Der historische Ausgangspunkt für diese währungspolitische Besonderheit liegt noch vor der »Dekolonisation«. 1945 musste der Franc massiv abwerten; das war Resultat der in Trümmern liegenden Wirtschaft, der Notwendigkeit grosser Nahrungsmittelimporte wie der Erschöpfung der französischen Goldreserven. Paris vollzog diese Abwertung gesplittet: eine Rate für die Abwertung des Mutterlandes, eine zweite, wesentlich geringere, für die Kolonien. Die nun höher bewerteten Kolonialwährungen (Verhältnis 1 : 1,70) sollten weiter französische Waren kaufen können und als sichere Absatzmärkte der schwer geschädigten französischen Wirtschaft einen Neustart ermöglichen.
Durchaus Vorteile
Der französische Staat schaffte es, diese für seine Unternehmen vorteilhafte Regelung nach der Entlassung der Kolonien in die Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten. Entgegen der vielfach geäusserten Kritik, das sei eine pure Fortsetzung kolonialer Unterdrückung, beinhaltete die Regelung durchaus einen handfesten Vorteil für die gerade unabhängig gewordenen Staatswesen: Durch die feste Anbindung an den Franc verfügten sie sofort über so etwas wie eine wirkliche Währung, die ihnen Importe ermöglichte. Das war von Vorteil für staatliche Entwicklungsvorhaben, aber auch für die zahlungsfähigen Eliten des Landes und ihren Bedarf an Luxus. Umgekehrt konnten ausländische Unternehmen, insbesondere französische, aber auch alle anderen, problemlos Geschäfte mit den Ländern der Franc-Zone abwickeln und sich auf die nötigen und dazu noch »stabilen« Transferzahlungen verlassen. Das französische Finanzministerium sprach darüber hinaus eine Garantie aus, im Ernstfall für Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Ausland aufzukommen. Das System war insofern – gegenüber der Unsicherheit einer neu aus dem Boden zu stampfenden Währung – durchaus in einiger Hinsicht attraktiv, so dass auch einige Länder beitraten, die zuvor keine französischen Kolonien gewesen waren (Guinea-Bissau, Äquatorialguinea).Andererseits mussten die frisch gegründeten Staaten, um in den Genuss dieses Vorteils zu kommen, die Hälfte ihrer Währungsreserven beim französischen Finanzminister deponieren – auf einem »Operationskonto« (das offenbar wenig transparent geführt wurde). Diese Gelder waren ihrer Verfügung dauerhaft entzogen; ihre Währungs- und Wechselkurspolitik nur bedingt souverän, weil Frankreich ein Vetorecht gegenüber allen Entscheidungen besass und andererseits ein Direktionsrecht gegenüber allen anderen (1994 etwa verfügte Paris die 50prozentige Abwertung des CFA-Franc ohne jede Absprache mit den Mitgliedstaaten). Die Kreditvergabemöglichkeiten der Geschäftsbanken in der CFA-Zone waren und sind beschränkt, weil ein Mindestdevisenbestand von 20 Prozent zu beachten ist, und ein nicht geringer Teil der Deviseneinnahmen musste verwendet werden, um den festgeschriebenen Wechselkurs aufrecht zu erhalten. Zudem stellt die Teilung in zwei verschiedene Zonen (Westafrika/Zentralafrika) und der Zwang, die zum Handel zwischen den Nachbarstaaten nötigen Währungsgeschäfte nicht direkt, sondern über Paris abzuwickeln, ein ernstes Handelshemmnis dar. Nicht zuletzt gewährleisten die Importmöglichkeiten für französische Waren gleichzeitig einen erheblichen Konkurrenznachteil für den Aufbau von ähnlichen Industrien in den Ländern der Franc-Zone.
Frankreich und seiner CFA-Franc-Zone wird vielfach die »Fortführung kolonialer Strukturen« vorgeworfen. Selbst wenn dabei eine gehörige Portion Idealismus im Spiel ist, wie viel grösser die Weltmarkterfolge der betreffenden afrikanischen Länder sein könnten, wenn »Paris« diesen nicht im Wege stünde, ist festzuhalten, dass dieses Währungsregime Frankreich unterm Strich deutlich mehr nutzt als den Exkolonien. Es sichert der französischen Wirtschaft eine Exportfähigkeit, die sie in der »normalen« Weltmarktkonkurrenz nicht besitzt: Während etwa 2,8 Prozent der weltweiten Exporte aus Frankreich stammen, liegt die Zahl für die Länder der CFA-Zone zwischen 13 und 14 Prozent (in den Jahren 2012– 2020).12 Umgekehrt gehören neun der 14 CFA-Länder zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt, drei von ihnen (der Niger, die Zentralafrikanische Republik und der Tschad) belegen die letzten drei Plätze im UN-Index für menschliche Entwicklung. Das reale Pro-Kopf-BIP lag im Niger 2019 um 41,7 Prozent unter dem, das 1965 erreicht wurde – soviel zu den Fortschritten seiner »Entwicklung«!
Erpressung und Mord
Kein Wunder also, dass es aus den Exkolonien von Anfang an heftige Kritik und auch praktische Opposition gab. In den Fällen, in denen die ansonsten ziemlich verlässlichen Seilschaften der Eliten, die in Frankreich ausgebildet worden waren, nicht »funktionierten«, antwortete das Mutterland nicht mit einem volkswirtschaftlichen Nachhilfeseminar, sondern mit harten Bandagen: Destabilisierung der Wirtschaft (Guinea 1958), Erpressung durch Handelsnachteile (Mali 1962) und Mord (Togo 1963).13Das Währungsregime, das mit der Entstehung der Euro-Zone vom Franc auf den Euro übertragen wurde, besteht bis heute. Seit 2016 wird die Kritik an seinen Spielregeln allerdings immer lauter. 2019 verständigte man sich auf eine Reform, die die Schliessung des »Operationskontos« in Paris beinhaltete und die französischen Währungsvertreter abberief. Die westafrikanische Gemeinschaftswährung Eco, die bereits 2005 von den Ecowas-Staaten beschlossen wurde, blieb bisher eine pure Ankündigung; nachdem einige Termine (2015, 2020) verstrichen sind, ist die Einführung nun für 2027 geplant. Beim Westen in der Kreide
Mitglied der CFA-Zone zu sein, bringt für den Niger die Verpflichtung mit sich, den Wechselkurs zum Franc/Euro halten zu können. Für ein Land mit so wenig Exportmöglichkeiten ist das ein Problem, das es durch Verschuldung zu bewältigen versucht. Kein Wunder also, dass der Niger fest in die Schuldenwirtschaft integriert ist, in die Gruppe der am »höchsten verschuldeten Länder« (HIPC) der Welt gehört und permanent unter fachkundiger Beobachtung steht. Zum Beispiel der des »Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung«. »Hat Niger ein Schuldenproblem?«, fragt man sich dort beispielsweise. Im Zuge der Antwort erfährt man: »Niger wurde von den G20 im April 2020 im Rahmen des Schuldenmoratoriums DSSI (engl. Debt Service Suspension Initiative) eine Stundung der Schuldendienstzahlungen angeboten, die die Regierung auch angenommen hat. Sie spart damit im Jahr 2020 Jahr nach Angaben der Weltbank Schuldendienstzahlungen in Höhe von 25,8 Millionen US-Dollar, die in die Pandemiebekämpfung investiert werden sollen. Sollte die DSSI über das ganze Jahr 2021 verlängert werden, stünden dafür noch einmal 49,5 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Zudem ist Niger in den Genuss der Schuldenstreichung gegenüber dem IWF durch dessen Entschuldungsfazilität CCRT (engl. Catastrophe Containment and Relief Trust) gekommen. Rund sieben Millionen US-Dollar Schuldendienst an den IWF werden dadurch von der CCRT statt von Niger beglichen.«
Und: »Der IWF schätzt Nigers Überschuldungsrisiko anhaltend als ›mittel‹ ein. Das heisst, er erwartet keine Zahlungsprobleme, sofern sich das Land an die mit dem Fonds vereinbarten wirtschaftspolitischen Vorgaben hält (Baseline Scenario). Abweichungen von diesem können allerdings dazu führen, dass kritische Grenzwerte überschritten werden.« Der deutsche Ratschlag dazu lautet: »Niger ist eine typische extraktive Ökonomie, die für externe Einflüsse – vor allem Nachfrage- und Preisschwankungen seiner exportierten Güter – extrem anfällig ist. Es sollte auf die Schaffung von besonderen Entschuldungsmöglichkeiten für besonders ›vulnerable‹ Länder auch jenseits der Überwindung von COVID-19 hinarbeiten.«
Das bringt den technokratisch-zynischen Umgang der westlichen Finanz-Fachleute mit einem solchen Land auf den Punkt: »Hat der Niger ein Schuldenproblem?« heisst natürlich eigentlich: Kriegen unsere Finanzinstitutionen ein Problem damit, wenn der Niger seine Schulden nicht halbwegs regelmässig bezahlt – für die seine »extraktive Ökonomie« geradestehen soll?
Der Niger gehört zu den am meisten verschuldeten Ländern der Welt, die Schuldenstreichung von 2004 halbierte den Stand, was aber nichts änderte: Ein paar Jahre später wird erneut ein Moratorium und Katastrophen-Containment nötig – was immer das bedeutet.14 Welche Bedingungen der IWF dem Land stellt, ist nicht so einfach zu ermitteln. Im Normalfall ist das die Streichung von für sinnlos gehaltenen Infrastruktur- und sonstigen Entwicklungs- und Aufbaumassnahmen bzw. Subventionen für die Bevölkerung. Auch die könnten nach dem Putsch zur Disposition stehen – die Weltbank hat ihre Zahlungen fürs erste eingestellt: »Neben der Weltbank ist auch der Internationale Währungsfonds (IWF) als bedeutender Geldgeber für Hilfsprojekte im Niger tätig, das bisher letzte war am 5. Juli unterzeichnet worden. Der IWF, dessen Hilfsprogramme an regelmässig überprüfte Bedingungen geknüpft sind, hat seine Zahlungen bisher (d.h. nach dem Putsch, R. D.) nicht eingestellt. Die UN-Sonderorganisation sei beunruhigt von den Ereignissen in Niger und verfolge die Lage aufmerksam, erklärte ein IWF-Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.«15
Zwischenüberschrift
Angesichts dessen, dass mit der Integration der ehemaligen Kolonialla?nder in die Weltmarktkonkurrenz von einer nachholenden Entwicklung immer weniger die Rede sein konnte, wurde das Verha?ltnis der Bevölkerung zu ihren »Selbstregierungen« meistens schnell schlechter. Alle eventuell vorhandenen Vorstellungen, dass die Befreiung von der kolonialen Unterdru?ckung der Bevo?lkerung einen ihr zugewandten Staat bescheren wu?rde, der ihre Interessen wahrt und ihr zu einem besseren Lebensstandard verhilft, blieben Illusion.Den Regierungen gelang es umgekehrt ebenso wenig, ihre Bevölkerung als nu?tzliche Produktivkraft in Wert zu setzen – wie dies die kapitalistischen Vorbildnationen vormachten. Fu?r die wenigen kapitalistischen »Leuchttu?rme« in ihren La?ndern (Rohstoffabbau, Plantagenwirtschaft, eventuell Tourismus) werden nur wenige Einheimische als Arbeitskra?fte gebraucht, und das im Normalfall zu extrem niedrigen Lo?hnen und sehr schlechten, gesundheitsscha?dlichen Arbeitsbedingungen.
Der Grossteil der Bevo?lkerung war und ist »u?berflu?ssig« und gilt damit gema?ss dem realen Zynismus der Marktwirtschaft als »U?berbevo?lkerung« – so ja die anfangs zitierte Wahrnehmung in Deutschland (das mit 233 Menschen pro km2 übrigens mehr als zehnmal dichter bevölkert ist als der Niger).
Wo die Menschen irgendwelchen Projekten ausla?ndischer Kapitalanleger ins Gehege kommen, wird das Wasser und das Land, das sie traditionell nutzten, in Beschlag genommen, sie selbst vertrieben. Der Rest versucht seit Jahrzehnten mehr schlecht als recht irgendwie am Leben zu bleiben. Dass unter solchen Bedingungen »demokratische Verha?ltnisse« aufkommen sollten – wie die tonangebenden westlichen Staaten ungeru?hrt verlangen –, ist natu?rlich ein schlechter Witz, der dort, wo der Form nach Parteien gebildet, Wahlkampf gemacht und dann gewa?hlt wird, meist zur Farce gera?t. Die Herstellung der »regelbasierten Weltordnung«, auf die sich die USA und die EU-Staaten so selbstgerecht berufen, war also ein ziemlich brutaler Akt, bei dem insbesondere die westlichen Akteure alles andere im Sinn hatte als Entwicklung und humanere Verhältnisse für die Bevölkerung der vormaligen Kolonien.16 Die USA wollten ökonomisch mitmischen können in diesen Teilen der Welt, die ihnen vorher verschlossen waren; die Mutterländer der Kolonien soviel von ihren Sondervorteilen fortschreiben wie möglich. Die neuen Staaten – 54 an der Zahl – sind seitdem, ganz »souverän«, mit demselben Mist wie die etablierten westlichen Staaten beschäftigt: Geld am Weltmarkt zu verdienen und in der Konkurrenz zu ihren Nachbarn voran zu kommen. Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass sie genau das mit noch so viel Anstrengung meist nicht zufriedenstellend erreichen (können).
Der Grund dafür liegt einerseits in der egalitären Konkurrenz am Weltmarkt, die jede Notlage (von denen die Neuankömmlinge natürlich jede Menge hatten) preissenkend bestraft und bei der sich die zuvor erworbene Grösse und Produktivität des Kapitals (die sich natürlich bei den etablierten kapitalistischen Nationen angesammelt hatte) geltend macht. Anders gesagt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben! Die Ausnahme stellt der Aufstieg des Entwicklungslands China dar – eine Ausnahme, die erklärungswürdig ist und von den westlichen Staaten erbittert bekämpft wird.17 Andererseits hat sich insbesondere Frankreich ein paar Mittel geschaffen, die seine Sondervorteile18 – und damit Sondernachteile seiner Exkolonien – festschreiben. Auch das sollte nicht wundern. Schliesslich ist der Weltmarkt kein Fairnesswettbewerb, sondern die Konkurrenz von Nationen um den Vorteil aus Handel und Kapitalströmen, in dem alle alles ins Rennen werfen, was ihnen zur Verfügung steht an Geld und Macht. Das ist ein Punkt, den die Ankläger der »Postkolonialismusstrukturen« nicht wahrhaben wollen – ganz so, als sei die Zulassung zur Konkurrenz auch schon dasselbe wie das Bestehen in ihr und als sei die Ideologie von den »Entwicklungsländern« die Wahrheit des Weltmarkts, klagen sie beharrlich faire Konkurrenzbedingungen für die Dritt-Welt-Länder ein.
Für Frankreich steht insofern durchaus ökonomisch viel auf dem Spiel, wenn sich ein Teil der Franc-Zone in Westafrika seinem Einfluss entziehen und Russland oder China zuwenden würde.
Stützpunkt für Drohnenkrieg
Darin erschöpfen sich die westlichen Interessen am Niger allerdings nicht. Die USA unterhalten in diesem Land seit 2019 ihre grösste Basis (»Base 201«) in Afrika, mit etwa tausend Soldaten. »Der Stützpunkt dient nach US-Angaben schwerpunktmässig dem Einsatz von Drohnen gegen IS- und Al-Qaida-Terroristen, Drogenhändler und Schleuserbanden, aber auch als Aufklärungsmissionen für verschiedene afrikanische Staaten in der Sahel-Zone.«19 Mehr muss gar nicht erklärt werden: Die USA haben ganz selbstverständlich das Recht, über all ihre Feinde erstens Bescheid zu wissen und sie zweitens ganz ohne Kriegserklärung, UNO und sonstigen lästigen Schreibkram per Drohnen zu erledigen – »regelbasierte Welt« eben.Die EU, insbesondere Frankreich und Deutschland, wollten den Niger als ihren »Stabilitätsanker« in der Sahelzone haben. Gemeint ist damit: Kontrolle und Unterbindung der Fluchtrouten, die durch den Niger verlaufen und Kampf gegen zunehmenden und zunehmend störenden dschihadistischen Terrorismus.
In beiden Fällen handelt es sich um durch die EU selbst erzeugte Probleme. Sie haben ihre Gründe in der zunehmenden Zerrüttung der afrikanischen Staaten – ökonomisch wie politisch. Die Ruinierung des afrikanischen Kontinents durch die EU, wie am Beispiel des Niger dargestellt, geht immer schneller voran; entsprechend muss die »Festung Europa« immer mehr Opfer immer brutaler von sich fernhalten. In Kriegen, wie dem gegen Libyen, haben die Menschenrechtsfreunde aus dem Westen ohne Zögern Dschihadisten aus diversen Ländern (Tschetschenien, dem Irak) als Alliierte beim Kampf gegen Gaddafi genutzt. Nun stört der so angeheizte bzw. importierte islamische Terrorismus die eigenen Geschäfte und die Stabilität der westlichen Einflusssphäre in Afrika und man muss ihn mit aller Gewalt niederkämpfen.20
Dass dafür der Niger als »Stabilitätsanker« benutzt werden soll, ist übrigens eine Reaktion darauf, dass Burkina Faso und Mali die deutschen und französischen Soldaten aus ihren Ländern heraus komplimentiert haben. Die neuen Machthaber in diesen Ländern, in denen es auch jeweils einen Militärputsch gegeben hat, haben zur Begründung angeführt, dass sie das brutal-militärische Vorgehen der EU-Staaten gegen die Dschihadisten für nicht erfolgversprechend halten, weil es nur immer grösseren Widerstand erzeuge, weshalb sie alternativ zumindest auch auf (Verhandlungs-)Strategien setzen wollen; das aber habe vor allem Paris »arrogant« abgelehnt. Russland bzw. die Wagner-Gruppe sei deshalb eine Alternative, weil die sich den Wünschen des Landes, das sie ruft (und bezahlt), unterordne. Ähnlich haben auch die Putschisten im Niger argumentiert.
Die EU will den Niger keineswegs als Einflussgebiet verlieren – nach ihren Worten ist es »das letzte verbliebene in Westafrika«. Deutschland braucht das Land zudem als Drehscheibe, um den Abzug seines Militärs aus Mali abzuwickeln. Insofern stellt man sich auf den Standpunkt, dass man diesen Putsch keinesfalls hinnehmen kann. Er ist zwar nur einer von insgesamt 214 (!), die es seit der »Dekolonisation« in Afrika gegeben hat, von denen jede Menge stillschweigend anerkannt und nicht wenige sogar im Auftrag europäischer Staaten und speziell Frankreichs gelaufen sind.21 Aber eben diesen Putsch »gegen die Demokratie« lassen die europäischen Werte nun mal nicht zu.
Das ist den Europäern, die von Putins »völkerrechtswidrigem Angriffskrieg« und den daraus folgenden menschlichen Opfern bekanntermassen völlig entsetzt sind, glatt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Afrika wert. Denn wenn Ecowas mit Zustimmung der EU gegen den Niger vorgeht, ist das »völkerrechtswidrig«: Weder ist bisher von einer Abstimmung in den UN die Rede noch hat Niger irgendeinen Staat angegriffen. Übrigens verstossen bereits die einseitigen Sanktionen gegen das Land, die de facto aufs Aushungern zielen (so »Misereor«22), gegen das Völkerrecht.
Krieg in Sicht
Am liebsten wäre den EU-Staaten natürlich ein Krieg, den nicht sie führen müssen, sondern irgendwelche Afrikaner. Wozu haben sie denn ihre Bündnisse? Und wozu haben sie ihre Waffen nach Afrika geliefert?Und in der Tat: mit Ecowas meldet sich schon eines, das bereit ist, den Niger mit seinen 5.000 Soldaten niederzumetzeln. Dessen potentester Staat, Nigeria, könnte den Fall als geeignete Gelegenheit ansehen, seine Ansprüche als wichtige Macht in Afrika vorzuführen. Inzwischen haben sich mit Burkina-Faso und Mali zwei Staaten auf die Seite des Nigers gestellt; ebenso Algerien mit seiner Militärmacht (deutsch aufgerüstet). Könnte ein toller Krieg werden, den die deutsche wertebasierte Aussenpolitik da anfeuert…
PS: Im Fall des neuesten Putsches in Gabun sieht die Lage anscheinend wieder etwas anders aus. Für die Entmachtung der Dynastie Bongo, die das Land seit sechs Jahrzehnten beherrscht, hat man im Westen eher Sympathien, zumal es so aussieht, als bliebe alles andere beim Alten.