betterplace ist nach eigenen Angaben ein „gemeinnütziges Kreuzberger Sozialunternehmen, das seit elf Jahren sozialen Akteur*innen dabei hilft Gutes besser zu tun“ – sprich: Eine Internetplattform, die Fundraising für soziale Projekte fördert. KARUNA Sozialgenossenschaft mit Familiensinn und KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche International e.V. sind gemeinnützige NGOs, die vor allem die Inklusion von ausgegrenzten Jugendlichen, etwa durch das Projekt MOMO – the Voice of disconnected youth, fördert. In der Digitalisierung und der Kooperation mit Google sieht die Initiative laut ihrer Mitteilung grosses Potential, um soziale Probleme zu lösen.
Wenn im Frühjahr 2019 das Projekt eröffnen wird, sollen „gemeinnützige Organisationen, soziale Initiativen und engagierte Helfer*innen gemeinsam neue Ideen entwickeln, voneinander lernen und Veranstaltungen für die Community organisieren“, so der vielversprechende Teaser. Ist dieser Geisteswandel ein Sieg der Proteste der vergangenen Monate? Ein näherer Blick auf die Pressekonferenz lohnt, um das Vorhaben einzuordnen.
„Licht am Ende des Tunnels“
Die Show kann starten: Beim Akkreditierungsstand können zunächst Bauhelm und Schutzschuhe für den späteren Rundgang abgeholt werden. Brezeln und Mineralwasser stehen bereit, Informationsmaterial und Pressemappe werden verteilt und die Podiumsteilnehmenden sitzen schon bereit. Das Dreiergespann scheint perfekt eingespielt – Gutmenschen United; wichtig vor allem Lächeln und obligatorische Selfies. Allen geht es prächtig.Den Start der Runde macht Rowan Barnett, Vertreter von Google for Startups. Erfreut vermeldet er, dass endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen sei in der Auseinandersetzung der Firma mit dem Projekt Google Campus in Kreuzberg. Google war es laut Barnett „von Anfang an wichtig, das Projekt im Kiez sozial zu integrieren und einen Mehrwert für alle zu schaffen“. Am Tag der offenen Tür konnte, „wer es wirklich wollte, sich schon ein Bild davon machen“ – und hätte auch dort schon Jörg Richert von KARUNA angetroffen. Was der Mehrwert für Kreuzberg sei, war die zentrale Frage der Diskussionen der letzten Monaten mit sozialen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Google Vertreter hätten dazu mehrmals „Cafés besucht, mit Nachbarn gesprochen, mit Theatern Kontakt aufgenommen und mit der Politik und Wirtschaft geredet“.
Die Proteste gegen den Google-Campus seien wahrgenommen worden, heisst es. Daher wolle Barnett die wichtige Frage gleich vorweg beantworten: Welche Rolle spielten die Proteste für die neue Entscheidung? „Natürlich“ entscheiden Google und seine Partner selbst, erklärt er, aber es sei wichtig gewesen, in Dialog mit der Community zu treten. „Leider sind die Akteure des Protests nicht Teil des neuen Vorhabens“ konstatiert er gleich darauf mit gespieltem Bedauern. Aber die Zeit wurde genutzt um das Feedback auszuwerten: Die spontane Nutzung der Räume sei wichtig und es soll ein Ort für Synergien und Innovation sein.
Was Google nun mit dem neuen Projekt zu tun habe? Unter dem Satz „Wir stellen nur die Räume und die Infrastruktur!“ kommt einiges zusammen: 14 Millionen Euro sollen in den Umbau, die Miete und Nebenkosten sowie neue Möbel fliessen. Direkte Geldtransfers an die neuen Betreiber sind nicht vorgesehen. Das ganze Projekt soll fünf Jahre bis 2023 laufen. Danach ist offen, wie es weitergeht.
„Übergabe an die neue Hausherrin“
Mit diesem Satz übergibt Google das Mikro und die Schlüssel des Projekt an Carolin Silbernagl von betterplace. Es sei wirklich schwer, meint diese, über so einen Raum zu sprechen, „weil so viele wunderbare Möglichkeiten bestehen!“. In den 3.000 qm sollen Klassen- und Workshopräume für 20-50 Leute entstehen, Kongressräume für bis zu 200 Teilnehmer*innen sowie weitere flexible Arbeits- und Aufenthaltsräume, in denen gemeinsam soziale Projekte ausgearbeitet werden. Auch in der Pause soll diskutiert und nachgedacht werden: Ein Café mit einer langen Tafel mit 25 Sitzen soll das möglich machen. Es soll nicht nur nebeneinander, sondern miteinander gearbeitet werden!Die geplante Begegnungsstätte für die Zivilgesellschaft soll eine Antwort auf die zunehmende Gentrifizierung und Verteuerung der Stadt sein: „Wer innerhalb des S-Bahn-Rings aktiv sein möchte, muss oft 10.000 Euro Miete hinblättern“. Das Projekt entstehe inmitten grosser ökologischer und sozialer Herausforderungen und das Engagement sei wichtig für die soziale Veränderung und eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit.
Wer über die Nutzung der Räume entscheide, fragt ein Journalist. „Wir werden zweigleisig fahren“ antwortet Silbernagl und führt aus: Erstens werde die Nutzung nach dem Prinzip „first come, first serve“ über das Internet verteilt, mit dem Kriterium, das breite soziale Engagement vielfältig abzubilden. Und zweitens werden die Partnerorganisationen selber moderierend Themen setzten und Akteure von Ausserhalb einladen. „Dies ist die zweite Besetzung. Darf ich die Besetzer fotografieren?“?
Mit diesem … Witz ist der nächste Sprecher, Jörg Richert von KARUNA, schon kurz vor offiziellem Beginn der Pressekonferenz aufgefallen. Richert ist stolz auf die neue Entwicklung und äussert einen grossen Dank an Google für diese Chance. Aber die Lösung mache ihn nicht 100 Prozent zufrieden: „Wenn ich ehrlich bin, wollten wir Google dabei haben. Keine Separation, sondern gemeinsam arbeiten. Respekt vor Google für die Entscheidung aber gleichzeitig ein weinendes Auge“. Die Genossenschaft KARUNA wird gemeinsam mit der Jugendinitiative MOMO einziehen und möchte viele soziale Projekte, vor allem auch für Jugendliche und Schüler*innen möglich machen.
Darunter fällt auch Richerts Lieblingsprojekt: „Eine Buslinie für Obdachlose, die von hier aus los gehen soll!“ Wohin, bleibt unklar. Allgemein sei er aber nicht optimistisch, was den Kampf gegen Gentrifizierung angehe. Aber es sei wichtig, die lange Kausalkette zu den Gründen der Verteuerung zu verstehen und die Diskussion, wie angestossen von Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Elke Breitenbach, weiter zu verfolgen. Dann durfte eine (namentlich nicht genannte) Vertreterin von MOMO kurz das Projekt vorstellen. Die Quintessenz: Nur Tech-Unternehmen scheinen aktuell in der Lage zu sein, auf die historischen Umbrüche antworten zu können. Aber es könne nicht sein, dass nur ein Akteur das macht und Kooperationen oft Lippenbekenntnisse sind. Es brauche einen multiperspektivistischen Weg. Und diesen könne das neue Haus bieten.
Die Fragerunde im Anschluss ist unergiebig. Es werden keine wirklichen kritischen Fragen gestellt, ausser der, ob Google nach den fünf Jahren komplett aussteige. Dies würde erst nach dem „Fünf-Jahresplan, bekannt von der DDR“ (allgemeines Gelächter) evaluiert, antwortet Richert. Kurz vor dem Ende der Pressekonferenz erinnert der Google Vertreter die Moderation, dass unbedingt der Baucontainer angesprochen werden soll. Ab Mitte November soll ein Baucontainer ausserhalb der Räumlichkeiten den Kontakt mit dem Kiez ermöglichen: Jeden Mittwoch von 14:00-16:00 Uhr und Freitag von 10:00-12:00 Uhr solle der „Sprechcontainer“ verschiedene Aktivitäten anbieten.
Beim anschliessenden Rundgang erklären Silbernagl und Richert mit Hilfe der jeweiligen Projektleiter*innen den Umbau und zukünftige Nutzung der Räume. Gezeigt wird, wo der Empfang, das grosse Auditorium oder die Workshopräume sein werden. Im Untergeschoss sei ein Herz- und Schmuckstück des Hauses, der sogenannte „Prinzessinnengarten“, ein Wintergarten, der als halb-offener Bereich dienen soll. Unter anderem soll das Projekt „Music for good“, das Musikevents für gute Zwecke anbietet, hier angesiedelt sein.
Auch der soziale Baucontainer wird beim Rundgang besichtigt. Er befindet sich innerhalb der Umzäunung des Geländes, der direkte Zugang ist noch etwas schwer. Es bleibt abzuwarten, ob die Bevölkerung diesen abgezäunten Baucontainer umarmen wird. Richert witzelt, er würde daneben seine Hängematte aufhängen. Vielleicht hilft das ja.
Alles anders? Wirklich? Das Mikro geht an die Bewegung
Spass beiseite. Google und seine Partner haben ihre Zeit wohl wirklich geschickt genutzt und lancieren ein soziales Gegenprojekt – ein Haus für soziales Engagement „für alle“. Wer sich aber ein offenes und gemütliches soziales Zentrum zum abhängen, selbstorganisiert aktiv werden oder auch nur kiffen darunter vorstellt, liegt falsch. Dort soll gearbeitet werden. Und diese Arbeit soll ausgelebt und gefeiert werden: Die Grenzen zur Freizeit sollen weiter verblassen. Dort soll „gesunde“, aber sicherlich keine direkte Demokratie praktiziert werden.Die Proteste gegen den Google-Campus waren und sind damit aber auch weiterhin erfolgreich: Sie haben Google mit seinem gesamten Beraterstab gezwungen, diese Proteste ernst zu nehmen und sich einen Alternativweg zu überlegen. Zwar wird in längerer Frist die Start-Up-Kultur doch Eingang in Kreuzberg finden – aber auf Umwegen, bei denen wiederum immer wieder neue Widerstände entwickelt werden können. Die Taktik von Google erinnert an das bekannte „Greenwashing“ anderer sozialer Projekte und Initiativen in der Vergangenheit.
An dieser Stelle sollte auch an die Ankündigung von Amazon in den USA vor wenigen Tagen erinnert werden, den Mindestlohn für seine Mitarbeiter auf 15 Dollar zu erhöhen – eine Antwort auf die breite Kritik –, ohne dabei zu erwähnen, dass Boni und andere Extras womöglich gestrichen werden. Die Nerds und Geeks aus Silicon Valley sehen sich als die ultimativen Weltverbesserer und Anführer einer breiten sozialen Veränderung auf neoliberale Art.
Die Vereinnahmung von Protest durch eine Alternative, bei der die Zivilgesellschaft eingeweiht ist, ist dabei keine Innovation. Aber es ist eine Chance: Vom Etappensieg aus hin zu einer weiteren und breiteren Auseinandersetzung gegen Gentrifizierung, Verwertung und sozialen Ausschluss. Die Lösungen von oben werden nie die unsere sein. Aber diese Weisheit reicht nicht aus – sondern muss auf der Strasse und den Kiezen bestätigt werden. Und diese Diskussion soll laut TOP B3rlin, einer Gruppe die mit dem Projekt "Communist Counter Campus" gegen Google in den letzten Monaten aktiv war, schon heute Abend beginnen.