Der schönen Welt ist nichts so unerträglich als das Erklären. (Hegel, Wer denkt abstrakt? 1807)22
In ihren Bekanntgaben darüber, worauf sich die Bevölkerungen einzustellen haben, das legen die demokratischen Kriegsplaner der NATO-Wertegemeinschaft in ihrer Öffentlichkeitsarbeit zwar nicht ohne schönfärberische Sprachregelungen, aber insgesamt ungeschminkt dar; und zwar ohne Sorge zu haben, das führe zu Massenprotesten und Generalstreiks.
So gehört es längst zum allgemein anerkannten Alltagswissensbestand: "Wir" brauchen eine geopolitisch-globale, auf jeder militärischen Eskalationsstufe überlegene militärische, souveräne Handlungs-, also Kriegsfähigkeit. Begründet mit nichts als falschen Argumenten, bei denen die "Bedrohungen", die die NATO-Wertegemeinschaft seit 1945 bis auf heute tagtäglich und weltweit hervorbringt, die allererste Rolle spielen - neben dem schönfärberischen "Wir" Propaganda-Titel, jedem Satz und jeder Meinungsäusserung vorangestellt.
Das schützt nach Ansicht der kriegswilligen Staats-Meinung jedoch nie davor, dass sich innerhalb der subordinierten Gesellschaft und Bevölkerung Zweifel, Fragen und Erklärungsbedarf breitmachen: sowohl hinsichtlich der groben Wirklichkeit von Demokratie, als auch angesichts der konkreten, unverhüllten Bekanntgaben zur Kriegsvorbereitung und zum kommenden Krieg. Solcher aus Unzufriedenheit geborener Zweifel mithin vor allem im Osten Deutschlands. Die der "Zweiten Zeitenwende" angemessene propagandistische Umwandlung der unschönen Wirklichkeit von Demokratie und Krieg ist mehr als angesagt.
Zu erzeugen ist ein absolut schöner Schein. Das heisst: die Verwandlung der Wirklichkeit der Staatsform Demokratie in ein Ideal, in einen immateriellen Wert, der in der moralischen Vorstellung, in der Einbildung oder Phantasie der Menschen im Lande als die Versinnbildlichung und Veranschaulichung des Guten, des Wahren und des Schönen überhaupt gelten soll. Das moralische Bewusstsein und Selbstbewusstsein, seit jeher erzogen und erfüllt vom Gedanken, das Gute und nur das Gute zu wollen und sich auf der Seite des Guten zu sehen, soll Abstand nehmen von der Wirklichkeit der Demokratie, die es tagtäglich erlebt und am eigenen Leib erfährt. Intensiv leben soll der Bürger den schönen Schein, das ihm von oben vorgestellte Ideal von Demokratie: "Demokratie muss gelebt werden." (Adenauer, Gespräch in Cadenabbia, August 1964)23
Die propagandistische Verwandlung der Wirklichkeit der Demokratie in eine schöne Welt, in der "das Erklären" (Hegel) der Wirklichkeit der Demokratie so gut wie ausgelöscht ist, bedient sich dazu des Verfahrens der politisch inszenierten, idealisierenden Abstraktion: alle realen Eigenschaften, alle der Demokratie als Staatsform immanenten Bestimmungen und Eigentümlichkeiten als politische Herrschaft, die eine auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Hierarchie antagonistische Gesellschaft verwaltet und betreut, gehören weggelassen und durchgestrichen.
An die Stelle der demokratischen Verfassungswirklichkeit tritt durch abstrahierende, freie, von aller Realität losgelöste Konstruktion und Umschreibung, die Vorstellung der Demokratie als eines sittlich-moralischen Gutes: als ein reines Ideal, das höchste Anerkennung, Wertschätzung und Bewunderung seitens der Bevölkerung verdient. Dieser zweite Schritt der politisch motivierten Abstraktion kommt zum Ergebnis, von dem er ausgegangen ist und das er von vorneherein unterstellt. Ein Phantasiegemälde von Demokratie des Inhaltes:
...Ein Meisterwerk [...] Bestechend klar, nüchtern oft und doch so elegant: 12.500 Worte in 146 Artikeln [...] Diese Verfassung gehört zum Besten, was Deutschland hervorgebracht hat [...] Eigentlich ein Wunder [...] das grossartige Werk [...] In Bewunderung und Dankbarkeit schauen wir auf die Arbeit der Mütter und Väter des Grundgesetzes. Was sie vor 75 Jahren auf den Weg gebracht haben, ist ein grossartiges Geschenk. Ein Geschenk, das nicht nur Erinnerung verdient, sondern das wir im Alltag der Republik pflegen, bewahren und verteidigen müssen. Ich bin fest überzeugt: Diese Verfassung ist es wert, dass wir sie feiern – und dass wir sie schützen [...] (Steinmeier-Rede, 23.5.2024)
Berechnet ist das propagandistische Ausmalen der Demokratie als eines Wunders und eines grossartigen Geschenkes, das zu unbedingten Dank und Gehorsam verpflichten will darauf, die Staatsform Demokratie, "unsere einzigartige und bemerkenswerte Demokratie" (von der Leyen, 13.9.2023)24 als wunderbaren Wert zu sehen und begriffslos zu "leben". Begriffslos leben dahingehend, dass dieser Wert allen anderen sonstigen westliche Werten voran als moralisches Gebot und Pflicht, als innere Maxime des Willens des Einzelnen und der Bevölkerung gelten soll.
Ein Wert, der unter allen Umständen zu "verteidigen" ist: Soll heissen, für den sich hinzugeben und zu sterben, ein Gebot der Liebe, ein Gebot der Vaterlandsliebe ist. Dann kann sie erstrahlen, die Sonne oder der "Sommer für Demokratie in Deutschland, eben aus: purer "#demokratieliebe demokratie-liebe.de".25 Oder, etwas anders formuliert:
Rein wertrational handelt, wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt im Dienste seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung, Pietät, oder die Wichtigkeit einer ‚Sache' gleichviel welcher Art, ihm zu gebieten scheinen [...] wertrationales Handeln ein Handeln nach 'Geboten' oder gemäss 'Forderungen', die der Handelnde an sich gestellt glaubt. (M.Weber, 1921, Wirtschaft und Gesellschaft)26
Ist es öffentlichen Meinungs-, Urteils- und Willensbildung, der Propaganda des schönen Scheins gelungen, diese innere Haltung und Gesinnung unter der Ägide und dem Gebot der "Zweiten Zeitenwende" umfassend in der Bevölkerung zu erzeugen, dann ist der erforderliche Mentalitätswandel, der Wille und das Ja zum Krieg durch die Grundrechtsträger vollzogen.
Die Zweite Zeitenwende - radikale Selbstbehauptung der Demokratie
Das Gesetz der Moral veranlasst die Menschen, mit ihrem Herrscher völlig übereinzustimmen, so dass sie ihm ohne Rücksicht auf ihr Leben folgen und sich durch keine Gefahr erschrecken lassen. (Sun Tzu, The Art of War, ca 500 v.Chr.)27Haben es die "politische" und die "strategische Kommunikation und Kultur" einschliesslich der Propaganda des schönen Scheins dahin gebracht, den Idealismus der Werte und der Demokratie nachhaltig als innere Gesinnung und Haltung in der Mehrheit der Bevölkerung zu verankern; wähnt sich damit die moralisch und wertebewusste Bevölkerung auf der Seite des Guten, des Wahren und des Schönen gegenüber dem Bösen, gegenüber dem Verdammens- und Verachtenswerten; ist für sie somit die Frage von gerechter und ungerechter Gewalt, von gerechtem und ungerechtem Krieg soweit geklärt, dass sie aus Liebe zu den Werten und zum Vaterland jegliche Gewalt durch die heimischen demokratischen Kriegsplaner letztendlich gutheisst; ist sie in ihrer Vorstellung und gefühlsmässig soweit, dass sie bereit ist, zur Bewahrung von Werten und Vaterland ihr Hab und Gut, ihre Gesundheit zu opfern, ihr Leben hinzugeben, hinzuwerfen, damit sich die Souveränität und globale Handlungsfreiheit der heimischen demokratischen politischen Machthaber und Kriegsvorbereiter siegreich behaupten kann; hat sich die falsche, die Wirklichkeit umkehrende Vorstellung endgültig verfestigt: "Der Staat sollte für die Menschen da sein – nicht umgekehrt", (Steinmeier-Rede, 23.5.2024) obwohl nichts sosehr wie der Krieg, das genaue Gegenteil beweist, worauf Hegel aufmerksam macht:
Es gibt eine sehr schiefe Berechnung, wenn bei der Forderung dieser Aufopferung der Staat nur als bürgerliche Gesellschaft und als sein Endzweck nur die Sicherung des Lebens und Eigentums der Individuen betrachtet wird; denn diese Sicherheit wird nicht durch die Aufopferung dessen erreicht, was gesichert werden soll; im Gegenteil. (Hegel, 1820)28
Steht die Bevölkerung also hinter der Kriegsplanung und Kriegsvorbereitung durch die demokratische politische Herrschaft: Dann ist das Ja zur Selbstbehauptung von Demokratie und Vaterland nach aussen und weltweit-global einkassiert. Dann gibt es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinen Widerspruch, keinen Protest mehr gegen den geplanten, gegen den kommenden Krieg, den gegen Russland zuerst. Dann ist das hingenommen:
Für mich steht fest: Wir leben in einer Zeit der Bewährung. Es kommen raue, härtere Jahre auf uns zu...Wir müssen uns jetzt behaupten – mit Realismus und Ehrgeiz. Das ist die Aufgabe unserer Zeit. Selbstbehauptung ist die Aufgabe unserer Zeit! [...] Deshalb sollten wir die Debatte über Formen des Wehrdienstes und anderer Dienste für unser Gemeinwesen nicht scheuen [...] Selbstbehauptung ist die Aufgabe unserer Zeit. Aber behaupten werden wir uns nur als starke Demokratie. Und genau deshalb brauchen wir jetzt Bürgerinnen und Bürger, die dem Gemeinwesen nicht gleichgültig gegenüberstehen. Heute ist es an uns, uns in schwieriger Zeit zu behaupten. (Steinmeier-Rede 23.5.2024)
Dann "stimmen die Menschen, mit ihrem Herrscher völlig überein, so dass sie ihm ohne Rücksicht auf ihr Leben folgen und sich durch keine Gefahr erschrecken lassen." (SunTzu).
Der Preis dafür, ist auch kein Geheimnis, wie die Kriegsvorbereiter ohne Umschweife in ihren Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung - Gesamtverteidigungsrichtlinien - (RRGV) vom 5.6.2024 darlegen und zugleich bekannt geben, dass von Sicherheit und Schutz der Bevölkerung keine Rede sein kann. Die sogenannte "Gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge" im kommenden Krieg sieht dann so aus:
Gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge (S.9) [...] Wegen der Möglichkeit des gleichzeitigen Eintritts von Schäden an einer Vielzahl von Orten können die Bürger nicht damit rechnen, dass überall sofort staatlich organisierte Hilfe geleistet werden kann. Sie müssen deshalb darauf vorbereitet sein, sich zunächst selbst zu helfen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Fertigkeiten auch Nachbarschaftshilfe zu leisten. (S.27f.) [...] Diese Pläne berücksichtigen sowohl eine Überlastung der Behandlungskapazitäten (MANV), Bedarfe für die Behandlung der Folgen möglicher CBRN-Gefahren, als auch Einschränkungen der Funktionalität des Krankenhauses. (S.34) [...] Mit der zivilen Notfallreserve des Bundes soll die Bevölkerung insbesondere in Ballungsgebieten bei unzureichender Verpflegungslage über einen gewissen Zeitraum mit einer warmen Mahlzeit am Tag versorgt werden können [...] Die Bürger sollen einen individuell zusammengestellten privaten Lebensmittelvorrat für zehn Tage vorhalten. (S.38)29
Der Massenanfall von Verwundeten (MANV) ist von den herrschaftlichen demokratischen Kriegsvorbereitern, "von denen da oben" (Gauck) ebenso antizipiert, wie die Möglichkeit einer chemischen, biologischen, radioaktiv-nuklearen (CBRN-) Auseinandersetzung mit Russland. Andererseits: Der Dank von Demokratie und Vaterland ist den Hunderttausenden oder Millionen Dahingerafften in jedem Fall gewiss.
Der Dank von Demokratie und Vaterland
Der Dank von Demokratie und Vaterland an die im Krieg gegen Russland - und ggf. im Krieg gegen China - Hunderttausende oder Millionen "Kriegsbeschädigten" besteht einfach darin, dem Grabstein eine neue Inschrift mit aktuellem Datum hinzuzufügen: "Den Kriegsbeschädigten aus Dankbarkeit: 2029-..."Das ist der Lohn, den der Wille zum Krieg für die Bevölkerung bereithält und den die Bevölkerung einstreichen kann für ihre Hingabe an demokratische Herrschaft und Vaterland, die die Werte und Ideale in die Welt bringen, um sich ihrer zu bedienen.