Die Zentren des Anarchismus waren das agrarische Andalusien im Süden und das relativ stark industrialisierte Katalonien im Nordosten.
Die sozialen und regionalen Differenzen zwischen diesen beiden Gebieten prägten von Anfang an die jeweilige Entwicklung der Bewegung, bestimmten ihre Strategie und Taktik und beeinflussten ihre Revolutionsstrategie. Bernecker unterscheidet zwischen dem "Agrar- und Handwerkeranarchismus" im feudal-latifundistischen Süden und dem katalanischen Anarchosyndikalismus.
Gemeinsam war beiden Strömungen allerdings, dass sie, getreu dem Motto der 1. Internationale "Die Emanzipation der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein" eine "antipolitische" Haltung einnahmen, d.h. dass sie jegliche politische Arbeit in den Institutionen des Staats konsequent ablehnten.
Diese Haltung, die sie in der Niederschlagung der Pariser Commune bestätigt sahen, setzte sich 1871 endgültig durch und führte zur Abspaltung einer autoritär- marxistischen Minderheit.
"An die Stelle der 'politischen' setzten die Anarchisten die 'direkte' oder 'antipolitische' Aktion, unter der sie ursprünglich die unmittelbare Auseinandersetzung der sich gegenüberstehenden gesellschaftlichen Kräfte (Arbeiter und Kapitalisten), das selbständige Handeln des Volkes, ohne Rekurs auf parlamentarische Vertreter, sowie - unter direktem Rückgriff auf Bakunin - die Absicht verstanden, das Endziel der sozialen Revolution 'keineswegs durch eine formale Anwendung und Verbreitung von fertigen Theorien, sondern nur durch eine ursprüngliche Tat des praktischen autonomischen Geistes' [Bakunin] zu erreichen."
Direkte Aktion ist also keineswegs mit Gewalt gleichzusetzen. Im Gegenteil wurde die Anwendung direkter Gewalt zu dieser Zeit von den allermeisten Anarchisten abgelehnt. Das bevorzugte Mittel politischer Aktion war bis 1888 - unterbrochen von dem Verbot von 1874-1881 - der politische Streik, der aber niemals rein ökonomische Ziele verfolgte, sondern bei dem es immer auch darum ging, "intellektuell und materiell eine bessere Kampfbasis gegen das Kapital" (S.14, Fussnote) zu erkämpfen, die "Maximierung der Ausgangsposition für den schliesslich unausweichlichen revolutionären Akt" zu erreichen.
Das Verbot von 1874 und das Verbot der Internationale von 1875 führte zu einer Radikalisierung der anarchistischen Bewegung. Der Weg der sich im legalen Rahmen bewegenden Streiks wurde von vielen als gescheitert angesehen. Vor allem im radikaleren Andalusien proklamierten die Landarbeiter nun die "Propaganda durch die Tat", das politische Attentat, als Mittel politischen Handelns. Trotzdem blieb das Hauptinstrument der Anarchisten weiterhin der Streik, resp. der Generalstreik.
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass es den Anarchisten in ihrem Handeln nie um die Eroberung der Macht, sondern immer nur um ihre Zerschlagung und die Etablierung der herrschaftsfreien Gesellschaft ging. Ebenfalls wichtig ist es, darauf hinzuweisen, dass es für die spanischen Anarchisten eine "niemals in Frage gestellte Grundauffassung (war), dass die soziale Revolution nicht gegen den Willen der Mehrheit erfolgen dürfte". Dies impliziert natürlich auch eine Ablehnung der leninschen Avantgardetheorie.
Zur Beantwortung der Frage, warum sich in Spanien der Anarchismus etablieren - und, im Gegensatz zu allen anderen Staaten Europas, gegenüber dem Marxismus durchsetzen konnte - referiert Bernecker zwei Erklärungsansätze. Der ältere, den Bernecker den "irrational- millenistischen" nennt, der den Anarchismus als säkularisierte Religion bezeichnet und die Entwicklung aus dem spanischen "Nationalcharakter" herleitet, braucht hier nicht erneut referiert zu werden. Er kann als bekannt vorausgesetzt werden.
Interessant dagegen ist der neuere, insbesondere von Temma Kaplan vertretene, der einen rationalen Ansatz bietet. Ihm soll hier ausführlich Raum geboten werden:
"... Kaplan beschränkt ihre Studie auf die Weinbau-Provinz Cádiz; sie weist nach, dass infolge exogener (v.a. wirtschaftlicher, handels- und steuerpolitischer) Hindernisse das auf Jerez-("Sherry"-)Handel spezialisierte Kleinbürgertum und die von sozialem Abstieg bedrohten Handwerker und Facharbeiter der Provinz in den 1860er Jahren eine populistische Allianz mit dem Agrarproletariat eingingen und in den latifundistischen Getreideproduzenten, der bourbonischen Monarchie und dem zentralistischen Staatsapparat ihre gemeinsamen Gegner sahen.
Gerade zum Zeitpunkt der "Kapitalisierung der Agrarverhältnisse" an der Umbruchstelle von feudaler zu bürgerlicher Gesellschaft drangen die anarchistischen Lehren in Spanien ein und stellten eine komplexe Verbindung zwischen dem Bestreben nach mündiger (Berufs-)Autonomie und Selbstbestimmung in "freien Kommunen" mit den institutionellen Herausforderungen von Urbanisierung und Industrialisierung her.
Die Anarchisten artikulierten ein tiefes Unbehagen der breiten Masse der Bevölkerung am sozialen Status quo und brauchten sich nicht - wie in vielen anderen Ländern - "gegen alle nationalen Traditionen" zu stellen.
'In Spanien war der Anarchismus grade ein Ausdruck föderalistischer und freiheitlicher Traditionen, die dem ganzen Volk gemein waren' (Helmut Rüdiger, El anarcosindicalismo en la revolución espanola, Barcelona 1938).
In guten Jahren jedoch, in denen der Bedarf an Erntearbeitern zunahm, hatten diese bedeutend bessere Chancen, ihre Interessen durch einen Generalstreik durchzusetzen.
Die periodischen Aufstände andalusischer Anarchisten scheinen v.a. zu Zeiten relativen Wohlergehens, bzw. guter Ernten erfolgt zu sein, als die organisierten Arbeiter ihr Potential ausspielen konnten.
Der 'rationale' Erklärungsansatz für die andalusischen Landarbeiterstreiks als bewusste Strategien kollektiven Sozialprotests verallgemeinert weit weniger als die 'millenaristische' Interpretationsrichtung. Er kann die soziale Basis der jeweiligen Protestaktion in die Analyse mit einbeziehen und deutet die Streiks als überlegte Reaktionen genau bestimmbarer sozialer Gruppen auf konkrete sozio-ökonomische Situationen."
In der Auseinandersetzung zwischen den eher "legalistisch und syndikalistisch" orientierten Anarchisten Kataloniens und den andalusischen Vertretern, die gewaltsame "revolutionäre Aktionen" befürworteten, hatten sich zwar die Syndikalisten durchgesetzt, sie war damit aber nicht beendet.
Die "Diskussion zwischen Bakuninschen Anarchokollektivisten und Kropotkinschen Anarchokommunisten fand ihre spanische Fortsetzung auf dem 2. Nationalkongress der Federación de Trabajadores de la Region Espanola (FTRE) in Sevilla (1882). ... Während die Kollektivisten den Syndikalismus, den Generalstreik und einen gewissen Grad an Zentralisierung vertraten ... lehnten die Kommunisten jegliche Organisation ab, priesen die Form der autonomen Gruppe, der individuellen revolutionären Tat und des Terrorismus".
Insgesamt setzte sich die syndikalistische Richtung durch, da sie den Industriearbeitern und den qualifizierten Agrararbeitern die Möglichkeit "kollektiver Repression in Form von Streiks" gab, während die einzige Waffe der jede Organisation ablehnenden anarchokommunistischen Landarbeiter der individuelle Terrorakt blieb.
Anfang des Jahrhunderts beschloss dann eine Gruppe militanter Anarchisten die Gründung einer Föderation der Organisationen der Arbeiterklasse. Dies führte 1907 zur Gründung der "Solidaridad Obrera" und 1910 zur Gründung der "Confederacion Nacional de Trabajo" (CNT). In den Diskussionen spielte, so Bernecker, die Analyse sozio-ökonomischer Faktoren keine Rolle. Als Vorbedingung der Revolution würden die "moralische Emanzipation", nicht exogen-ökonomische Bedingungen angesehen.
Die "Präsenz des Ziels in den Mitteln", die von den Anarchisten proklamiert wurde, führte zudem zu einer klaren Ablehnung der Diktatur des Proletariats.
Nach der Oktoberrevolution kam es vorübergehend zu einem Bündnis mit der Unión General de Trabajadores (UGT) und zum Eintritt in die "Rote Gewerkschaftsinternationale". Schon 1922 wurde dieser Schritt allerdings durch den Beitritt in der Internationalen Arbeiter Assoziation (IAA) revidiert, "deren explizites Ziel es war, den Klassenkampf zu verschärfen, gegen ein Übergreifen politischer Parteien auf die Gewerkschaften anzukämpfen, die 'Willkürherrschaft der Regierungen' zu bekämpfen, schliesslich den Kapitalismus und den Staat zu zerstören."
Während des Verbotes unter der Diktatur Primo de Riveras (1923-30) entwickelten sich in der CNT Strömungen, die bereit waren, sich mit anderen oppositionellen Gruppen zum Sturz des Diktators zu verbünden.
Um diesen entgegenzuwirken wurde 1927 - in der Illegalität – die Federación Anarquista Ibérica (FAI) gegründet, ein Zusammenschluss aus der Uniao Anarquista Portugesa (UAP), des "Nationalbundes Anarchistischer Gruppen Spaniens" und des "Bundes Anarchistischer Gruppen spanischer Sprache in Frankreich", die sich, so Bernecker, "die Reinhaltung der Lehren Bakunins zur Aufgabe machte".
1925 bereits hatte die Reorganisation der anarchistischen Gruppen im Landesinneren begonnen und zur Einsetzung eines provisorischen "Nationalkomitees" geführt, das die Unmöglichkeit der Klasseneinheit erkannte und die Rückkehr der CNT zum (reinen) Anarchismus proklamierte. Die an Bakunin angelehnte Vorstellung, dass die Revolution von den proletarischen Bauern ausgehen würde, dominierte in der CNT und fand ihren Niederschlag in der theoretischen Zeitschrift "La Revista Blanca".
Dies führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den extremen Flügeln der CNT und FAI, die bis zum Putsch der Generäle 1936 anhielten. Es kam sogar zum vorübergehenden Ausschluss einer syndikalistischen, "gemässigteren" Gruppe, die sich "Treinistas" nannten, aber auf dem Kongress in Zaragoza im Mai 1936 wieder in die CNT zurückkehrten.
Die Kongressresolution von Zaragoza war laut Bernecker die einzige von allen Fraktionen des Anarchismus und Anarchosyndikalismus getragene Entschliessung über den nachrevolutionären Gesellschaftsaufbau. In ihr ist eine Dominanz der Positionen der FAI deutlich erkennbar. Ihren Inhalt fast Bernecker folgendermassen zusammen:
Der Beginn des Bürgerkrieges traf den spanischen Anarchismus zu einem Zeitpunkt, zu dem zwar die äussere Einheit hergestellt, aber in wichtigen Fragen keine Einigkeit vorhanden war. Die internen Konflikte verschärften sich noch dadurch, dass die FAI nach Ausbruch des Burgerkrieges ihre Positionen denen der CNT zunehmend annäherte und sich dadurch neue Basisgruppen herausbildeten, die die alten Positionen der FAI vertraten.
Auf dem Kongress im Januar 1937 machte sich eine deutliche, dem Krieg geschuldete, Tendenz zu "Zentralisierung und Zusammenfassung der Kräfte"(S.32) und eine damit verbundene Aufgabe von Prinzipien "der Basisdemokratie und eigenverantwortlichen Entscheidung" in den leitenden Gremien bemerkbar, die sich auch in den nächsten Jahren fortsetzte.
"Stellte auf agrarwissenschaftlichem Gebiet der Konzeptionswandel vom Zaragoza-Kongress zur Valencia-Versammlung [Jan. 1938] den Übergang von einer libertären Wirtschaftsgestaltung zu staatsdirigistischem Interventionismus dar, so bedeutete der Prozess von der programmatischen September-Erklärung (1936) zum "Erweiterten Nationalen Wirtschaftsplenum" (1938) die Ausdehnung 'autoritärer' Organisationsschemata auf die Industrie und den inneren Aufbau der CNT."
Im April schlossen sich CNT, FAI und Juventudes Libertarias (JJLL) organisatorisch zum Movimiento Libertario Espanol (MLE) zusammen, was zu einem weiteren "Oligarchisierungsprozess" (Bernecker) der FAI geführt habe.
Mit dem Militärputsch und dem beginnenden Bürgerkrieg gerieten die Anarchisten in ein letztlich nicht lösbares Dilemma. "Entweder partizipierten die Anarchisten - mit dem Ziel, ihre revolutionären Errungenschaften zu sichern - an der Regierungsverantwortung und trugen durch ihre Intervention (entgegen ihrer Absicht) dazu bei, jene 'feindlichen' Institutionen ... zu restituieren, oder sie blieben ihren antipolitischen Prinzipien treu und verzichteten damit von vornherein auf die Möglichkeit, die allgemein-politische Entwicklung in ihrem Sinne zu beeinflussen; in der konkreten Situation des Spanischen Bürgerkrieges hätte diese letztere Alternative die kampflose Kapitulation vor dem innenpolitischen Gegner bedeutet und die Gefahr impliziert, machtpolitisch erdrückt zu werden.
Die dritte Möglichkeit - eine ausschliesslich anarchistische Machtübernahme - kam für die überwiegende Mehrheit der Anarchisten aus moralischen und machtpolitischen Erwägungen nicht in Frage..."
Obwohl in Valencia im Januar 1938 "ein Verzicht auf das angestrebte Endziel des herrschaftsfreien Kommunismus explizit zurückgewiesen wurde" , wurde gleichzeitig "die Pflicht aller Anarchisten, in all jenen öffentlichen Institutionen mitzuwirken, die dazu beitragen können, die neuen Verhältnisse zu befestigen und zu verändern" propagiert, was einer Aufgabe des antipolitischen Prinzips gleichkam.
Die Entscheidung, dem Kampf gegen die aufständischen Militärs die Priorität vor dem Vorantreiben der Revolution zu geben zwang die Anarchisten in einen "Burgfrieden" hinein, der zur Folge hatte, dass sie weder die Restauration des Staatsapparats verhindern noch die Errungenschaften der Revolution vorantreiben oder erhalten konnten.
"Colaboracionismo" und Eintritt in die Regierung führten zudem zu einem erheblichen Legitimationsverlust der leitenden Gremien an der revolutionären Basis, die sich nichts desto trotz zunehmend den "im Namen der Staatsräson und unter Berücksichtigung der aussenpolitischen Lage zusehends auch von ihren Vertretern vorgebrachten Argumenten der Mässigung und Zurückhaltung (fügte) ...
In dem Masse, in dem die Spontaneität der Massen kanalisiert und kontrolliert wurde, nahm die Revolution von ihren ursprünglichen Zielen und theoretischen Entwürfen Abstand; sie engte ihren eigenen Aktionsradius ein und erweiterte damit das Wirkungsfeld des schliesslich in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche vordringenden Staates."