1. Zwei Störenfrieden gegenüber der westlichen Welt und ihrer "regelbasierten Weltordnung"
Für die regelbasierte Weltordnung westlicher Machart und ihre sachkundigen Veranstalter, Betreuer und Verteidiger ist das kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, vielmehr willkommener Anlass zu neuen Grosstaten in Sachen Geo- und Weltpolitik. Weniger werden die Herausforderungen dadurch nicht. Und gemütlicher wird die Welt noch weniger. Grund genug, den Antworten der Macher und der Widersacher der regelbasierten Weltordnung ein wenig nachzugehen und sie einmal explizit zu Wort kommen zu lassen. Die eine oder andere historische Erinnerung empfiehlt sich hin und wieder durchaus, blickt die regelbasierte Weltordnung inzwischen immerhin auf eine seit 1945 währende "Erfolgs"-Geschichte zurück. Die, wie es heute heisst, "Autokratien" Iran und Nordkorea spielen neben Russland nicht von ungefähr von Anbeginn an bis auf heute eine prominente Rolle inmitten der regelbasierten Weltordnung; und mit Aufkommen der VR-China scheint für diese Weltordnung ernsthaft Einiges auf dem Spiel zu stehen.1.1 Störenfried Iran
Mit dem unerlaubten Staatsumsturz/"Regime Change" 1979 durch Ayatollah Chomeini und der Umpolung der persischen Staatsräson von einem mit den USA befreundeten Verbündeten und brutalen Folterstaat unter Schah Reza Pahlavi zu einem antiamerikanisch-antiwestlichen schiitischen Gottes-Staat, hat sich der Iran von heute auf morgen die dezidierte Feindschaft der USA bzw. des Westens zugezogen. Radikalisiert haben die USA diese Feindschaft umso erklärter, als der Iran speziell in Konkurrenz und Gegensatz zu den westlichen "Partnern" Saudi-Arabien und Israel Regionalmacht-Ambitionen praktisch geltend macht. Diese Ambitionen setzt der Iran mit Diplomatie und mit Proxy-Gruppen um: Hamas, Hizbollah, Houthis, Al-Qud-Brigaden, letztere lange Zeit unter Quasem Soleimani's Führung bis zur Erledigung dieses "Hurensohns" (D.Trump) durch eine US-Drohne am Flughafen in Bagdad am 2. Januar 2020. Aussenpolitisch mischt der regional ambitionierte Iran im arabischen Krisenbogen also dahingehend mit, dass er eine antisunnitisch-schiitische Achse oder Halbmond kreieren will. Und mit der Unterstützung Syriens bekundet der Iran, dass er weiterhin nicht bereit ist, sich umstandslos den von den USA erlassenen regionalpolitischen Regeln und (Benutzungs-) Vorschriften für diese Region zu fügen.Damit verletzt der Iran die globalen Interessen der Weltordnungsmacht Nr.1 an und in dieser Region. Dass Irans Atomprogramm zur friedlichen Nutzung der Kernenergie dem US-westlichen Verdacht unterliegt, sich ohne Genehmigung durch die atomare Weltsupermacht USA atomar bewaffnen zu wollen, ist somit kein Wunder. Dieser US-Regeln und Vorgaben verletzende Störenfried ist mitsamt seinen orientalisch-fremdartigen Mullah-Regimen definitiv als aussen- und welt-/geopolitischer Feind markiert, sieht sich als "Schurkenstaat" der Kapitulationsforderung der USA gegenüber und steht ganz oben auf der Abschussliste der wertegeleiteten USA. Irans ambitionierter Selbstbehauptungswille verdient deshalb ein seit 1979 erlassenes Sanktionsregime, und zwar eines Sanktionsregimes unter "maximalen Druck" (D.Trump) mit der Perspektive eines Staatsumsturzes/Regime Change von US-Gnaden: Unter anderem mit der Zielsetzung der massiven Verarmung der iranischen Bevölkerung, um den Boden eines neuerlichen, diesmal vor allem innenpolitisch vorangetriebenen Staatsumsturz zu bereiten.
Jüngere Ereignisse bestätigen den negativen Befund über den Iran und befördern die Entschlossenheit der USA, den heutigen Iran zu erledigen. Der Tod der 22-jährigen Kurdin Masha Amini bietet dabei zugleich die wunderbare Gelegenheit, die deutsche "feministische Aussenpolitik" im Zuge ihrer offensiven Einmischung ins Weltgeschehen ins Spiel und ins allgemeine Bewusstsein zu rücken, ihre moralische Erhabenheit und ihren Humanismus vor aller Welt zur Schau zu stellen, weitere Sanktionen zu erlassen und, im Wissen, dass kein Staat der Welt dem "Druck der Strasse" gewaltfrei nachgibt, Aufrufe an die Protestierenden zum "Weiter so!" zu senden:
- braucht die iranische Zivilgesellschaft, die täglich neue Massstäbe für die Definition von Mut setzt, unsere Unterstützung. Auch wenn es aktuell kaum möglich ist, Menschenrechtsprojekte in Iran selbst zu unterstützen, ist es wichtig, dass unsere Solidarität mit den Protestierenden auf Irans Strassen auch konkret spürbar wird." (A.Baerbock, 26.10.2022)2
Solch aufmunternde, den "Mut" vor Ort befördernde und "konkret spürbare" Unterstützung, die die Ukrainerinnen und Ukrainer seit dem 24. Februar 2022 ganz praktisch in den Opfergang treibt, will die feministische deutsche Aussenpolitik den Iranerinnen und Iranern gleichfalls angedeihen lassen und hat ja darin bereits einigen Erfolg zu vermelden: die Proteste und die staatliche Niederschlagung der Proteste dauern an - was wiederum die moralische Güte und den Humanismus der deutschen "feministischen Aussenpolitik" zur Anschauung bringt.
Und was leistet sich der Iran ungeachtet des "maximalen Drucks" durch das Sanktionsregime? Er liefert(e) Russland Drohnen im Ukrainekrieg. Nach der unmissverständlichen Klarstellung seitens der Weltsupermacht, dass exklusiv die USA und im Verbund mit ihr die NATO und die EU es sind, die darüber befinden wer das Recht hat, wann, wem, in welchem Umfang und von welcher Qualität Waffen zur Fortführung eines laufenden Gemetzels namens "Krieg" zu liefern, hat der Iran den Tatbestand einigermassen defensiv zugegeben:
"Bislang hatte der Iran bestritten, Russland mit Drohnen versorgt zu haben, die im Krieg gegen die Ukraine zum Einsatz kommen. Nun räumt der Aussenminister des Landes ein, man habe vor dem Krieg eine "geringe Zahl" geliefert." (Tagesschau, 5.11.2022)3
Dennoch ist zu konstatieren: In seinen Regionalmacht-Ambitionen gibt der Iran nicht nach, legt vielmehr ein aussenpolitisches Gebaren an den Tag, das grundsätzlich den USA und den in der NATO und in der EU verbündeten Wertepartnern vorbehalten bleibt:
"Vor allem der Iran mischt sich in die inneren Angelegenheiten seiner Nachbarn ein, verbreitet über Stellvertreter Raketen und Drohnen, plant Anschläge auf Amerikaner, auch auf ehemalige Beamte, und treibt ein Atomprogramm voran, das über jeden glaubwürdigen zivilen Bedarf hinausgeht." (Biden-Harris National Security Strategy, October 2022 )
Neben dem Iran macht sich ein weiterer Selbstbehauptungswille, der sich der US-geführten westlichen Welt und ihrer globalen regelbasierten Weltordnung nicht umstandslos fügen will bemerkbar und ist deshalb im Licht der westlichen Welt-Öffentlichkeit moralisch betrachtet durchwegs negativ markiert.
1.2 Störenfried Nordkorea
"Die Vereinigten Staaten sind eine Weltmacht mit globalen Interessen. Wir sind in jeder Region stärker, weil wir uns auch in den anderen Regionen engagieren ." (Biden-Harris National Security Strategy, October 2022 )4Als Weltmacht mit globalen Interessen sind die USA und die von ihr nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene regelbasierte Weltordnung global allzeit höchst verletzlich. Dementsprechend erteilten und erteilen die USA sich den Auftrag, ihre Interessen und die ihnen gemässe Weltordnung global mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu "verteidigen". Dass sich die USA als die einzig rechtmässige und exklusive Weltordnungsmacht verstehen und es aufgrund ihres nach wie vor unerreichbaren (militärischen) Gewaltpotenzials auch sind, ist somit allgemein anerkannt und gleichsam ungeschriebenes, aber geltendes Völkerrecht.
Ihre Überlegenheit in Sachen Atomwaffen ist dabei die erste und die letzte Garantie der "Freiheit", globale Interessen zu haben und diese wann und wo zu verteidigen. Jede unstatthafte Eigenmächtigkeit oder Unbotmässigkeit eines nationalen Souveräns bzw. Staates innerhalb der Völkerfamilie ist ein "Angriff" auf die Freiheit, als unantastbare Weltordnungsmacht Nr. 1 die globalen US-Weltordnungs-Interessen gegen wen auch immer durchzusetzen.
Auch in Nordostasien, in einer Region, in der sich ein anderer Störenfried eigenmächtig die Freiheit nimmt, den für diese Region von den USA erlassenen Verhaltens- und Benutzungsregeln nicht zu gehorchen. Dort hat sich Nordkorea, einmal mit Hilfe der UdSSR installiert und sowjetfreundlich ausgerichtet, dem US-Anspruch in Sachen Geschäft und Gewalt sichernder, regelbasierter Weltordnung von Anbeginn an entzogen. Das hat Nordkorea die unnachgiebige Feindschaft seitens den USA und den, von den USA auch als Stellvertreterkrieg gegen die UdSSR und China konzipierten Koreakrieg (1950-1953) mit etwa 4,5 Millionen Toten, nicht zu zählenden Kriegsverbrechen im US-Bombenkrieg gegen Nordkorea zunächst einmal eingebracht. Ein Blick in die Archive hat zum Ergebnis:
"Napalm über Nordkorea. Während in den Augen von US-Präsident Bush Nordkorea mit seinem Atomwaffenprogramm zur „Achse des Bösen“ gehört, hat sich Amerika wie selbstverständlich die Rolle des unschuldigen Riesen zu Eigen gemacht. Dabei waren es gerade die Vereinigten Staaten, die seit den 1940er-Jahren in Nordostasien immer wieder Massenvernichtungswaffen eingesetzt haben. In welchem Ausmass die US Air Force Nordkorea zerstört hat, zeigt ein Blick in die Archive." (Bruce Cumings, Le Monde diplomatique,10.12.2004)5
Ungebrochen hält Nordkorea allerdings an seinem unbotmässigen nordkoreanisch-nationalen Selbstbehauptungswillen fest, arbeitet ungeachtet aller US-Kriegs-Drohungen und Sanktionen unter "maximalen Druck" daran, diesen Willen mittels seines Atomwaffenprogramms unangreifbar zu machen; und ist so frei, der ganzen Welt, allen voran den USA, mit einem präventiven atomaren Erstschlag zu drohen:
"Nordkorea: Neues Gesetz erlaubt Kim Jong-un atomaren Erstschlag gegen „feindliche Kräfte. Machthaber Kim Jong-un kann einen atomaren Erstschlag ausführen, um „feindliche Kräfte“ zu zerstören.
Pjöngjang – Nordkorea hat per Gesetz einen atomaren Präventivschlag für zulässig erklärt. Zugleich stufte das isolierte Land seinen Status als Atomwaffen-Staat als „irreversibel“ ein, wie staatliche Medien am Freitag (9. September) berichteten [...] USA und Südkorea fordern Denuklearisierung von Nordkorea. Mit „Denuklearisierung“ meinen die USA und Südkorea den kompletten Abbau des nordkoreanischen Atomprogramms, das in den vergangenen Jahren international immer wieder für Schlagzeilen sorgte. Indem es an dem Programm festhält, nimmt Nordkorea auch harte internationale Sanktionen in Kauf, die seine wirtschaftliche Entwicklung schon seit Jahren hemmen."(FR, 9.9.2022)6
Geholfen haben die internationalen Sanktionsregime gegen Nordkorea und seine Bevölkerung bislang nicht, vielmehr ist zu konstatieren: "Die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) baut ihre illegalen (sic!) Atomwaffen- und Raketenprogramme weiter aus." (Biden-Harris National Security Strategy, October 2022 )
Anstatt also seine, auch nukleare, Kapitulationsurkunde zu unterschreiben, beansprucht Nordkoreas Selbstbehauptungswille atomar mit den USA gleichzuziehen:
"Der Ständige Ausschuss der Obersten Volksversammlung der Demokratischen Volksrepublik Korea hat am Samstag ein Dekret über die Verleihung des Titels "Held der DVRK", der Goldsternmedaille und des Ordens der Nationalflagge 1. Klasse an die Trägerrakete Nr. 321 des neuen Typs der ICBM Hwasongpho-17 erlassen, die vor der Welt eindeutig bewiesen hat, dass die DVRK eine vollwertige Atommacht ist, die sich gegen die nukleare Vorherrschaft der US-Imperialisten behaupten kann, und ihre Macht als mächtigster ICBM-Staat voll und ganz demonstriert hat.
Der Testabschuss der ICBM des neuen Typs Hwasongpho-17, der mit Stolz durchgeführt wurde, um die Würde und Souveränität unseres grossen Staates zu demonstrieren, ist ein historisches Ereignis [...]" (RODONG.REP.KP, Nov. 27,Juche 111 /2022)7
Als konsequenter Nutzniesser und Verteidiger der US-geschaffenen regelbasierten Weltordnung sieht sich auch Deutschland herausgefordert und übernimmt aussen- und weltpolitische Verantwortung, ergreift die Gelegenheit, angesichts iranischer und nordkoreanischer Widersetzlichkeit auch in diesen Regionen sich explizit zu Wort zu melden:
"Iran hat für viele seiner Nuklearaktivitäten keine Rechtfertigung [...] Diese Konferenz sollte ausserdem Einigkeit in der Ablehnung der schwersten Verletzung des NVV demonstrieren: Nordkoreas Kernwaffenprogramm. Dies bedeutet, sich entschieden für eine vollständige, verifizierbare und unumkehrbare Denuklearisierung der nordkoreanischen Halbinsel einzusetzen." (A.Baerbock, Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie, 18.03.2022)8
Indem die Störenfriede Iran und Nordkorea sich nicht umstandslos fügen, verletzen sie den Anspruch der Weltordnungs- und Weltaufsichtsmacht USA, ihre globalen Interessen und der von ihr geschaffene regelbasierten Weltordnung in jeder Region der Erde unwidersprochen Geltung und praktisch wirksame Beachtung zu verschaffen:
"Wenn eine Region im Chaos versinkt oder von einer feindlichen Macht beherrscht wird, wirkt sich dies nachteilig auf unsere Interessen in den anderen Regionen aus."(Biden-Harris National Security Strategy, October, 2022)
Darüber hinaus eröffnen der Iran und Nordkorea mit ihrer jeweiligen Beanspruchung und Nutzung der Atomenergie die heisse Nuklearwaffen-Frage. Und diese Frage geht zuallererst die USA etwas an, ruht ihre bislang unangefochtene welt- und geopolitische Dominanz auf ihrer atomaren Dominanz: auf der Fähigkeit, zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt auf jeder Eskalationsstufe den atomaren Schlagabtausch so zu führen, dass der nuklear bewaffnete Gegner gewiss sein kann, in einem atomaren Krieg zu unterliegen: das Nuklear-Waffen-Ideal des "Global First Strike" und der "Full Spectrum Dominance" haben bislang nur die USA wahrgemacht; und sie bestehen im Interesse der globalen Geltung ihrer regelbasierten Weltordnung darauf und tun weltweit alles dafür, dass diese ihre atomare, durch alle Eskalationsstufen hindurch überlegene Suprematie und Verfügungsfreiheit in aller Asymetrie niemals durch wen auch immer relativiert wird.