Vor hundert Jahren lockte der aufständische Pancho Villa freiwillige „Gringos“ über die Grenze nach Mexiko mit dem Versprechen „Gold and Glory“: Reite mit Villa, dem Befreier Mexikos. Viva la revolución.
Es war derselbe Pancho Villa, der die USA erstmals in der Geschichte auf ihrem eigenen Territorium angriff: Er drang ganze drei Kilometer nach New Mexico ein, überfiel das Städtchen Columbus und erbeutete Waffen. Die Operation endete für ihn allerdings in einem militärischen Desaster, das er zwar überlebte, viele seiner Männer aber nicht.
Washington schickte circa 100.000 Soldaten über die Grenze, um Pancho Villa festzusetzen. Nach einem erfolglosen halben Jahr zogen sich die US-Truppen wieder zurück. Ohne in Mexiko-Stadt einzumarschieren, wie sechs Jahrzehnte vorher, als Mexiko fast die Hälfte seines Staatsgebietes[1] an die USA verlor.
Umkämpft war diese 3.144 Kilometer lange Grenze schon immer.
The times, they are a-changin': Heute verspricht der neue Mann im Weissen Haus seiner Nation „Gold and Glory“, Arbeitsplätze und Grösse. Dafür reitet er gegen Mexiko, gegen den armen Nachbarn im Süden, der schon mit der eigenen schwachen Regierung zu kämpfen hat. Trotzdem hört man „Viva la revolución“ höchstens mal von Salon-Revoluzzern als Trinkspruch beim Mezcal-Margarita. Denn viel zu viele Fronten hätte solch eine Revolution:
- gegen die eigene Regierung
- gegen den neuen Protektionismus im Norden
- gegen das organisierte Verbrechen im eigenen Land
- gegen den fehlenden Gemeinsinn
- gegen die korrupte politische Klasse
- gegen die unfassbar reiche Oberschicht, die extreme Ungleichheit
- gegen den Fatalismus.
Vorherrschend sind in Mexiko in Zeiten Trumps Angst und Verunsicherung. Mexikos Anhängigkeit
Selbst angesichts der Trumpschen Drohungen und Bedrohungen bleibt das Land schwach. Es fängt beim Präsidenten Peña Nieto an: Mit nur 12 Prozent Zustimmung zu seiner Arbeit ist er der historisch unbeliebteste Staatschef, den die Vereinigten Mexikanischen Staaten (offizieller Name) je hatten. Gegenüber der Schlange Trump wirkt er wie ein verschrecktes, erstarrtes Kaninchen. Dass in anderthalb Jahren ein neuer Präsident gewählt wird, ist auch kein Hoffnungsschimmer. Im Gegenteil, der Wahlkampf hat bereits begonnen und lähmt die Gesellschaft, statt sie zu einen.
Zwar versucht Peña Nieto, dem „America First“ des Donald Trump ein „México primero – Mexiko zuerst“ entgegenzusetzen. Aber viel zu spät, Jahrzehnte zu spät, soll sich Mexiko neue Absatzmärkte suchen. Etwa bilaterale Abkommen mit Partnern des bislang geplanten Transpazifischen Freihandelsvertrags TPP abschliessen, des TPP also, das Trump als erste Amtshandlung beerdigt hat.
Es rächt sich die vielschichtige Abhängigkeit Mexikos von den USA, die sich nicht nur in den Exporten zeigt, welche zu gut 80% Prozent gen Norden gehen.
Die wichtigsten Deviseneinnahmen?
- Erdöl: wird billig an die USA verkauft und in Teilen teuer als Benzin zurückgekauft.
- Industrieprodukte: Einzelteile kommen aus dem Norden, werden von billigen Arbeitskräften zusammengebaut und zurückgeschickt.
- Remesas: Das an ihre Familien daheim überwiesene Geld der Migrantinnen und Migranten, ob mit oder ohne Dokumente, lindert wenigstens etwas Armut in Mexiko.
Hassliebe zum Nachbarn im Norden
Bleibt als wichtige Einnahmequelle der Tourismus: Aus den USA waren in den letzten Jahren immer weniger Reisende gekommen, die labile Sicherheitslage im Drogenkrieg schreckte ab. Durch den Trump-Effekt auf den Peso, der gegenüber dem Dollar billig geworden ist, werden vor allem in Nordmexiko im Moment wieder mehr Menschen über die Grenze gelockt. Sie können hier günstig feiern, zum Arzt oder Schönheitschirurgen gehen und einkaufen.Es rächt sich zudem die devote Hassliebe, die Mexikanerinnen und Mexikaner seit Jahrzehnten, wahrscheinlich seit dem verlorenen Krieg 1848, zum grossen Nachbarn im Norden pflegen.
Verächtlich schimpfen sie auf „die Gringos“, sind aber Weltmeister im Coca-Cola trinken.
Die Oberschicht kopiert den US-Lebensstil, fliegt nach San Antonio oder Miami zum Shoppen und lässt die Armut im eigenen Land grassieren. Schon lange vor Trump haben die Reichen Mauern gebaut: rund um ihre Wohnanlagen, Privatschulen und Einkaufszentren. Sicherheit definieren sie über Wachmannschaften, Stacheldraht und gepanzerte Fahrzeuge, nicht als „soziale Sicherheit“.
Und viele arme Mexikanerinnen und Mexikaner sahen und sehen ihre Chance in den USA. Aber nicht die Verbrecherinnen und Verbrecher gehen in den Norden - welch Irrtum des Donald Trump. Die schliessen sich lukrativer den Mörderbanden des heimischen, organisierten Verbrechens an. Es sind die ehrlichen, arbeitswilligen jungen Menschen, die die Strapazen der Migration und oft der Diskriminierung auf sich nehmen. Vor allem mittelamerikanische Migrantinnen und Migranten fliehen vor den Mordenden, vor der Gewalt in die USA.
Der Plot hat sich gegenüber dem klassischen Hollywood-Western um 180° gewendet:
Verbrecher fliehen nicht mehr von Nord nach Süd, gejagt von Gesetzesvertretern. Verbrecher jagen jetzt einfache Bürger aus dem Land von Süd nach Nord. Über den Rio Grande. Dahinter rüstet sich aber Americas First Sheriff gegen Mexiko und den Rest der Welt.