Türkische Militärintervention im Nordwesten Syriens Von Goslar bis Afrin
Politik
Die nun seit mehr als einem Jahr andauernden Gefechte zwischen der türkischen Armee und der YPG in Afrin erreichen in diesen Tagen eine neue Eskalationsstufe.
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22. Januar 2018
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Während die kämpferischen Auseinandersetzungen des letzten Jahres hauptsächlich in Rakka stattfanden, rückte das Thema Afrin immer mehr in den Hintergrund. Nur Kenner warnten vor den möglichen Eskalationen, die passieren könnten, sobald das Thema Rakka für die Grossmächte erledigt ist. Dieser Fall scheint nun einzutreten. Die Türkei hat am Donnerstag angekündigt, das weitere militärische Vorgehen mit Russland und dem Iran absprechen zu wollen. Hier wird die Rolle Russlands von Bedeutung sein, da es in Afrin russische Militärbasen gibt, deren Existenz Moskau zwar dementiert, die aber weitgehend bestätigt werden können.
Das Aufplustern des gekränkten Erdogan hat, wie so häufig, auch innenpolitische Gründe. Die IYI-Partei von Meral Akşener, ihres Zeichens ehemalige Frontfrau der rechtsradikalen MHP, macht Erdogan und der etablierten türkischen Rechten starke Konkurrenz. Nachdem die MHP sie und mehrere andere Persönlichkeiten aufgrund ihrer Haltung gegen das Präsidialsystem Erdogans aus der Partei warfen, initiierten sie im Oktober vergangenen Jahres die Gründung der IYI-Partei (Gute Partei auf Deutsch), um eine Art Alternative für die Türkei darzustellen.
Wer also ordentlich rechts von der Mitte ist, Erdogan jedoch nicht mag, der ist in dieser Partei gut aufgehoben. Für das bürgerliche CHP Klientel ist die besagte Partei jedoch auch ansprechend, da sie wirtschaftsliberale Themen ebenfalls in den Vordergrund bringen und auf die Misswirtschaft im Land aufmerksam machen.
Um gegen diese breit aufgefächerte Konkurrenz ankommen zu können greift Erdogan natürlich zum allseitigen Lieblingsfeind: der PKK. Mit seiner grossen Ankündigung Anfang des Jahres der Präsenz der PKK an den Grenzen der Türkei endgültig ein Ende setzen zu wollen hat Erdogan schon ahnen lassen, was ihm seine Mehrheit wert ist. Durch das Anheitzen der antikurdischen Rhetorik soll das türkische Volk im gemeinsamen Rassenhass und im warmen Schoss des zusammenschweissenden Faschismus geeint werden. Äusserer Feind zieht eben immer noch besser, als innerer Feind.
Die Bevölkerung in Afrin zeigt jedoch klar und deutlich, dass dieses innen- und aussenpolitisch gespielte Intrigennetz die demokratische Nation nicht aufhalten kann. Tausende gingen am Donnerstag auf die Strassen und kündigten an, Afrin zum „Grab des Faschismus“ werden zu lassen. Tatsächlich hat Afrin schon immer eine starke kurdische Community gehabt und ist seit den 80ern auch zentral für die Agitation der PKK in Syrien gewesen.
Einen politischen Zusammenhalt von mehreren Jahrzehnten zunichte zu machen wird Erdogan Geld und Zeit kosten. Weder die innenpolitischen Querelen der türkischen Rechten noch die verpatzte Beeinflussung in Syrien werden sich für Erdogan so leicht ausbügeln lassen.
Eines sei aber gesagt: solch ein Selbstvertrauen ist durchaus verständlich, wo sein Aussenminister so königlich in Goslar bedient wurde. Die regionalen Geschehnisse sind in jedem Fall im Kontext der bundesdeutschen Kuschelpolitik mit der Türkei zu sehen. Die Europäische Union kündigte in diesen Tagen bereits neue Gespräche mit Erdogan an und allgemein scheinen alle auf Kooperation aus zu sein. Wer nämlich Koalitionen mit dem gemeinsamen „Flüchtlingskrise-hat-sich-erledigt“-Mantra unter Dach und Fach bringen will, der muss den beherzten Umgang mit Diktaturen vom Bosporus bis zur Subsahel Zone beherrschen können.