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Systematische Einschüchterung und Terrorisierung palästinensischer Kinder

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1700 Militärdekrete Systematische Einschüchterung und Terrorisierung palästinensischer Kinder

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Politik

Die routinemässige Verhaftung palästinensischer Kinder ist Teil einer Strategie, die gesamte Bevölkerung in Schach zu halten und einzuschüchtern. Dabei werden die von den Vereinten Nationen definierten Kinderrechte ebenso ignoriert wie korrekte strafrechtliche Verfahren.

Banksy-Graffiti an der Grenzmauer in der West Bank bei Kalandia.
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Banksy-Graffiti an der Grenzmauer in der West Bank bei Kalandia. Foto: Maureen (CC-BY 2.0 cropped)

Datum 9. Januar 2023
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Amal Nakhleh war erst 17 Jahre alt, als er am 21. Januar 2021 in seinem Haus im Flüchtlingslager alJalazone verhaftet wurde. Amal wurde in Administrativhaft genommen. Diese erlaubt den israelischen Behörden, Palästinenser:innen in Gefängnissen zu verwahren, ohne sie einem Gerichtsverfahren oder einer Verurteilung zu unterziehen. Trotz seines jungen Alters und einer seltenen Autoimmunerkrankung haben die israelischen Behörden ihn seitdem in Haft behalten. Bis zum heutigen Tag wurde die Verhaftung nicht begründet und es wurde keine Anklage erhoben. Allein gestützt auf die Behauptung, er stelle «ein Sicherheitsrisiko» dar, befindet sich Amal seit mehr als einem Jahr in Haft.

Amal ist kein Einzelfall. Allein zwischen 2000 und 2015 haben die israelischen Militärbehörden fast 8500 palästinensische Kinder festgenommen, verhört, strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Nach Angaben des palästinensischen Ablegers von Defense for Children International (DCIP) verhaftet das israelische Militär jedes Jahr etwa 500 bis 700 palästinensische Kinder. Einige von ihnen sind noch nicht einmal zwölf Jahre alt. Seit 2012 hält Israel jeden Monat durchschnittlich 200 palästinensische Kinder in Gewahrsam. In den Haftanstalten sind sie einer Vielzahl diskriminierender Gesetze unterworfen. Bei den Verhören durch israelische Polizei und Sicherheitsdienste werden die Kinder regelmässig misshandelt, bedroht und isoliert. Die von Israel für die Verhaftung vorgebrachte Begründung, die Kinder stellten eine «Sicherheitsbedrohung» dar, ist nur ein Vorwand. Vielmehr wird die Inhaftierung systematisch dazu eingesetzt, die palästinensische Bevölkerung und insbesondere die Kinder einzuschüchtern. Grundlage für diese Praxis der israelischen Sicherheitsbehörden ist das Militärdekret 1651. Es regelt die Art und Weise, wie Palästinenser:innen inhaftiert, verhört und vor israelischen Militärgerichten verurteilt werden.

Nicht alle Menschen, die in den von Israel kontrollierten Gebieten leben, unterstehen den gleichen Gesetzen. In der Praxis gibt es im Westjordanland zwei Rechtssysteme: Palästinenser:innen werden nach israelischem Militärrecht und israelische Siedler:innen nach israelischem Zivilrecht verurteilt. Palästinenser:innen aus Ostjerusalem werden meist vor israelischen Zivilgerichten verurteilt, können aber auch der Autorität von Militärgerichten unterstellt werden, während palästinensische Bürger:innen Israels vor israelischen Zivilgerichten verurteilt werden. Das schafft eine völkerrechtswidrige Ungleichbehandlung vor dem Gesetz, die vor allem die im Westjordanland lebenden Palästinenser:innen massiv benachteiligt.

1700 Militärdekrete

Seit der Besetzung des Westjordanlandes und Gazastreifens 1967 hat das israelische Militär durch die Befehlshaber seiner «Verteidigungskräfte» über 1700 Militärdekrete zur Verwaltung des besetzten Gebiets erlassen. Diese regeln unterschiedliche Themen wie Eigentumsrechte, Bewegungsfreiheit, Festnahmen, Inhaftierungen, Verhöre und Gerichtsverfahren von Palästinenser:innen. Das 2009 erlassene Militärdekret 1651 stellt die rechtliche Basis für Festnahmen, Inhaftierungen und Verhöre, aber auch Verurteilungen und das Strafmass dar. Es ist bezeichnend für die im Westjordanland herrschenden Machtverhältnisse. Durch die Militärgerichte und das Militärgesetz wird die palästinensische Bevölkerung unter Besatzung für die Ausübung ihrer zivilen und politischen Rechte kriminalisiert und gezielt eingeschüchtert.

Militärdekret 1651 ist auch massgeblich für die Rechte von Kindern, da das Mindestalter für ihre Strafmündigkeit darin auf zwölf Jahre festlegt ist. Jedes palästinensische Kind ab zwölf Jahren kann also festgenommen, verhört und inhaftiert werden. Daneben werden von den israelischen Streitkräften aber auch Kinder unter diesem Alter ohne rechtliche Grundlage festgenommen, verhört und dann wieder freigelassen. Im Wesentlichen ermöglicht das Militärdekret die Inhaftierung und Befragung palästinensischer Kinder unter dem häufig genannten Vorwand des Schutzes der «öffentlichen Ordnung und Sicherheit». Diese Verhaftungen sowie die Vorgehensweise der Militärgerichte sind Teil der Gewalt, der palästinensische Kinder ständig ausgesetzt sind.

DCIP hat mehrere Fälle dokumentiert, in denen Kinder während ihrer Verhaftung Formen körperlicher Gewalt ausgesetzt sind. Oft werden sie in den frühen Morgenstunden zu Hause mit übermässiger Gewaltanwendung festgenommen. Nach israelischem Militärrecht besteht zudem keine gesetzliche Verpflichtung, dass die Eltern bei den Verhören ihrer Kinder anwesend sein müssen. Damit sollen die inhaftierten Kinder gezielt isoliert und eingeschüchtert werden, um sie unter Zwang zu falschen Geständnissen zu bringen. Bei Verhaftung, Verhören und dem Transport in die Gefängnisse werden die Kinder regelmässig mit Zwang festgehalten. Physische und psychische Gewalt, beispielsweise während der Verhöre oder durch das Verbot von Familienbesuchen, stellen nach internationalem Recht eine Form von Folter dar. So werden verhafteten palästinensischen Kindern systematisch ihre Rechte vorenthalten und sie werden von ihren Gemeinschaften isoliert.

In diesem Rahmen kann nur ein kleiner Einblick in die Lage der von Israel inhaftierten palästinensischen Kindern gegeben werden. Er zeigt aber, dass das israelische Militär palästinensischen Kindern systematisch Gewalt und Schmerz zufügt und die Inhaftierung von Kindern zu einer Taktik der israelischen Besatzung geworden ist. So im erwähnten Fall von Amal Nakhleh. Seine durch die Autoimmunkrankheit ausgelösten Atemprobleme führen dazu, dass er auch angesichts von Covid19 einem besonderen Risiko ausgesetzt war. Nach seiner Infizierung mit dem Virus im Januar 2022 haben UNICEF, OHCHR und UNRWA einmal mehr seine Freilassung gefordert, bisher jedoch ohne Erfolg.

Der Zweck der israelischen Strafmassnahmen besteht nicht nur darin, Kinder zu inhaftieren. Es soll eine Realität geschaffen werden, in der die gesamten Kindheitserfahrungen junger Palästinenser:innen durch die israelischen Praktiken des Freiheitsentzugs beeinflusst und geprägt werden. Sie sollen in Angst leben, jede Chance auf eine «normale» Kindheit soll ihnen verwehrt werden.

Angesichts dieser israelischen Strafverfolgungspraxis bedarf es einer breiten, starken Mobilisierung zur Unterstützung der betroffenen Kinder. Damit der Inhaftierung von Kindern durch das im Westjordanland herrschende Militärregime Einhalt geboten werden kann, muss die internationale Boykottkampagne gegen Israel ausgeweitet und der Siedlerkolonialstaat weiter isoliert werden. Israel muss – sowohl verbal als auch praktisch – als rassistisches Apartheidregime eingestuft werden, das mit allen Mitteln zu bekämpfen ist.

Basil Farraj
palaestina-info.ch

Basil Farraj ist Doktorand in Anthropologie und Sozio-logie und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Vio-lence Prevention Initiative am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf politischen Gefan-genen, ihren Widerstandsformen und den Formen der Gewalt, denen sie ausgesetzt sind.