen von der Zahlung der Quellensteuer in Malawi befreien, indem es ein Steuerabkommen mit den Niederlanden genutzt hat. Dort hat das Unternehmen eine Tochtergesellschaft ohne Angestellte gegründet, um Gelder aus Malawi zu verschieben. In den Niederlanden lag die fällige Steuer jedoch bei 0%, sodass die Gelder ohne Abzüge weiter Richtung Hauptsitz des Unternehmens in Australien fliessen konnten. So hat ein einzelnes Unternehmen den malawischen Staat über den Zeitraum von sechs Jahren um eine Steuerzahlung von 27,5 Millionen US-Dollar geprellt.
Dies ist zudem kein Einzelfall und die Summe im Vergleich sogar gering. Laut der niederländischen NGO SOMO hat beispielsweise ein Öl-Unternehmen in Uganda versucht, Steuerzahlungen von über 400 Millionen US-Dollar zu umgehen. Nach langen Gerichtsverfahren konnte Uganda immerhin einen Teil dieser Summe eintreiben.
Gegenmassnahmen auf internationaler Ebene und Deutschlands Rolle
Über die letzten Jahre gab es auf internationaler Ebene einige Initiativen, um durch grössere Transparenz und neue Standards die Steuerflucht zu bekämpfen. Sowohl die USA als auch die EU haben neue Regeln beschlossen, die Rohstoffunternehmen zur Offenlegung ihrer Steuer- und anderer Zahlungen an die jeweiligen Regierungen verpflichten. In den USA wurde die Umsetzung dieser Regeln von der Industrie bekämpft. Anfang des Jahres 2017 hat der US-Kongress beschlossen, die Transparenz-Regeln komplett zu stoppen. Die EU-Regelung (EU Accounting Directive) wird dafür kritisiert, dass mit ihr nur die illegale Korruption vermieden werden könne. Subtilere Fälle der legalen, aber moralisch höchst fragwürdigen Steuerflucht hingegen könnten durch diese Transparenz-Regeln kaum unterbunden werden, da wichtige Daten noch immer im Verborgenen bleiben. Es bräuchte weiteren öffentlichen Druck, um faires Steuerzahlungsverhalten oder eine strengere Prüfung von Unternehmen durchzusetzen.Auf EU-Ebene debattieren das EU-Parlament und die Kommission derzeit Vorschläge darüber, welche Daten Unternehmen offenlegen sollen und welche Unternehmen davon betroffen wären. Der Kommissions-Entwurf bleibt dabei hinter dem des Parlaments zurück und würde wie die EU Accounting Directive (die nur den Rohstoffsektor umfasst) kaum zur Verbesserung der Situation beitragen. Zudem ist u.a. Finanzminister Schäuble dagegen, dass solche Berichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden. Diese fehlende Transparenz erschwert es, Steuerflucht aufzudecken.
Bei den problematischen Doppelbesteuerungsabkommen ist Deutschland schon seit einiger Zeit bereit, sogenannte Anti-Missbrauchsregeln einzufügen. Von NGO-Seite und von EU-Parlamentariern wird kritisiert, dass diese Missbrauchsregeln am Problem vorbeigehen, da es für die rohstoffreichen Länder äusserst schwierig ist, nachzuweisen, dass sich die Unternehmen Schlupflöchern bedienen. Diesen Nachweis müssten die Länder aber erbringen, um die Missbrauchsregeln anwenden zu dürfen. In der deutschen Politik fehlt es am richtigen Bewusstsein für die Problematik, dass Unternehmen Doppelbesteuerungsabkommen nutzen, um ihre Steuerzahlungen so gering wie möglich zu halten.
Beim Problem der falschen Verrechnungspreise bemüht sich Deutschland, die Steuerbehörden von rohstoffreichen Ländern auszubilden. Das könnte helfen, da das Aufspüren falscher Verrechnungspreise eine komplizierte Angelegenheit ist. Doch solche Bemühungen gehen nicht weit genug. So wird die Bundesregierung von NGO-Seite dafür kritisiert, dass sich Deutschland auf OECD-Ebene nicht für einen Systemwechsel hin zur Einführung einer Gesamtkonzernsteuer einsetzt. Dieses Verfahren würde den Gewinn des gesamten Konzerns, also inklusive aller Tochterfirmen, erfassen. Auf Grundlage einer auf internationaler Ebene zu beschliessenden Formel würde der Gewinn dann auf die Länder „verteilt“, in denen das jeweilige Unternehmen aktiv ist und dort besteuert. Eine solche Gesamtkonzernsteuer könnte dazu beitragen, die Besteuerung anhand der realen Werte und Gewinne der Konzerne zu gewährleisten und Steuerflucht zu bekämpfen.
Insgesamt haben die grossen Steuerskandale der zurückliegenden Jahre das Problem der Steuerflucht in den Fokus der Öffentlichkeit und auch politischer Bemühungen gerückt. Doch derzeit sind viele Reformen noch in der Schwebe oder werden wie in den USA gar rückgängig gemacht. Deutschland gilt international eher als bremsender Akteur, auch aus Angst, dass deutsche Exporteure unter hohen Steuern im Ausland zu leiden hätten.
Viele der betroffenen Länder fordern eine Berücksichtigung ihrer Interessen bei der Besteuerung der Konzerne, besonders beim Rohstoffabbau. Im Sommer 2015 noch drängte eine Gruppe von 134 Entwicklungs- und Schwellenländern auf einer grossen Konferenz zur Finanzierung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zur Einrichtung eines Regierungsausschusses auf UN-Ebene. Die betroffenen Länder erhoffen sich durch einen solchen Ausschuss mehr Mitspracherechte bei internationalen Verhandlungen zu Steuerfragen. Allerdings lehnten viele westliche Staaten die Forderung dieser grossen Koalition von Ländern des globalen Südens ab.