Die massenmediale Apologie der Gewalt geschieht zum Einen in der gekonnten Übersetzung des von der Politik bestimmten Feindes in einen öffentlich-bedrohlichen Feind; und den bildhaft-anschaulich aufbereitet in den gleichsam privat-persönlichen Feind eines jeden einheimischen Landesbewohners: eines Feindes von "uns allen, von Dir und mir". Die Hamas ist demnach ein ebenso zu vernichtendes "Scheusal" (C.Schmitt) wie die "russischen Orks" (A.Melnik, ehemaliger ukrainischer Botschafter in Deutschland).
Zum anderen ist öffentlich zu kommunizieren, dass Israels ausufernde Gewaltanwendung nur seinem völkerrechtlich verbrieften "Recht auf Existenzsicherung und Selbstverteidigung" dient. Seine Kriegsführung ist so betrachtet nichts als die Verwirklichung des jus ad bellum, des gerechten Krieges. Dieses Narrativ und diese Sichtweise von Seiten der politischen Führer der westlichen Wertegemeinschaft in die Welt gesetzt und von den westlichen Leitmedien befolgt und öffentlich kommuniziert gelingt bislang so gut, dass sich etwaige Distanz zum Ausrottungskrieg im Gazastreifen in engen Grenzen hält.
Zum Dritten bestätigt sich die massenmediale Apologie der gerechten Gewalt gegen die ungerechte Gewalt darin, dass die westlichen Leitmedien ganz gemäss der politischen Apologie der Gewalt das "Leid" der palästinensischen Zivilbevölkerung tagtäglich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken und per entsprechende Sprachkonstruktionen und Sprachregelungen die israelische Kriegsführung unter Hinweis auf "the battle against the bloodthirsty monsters" (Netanyahu) ent-schuldigen. Damit diese Ent-Schuldigung auch sicher gelingt, hat die ARD den Redakteuren und Kriegsberichterstattern ein 44-seitiges Sprachregelungs-Glossar "zur internen Nutzung" dringend nahegelegt. Unter anderem mit der redaktionell-journalistischen Anweisung: "Wie bereits von der Chefredaktion festgelegt, sollten wir nicht euphemistisch von Hamas-„Kämpfern“, sondern von Terroristen schreiben und sprechen."44 So ist der mit allem moralischen Furor betriebenen Entmenschlichung und Entrechtung der Hamas als "menschliche Tiere" oder palästinensischen Orks, als eine im Grunde terroristische Mörder- und Verbrecherbande, der Weg bereitet.
Das ergibt, nicht nur zu Zeiten des Stellvertreterkrieges gegen die Ukraine:
Es macht schier fassungslos, in welcher Geschwindigkeit sich ein Denken breit macht, das den Feind besiegen, das Militär als Mittel der Feindvernichtung aufrüsten und das nationale Interesse an der Feindbekämpfung stärken will. ((N.Wohlfahrt/J.Schillo, Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch: 7)
Dennoch: Angesichts der wachsenden Distanz und Kritik der regionalen Akteure vor Ort und des Globalen Südens zur israelischen Kriegsführung einschliesslich eines immer noch möglichen Flächenbrandes; und angesichts des wachsenden Einflusses der BRICS-Staaten im Nahen und Mittleren Osten empfiehlt es sich bislang mit Ausnahme von Deutschland zunehmend zu betonen:
The military strategy of Israel has to abide by international law, including the law that seeks to avoid, to every extent possible, the death and su?ering of civilians. Cutting o? water, food, electricity and fuel to an entire besieged civilian population is not acceptable. The scale of the bombing is also extremely concerning. (Borell, 15.11.2023)45
Der israelische Ausrottungskrieg gegen die islamische Widerstandsbewegung Hamas, die israelische Entschlossenheit, den Palästinensern im Gazastreifen, im Westjordanland, auf den Golanhöhen und als Diaspora verstreut in der gesamten Region eine nachhaltige Lehre zu erteilen, hat die israelische Kriegsführung in den Blick der gesamten Weltöffentlichkeit gebracht. Nicht ganz zu Unrecht.
Die Kinder des Lichts erschaffen einen palästinesischen Trauma-Ozean
This is a struggle between the children of light and the children of darkness, between humanity and the law of the jungle. (Netanyahu, 16.10.2023)46We are raining down hellfire on Hamas...against the bloodthirsty monsters who have risen up to destroy us. (Netanyahu, 25.10.2023)47
IDF spokesperson R Adm Daniel Hagari made the startling admission that “hundreds of tons of bombs” had already been dropped on the tiny strip, adding that “the emphasis is on damage and not on accuracy” (The Guardian, 10.oct.2023)48
Den Organisatoren der "Operation Al Aqsa-Flut" vom 7. Oktober war ihre restlose militärische Unterlegenheit gegenüber der israelischen Hausherren- und Besatzungsmacht und ihrer Kriegsmaschinerie von Anbeginn an klar. Das teilt sie mit allen palästinensischen Erhebungen, Aufstands- oder Befreiungsversuchen aus ihrem palästinensischen "Freiluftgefängnis" (M.Lüders, 15.05.2018)49 vor ihnen. Davon, "....den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen...den Gegner niederzuwerfen und dadurch zu jedem ferneren Widerstand unfähig zu machen" (Clausewitz, 1832),50 konnte auf palästinensischer Seite nie die Rede sein.
Dass die Hamas es dennoch wagte, die in jeder Hinsicht überlegene israelische Militärmaschine herauszufordern und die Operation Al Aqsa-Flut, "the day tof the gratest batttle to end the last occupation and the last apartheid regime on earth" (Mohammed Deif, 7.10.2023)51 zu starten, hat allem voran diesen übergeordneten, regional- und geopolitisch relevanten Grund: Netanyahu präsentierte am 22. September 2023 in einer Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen seine Vision einer grundsätzlichen Neugestaltung des Nahen und Mittleren Ostens. Darin figuriert Israel als die vorherrschende Aufsichts- und Grenzziehungsmacht in der Region, die weitere Annäherung zwischen Israel, Saudi-Arabien und den arabischen Nachbarn wird in Aussicht gestellt. Und den Palästinensern kommt bei dieser Neugestaltung des Nahen und Mittleren Ostens kein Vetorecht zu. Das ist auch nicht mehr nötig, denn, wie auf der der Weltöffentlichkeit vorgestellten Landkarte ersichtlich, existieren die Palästinenser nicht mehr: Israels Hoheitsgebiet erstreckt sich über das ganze bisherige palästinensische Gebiet.52
Diese Endlösung der Palästinenser-Frage will die Operation Al Aqsa-Flut unterm Schlachtruf "enough ist enough" (Mohammend Deif, 7.10.2023) verhindern. Das in der vagen Hoffnung, nun müsste sich aber definitiv die arabisch-muslimische Nachbarschaft einschliesslich der iranisch initiierten regionalen "Achse des Widerstandes" gegenüber (Gross-) Israels Anspruch, als die entscheidende Aufsichts- und Grenzziehungsmacht zu gelten, zusammenschliessen und über einen Flächenbrand in der Region, Israel vom Thron stossen und so der palästinensischen Sache dienen.
Eingetreten ist Gegenteiliges. Nicht nur blieb auch die erneute Ausrufung des "Tages des Zorns" durch die Hizbollah53 ohne jeden substanziellen Widerhall. Und der Ruf der islamischen Umma: "Ihr muslimischen Armeen! Die Helden Palästinas haben das Konstrukt des Feindes in seinen Grundfesten erschüttert, so eilt ihnen zu Hilfe, um es endgültig zu zerstören!" (22. Rabial-Auwal 1445 n. H. 7. Oktober 2023, Kalifat.com)54, verhallt ohne Antwort. Vielmehr haben Israels Kompromisslosigkeit, die Nuklearwaffen gestützte Abschreckungsdrohung durch Israels Schutzmacht USA, sowie die so gut wie vorbehaltlose, auch praktische Solidarität durch die westliche Wertegemeinschaft selbst den Iran und die Hizbollah beeindruckt.
Statt des von der Hamas erhofften Flächenbrandes startete Israel mit der Operation "Swords on Iron" seinen Ausrottungskrieg gegen die Hamas, der zugleich den Palästinensern in Gazastreifen, im Westjordanland, auf den Golanhöhen und als Diaspora in der Region verstreut, ein für allemal eine Lehre erteilen will: "We always said, 'Never Again'. Never Again' is now.” (Netanyahu, 28.October 2023).55 Die Palästinenser, vor allem die palästinensischen Kinder und Jugendlichen sollen begreifen, dass jegliches Aufbegehren gegen Israels angestammtes innerstaatliches Hausherren- und Besatzungsrecht in Zukunft einem kollektiven Selbstmord gleichkommt. Für den Sieg im Ausrottungskrieg und für den zu erteilende Lehrunterricht sorgt die Israelische Armee natürlich auf diese Weise: “The IDF is the most moral army in the world; the IDF does everything to avoid harm to non-combatants..." (Netanyahu, Ebd.)
Das von den "Kindern des Lichts" für den Endsieg und für die Lehrstunde zu exekutierende Unternehmen, auf den "feindlichen" Gazastreifen ein "Höllenfeuer herabregnen zu lassen" (Netanyahu); unter der Betonung, es komme dabei "nicht auf Präzision, sondern auf Zerstörung an" (IDF-Sprecher Hagari), eröffnet eine Kriegskunst und Kriegsführung, die mit Vollblockade des Gazastreifens, mit Bombardierung und darauf folgender Bodenoffensive die israelische Endlösung der Palästinenser-Frage zum nachhaltigen Abschluss bringen will.
Die Erklärung, bei diesem "Job" (Netanyahu, CBS-Interview, 17.11.2023)56 käme es darauf an, "To avoid civilian casualties as much as possible...We are trying to do that, but unfortunately we are not succeeding. Every civilian death is a tragedy." (Netanyahu, ebd.), dient der für die Weltöffentlichkeit bestimmten Kriegspropaganda, dass es beim israelischen Gewalteinsatz einschliesslich der Bombardierung des "feindlichen Gazastreifens" vornehmlich auch um die Vermeidung ziviler Opfer gehe.
Mit dem israelischen Versprechen, die Hamas vom Erdboden zu tilgen, den Gazastreifen in Schutt und Asche zu legen, "to turn them into rubble", Netanyahu, 8.10.2023), in ihn eine Ruine zu verwandeln, "we will turn it into a ruin" (Netanyahu, ebd), hat das nichts zu tun. Gerade die Enge des Raums, die der Gazastreifen ist, eröffnet der israelischen Luftwaffe die aussergewöhnliche Gelegenheit, beiden Kriegszielen: der Ausrottung der Hamas und der Erteilung einer nachhaltigen Lehrstunde für die Palästinenser erfolgreich näher zu kommen. Ziel der Bombardierung einer Stadt oder einer dichtbevölkerten Raumfläche wie des Gazastreifens ist, möglichst viele zivile Opfer zu erzeugen: allem voran Kinder, Frauen, Alte, Schwache, Fliehende, (zivile) Wohngebiete, Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur, Schutzräume und sonstige Zufluchtsorte und Fluchtwege über oder unter der Erde:
Beim Bombardement aus der Luft wird die Beziehungslosigkeit des Kriegsführenden gegenüber dem Boden und der auf ihm befindlichen feindlichen Bevölkerung absolut...das Flugzeug kommt angeflogen, und wirft seine Bomben auf den Boden ab; der Tiefflieger lässt sich zum Boden herab und steigt wieder auf; beide üben ihre Vernichtungsfunktion aus und überlassen dann sofort diesen Boden mit allem, was sich an Menschen oder Sachen darauf befindet, seinem Schicksal, d.h. den Machthabern des Bodenstaates. (C.Schmitt, 1955)57
Die Kriegsführung der gezielten Bombardierung einer Stadt oder eines dichtbevölkerten Raums wie des Gazastreifens ist, kriegslogisch und kriegstechnisch gesehen, die bewusste Erzeugung eines Blutbades, eines Massakers: der mittels Bombardierung bewussten, massenhaften Tötung von Zivilisten und des Einsatzes von massenhafter Traumatisierung als Kriegswaffe. Eben die Verwandlung des palästinensischen Lebens oder Überlebens in eine Zweite Nakba, in einen unvergleichlichen und unvergesslichen "Trauma-Ozean".58 Ziel der israelischen Kriegsführung mit der Bombardierung des Gazastreifens ist neben dem bewusst herbeigeführten Massaker an den Überlebenden das zu vollziehen: "ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmass, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde." (ICD-10 Code, F43.1)59 Bewusste Erzeugung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS), den überlebenden Palästinensern ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Mit anderen Worten:
Und dann ist da noch das Trauma. Wenn die Kämpfe aufhören, werden die Kosten für die Kinder und ihre Gemeinden noch über Generationen hinweg zu tragen sein. Vor der jüngsten Eskalation wurde festgestellt, dass mehr als 800 000 Kinder in Gaza - drei Viertel der gesamten Kinderzahl - psychische und psychosoziale Unterstützung benötigen. Das war vor diesem jüngsten Albtraum. (unicef-Sprecher James Elder, 31.10.2023)60
Der Luftwaffe der IDF ist es im Rahmen der Operation "Swords on Iron" nach eigenen israelischen Angaben gelungen, innerhalb der ersten Woche der Bombardierung des Gazastreifens soviel Bombenlast abzuwerfen, wie die USA in einem Jahr ihres 20 Jahre währenden Bombardements Afghanistans und der afghanischen Bevölkerung (Weltwoche, 14.10.2023)61
Das ergibt nach 2 Monaten Bombardierung des gesamten Gazastreifens und der nun auch im Süden eröffneten Bodenoffensive Stand, 5.12.2023:
Killed: At least 16,248 Including at least: 7,112 children, 4,885 women, Injured: At least 43,616, Including at least , 8,663 children, 6,327 women, Missing: At least 7,600 )62
Entlang der der zivilisatorischen westlichen Wertegemeinschaft wohlbekannten Militärdoktrin: der Erzeugung von "Angst und Entsetzen" ("Shock and Awe") in der Zivilbevölkerung, hat es die Operation "Sword on Iron" einschliesslich ihrer KI-gesteuerten, "Gospel" ("Evangelium") genannten "Bombardierung-Zielerfassung" und maschinell vorausberechneten "zivilen Opfererfassung" als "A mass assassination factory"63 bislang dahin gebracht: "Der Gazastreifen ist zu einem Friedhof für Tausende Kinder geworden. Für alle anderen ist es die Hölle auf Erden." (unicef-Sprecher James Elder, 31.10.2023)
Die westliche Parteinahme für das Massaker
Wohin gehört Deir YassinIn meinem Kopf?
Es gehört zu Guernica
Und zum Warschauer Ghetto
Es gehört zu Lidice
Und zu Oradour
Es gehört zu My Lei
Und zu Bin-Du-Ong in Vietnam
(E.Fried, Höre Israel!, 1974)64
"Wir weigern uns, den Palästinensern das anzutun, was andere unseren Eltern angetan haben. Israelische Kriegsdienstverweigerer." (zit. in: E.Fried, Ebd.: 14)
Die westliche Parteinahme für ein Blutbad, für ein Massaker und die Anrichtung eines Massakers mit dem "modernen Vernichtungsmittel der Bombardierung" (C.Schmitt) hat spätestens seit Hiroshima und Nagasaki Tradition. Die Verurteilung nicht bestellter, unerwünschter, also unerlaubter Massaker ebenso. Die Kritik Israels und der westlichen Wertegemeinschaft am von der Hamas am 7. Oktober veranstaltetem Blutbad gilt nicht dem begangenen Blutbad an sich. Vielmehr: Weil es ein unerlaubtes, ein unbestelltes Blutbad ist.
Zwar gilt fraglos auch und gerade für das von Israel seit dem 7. Oktober vor den Augen der Weltöffentlichkeit KI-gesteurtem Bombardement des gesamten Gazastreifens zur Ausrottung der Hamas und dem Lehrunterricht für die überlebenden Palästinenser im Gazastreifen wie in der ganzen Region:
Der Bomben- oder Tiefflieger gebraucht seine Waffe gegen die Bevölkerung des feindlichen Landes vertikal wie der heilige Georg seine Lanze gegen den Drachen gebrauchte. Indem man heute den Krieg in eine Polizeiaktion gegen Störenfriede, Verbrecher und Schädlinge verwandelt, muss man auch die Rechtfertigung der Methoden dieses “police bombing" steigern. So ist man gezwungen, die Diskriminierung des Gegners ins Abgründige zu treiben...(C.Schmitt, Der Krieg der modernen Vernichtungsmittel, 1955)65
Andererseits verbittet sich Israel in Erinnerung an die von den USA, der NATO und der westlichen Wertegemeinschaft insgesamt begangenen Massaker jegliche Kritik an seinem nun 2 Monate währenden Massaker im Gazastreifen:
"Ich sehe, wie andere gekämpft haben – nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern auch gegen ISIS, im Irak und in Afghanistan. Ich denke, dass die Belehrungen gegenüber Israel falsch sind. Sie sind falsch und oft heuchlerisch.“ (Netanyahu-Interview, 28.11.2023)66
Immerhin: Die USA haben Israel schon mal "Smaller Bombs"67 angeboten, damit das Massaker gegebenenfalls mit etwas mehr Beachtung des "Humanitären (Kriegs-) Völkerrecht" bis zum Sieg weitergehen kann.