Weder die westliche Wertegemeinschaft, noch China, noch Russland, noch die untereinander konkurrierenden Golfmonarchien, auch nicht der Iran, haben ein Interesse daran, dass Israels Kompromisslosigkeit bei der Exekutierung und kontinuierlichen Radikalisierung seines Ausrottungskrieges früher oder später einen "Flächenbrand" auslöst. Etwa dann, wenn es im Zuge seines ausgreifenden Ausrottungskrieges zugleich seinen nie aufgegebenen "Gross-Israel"-Anspruch31 weiter vorantreibt. Und dergestalt die Interessen nicht nur des Irans, sondern auch die seiner Nachbarn derart tangiert, dass diese zum Schluss kommen, es liege nunmehr eine nicht mehr hinzunehmende Bedrohung oder reale Verletzung ihrer Interessen und ihrer nationalen Würde und Ehre vor. Deshalb: "Vor allem aber setzen wir alles daran, dass aus diesem Überfall kein Flächenbrand mit unkalkulierbaren Folgen für die ganze Region wird." (O.Scholz, 8.10.2023)32
Ein "Flächenbrand", der den bislang insgesamt unter US- und US-lizensierter israelischer (Mit-) Vorherrschaft relativ stabilen Nahen und Mittleren Osten ausser Kontrolle geraten lässt und andere Akteuren wie Russland oder China nachhaltig ins Spiel bringt, verbietet sich, so die nuklear gestützte US-Drohung. So sehen es auch die deutschen und europäischen Wertepartner. Telefonate, ausgedehnte diplomatische Reisetätigkeiten und Aktivitäten begleiten und unterstreichen diese Klarstellung - auch, um etwaigen weitergehenden strategischen Allianzen von beispielsweise eben Russland und insbesondere Chinas Hindernisse in den Weg zu legen.
In dieser Frontstellung der westlichen Wertegemeinschaft mit ihrem Vorposten-Frontstaat Israel in der Region versteht es sich von selbst, dass auch und gerade Deutschland als Führungsmacht eines Europas mit geo- und weltpolitisch weitreichenden Ansprüchen gegenüber den USA, Russland und China sich an vorderster Front mit einbringt.
Das geschieht unter Berufung auf Deutschlands "historische Verantwortung" in der Form: "Israels Existenzrecht ist deutsche Staatsräson." Diese Staatsräson nimmt den israelischen Gewalteinsatz mit seinen möglicherweise unkalkulierbaren Konsequenzen zum Anlass, im Nahen und Mittleren Osten regional- und geopolitische Verantwortung zu übernehmen. Nicht zuletzt auch wegen des standortpolitischen Gebotes, sich die fossile und grüne Energielieferung aus der Region zu sichern und diversifizierend weiter auszubauen.
Ein unkalkulierbarer Flächenbrand in Folge Israels Kompromisslosigkeit zeitigte womöglich verheerende Folgen für Deutschlands und Europas ökonomischen Standort-Imperialismus. Ohnehin beschert die antirussische Sanktionspolitik dem deutschen und dem europäischen Standort-Imperialismus seit längerem einige ungewollte ökonomische Konsequenzen. Also: unbedingte Parteinahme für Israels erfolgreich abgewickelten Gewalteinsatz, aber ohne Flächenbrand-Ausweitung. Deshalb gilt der kategorische Imperativ: "In diesen Tagen sind wir alle Israelis." (A.Baerbock, 14.10.2023)33
Dieser kategorische Imperativ muss den verblüfften Menschen in der westlichen Wertegemeinschaft erst einmal vermittelt werden. Da ist nach Innen einiges an Klarstellungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Die politische Apologie der Gewalt
"...dass das Desinteresse an der Erklärung der Kriegsgründe einem moralischen Bewusstsein folgt, dass mit seiner Parteilichkeit für den Angegriffenen alle möglichen Gründe dafür in Anschlag bringt, dass dieser Krieg geführt werden muss." (N.Wohlfahrt/J.Schillo, Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch)34Die politisch geforderte Parteilichkeit für den israelischen Ausrottungskrieg ist zuallerst eine "Apologie der Gewalt." (G.Sorel, 1908)35 Eine Apologie der gerechten Gewalt des absolut Guten gegen das absolut Böse im Dienste der Menschlichkeit und Menschheit gegen die Barbarei der Finsternis, gegenwärtig verkörpert im islamischen Widerstand Hamas. Eine Apologie der guten Gewalt, die nur das Gute will, gegen die in der westlichen Sichtweise unerlaubte, also ungerechte, also verwerfliche, verachtens- und verdammenswerte Gewalt des islamischen Widerstandes Hamas. Ungeachtet der eigentlich älteren Einsicht:
Dass die Gerechtigkeit nicht zum Begriff des Krieges gehört, ist seit Grotius im allgemeinen anerkannt. Die Konstruktionen, die einen gerechten Krieg fordern, dienen gewöhnlich selbst wieder einem politischen Zweck. (C.Schmitt, der Begriff des Politischen, München, 1932: 37)
Die politischen Führern der westlichen Wertegemeinschaft hingegen verleihen dem israelischen Gewalteinsatz den Ehrentitel eines gerechten Gewalteinsatzes; und verlangen von den ihnen jeweils unterstellten Völkerschaften, eine prinzipiell bedingungs- und distanzlose Haltung zu Israels als "Existenzsicherung" und "Recht auf Selbstverteidigung" firmierte Ausrottungskrieg widerspruchslos zumindest praktisch einzunehmen. Deutschland tut sich dabei und in einem gewissen Gegensatz zu Frankreich und der EU in Sachen bedingungs- und distanzlose Haltung besonders hervor.
Grundsätzlich aber gilt: Die Parteinahme für Israels Gewalttätigkeit ist dadurch unter Beweis zu stellen, dass jeder Meinungsäusserung, schier jedem Satz in Wort und Schrift die moralische Verurteilung und Verachtung der Hamas als einer "Terror"-Organisation voranzustellen ist. Gegebenenfalls auch unter Strafandrohung: "Es braucht einen Knallhart-Kurs gegen Juden- und Israel-Hasser mit Konsequenz und Härte.“ (CSU-Landesgruppenchef Dobrindt, 15.10.2023, Bild.de)36 Wie es heisst: "Wer gegen Israel hetzt, soll mit mindestens sechs Monaten Haft rechnen müssen, Antisemitismus soll dafür als besonders schwerer Fall der Volksverhetzung eingestuft werden." (vgl. Ebd.)
Als sei eine auch nur gewisse Distanz zum von Israel praktizierten Gewalteinsatz und der dazu notwendigen konkreten Kriegsführung vor Ort dasselbe wie eine Feindseligkeit gegenüber Menschen jüdischer Herkunft. Die sind auch im Staat Israel, ihm als als Volk subsumiert, nichts anderes als dessen lebendige (Staats-) Säule. Und werden dementsprechend von der israelischen Staatsräson in Anspruch genommen und verpflichtet, im Frieden wie zu Kriegszeiten.
Jedenfalls gebietet die "unverbrüchliche Freundschaft" zu Israel die grundsätzliche Parteinahme für Israels "gerechten" Gewalteinsatz und erfordert eine Apologie dieser Gewalt durch die politischen Führer der westlichen Wertegemeinschaft:
Denn das gehört auch dazu, dass wir in der Art und Weise klar sind, zu sagen: Israel hat jedes (sic !!) Recht, sich zu verteidigen. (O.Scholz, 19.10.2023)37 Mithin:
»Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten...Und deshalb kann man sicher sein, dass die israelische Armee auch bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Da habe ich keinen Zweifel.« (O.Scholz, 27.10.2023)38
Das sehen Frankreich und die EU zum Teil etwas anders: "There is of course no doubt that many actions carried out on 7 October by Hamas were was crimes; however, as I told my Israelis interlocutors, one horror cannot justify another." (J.Borell, 21.11.2023)39
Unübersehbar liegt vor aller Augen der gesamten Weltöffentlichkeit aber die alltägliche Realität der israelischen Kriegsführung offen zutage. Das verarbeitet und kommuniziert die westliche politische Apologie der Gewalt dahingehend, dass das unübersehbare "Leid" der Palästinenser offensiv und ostentativ hervorgehoben und ins Blickfeld speziell der westlichen Öffentlichkeit gerückt wird. Und zwar nicht als gewolltes und bezwecktes Resultat der israelischen Kriegsführung. Die ist ent-schuldigt und hat inmitten des israelischen Bombenkriegs gegen die palästinensische Zivilbevölkerung als Erlösung, als eine Befreiungstat, als ein Befreiungskrieg Israels für die Palästinenser vom Joch der islamischen Widerstandsbewegung Hamas zu gelten:
Der Tod und das Leid, das jetzt über (sic!!) die Menschen im Gazastreifen kommt (sic!!), sind schlimm (sic!!). Und das Leid der Zivilbevölkerung jetzt im Krieg ist eine Tatsache, eine fürchterliche Tatsache. Jedes tote Kind ist eines zu viel." (R.Habek, 2.11.2023)40
Das Leid und die Not der Zivilbevölkerung im Gazastreifen werden (sic!!) eher noch wachsen. Auch dafür trägt die Hamas mit ihrem Angriff auf Israel Verantwortung....schliesslich kursieren im Internet und in den sozialen Medien antisemitischer Hass und Hetze, die Israel für die Angriffe verantwortlich machen. Dazu sage ich: Das ist Täter-Opfer-Umkehr der perfidesten Art (O.Scholz, 12.10.2023)41
Die Situation (sic!!) in Gaza ist furchtbar. Die Zivilbevölkerung dort leidet, die Zivilbevölkerung, die zum Teil von der Hamas daran gehindert wird, diese Orte zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen, weil sie als menschliche Schutzschilde gebraucht und missbraucht wird. Gleichzeitig bleibt es fortgesetzt dabei, dass die Hamas auch im Schutze dieser Zivilisten ihre Terrorangriffe und ihren Kampf gegen Israel fortsetzt.
Deswegen (sic!!) ist das eine so furchtbare Situation. Das Leid der Zivilbevölkerung ist schwer ermesslich, um nicht zu sagen unermesslich. Gerade daher (sic!!) gilt es auch, immer wieder (!!) darauf hinzuweisen, dass es ein Krieg Israels gegen die Hamas ist, aber nicht ein Krieg Israels gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser. So schwer das oft zu trennen zu sein scheint, ist das eine Situation, in der wir differenzieren (!!) müssen... Die Situation ist wahnsinnig komplex und wahnsinnig schwierig. (Auswärtiges Amt, Regierungspressekonferenz, 15.11.2023)42
Diesselbe Kriegsmoral und Kriegspropaganda auf US-Amerikanisch:
Like so many others, I'm heartbroken by the tragic (sic!!) loss of Palestinian life, including the explosion at the hospital in Gaza, which was not done by the Israelis. We mourn every innocent life lost. We can't ignore the humanity of innocent Palestinians who only want to live in peace and have an opportunity. (Biden, 19.10.2023)43
In der westlichen Wertegemeinschaft versteht es sich von selbst, dass das journalistische Ethos darin besteht, für die (Rechts-) Ansprüche der Nation nach Aussen und ihre erfolgreiche Durchsetzung in der imperialistischen Standort- und Staatenkonkurrenz ohne Wenn und Aber so pluralistisch wie kritisch-konstruktiv Partei zu ergreifen. Ist der Ernst der Stunde einer "glaubwürdig kriegstüchtigen Nation" (B.Pistorius, Bundeswehrtagung 10.11.2023) da; haben sich die Regierungsverantwortlichen dazu entschieden, als unmittelbare Kriegspartei an der Seite Israels bei der Ausrottung der Hamas mitzuhelfen und mitzuwirken; dann ist staatlicherseits eine politische Apologie der einen, der guten und gerechten, der israelischen Gewalt geboten. Dann schlägt auch hier, wie seit eh und je in der westlichen Wertegemeinschaft, die Stunde der massenmedialen Apologie der Gewalt. Derzeit akut die massenmediale Apologie für die der Gerechtigkeit und dem "Recht auf Selbstverteidigung" dienende Gewalt der israelischen Armee und Soldaten.