Der Kampf gegen die Drogenkartelle Mexikos Cartel Land - Dokumentarfilm von Matthew Heineman
Politik
Der Kampf gegen die Drogenkartelle Mexikos bringt keine wirklichen Helden hervor, sondern nur noch mehr Verbrecher – das ist das erschütternde Fazit von „Cartel Land“. Spannend ist die Dokumentation aber dennoch und stellt auch ganz grundsätzliche Fragen über Gut und Böse, über die man gar nicht so genau nachdenken mag.
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3. November 2015
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Wie viele Leute inzwischen schon während dieses jahrzehntelangen Drogenkriegs ihr Leben haben lassen müssen, kann keiner mehr sagen. Die Regierung hat den Kampf dann auch schon längst aufgegeben, mischt teilweise sogar eifrig mit, um selbst etwas von dem Kuchen abzubekommen. Aber wo von offizieller Seite Recht und Ordnung fehlen, da bildet sich ein Vakuum, das von anderen Gruppierungen gefüllt werden muss. Zwei solcher Gruppierungen folgt Regisseur Matthew Heineman in Cartel Land. Da wäre die Bürgerwehr „Autodefensas“ rund um den Arzt José „El Doctor“ Mireles, welche nach und nach mit Waffengewalt die Kontrolle über mexikanische Gebiete zurückerobert. Und auf US-amerikanischer Seite sorgt die paramilitärische Einheit von Ex-Soldat Tim Foley dafür, dass unerwünschte Eindringlinge schnell wieder den Weg nach Hause antreten.
Über Letztere hat Heinemann nicht wirklich viel zu erzählen. Es gibt ein paar Statements, die durchaus mal krude und rassistische Gedanken verraten, ein paar grundsätzliche Überlegungen zu Recht und Unrecht. Das war es dann aber auch schon. Sehr viel ausführlicher – und interessanter – sind die Selbstjustizversuche der mexikanischen Kollegen. Über mehrere Monate sind wir dabei, wenn aus ein paar Einzelkämpfern lokale Helden werden, später eine ausgewachsene Organisation und zum Schluss etwas, von dem man gar nicht mehr so genau sagen kann, was es eigentlich ist.
Gewalt, Plünderungen, Korruption, Folter – das sind alles Begriffe, die wir mit dem verbrecherischen Kartell in Verbindung bringen. Und doch sind es eben die „Autodefensas“, also jene, die alles anders machen wollten, die irgendwann auf dieselben Methoden zurückgreifen wie ihre Gegner. Die Grenzen zwischen Kartell und Bürgerwehr, zwischen Gut und Böse, werden im Laufe der 100 Minuten immer verschwommener, was mit den Überläufern auf der einen Seite zusammenhängt, vor allem aber mit den zunehmend schmutzigen Machenschaften von Mireles' Männern.
Heiligt der Zweck die Mittel, wenn es darum geht, das Übel auszutreiben? Wann ist der Punkt erreicht, an dem mich nichts mehr von der Gegenseite unterscheidet? Diese Frage müssen sich nicht nur die „Autodefensas“ stellen, die nach einer anfänglichen Euphoriewelle durch die Bevölkerung auf mehr und mehr Ablehnung stossen. Auch der Zuschauer wird unweigerlich anfangen zu grübeln, später auch zu verzweifeln. Helden? Die gibt es hier nicht mehr, auch wenn sie noch so schöne Uniformen oder Abzeichen tragen. Und so langsam dämmert es einem, dass es in diesem Krieg nicht nur keine Aussicht auf Frieden gibt. Schlimmer noch: Dass es keinen Frieden geben kann, denn in jedem steckt ein Drogenhändler, Dieb und Mörder – sofern es die Umstände erlauben. Spannend ist das, sowohl als Gedankenexperiment wie auch konkret – einige der Szenen könnten auch aus einem „echten“ Drogenthriller wie Sicario stammen – am Ende aber auch zynisch und erschütternd.
„Cartel Land“, Dokumentarfilm von Matthew Heineman, 2015
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