Auftraggeber an die deutschen politischen Macher und Verfassungsexperten zur Einführung der Staatsform Demokratie war allem voran das Interesse der USA, aus Deutschland einen antikommunistischen und antirussischen, vorwärtsorientierten Frontstaat auf dem europäischen Kontinent einzurichten. Und zwar unter der Bedingung der restlosen Entnazifizierung. Das Grundgesetz hingegen beginnt angesichts dieser historischen Wahrheit gleich in seinem allerersten Satz mit einer historischen Unwahrheit. Um nicht zu sagen mit einer bewussten Täuschung, indem es in seiner Präambel bis auf heute verkündet:
Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.[1]
Demnach hat sich 1949 das deutsche Volk "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" auch gleich den Auftrag erteilt, ein Wiedervereinigungsgebot in das Grundgesetz hineinzuschreiben, das heisst, "die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden"[2]. Der imperialistische Anspruch der politischen Macher der deutschen Demokratie ist dem Grundgesetz allerdings ohne Mühe entnehmen: als wiedervereinigtes NATO-Deutschland mittels eines vereinten Europas sich global zuständig für den Frieden auf dem ganzen Planeten zu erklären.
Mit der Demokratie als Staatsform haben die politischen Macher im historischen Nachfolgestaat des Nationalsozialismus auftragsgemäss, aber auch aus der geläuterten Einsicht in den Nutzen der Demokratie für souveränes politisches Handeln und Wirken der staatlichen Macht, sich ein, wie sie es selbst formulieren, rundum gelungenes politisches Herrschaftsverhältnis gegeben. Dazu können und sollen sich alle Menschen im Lande nur beglückwünschen:
Grundgesetz und Friedliche Revolution, was für ein doppeltes Glück ist das! [...] In Bewunderung und Dankbarkeit schauen wir auf die Arbeit der Mütter und Väter des Grundgesetzes [...] Diese Verfassung ist es wert, dass wir sie feiern – und dass wir sie schützen! (Steimeier, 23.5.2024)[3]
Ein grundgesetzlich garantiertes Herrschaftsverhältnis, das wie jeder moderne Staat den Gegensatz von Regierenden und Regierten ebenso kennt wie den Gegensatz von Gesetzesgebern und zum Gesetzesgehorsam Verpflichteten. Ein politisches Herrschaftsverhältnis, das im Interesse seiner ausgreifenden Standort-, Weltmarkt- und Weltmachtkonkurrenz eine Klassengesellschaft unterhält, betreut und reproduziert, einschliesslich der sich bekanntermassen immer weiter öffnenden "Schere zwischen Armut und Reichtum", sowie allgemeine Wohnungsnot und sonstige, ausgedehnte Notlagen.
Ein politisches, nunmehr demokratisch organisiertes Herrschaftsverhältnis, näher gekennzeichnet durch staatsrechtlich fixierte, real existierende politische und gesellschaftliche Antagonismen: Staatliches Interesse und staatlicher Wille im Gegensatz zum Willen des Einzelnen und dem Willen des Volkes; staatliche Handlungs- und Entscheidungsfreiheit gegenüber dem verfassungsrechtlich eingeräumten "Freiheitsraum" des Einzelnen und des Volkes; eigentumsrechtlich garantierter und gesicherter Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital und Subsumtion jedes Einzelnen unter das Gebot der Konkurrenz gegeneinander. In diesem Kontext kann wohl durchaus gesagt werde: "75 Jahre Grundgesetz ist 75 Jahre Ausbeutung".[4]
Die grundgesetzlich verbürgte Institutionalisierung der Staatsform Demokratie als verbindlich geltende Form der politischen Herrschaft und des politischen Herrschens über die ihr subordinierte antagonistische Gesellschaft; sowie die unausbleiblichen negativen Folgen der staatlichen Betreuung und Reproduktion dieser Gesellschaft für die Mehrheit der Bevölkerung gebieten, die freiwillige Zustimmung der Bevölkerung zum demokratisch geleiteten Ganzen sich kontinuierlich bestätigen zu lassen und regelmässig mittels der demokratisch organisierten Aufrufung des "Grundrechtsträgers"[5] Volk einzuholen. Des Volkes als des explizit "wahren Souveräns" im Staat - wenigstens für eine Tag.
Politische Kommunikation - Die Notwendigkeit der Bearbeitung der Haltung der Bevölkerung
Unabdingbar scheint mir auch eine deutliche Stärkung der politischen Kommunikation. Denn wenn sich die Komplexität der politischen Probleme erhöht, dann muss die Politik ihre Botschaften anpassen, um zu den Wählerinnen und Wählern durchzudringen. (Gauck-Rede, [6].11.2023 Demokratie unter Druck)6Damit die freiwillige Zustimmung und Haltung der Bevölkerung zur politischen, demokratisch organisierten Herrschaft und ihrem negativen Wirken auf die Mehrheit der ihr unterstellten Bevölkerung als solche erhalten bleibt; und damit dies zufriedenstellend im Interesse der Fortführung souveränen politischen Regierens und Handelns nach innen und vor allem nach aussen gelingt, bedarf es nicht nur der Institution der regelmässig abgehaltenen demokratischen Wahl in Friedenszeiten.
Zwar ist die freiwillige Zustimmung des Volkes zum Ganzen zunächst gar keine Frage. Denn mit der demokratischen Verfassungsgebung ist praktisch erst einmal klargestellt, dass leider nicht alle Wünsche gleichzeitig erfüllt werden können. Der damit gesetzte Zwang, die materiellen Notlagen und Nöte der Menschen im Lande im Interesse des demokratischen Ganzen hintanzustellen; und sich in den materiellen Notlagen und Nöten zu arrangieren und das Ganze hinzunehmen wie es nun mal ist, ist zugleich ein mehr oder weniger schmerzvoller Lern- und Erfahrungsprozess für den Einzelnen wie für die Bevölkerung: so ist sie eben, die offenbar alternativlose Realität und Wirklichkeit der demokratischen Staatsordnung. Staatlicher Auftrag sowie journalistisches Berufsethos und Selbstverständnis zugleich ist es, den Menschen im Lande die offenbare Alternativlosigkeit tagtäglich vor Augen zu führen.
Die schlechte Meinung über die negativen Erfahrungen darf grundgesetzlich garantiert allerdings jeder haben; und zwar als lebenslange schlechte, unmassgebliche, private Meinung über "die Politik", von der alles abhängt und an die sich alle wenden. Auch kann der wahre Souverän für einen Tag seine abfällige, unmassgebliche Meinung im Rahmen der demokratischen Verfassungsrealität dahingehend geltend machen, indem er einer der angebotenen und erlaubten politischen Alternativen seine Stimme gibt.
Allerdings ist es damit nicht getan. Denn jederzeit ist die erzwungene freie Zustimmung und Haltung zum Ganzen widerrufbar, weshalb sie weiter zu bearbeiten und zu betreuen ist. Dazu dient die seit 75 Jahren währende vielbeschworene, auch massenmedial betriebene, sogenannte "politische Kommunikation" als Methode der demokratischen Meinungs-, Urteils- und Willensbildung im vom Staat gewährten und erlaubten Reich der Meinungsfreiheit. Die "politische Kommunikation" ist dem dem Inhalt und der Sache nach gekennzeichnet durch die Bekanntgaben der politischen Entscheidungen der Regierungsverantwortlichen und der Gesetzesmassnahmen, auf die sich die Bevölkerung faktisch einzurichten und geistig-moralisch einzustellen hat. Zugleich sind diese Bekanntgaben die immerwährende Klarstellung gegenüber der Bevölkerung darüber, dass es allein die Staats-Meinung ist, die in der Demokratie letztendlich zählt und grundgesetzlich als solche garantiert ist.
Mit den öffentlichen Bekanntgaben ist die jeweils fällige innen- und aussenpolitische Staats-Meinung als die für jeden geltende und anzuerkennenden "Wahrheit", Faktizität und Realität rechtsverbindlich durchgesetzt. So verdient die unwidersprechliche staatliche Meinungskundgabe in jedem Fall Respekt und Anerkennung ohne Wenn und Aber in der demokratischen Welt der Toleranz und Meinungsfreiheit. Dass die "Wahrheit" der Staats-Meinung mit Wahrheit im strengen, im wissenschaftlichen Sinn nichts zu tun hat, erklärt die politische Kommunikation gleich selbst: Wegen der angeblichen Komplexität der Welt und der Geschehnisse, muss die Politik ihre Botschaften und Bekanntgaben "anpassen, um zu den Wählerinnen und Wählern durchzudringen." (Gauck)
Strategische Kommunikation und Kultur - Methode der demokratischen Propaganda
Die im Rahmen der politischen Kommunikation auch innenpolitisch anzuwendende "EU Strategic Communication" (CEPOP, March 2021)[7] unterstützt - massenmedial begleitet - das staatliche Bemühen, unentwegt die Haltung des Volkes zum Ganzen zum Adressaten und Objekt der politisch-geistig-moralischen "Orientierung" zu machen.Gefragt ist heute allerdings eine Zeitenwende diktierte Um- und Neuorientierung eines jeden einzelnen und der ganzen Gesellschaft innerhalb einer sogenannten "strategischen Kultur" mit der übergeordneten Zielsetzung:
Es gilt daher auch, die strategische Kultur in Deutschland weiterzuentwickeln und ein in der Breite unserer Gesellschaft verankertes Verständnis von Integrierter Sicherheit zu entwickeln. (Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung - Gesamtverteidigungsrichtlinien (RRGV) vom 5.6.2024)[8]
Das geschieht inzwischen unter ausgiebiger Inanspruchnahme der digitalen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, nunmehr einschliesslich auch der KI. Allzu grosse Mühe, die Zielgruppe der 80-Millionen Grundrechtsträger zu "erreichen", muss sich politische Kommunikation, die demokratische Meinungs-, Urteils- und Willensbildung heutzutage nicht mehr geben. Die jederzeit allein geltende Staats-Meinung ist auf sämtlichen Kanälen rund um die Uhr präsent.
Die nach allen Regeln und Techniken der "strategischen Kommunikation und Kultur" bewerkstelligten öffentlichen Bekanntgaben der Staats-Meinung ist dabei buchstäbliche, pure Werbung: Werbung, Propaganda für das vom Einzelnen und von der Bevölkerung getrennte und ihm entgegengesetzte staatliche Handeln der politischen Entscheidungsträger; in eins damit: Werbung, Propaganda für die Staatsform Demokratie in Gestalt der politische Herrschaft und ihrem Gelingen angesichts ihrer Bemühungen, den im Zuge ihres aussen- und weltpolitischen Agierens von ihr hervorgebrachten, sogenannten Herausforderungen und Bedrohungen Herr zu werden.
Etwaigen Fragen, woher denn eigentlich all diese Herausforderungen und Bedrohungen kommen, welche Subjekte sie in die Welt bringen, erledigt die strategische Kommunikation und Kultur zum einen mit dem Hinweis, dass die "breite Bevölkerung" sowieso keine rationale Aufklärung verlangt oder auch nur verdient: "Der Wunsch einer breiteren Öffentlichkeit, auf immer komplexere Sachverhalte immer einfachere Erklärungen zu finden, ist schwierig zu bedienen. (R.Kiesewetter, Juli/August 2017)[9]
Auf der anderen Seite ist es so schwierig auch wieder nicht, die Zielgruppe der demokratischen Meinungs-, Urteils- und Willensbildung in einer kleinen Umbildung und Verschönerung von demokratischer Realität und Wirklichkeit dahingehend aufzuklären und zugleich ihre Sehnsucht nach Komplexitätsreduktion zu bedienen:
Es geht darum, mit einer erhellenden Vereinfachung auch komplexe Sachverhalte unter die Menschen zu bringen, dass die begreifen: Die da oben, die wir gewählt haben, die sorgen sich um uns, die machen sich bewusst, in welchen Schwierigkeiten wir sind. (Ex-Bundespräsident Gauck, 2.[10].2022)10
Die "erhellende Vereinfachung komplexer Sachverhalte unter die Menschen zu bringen": Diese Aufgabe demokratischer Meinungs-, Urteils- und Willensbildung ist umso mehr gefordert, je radikaler die mittels Grundgesetz und demokratische Verfasstheit der Nation agierende politische Herrschaft den grundberechtigten Staatsbürgern an Verzicht, Dienst und Opferbereitschaft einiges mehr abverlangt als im Frieden.