Das hat nicht ausgereicht, um zu verhindern, dass die AfD beachtliche Wahlerfolge erzielt hat. Daher wurde eine neue Strategie eingeschlagen: b) Man erklärt die Wähler zu „Protestwähler“, also Leute, die die AfD gar nicht wegen ihrer Programminhalte wählen, sondern den anderen Parteien einen „Denkzettel“ verpassen wollen. Man versucht dabei die Wähler jetzt davon zu überzeugen, dass man wesentliche Punkte der AfD längst umgesetzt hat bzw. bei einem selber die Aussicht besteht, die Ziele viel verantwortungsbewusster umzusetzen.[1] Die etablierten Parteien wollen der AfD das Wasser abgraben, indem sie die Nähe herauskehren. Entsprechend sehen die Debatten jetzt aus, wenn die Parteien dafür den Übergang machen, dass man sich mit der AfD inhaltlich auseinandersetzen wolle.[2] Hier ist der Ton der Aussage der etablierten Parteien: „Wir sind die besseren AfDler“
Das linke Spektrum ringt um eine Einschätzung, was diese neue Partei eigentlich ist. Eine faschistische Partei? Eine rechte Partei, die ein gefährlicher Wegbereiter für faschistische Positionen ist? Die Auseinandersetzung wird auf jeden Fall derzeit eher in folgende Richtung geführt: Parteitag stören, Wahlplakate systematisch abreissen, Stände abräumen, Parteileute und Parteigänger als Rassisten, Sexisten etc. denunzieren, Verbindungen zu Nazis aufzeigen. Die AfD wird zum neuen Hauptfeind. An ihren Forderungen dürfen keine Zugeständnisse gemacht werden, die AfD müsse einfach verachtet werden. Abgesehen von manchen praktischen Konsequenzen, kann man also eine Identität mit der einen Strategie der etablierten Parteien feststellen.
Bei der Denunziation ergibt sich dann das Problem, dass man darum weiss, dass die Parteien der Mitte auch miese Positionen vertreten und das schon mitkritisieren will. Dieses Problem taucht nur auf, weil man die AfD trotz bemerkter Gemeinsamkeiten mit den herkömmlichen Parteien, doch als das schlimmere Übel entdeckt, vor dem das normale Übel gerettet werden müsse.
Von CSU bis Antifa versuchen alle die Leute von der AfD abzubringen, ohne ihre Programmpunkte ernst zu nehmen und an ihrer Erklärung aufzuzeigen, warum ein Mitmachen bei und das Wählen der AfD schädlich ist.
Eine Erklärung und Kritik dessen,
a) was die AfD will,
b) wie sie eigentümliche oder allgemeine Schlüsse aus der deutschen Staatsräson zieht,
c) was diese Staatsräson ist und wie die Bevölkerung darin eingebaut ist,
d) und warum deshalb vielen Menschen das Programm der AfD plausibel erscheint,
ist in der Auseinandersetzung mit der AfD bislang leider kaum oder gar nicht zu finden. Das soll im folgenden an vier wichtigen Programmpunkten der AfD exemplarisch gemacht werden.
Die folgenden Ausführungen zu den Themen Euro, Werte, Antiislamismus und Flüchtlingspolitik haben dabei vielleicht das Problem, dass sie jeweils zu knapp abgehandelt werden. Jedes Thema könnte für sich viel Raum gebrauchen. Die Behandlung unterschiedlicher Themen ist aber wichtig, um den allgemeinen Grundzug des besonderen Programms der AfD aufzeigen.
Weiter könnte der Eindruck entstehen, dass es im Folgenden gar nicht so richtig konzentriert um die AfD ginge, weil teils Ausführungen zur Politik der etablierten Parteien gemacht werden. Die Behauptung ist aber, und das soll im Folgenden gezeigt werden, dass eine Kritik der AfD, ohne die unterstellten Prämissen ihres Programms nicht zu leisten ist. Als Nebenprodukt wird sich dabei zeigen, warum bürgerliche Parteien gar nicht in der Lage sind die AfD prinzipiell zu kritisieren – sie teilen zuviele Prämissen. Das erklärt auch, warum soviele Parteimitglieder der AfD von den anderen Parteien herkommen.[3]
1. Der Anlass, eine neue Partei zu gründen, war die politische Bewältigung der europäischen Staatsverschuldungskrise. Die Gründer sind mittlerweile nicht mehr in der Partei, die Position bleibt und wird neu zugespitzt.
Deutschland hat versucht, seine nationale Grösse in der Welt dadurch zu mehren, dass es mit anderen europäischen Staaten zusammen ein Bündnis geschlossen hat - die EU und mit vielen Ländern davon die Euro-Gemeinschaft.
Jedes Land will die EU für den eigenen nationalen Erfolg benutzen, kommt dabei aber nicht umhin mehr oder weniger Kompromisse zu machen. Das lief nie ohne Streit ab und immer wieder standen die Länder vor der Alternative: a) An die EU mehr Kompetenzen abtreten und die Gemeinschaft gegen die vielen nationalen Einzelinteressen zu stärken. Oder aber b) die vielen nationalen Einzelinteressen mehr zu berücksichtigen und dafür das Projekt rückabzuwickeln. Letzteres bedeutet dann: Auf die Stärke, die die Gemeinschaft vergleichsweise der eigenen nationalen Position gibt, muss ein Stück weit verzichtet werden. Die Finanz- und Staatsverschuldungskrise war und ist mal wieder so eine Situation. In der AfD versammeln sich Politiker, die es ärgert, dass Erfolge, die sich Deutschland erwirtschaftet, nicht rein für sich geniessen kann, sondern teils für andere Länder hergegeben muss, die in der Konkurrenz verloren haben. Weiter sehen sie die Gefahr, dass Deutschlands Kreditwürdigkeit leidet, wenn Deutschland für einen grossen Teil der Kredite haftet, die derzeit an Griechenland vergeben werden.[4]
Diese Gefahr sehen auch die Politiker der etablierten Parteien und wurde/wird von ihnen in der Öffentlichkeit herausgestrichen. Nur, so deren andere praktische Konsequenz: Das Hängenlassen von Griechenland und ggf. weiteren Staaten würden für den Euro und die EU eine derartige Schwächung bedeuten, dass Deutschlands Grösse dadurch beschädigt werden würde.
Unter dem Eindruck eines prekären Erfolges der EU für Deutschland fällt den AfDlern auf, dass immer mehr Souveränitätsrechte auf die EU-Institutionen übertragen werden. Die Geldpolitik wird durch die EZB gestaltet, auf die die Staaten zwar prinzipiell Einfluss haben, aber nur, wenn sie sich einig werden. Die nationalen Parlamente müssen sich ihre Haushaltsplanung von der EU kontrollieren und genehmigen lassen. Die Banken werden mittlerweile ebenfalls von einer EU-Institution beaufsichtigt. Der AfD fällt daran vor allem auf, dass die deutsche Politik so gar nicht mehr aus eigener Machtvollkommenheit das tun kann, was für den nationalen Erfolg am Besten ist.[5]
Hier stellt sich die AfD einseitiger auf einen Standpunkt innerhalb einer Güterabwägung, die noch jeder Politiker macht. Moderner Imperialismus (also die Einflussnahme in der Welt für den nationalen Erfolg) geht darüber, dass man die anderen Staaten anerkennt und Verträge eingeht. Die Beständigkeit der Verträge erfordert dann aber auch Verbindlichkeiten von der eigenen Seite. Die ganze Welt für das nationale Kapital nützlich zu machen, wie andersherum, fremdes Kapital für die eigene nationale Stärke funktional zu machen, geht so nur über die Bildung supranationaler Institutionen und Bündnisse, in denen man Beiträge liefern muss, die unmittelbar vielleicht keinen Nutzen versprechen. Und die Frage ist, wann die Nutzenbilanz insgesamt dann mal gegen internationale Verträge und bestehende Bündnisse ausfällt.
Der Standpunkt der AfD, nach dem die bestehenden Bündnisse dem deutschen Interesse mehr schaden als nützen würde, gab es immer in der Parteienlandschaft. Neu ist, dass diese Position nicht nur von Unter-5%-Parteien oder Hinterbänkler der etablierten Parteien vertreten wird. Neu ist, dass sich dieser Standpunkt in einer neuen Partei etabliert, die eine gute Chance hat, sich in der Parteienlandschaft dauerhaft mit zweistelligen Ergebnissen zu etablieren. Die Grundlage dafür liegt in der aktuellen Verfassung der Weltwirtschaft.
Der weltweite Kapitalismus befindet sich derzeit in einer lang anhaltenden Krise. Die Konkurrenz der Staaten geht nicht mehr darum, welche Nation wieviel vom Gewinntopf abschöpft, den die Unternehmen weltweit aus den Arbeitern weltweit rausholen, sondern um die Vermeidung von Verlusten und Kapitalentwertung. Die Staaten versuchen derzeit, den Schaden auf andere Volkswirtschaften abzuwälzen. Als Beispiel kann der Umgang Deutschlands mit den schwächelnden Länder im Süden der EU im Zuge der Staatsverschuldungskrise gelten.[6]
Bei diesem politischen Krisenprogramm machen sich die eingegangenen Verpflichtungen als Hindernis bemerkbar. Es bräuchte nach der Einschätzung der AfD für den nationalen Nutzen eine Grundrevision der internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen und Verbindlichkeiten. Und dieses politische Krisenprogramm etabliert sich derzeit in vielen Ländern, sei es mit neuen Parteien oder dadurch, dass sich die Position in etablierten Parteien durchsetzt: Trump, Front National, Brexit etc.
Eine Politikerin wie Merkel hält dem entgegen: Ohne die supranationalen Institutionen gibt es keine Ordnung, über die man grundlegende Revisionen zu seinem Gunsten weltweit durchsetzen kann. Sie betont die andere Bedeutung von Souveränität: Was nützt es, wenn man jederzeit selbst entscheiden kann, aber dabei gar nichts inhaltliches in der Welt durchsetzen kann? Wie Merkel es selber sagt:
„Wenn diese Fähigkeit zu Kompromissen verloren geht, dann ist Europa verloren. In diesem Sinne ist auch der Satz zu verstehen, den ich schon des Öfteren gesagt habe: 'Scheitert der Euro, scheitert Europa.'(…) ich sage, dass wir damit mittel- und langfristig Schaden nehmen würden. Wir würden Schaden dahingehend nehmen, dass wir kein relevanter Faktor mehr in der Welt wären (…). Wir werden, obwohl wir sowieso schon ein immer kleinerer Teil der Welt werden, nicht mehr die Bedeutung haben, dass wir uns durchsetzen können mit dem, was uns wichtig ist. Deshalb ist der Gedanke eines einigen Europas von so grosser Bedeutung.“[7]
Während die AfD also sagt, dass Deutschlands Interessen in den Bündnissen untergehe, hält Merkel die Position der AfD für unvernünftig, weil mit einer Politik gegen die Bündnisse Deutschlands Interessen untergehen würden.
In der Rede von Merkel ist aber eine weitere Sache bemerkenswert und zwar das Gefahrenpotential, dass sie diagnostiziert: Die Bedeutungslosigkeit von Deutschland in der Welt. Sie selber sieht die Souveränität, die Durchsetzungsfähigkeit von Deutschland in Gefahr. Wo sie aber nur warnt, dass es dahin kommen könnte, sieht die AfD diesen nationalen Notstand schon längst am Wirken, im Sinne von „Deutschland schafft sich ab“. Und das markiert einen weiteren wesentlichen Unterschied der AfD zu den etablierten Parteien. Während die anderen Parteien darum streiten, welche politischen Programme der Staat nach innen und aussen verfolge solle und dabei eine funktionierende Staatsgewalt unterstellen, setzt die AfD einen neuen Standpunkt auf die Tagungsordnung: Die Staatsgewalt selber funktioniere nicht mehr bzw. schwäche sich fortlaufend und das muss jetzt als das dringendste Problem angesehen werden.
Diesen Standpunkt nimmt zum Beispiel die NPD seit eh und je ein. Allerdings will die AfD im Unterschied zur NPD nicht auf die bestehenden Bündnisse ganz verzichten, will sie aber alle deutlich korrigieren:
Der Euro soll abgeschafft werden und die EU auf die EG zurückgestutzt werden, wie sie vor 1992 existiert hat. Die NATO soll erhalten bleiben, Deutschland soll aber zugleich eine eigene vollständige Wehrfähigkeit erreichen und sich nicht auf Sachen wie Aufklärung spezialisieren, so dass es nur innerhalb des Bündnisse was leisten könne. Deutschland soll sich nur an NATO-Einsätzen ausserhalb des NATO-Gebietes beteiligen, die durch einen UNO-Beschluss gebilligt sind. Die UNO soll also als korrektiv zur Eigenmächtigkeit der USA innerhalb der NATO dienen. Einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat stehe Deutschland dabei zu – was ja auch das Ziel der Regierungs- Parteien war und ist (CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen).[8]
Bei ihrem Programm „den Staat retten“, verabschiedet sich die AfD also nicht absolut aus den Nutzen-Kalkulationen, die die etablierten Parteien mit den bestehenden Bündnissen anstellen.
Ein erstes Fazit
Die AfD will – wie alle anderen Parteien auch – einen starken, souveränen, d.h. durchsetzungsfähigen Staat: „Unser Ziel ist ein souveränes Deutschland“ (AfD), „Deutschland stark machen“ (Bundesregierung), für einen „handlungsfähigen Staat“ (Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke[9]), „Wiederherstellung unserer nationalen Handlungsfähigkeit und Souveränität“ (NPD).Die AfD hat einen Weg hinter sich. Mit den Gründungsvätern Olaf Henkel Henkel und Bernd Lucke begann die Partei mit dem Standpunkt, dass die Eurokrise doch offensichtlich mache, dass der Euro abgeschafft werden müsse. Er nütze vor allem Deutschland nicht. Sie haben damit durchaus an der Staatsräson gerüttelt, aber noch mit der Betonung eines wirtschaftspolitischen Reformprogrammes. Mittlerweile sind die Gründungsväter ausgestiegen und der durchgesetzte Standpunkt ist jetzt: Der Staat selber ist in Gefahr, weil er durch internationale Abmachungen von ausländischen Interessen benutzt würde. Das sieht die AfD jetzt überall, wo die deutsche Politik bei internationalen Angelegenheiten Rücksicht nehmen muss. Und wo deutsche Politiker bei der beschränkten Abgabe von Souveränitätsrechten an die EU gerade auf den Machtzuwachs für Deutschland kalkulieren, entdeckt die AfD „Verrat an den Interessen unseres Landes“.[10]
Mit diesem Programm kommt die AfD bei vielen Bürgern an. Merkel, aber z.B. auch die Grünen betonen dagegen, dass Deutschland nur zusammen mit anderen Ländern in der Welt etwas reissen kann. In diesem politischen Streit ist eine Menge unterstellt:
Gewaltmonopole, geführt von Parteien, treten mit ihrem Herrschaftsbereich und was die Staaten dort so an gesellschaftlichen Leben organisieren gegeneinander an, mit dem Zweck den nationalen in Geld bemessenen Reichtum in Konkurrenz zu anderen Volkswirtschaften zu mehren.
Die Bevölkerung hat das Programm auszuhalten und wird betroffen gemacht, von der Art und Weise, wie die Regierungen ihre Völker mit nationalen Gesetzen und internationalen Abmachungen jeweils gegeneinander in Stellung bringen.
Die Parteien stellen dabei ihr jeweiliges Herrschaftsprogramm über die Bevölkerung als Dienst am Volk oder der Bevölkerung dar.
Die Ideologie der „Schicksalsgemeinschaft Nation“ beruht dabei auf folgenden harten Kern: Der Staat sorgt mit seiner Gewalt dafür, dass man sich seinem Programm nicht ohne weiteres entziehen kann. Hat der Staat Erfolg im Innern wie im Aussen, die Nationalökonomie wächst und verschafft dem Staat die Möglichkeit allerhand zu tun, dann ist noch nicht ohne weiteres klar, was das für die Einzelnen in der Gesellschaft heisst. Sicher ist, dass dabei viele Kapitalisten und Unternehmen auf ihre Kosten gekommen sind, aber ob die Löhne oder die Sozialausgaben dabei steigen, steht ohne weiteres nicht fest. Im Gegenteil wird die Agenda 2010 ja dafür gelobt, dass sie mit einer Lohn- und Sozialkostensenkung, die deutsche Nationalökonomie nach vorne gebracht hat. Ein schwacher Staat kann auf jeden Fall wenig für den Erfolg der Nationalökonomie machen und die staatlichen Leistungen – insbesondere für die Lohnabhängigen - werden eingeschränkt. Das ist derzeit an Griechenland zu beobachten. Die staatliche Zwangsklammer Nationalökonomie macht dann alle betroffen und die geschäftlichen Berechnungen gehen überwiegend nicht mehr auf, egal ob man Unternehmer, Lohnarbeiter oder Bauer ist.
Die Art und Weise, wie die Bürger in dieser Gesellschaft mit- und gegeneinander ihr Leben organisieren, wird bei aller unternehmerischer und beruflicher Freiheit, durch den Staat gewaltsam erzwungen: Durch die Garantie des Eigentums sind alle auf das Geldverdienen verpflichtet. Aber: Alle Einkommensquellen sind dann mehr oder weniger auf staatliche Leistungen angewiesen. Wer Geld verdienen will, ist auf die staatliche Eigentumsgarantie und das Vertragsrecht angewiesen. Ohne Subventionen gehen viele wirtschaftliche Branchen gar nicht. Und vor allem die ökonomische Figur des Lohnarbeiters gibt es überhaupt nicht, ohne umfangreiche Sozialgesetzgebung. Der Staat wird damit zum entscheidenden Lebensmittel. Und ein Mensch, der sich mit den vorgegebenen ökonomischen Rollen, die es in der kapitalistischen Gesellschaft gibt, durchs Leben schlagen will, wird darüber zu einem Anhänger einer handlungsfähigen und durchsetzungsfähigen staatlichen Gewalt.
Zum Volk wird eine Bevölkerung dadurch, dass sie sich bei aller ökonomischer Konkurrenz untereinander, die alltäglich betrieben wird, in einem einig ist: „Wir wollen einen handlungsfähigen, starken Staat.“ Und zum AfD-Anhänger wird man, wenn man die Einschätzung hat, dass der Staat derzeit sich selber schwächt.
Wir halten dagegen: Der Grundgedanke des Nationalismus ist allen madig zu machen. Das geht freilich nur, wenn man den Leuten grundsätzlich die prekäre Lebensweise madig macht, die der Staat dem grossen Teil der Bevölkerung durch seine gesetzlichen Regeln und der daraus erwachsenen gesellschaftlichen ökonomischen Praxis vorgibt: Die Existenz als Lohnarbeiter.[11]
2. Die Agitation gegen die Euro-Krisenbewältigung und dem Euro schlechthin mit der Betonung Souveränität hat andere Geister in Konkurrenz und in Ergänzung zu den Gründungsvätern der Partei in die Partei herbeigerufen: Wertkonservative.
Ob die EU oder ein Euro ein Mittel für Deutschlands Stärke oder aber eine einzige Behinderung dafür ist, ist der Streit zwischen den etablierten Parteien und der AfD. Die Bevölkerung kommt dabei in der einen wie in der anderen Variante als Ressource von Macht vor, ihre Leistungsbereitschaft ist die Ergänzung zu den Leistungen, die die Parteien herbeiregieren wollen, damit Deutschland sich in der internationalen Konkurrenz durchsetzt. Und diese innere Einstellung der Bevölkerung ist das zweite grosse Politikfeld, bei dem die AfD Probleme sieht und Korrekturen will, damit Deutschland stark wird.
Die Einstellung überhaupt und die sittliche Einstellung insbesondere in der Bevölkerung ist für die AfD auf Abwegen:
a) Der Leistungsgedanke gehe verloren.
b) Die kulturelle Identität der Bevölkerung erodiere.
c) Der Gemeinsinn oder anders ausgedrückt der Patriotismus gehe dabei verloren.
d) ein allgemeiner Werteverfall wird festegstellt.
e) „Die Wertschätzung für die traditionelle Familie geht in Deutschland zunehmend verloren.“ (S. 41)
Diese Tendenzen schreibt die AfD dem Einfluss der sogenannten 68er-Bewegung zu.
Ein für die AfD nützliches Mitglied der Gesellschaft wird nicht einfach zur Leistung gezwungen, es selber will Leistung bringen. Selbstbewusst will man sich der Konkurrenz stellen und mit Disziplin gegen sich selbst liefern. Diese Lebenseinstellung soll der Staat dabei „belohnen“, in dem er den Leistungswilligen und -fähigen gute Rahmenbedingungen hinstellt. In diesem Sinne setzt sich die AfD z.B. für den Erhalt der Sonderschule ein gegen die Inklusion.
Neben der Aufforderung an alle, sich für sich und die Gemeinschaft ordentlich ins Zeug zu legen, will die AfD das bejahende Bewusstsein zur deutsche Identität fördern. Ein unhintergehbares Bekenntnis zum „Wir“ ist das Ziel der AfD. Es ist das Bekenntnis zu einem Zusammenleben, dass im Konfliktfall individuelle Nutzenkalkulationen zu Gunsten allgemeiner Interessen zurückstellt.
Denselben Inhalt hat die Propaganda für Werte. Werte stehen über den alltäglichen Abwägungen, die man so trifft und ein solches Bewusstsein vermisst die AfD im Volk.
Dass mit diesen Werten, die über den Nutzenkalkulationen stehen, freilich sehr bestimmte politische Zwecksetzungen verbunden sind, zeigt sich exemplarisch am Wert der Ehe und der Familie, der hier genauer behandelt werden soll:
Familienpolitik und der Kampf gegen die „Gender-Ideologie“
„Insbesondere Ehe und Familie garantieren als Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft den über Generationen gewachsenen gesellschaftlichen Zusammenhalt und geniessen daher zu Recht den besonderen Schutz des Staates.“ (S. 40)Hier will die AfD die Ehe und Familie im traditionellen Sinne verstanden haben und entdeckt in der Liberalität gegenüber abweichenden Konzepten von Ehe und Familie nicht eine Ergänzung der klassischen Ehe, sondern einen Verfall der guten Sitten. Der funktionale Gehalt dieser Sitten wird im Grundsatzprogramm offen ausgesprochen:
Deutschland brauche Nachwuchs und zwar mehr als bisher. Das sei volkswirtschaftlich geboten, wegen der Wirkung der demographischen Entwicklung auf die Wirtschaft und die Sozialsysteme.[12] Diese allgemeine Debatte, die ja nicht die AfD erfunden hat, enthält lauter ideologische Zwischenargumente, die mal für sich zu würdigen wären.[13] Wenn die AfD wie alle anderen Parteien auch den Nachwuchs fördern wollen, dann ist an eine quantitative Bevölkerungspolitik gedacht. Für die AfD muss diese aber unbedingt eine spezifische qualitative Seite haben:
„Dass die Geburtenrate unter Migranten mit mehr als 1,8 Kindern deutlich höher liegt als unter deutschstämmigen Frauen, verstärkt den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur.“ (S. 42)
Und dieser „Wandel“ ist der AfD nicht einfach egal, sondern stellt eine Bedrohung für die deutsche Gesellschaft dar. Eine Einwanderungspolitik für das demographische „Problem“ ist für die AfD keine Lösung, weil sie für die AfD Leute mit zweifelhafter, fremder Gesinnung nach Deutschland hole.[14] Dieser Zweifel gegen Migranten und ihrer Nachkommen wird im kommenden Punkt nochmal gesondert aufgenommen. Hier ist erstmal festzuhalten, dass sich die AfD von der biologischen Abstammung und der Kultur der in ihren Augen „deutschen Frauen“ viel verspricht. Sie sollen gegen die „Überfremdung“ angebähren und damit nicht nur in den Augen der AfD zweifelhafte Gesinnung minimieren helfen, sondern zugleich positive Gesinnung bei ihren Nachkommen schaffen.[15]
Die AfD bemerkt jetzt den Widerspruch zwischen Kinder kriegen/aufziehen und für die Unternehmen rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Sie kritisiert die Gesetze der letzten Jahre, die den Frauen Beine machen sollen, um Kinder zu kriegen und flott wieder voll dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen.[16] Kindererziehung soll vor allem in der klassischen Ehe zu Hause stattfinden. Nur das schaffe die rechte emotionale Verbindlichkeit, die eine Kindergärtnerin nicht zu Stande kriege.[17]
Die AfD stellt sich auch hier wieder einseitiger auf einen Standpunkt innerhalb der Güterabwägung, die die etablierten Parteien umtreibt. Auch sie halten die dauerhafte Bindung von Menschen aneinander für ein hohes Gut. Wo in der gesellschaftlichen Konkurrenz für die meisten Leute ständige Existenzunsicherheit herrscht, unterstützen sie politisch solche Beziehungen, die füreinander einstehen und sich gemeinsam durch die Konkurrenz schlagen wollen. In dieser Hinsicht haben sie gleichgeschlechtlichen Paaren einen Eheersatz angeboten, die eingetragene Partnerschaft. In dieser Hierarchie – Eheersatz statt Ehe - drückt sich aus, dass die Politik etwas gutes an gleichgeschlechtlichen Paaren schätzt, wenn die sich dazu entschliessen, ein Konkurrenzteam zu bilden. Zugleich drückt sich darin aus, dass die Politik dann doch etwas an ihnen vermisst. Und dieser ausgemachte Mangel hat seine Basis in der Unfähigkeit gleichgeschlechtlicher Paare aus natürlichen Prozessen heraus ohne Beihilfe Dritter Kinder zu kriegen. Mit diesem Umstand wird die Einschätzung verknüpft, dass so die Kindeserziehung nicht die gewünschten Resultate erzeuge. Politik, Gerichte und Juristentage beschäftigen sich mit der Frage, ob man den Willen zur Verantwortung für die Kindeserziehung in bestimmten Fällen von der biologischen Frage, wer denn nun den Samen, die Eizelle und die Gebärmutter beigesteuert hat, trennen könne. Die Süddeutsche Zeitung hält dazu fest:
„Überhaupt sollte man sich nicht täuschen lassen. Das Prinzip, dass Verantwortung wichtiger ist als Gene, bietet zwar einen guten Lösungsansatz für viele Konstellationen. Dennoch gilt: Die biologische Elternschaft ist prägendes Element einer sozialen Beziehung. Das genetische Band stärkt das Verantwortungsgefühl.“[18]
Dieser politmoralische Inhalt hat seine Binnenwidersprüche, die man sich nochmal klar machen sollte: Die Menschen sollen sich willentlich, gewohnheitsmässig dafür entscheiden, sich dauerhaft in Konkurrenzteams zu organisieren und dabei Kinder in die Welt setzen, die dann so gepflegt und gehegt werden, dass die Kinder es später selbstverständlich finden, unter Beachtung des Rechts ihren Weg in der Konkurrenz zu suchen, später selber Kinder in die Welt zu setzen und sich um die Alten zu kümmern. Warum?: Weil es so natürlich sei. Damit soll der Wille zum nationalen Dienst (die Menschen sollen) unhintergehbar gemacht werden (ist so von Natur aus).
Diesen politischen Wert des genetischen Bandes finden alle Parteien mit der AfD zusammen gut. Ohne eine ordentliche Portion Irrationalismus scheint sich niemand vorstellen zu können, dass diese Gesellschaft klappt. Wo die etablierten Parteien andere Konstellationen tolerieren und mit Abstrichen staatlich absegnen, sieht die AfD in der aktuellen Politik nicht nur Unterlassungen, sondern richtiggehend Hilfestellungen für eine falsche sittliche Einstellung.
Dass die heterosexuelle Kleinfamilie gar nicht unhintergehbar ist, zeigt dabei selbstverständlich die Tatsache, dass sich manche Leute denn auch anders entscheiden. Die AfD-Anhänger eines aus der Natur garantierten Willens, lassen sich ihre Idee dadurch nicht erschüttern, sondern schreiten fort zur staatlichen Gewalt, deren Einsatz gegen Menschen, die sich anders entscheiden, die Idee verbürgen soll.
Dazu gehört für die AfD der Kampf gegen das „Gendermainstreaming“. Dieses ist eine politische Vorgabe für die staatliche Verwaltung, alles, was man tut, von Sportvereine unterstützen bis hin zu Personal einstellen, immer die Reflexion mitzumachen, inwiefern hier Frauen in ihrer Gleichstellung befördert werden können. Als Leistungsfans und Anhänger einer klassischen Arbeitsteilung in der Familie, will die AfD diese politische Vorgabe abschaffen. Leute sollen nach Leistung eingestellt werden und wenn dabei mehr Männer irgendwo auf Posten landen, dann zeige das eben deren Überlegenheit an.[19] Weiter sehen sie in diesen Massnahmen einen gesellschaftlichen Druck auf diejenigen Frauen, die sich für die Hausfrauenrolle entscheiden.[20]
Gendermainstreaming ist aber nur ein Unterfall dessen, was die AfD als „Genderideologie“ kritisiert: Genderforschung an der Uni, Lehrpläne, die den Kindern auch mal erklären, dass es Homosexualität oder Transsexualität gibt, Sprachreformen mit grossen oder kleinem „i“, alles das steht für eine Demontage des Wertes Familie und Ehe und damit letztlich für eine Demontage eines brauchbaren Volkes, das ein starker Staat braucht, damit sie zusammen die Nation nach vorne bringen.[21]
Nicht zuletzt will die AfD die Abtreibung wieder wirklich unter Strafe stellen: „Auch sind jährlich rund 100.000 Abtreibungen nach der Beratungsregel (soziale Indikation) zu beklagen.“ (S. 41)
Die aktuelle Fassung des § 218 kennzeichnet die Abtreibung zwar generell als Verbrechen, zugleich lässt der Staat aber diese nach verpflichtender Beratung straffrei ausfallen.[22] Diese derzeitigen Regelungen werden zusammenfassend als „Fristenlösung mit Beratungspflicht und Indikationen“ bezeichnet. Abtreibungen wegen medizinischer und kriminologischer Indikation will die AfD nicht abschaffen. Die sonstige Möglichkeit ist ihr ein Dorn im Auge:[23]
„Die AfD steht für eine Kultur des Lebens und ist im Einklang mit der deutschen Rechtssprechung der Meinung, dass der Lebensschutz bereits beim Embryo beginnt. Wir fordern daher, dass bei der Schwangererenkonfliktberatung das vorranginge Ziel der Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens ist.“ (S. 44).
Soweit steht die AfD überhaupt nicht in Opposition zur derzeitigen Rechtslage.[24] Was sie stört ist, dass die aktuelle Rechtslage verlangt, dass die Beratung letztlich ergebnisoffen sein soll, die letzte Entscheidung also bei der Frau bleibt.[25]
Nach folgenden Seiten hin, nimmt die AfD daran Anstoss: Erstens will sie mehr Kinder, daher sollte das ganze Procedere eben nicht ergebnisoffen sein. Zweitens: Die derzeitige Regierung ist zufrieden mit der aktuellen Rechtslage, weil dadurch weniger Abtreibungen erfolgen als früher bei dem weitreichenden Verbot, wo sich Frauen ins Ausland absetzten oder sich heimlich an private „Pfuscher“ wenden mussten. Weiter erkennt sie das „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ an, weil zur Entwicklung der Frau zum vollkommenden Konkurrenzsubjekt in diesem Falle die Familienplanung und Entscheidungsraum über den eigenen Körper dazu gehören. Die AfD sieht darin ein Einknicken der Staatsgewalt vor dem „Individualismus“ der Bürger bzw. hier der Frau.[26] Ein souveräner Staat entscheidet darüber, wann das Leben beginnt und aufhört und ein souveräner Staat verlangt Unterordnung anstatt sich auf Kompromisse einzulassen.
Fazit
Die wertkonservativen Positionen der AfD, sei es der Leistungsgedanke, der Patriotismus oder die Familienpolitik stehen dafür ein, dass der Staat den Willen seiner Bevölkerung beackern muss, damit diese beim privaten, individuellen Glücksschmieden zugleich höhere Gesichtspunkte als eigenes Selbstgefühl in sich tragen, die über den alltäglichen Nutzenkalkulationen stehen. Noch bevor man zu den Themen Islam und Flüchtlinge kommt, soll hier unterstrichen werden: Darum geht es bei dem Thema „kulturelle Identität“.Dass es Werte braucht, sieht selbstverständlich jede andere Partei genauso, auch wenn von linker Seite eher betont wird, dass der Wert der Solidarität gefördert werden müsse oder die Regierungsparteien den Wert der Toleranz ganz oben sehen, weil nur so der Zusammenhalt in der Gesellschaft klappe.
Mit dem wertkonservativen Programm will die AfD die „heimische Bevölkerung“ beackern und dass sie unzufrieden ist mit dem Status Quo, sieht die AfD mit dem Stichwort 68er durch Entwicklungen im „Inneren“ der Gesellschaft begründet.[27] Die grossen Wahlerfolge feiert die AfD freilich mit den Programmpunkten, die sich auf die in ihren Augen „fremden“ Einflüsse auf die Sittlichkeit in der Bevölkerung und vor allem deren Zusammensetzung überhaupt beziehen: Der Islam in Deutschland, die Einwanderung und hier insbesondere die Flüchtlingspolitik.
3. Die kulturelle Identität der Deutschen wird in den Augen der AfD durch fremde Einflüsse untergraben. Dazu gehört vor allem der Islam.
Für dieses politisches Programm, mehr Freiheit bei dem Einsatz staatlicher Gewalt für das „erfolgreiche Zusammenleben in Deutschland“, braucht es ein Volk, das bedingungslos hinter dem Staat steht. Fremde Einflüsse auf die Bevölkerungszusammensetzung und deren gewohnheitsmässiges Leben, wirken für die AfD genauso schädlich auf die nationale Souveränität, wie zu umfangreiche Verträge mit anderen Staaten.
Auch wenn sich die AfD-Grössen nicht ganz einig sind, was denn jetzt genau die deutsche Identität ausmacht und spiegelbildlich, was dann das „Fremde“ ist, einig sind sie sich auf jeden Fall in folgenden Sachen: Ob Formen des Familienlebens, Essgewohnheiten oder Kleidungsgewohnheiten, Sprachen und Religionen soweit diese eher die Leitkultur anderer Staaten oder Regionen darstellen, mit denen Deutschland in einer Konkurrenz um den Reichtum der Welt steht, sie stehen für die Erosion der deutschen Identität, so die AfD. Hier dürfen dann auch die ansonsten „links-rot-grün-versifften“ Themen wie Feminismus und Homosexualität als Kronzeuge gegen das „Fremde“ spielen.[28]
Der Programmpunkt kulturelle Identität und die antislamische Politik der AfD erhalten besonderes Feuer durch folgenden Hintergrund:
Der Westen führt seit mittlerweile 15 Jahren einen sogenannten Krieg gegen den Terror mit der expliziten Auskunft, dass das Ende nicht in Sicht ist, man da langfristig viel tun muss. In diesem Krieg versuchen die Gegner ganz kriegslogisch mit Anschlägen in der Heimat ihrer Gegner Unruhe zu stiften.
Und seit 15 Jahren kommt dabei die sittliche Qualität der Heimatbevölkerung ins Visier der Regierenden, weil eine geschlossene Mannschaft hinter sich, die Voraussetzung für das Kriegführen auswärts ist. Zum einem geht der Aufruf an alle raus, sich von wirklichen oder potentiellen Anschlägen sich im Alltagsleben nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Zum anderen wird seit 15 Jahren eine skeptische Debatte über Muslime im Land mit mehr Intensität geführt: Gehört der Islam zu Deutschland? Und wenn ja, dann gleichberechtigt und offiziell eingebaut in die nationale geistige Erbauungslandschaft oder besser nur als eine tolerierte Art Privatreligion, die man auch ruhig haben kann? Oder sind Muslime nicht generell unsichere Kandidaten, zumindest im Durchschnitt?
Alle Parteien schätzen die Religion als Sinnstiftungsangebot für die Bevölkerung. Sie schätzen sie als Lehranstalt dafür, dass es die gute Herrschaft gibt und dass es Werte gibt, die über Nutzenkalkulationen stehen. Der staatliche Zwangszusammenhang, der jedem das private Vorankommen in der Konkurrenz verordnet, ist auf solch ein Bewusstsein angewiesen.
Weil es um die Funktion für den Staat geht, muss die Religion aber auch selber Abstriche machen und sich in das Programm einfügen. Die Gesetze des Herrn mögen unumstösslich sein, im Zweifelsfall ist das Gewaltmonopol anzuerkennen und dessen Gesetzte höher zu setzen.
An diesem Verhältnis von Staat und Religion hat Deutschland (und die vorausgegangenen Fürstentümer), was die christlichen Kirchen angeht, ein paar Jahrhunderte Kämpfe, Kompromisse und wechselseitige Nutzenvereinbarungen hinter sich.
Die Symbiose klappt hier: Der Staat führt Gott mit in der Verfassung, hat eine Regierungspartei mit „C“ im Namen, lässt Religionstypen in die Schulen, treibt für die Kirchen die Steuer ein. Die Kirchen wiederum rufen ihre Leute nicht zum Widerstand auf, wenn staatliche Gesetze den religiösen widersprechen, sondern höchstens zur demokratischen Einflussnahme.
In dieser Hinsicht hat Deutschland bezüglich des Islams noch viel zu tun.
Deutschland hat Türken als Gastarbeiter für das nationale Projekt eingespannt und gerade aufgrund des hohen Wertes Familie in der deutschen Staatsräson, gibt es dank Familienzusammenzuges mittlerweile grosse Bevölkerungsanteile, die muslimischen Glaubens sind. Hinzu kommen Bevölkerungsanteile, die aufgrund von Flüchtlingspolitik in Deutschland gelandet sind (dazu gleich mehr).
Zur Erinnerung: Noch 1982 hat Helmut Kohl das Projekt gehabt, die Türken in Deutschland zu halbieren.[29] Um 2001 zetteln führende Christdemokraten eine Leitkulturdebatte an, in der sie die christlich-abendländische Tradition als die zentrale Wertequelle von allen anerkannt haben wollten. Noch 2013 will Deutschland im Rahmen der Übernahme von Kontingentflüchtlinge vor allem überwiegend christliche syrische Flüchtlinge aufnehmen.
Aber: Die heutige Regierung akzeptiert, dass viele islamgläubige Leute in Deutschland sind und gibt die Parole aus, dass der Islam zu integrieren sei und dafür hält sie Positionen, die Muslime raus haben wollen oder nicht mehr reinlassen wollen, für kontraproduktiv. Zugleich befeuert sie die Skepsis, wenn sie immer wieder betont, dass da noch viel zu integrieren sei. Den letztlichen Inhalt der Integration hat Merkel nochmal deutlich ausgesprochen: „Von den Türkischstämmigen, die schon lange in Deutschland leben, erwarten wir, dass sie ein hohes Mass an Loyalität zu unserem Land entwickeln. Dafür versuchen wir, für ihre Anliegen ein offenes Ohr zu haben und sie zu verstehen. Und dafür halten wir auch engen Kontakt mit den Migrantenverbänden.“[30]
SPD und Grüne sehen in dieser direkten Ansage bereits einen kontraproduktiven Eingriff in die Willensbildung der islamischen Verbände und deren Anhänger. Im Ziel sind sie sich selbstverständlich mit Merkel einig, nur meinen sie, dass der Befehl zur Loyalität keine Loyalität stiften kann.
Dass die Politik überhaupt Angebote für islamischen Vereinen machen müsse, hält die AfD dagegen für eine einzige Frechheit, seitens der islamischen Verbände. Wo Unterordnung gefragt ist, muss der Deal einseitig ausfallen: Entweder ihr macht das, was der Staat verlangt oder ihr habt kein Existenzrecht.
4. Gemäss ihrer bevölkerungspolitischen Vorstellungen ist für die AfD die Asylpolitik der aktuellen Regierung ein einziger Angriff auf die kulturelle Identität des Volkes.
Die deutsche und europäische Asylpolitik ist gescheitert. In diesem Urteil sind sich Regierung und AfD einig und zwar nicht nur formell, sondern der Substanz nach. Zuviele Flüchtlinge kommen nach Deutschland, zuviele abgelehnte Asylbewerber werden nicht abgeschoben.
Die AfD sieht dagegen voll in der Opposition, insbesondere wegen der Sonderaktion im Sommer 2015, bei der Deutschland zusammen mit Österreich zeitweilig vereinfacht 800.000 Flüchtlinge ins Land gelassen hat und nicht aufgrund der Drittstaatenreglung in die Nachbarländer abschieben wollte.[31] Aber schon damals hat Merkel gesagt, worum es ihr mittelfristig geht: Um eine neue umfassende Strategie Flüchtlingszahlen in Deutschland deutlich zu dezimieren. Der Türkei-Vertrag wird in dieser Hinsicht als Erfolg gewertet. Die Türkei verpflichtet sich die Grenzen Richtung Europa besser zu schützen und diejenigen Flüchtlinge, die es dennoch nach Griechenland schaffen, werden in die Türkei abgeschoben. Dafür nimmt Europa aus den Lagern der Türkei jeweils 1:1 einen syrischen Flüchtling auf, der nicht zuvor versucht hat, nach Griechenland zu kommen. Das Bezahlen eines illegalen Transportunternehmens soll den Flüchtlingen als verschwendetes Geld klar gemacht werden.
Merkel zieht aus der aktuellen Fluchtbewegungen aufgrund von Kriegen, Bürgerkriegen, Klimaänderungen, extremer Armut usw. folgende Schlüsse: Erstens geht eine völlige Abschottung nicht, man müsse mit einigen Flüchtlingen immer leben. Dies vor allem als erfolgreiche Volkswirtschaft, die umgeben ist von niederkonkurrierten Volkswirtschaften. Zweitens sind Bürgerkriegsflüchtlinge oder Asylsuchende im engeren Sinne aufzunehmen, weil sie ein unverzichtbarer Titel sind, um in andere Länder hineinzuregieren.[32] Drittens geht die gewünschte Reduzierung der Flüchtlinge nur mit umfassenden Verträgen mit anderen Staaten.
Die AfD sieht darin den mangelnden Willen, sich auf die eigene staatliche Gewalt als einzig wirkungsvolles Mittel zu besinnen. Dass man mit Flüchtlingen leben müsse, sieht die AfD nicht ein und verweist auf das australische Modell. Deutschland sollte mit schwachen Staaten nicht nur Abkommen machen, damit sie Flüchtlinge von europäischen Grenzen fernhalten, sondern dieselben Staaten sollten auch die Flüchtlinge in Lagern betreuen, die in Deutschland angekommen sind oder vom europäischen Grenzschutz aufgefangen werden.[33]
Den moralisch-imperialistischen Mehrwert von Asylsuchenden sieht die AfD nicht, zumindest in der Güterabwägung ist die kulturelle Identität des deutschen Volkes höher zu gewichten. In den Verträgen mit anderen Staaten, die nicht völlig erpressbar sind, sieht die AfD keine Funktionalisierung von deren Gewalt für deutsche Interessen, sondern neue Gebiete, in denen Deutschland seine Souveränität aufgibt, nach dem Motto: Ausgerechnet auf Erdogan soll man sich jetzt bei dem Schutz vor Flüchtlingen verlassen?
Fällt der Fluchtgrund weg, weil ein Krieg zu Ende ist, dann sollen die Flüchtlinge wieder raus aus Deutschland. In dieser Hinsicht gibt sich Deutschland ja jetzt schon so einige Mühe, aber, so die neue deutsche Regierungspolitik: Es werden wohl irgendwann viele Syrer wieder gehen, einige werden aber auch in Deutschland bleiben. In beiden Fällen soll der Staat sie frühzeitig in die Gesellschaft integrieren mit Sprachkursen, Arbeitsplatzeingliederungshilfen usw. und fordert die Bevölkerung auf, hier zivilgesellschaftsmässig zu unterstützen. Für dieses Programm zieht die Bundesregierung so manches Argument aus dem Verkehr, was sie früher selber verbreitet hat, z.B. dass Ausländer krimineller seien oder ähnliches. Wo keine „Willkomenskultur“ angebracht ist, z.B. bei Nord-Afrikanern, werden freilich differenziert die bekannten rassistischen Urteile verbreitet, wie in der Debatte um Köln geschehen.
Die AfD steht jetzt nicht nur als Partei gegen die in ihren Augen fahrlässige Flüchtlingspolitik auf, sondern ermuntert die Bevölkerung zivilgesellschaftlich aktiv zu werden gegen die Willkommenskultur.
Gesamtfazit
Die AfD nimmt Themen auf, die genauso von den etablierten Parteien als Problem für den Erfolg von Deutschland definiert werden. In den Güterabwägungen, die durchaus bei der AfD zu finden sind, fällt die Betonung der AfD einseitiger aus. Als Grundzüge lässt sich dabei festhalten:Die AfD plädiert für einen direkteren Einsatz staatlicher Gewalt. Wo die etablierten Parteien vor einfachen Lösungen warnen, weil damit andere wichtige Gesichtspunkte deutscher Politik unter die Räder geraten könnten, entdeckt die AfD faule Ausreden von Politikern, die sich scheuen würden staatliche Gewalt in erster Linie für den nationalen Nutzen einzusetzen.
Insofern die etablierten Parteien internationale Abmachungen hervorheben, die es zu beachten gilt, bei Problemlösungen, weil diese internationalen Abmachungen für Deutschlands Geltung in der Welt unverzichtbar sind, entdeckt die AfD das Ausgeliefertsein der deutschen Souveränität und dringt auf Korrekturen der internationalen Abmachungen.
Für dieses politisches Programm, braucht es ein Volk, das bedingungslos hinter dem Staat steht. Nach innen ist eine Wertekampagne dafür notwendig, die ihre Ergänzung findet in dem Kampf gegen „fremde“ Einflüsse. Diese und die falsche Bevölkerungszusammensetzung wirken für die AfD genauso schädlich auf die nationale Souveränität, wie zu umfangreiche Verträge mit anderen Staaten.
Die demokratischen Parteien können die AfD nur in der Weise kritisieren, dass sie ihr in den prinzipiellen Sorgepunkten Recht geben und nur ihre Konsequenzen für verfehlt darstellen. Die Politik der demokratischen Parteien ist insofern die Grundlage für die radikaleren Schlüsse der AfD.
Die etablierten Parteien unterstellen, dass die Gesellschaft funktioniert und streiten sich um Lösungen für Probleme, die es hier und dort gibt. Die AfD diagnostiziert dagegen ein sich abschaffen von Staat und Volk und von diesem Standpunkt aus, muss für die AfD alles hinten anstehen. Wo das Lebensmittel des Volker schlechthin – die Gewalt – in Gefahr ist, da muss an allen Fronten mehr Gewalt uneingeschränkt entfesselt werden.
Eine Kritik der AfD kommt um eine Erklärung, wie die Menschen in eine kapitalistischen Staatenwelt eingebaut sind, nicht herum – das sollte gezeigt werden und sich in der Hinsicht anzustrengen, dazu soll hier aufgefordert werden.