I.
Der politische „Flüsterwitz” um Goerdeler und Popitz als Protagonisten des 'nationalkonservativen' Widerstands in der Spätphase des Dritten Reichs, den „die Eingeweihten” schon Anfang 1944 „geflüstert" hätten, stellt gewiss eine der zahlreichen „unscheinbaren Oberflächenäusserungen” dar, die - nach einem Wort Siegfried Kracauers - oft den „Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozess einnimmt”, „schlagender” bestimmen lassen als „Urteile der Epoche über sich selbst” (Kracauer 1977, 50).Dieser politische Witz als - 1944 - wohl öffentlich unbekannt bleibende Kommunikation zeigt im Besonderen mindestens zweierlei: erstens die Distanz jener aktiven Oppositionellen im Untergrund gegenüber den staatspolitischen Plänen des „Widerstands der Staatsdiener” (Mommsen 1985,90) und damit auch eine soziale und politische Differenzierung. Und zweitens verweist er anschaulich darauf, dass nicht allein der Verfolger- und Unterdrückungsapparat des Dritten Reichs um Entwicklungen zum versuchten Sturz des Regimes wusste1, sondern auch an diesen Aktionsversuchen zunächst ganz Unbeteiligte.
So gesehen, mag der zitierte Witz vor allem das Relevanzproblem belegen. Er gibt jedoch, als besondere Form des „Volksvermögens” (Rühmkorf 1967, 203-238) einer Zeit, auch einen bezeichnenden Einblick in bestimmte gesellschaftliche Segmente oder in etwas, das die .verborgene' Gesellschaft genannt werden mag. Das Kommunikations- und Entäusserungsmedium, das uns diese Einblicke erlaubt, wurde zunächst und entsprechend dem umfassenden Sozialcharakter des herrschenden Mediensystems im Dritten Reich als „gesprochene Zeitung” (Hagemann 1951,135-137) bezeichnet und dabei von den einen als „das Übel” (Cron 1935), von den anderen als Moment der Hoffnung (Altrichter 1935,120-123; Walter [Walter Ulbricht] 1938,47-51) angesehen. Inzwischen wird insbesondere nach Hans-Joachim Gamms zuerst 1963 veröffentlichter Untersuchung durchgängig vom .Flüsterwitz' gesprochen (cf. Gamm 1979; zuletzt Danimann 1983; Hartmann 1983).
Jede Untersuchung dieser besonderen kommunikativen Äusserungsform im allgemeinen unterliegt heute einem nicht einfachen Zugang: Es handelt sich um indirekte und rekonstruktive Sozialbeobachtung. Insofern trifft auch auf jede Studie des politischen Flüsterwitzes im Dritten Reich im speziellen zu, was überhaupt für alle Formen nicht-prozessproduzierter Materialien in der Sozialforschung gilt: Es sind immer Formen indirekter Beobachtung. Sie bedürfen in besonderem Masse der Quellenkritik.
Zugleich meint dieser indirekte Zugang zu einem bestimmten zeitgeschichtlichen Aspekt aber auch eine mögliche Vermittlung unterschiedlicher und voneinander geschiedener Sozialbereiche: Unterhalb der Ebene „grosser“ Ereignisse und oberhalb der Dimension blanker Alltagserlebnisse (cf. zuletzt Hochstein 1984) angesiedelt, könnten eingehende Untersuchungen zum Flüsterwitz im Dritten Reich durchaus eine wichtige Ebene von Mentalität - verstanden im Sinne Theodor Geigers als „psychische Antwort auf die Lage” (Geiger 1962, 340) - offenlegen. Dies auch mit Blick auf das Moment von „Verführung durch Normalität” (Henke 1984) und die in dieser .Normalität' des Dritten Reichs immer auch enthaltenen, begrenzten ideell-eskapistischen Formen und Möglichkeiten von so verdeckter wie verborgener Kommunikation, die typischerweise das ,von oben' grundsätzlich schwer zu kontrollierende Medium des Witzes kennzeichnet.
Wenn schliesslich auch der politische Flüsterwitz im Dritten Reich - wie jeder Witz im allgemeinen - funktionell durch eine widersprüchliche Einheit zweier zunächst gegenläufig erscheinender Momente gekennzeichnet ist und diese Dialektik auch jeder systematisch-kritischen Dokumentation und Analyse des Flüsterwitzes unterliegt - dann mag das Ensemble von Widerspruch und Unterwerfung, Rebellion und Erduldung, Aufbegehren und Resignation, Sprengsatz und Ventil einen Zugriff zum Mentalitätssyndrom unter den Herrschaftsbedingungen einer totalitär-faschistischen Diktatur ermöglichen.
Denn entgegen den Hoffnungen speziell des antifaschistischen deutschen Exils der ersten Jahre wurde schon bald deutlich, dass auch der harte politische Flüsterwitz im Dritten Reich dessen Herrschaftsgrundlagen nicht erschüttern konnte (cf. Willenbacher [Franz Osterroth] 1935)2, auch wenn nach der militärischen Zerschlagung des deutschen Faschismus und in der Folge bis heute die politische Bedeutung des Flüsterwitzes im Dritten Reich überschätzt und überzeichnet wurde - nicht zuletzt, um am Beispiel des Flüsterwitzes eine Keimform oppositioneller, massenhaft ausgeprägter Stimmungen legitimierend sprechen zu machen.
Führt diese Tendenz - wie in einer frühen Studie über den politischen Flüsterwitz als „getarnte Meinungsäusserung gegen den totalitären Staat” offensichtlich auch aufgrund fehlender Distanz und Quellenkritik - zur Fehlbewertung etwa der zustimmenden Resonanz auf den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 in Form der Überzeichnung des „Bedauerns über [die] missglückte Verschwörung” (Buchele 1955,188; cf. dagegen Steinert 1970), so muss sich jedoch nicht notwendig das Urteil eines sensiblen politischen Beobachters und Oppositionellen über Massenstimmungen und Mentalitäten im Dritten Reich aufdrängen und die beobachtete „Gleichgültigkeit der politischen Masse”, die „glaubend, schimpfend, witzelnd” lebe (Brill 1946, 47 sq.), als eherne Wesenheit verallgemeinert werden.
Die widersprüchliche Einheit beider scheinbar antipodischer Momente -einmal als „Absolution” und Freisprechung von Unzulänglichkeiten (Myrdal 1944,38 sq.), das andere Mal als „sort of mental rebellion” (Orwell 1968,163) - im Witz ist mithin vermittelnd-funktional aufzulösen und jeweils mit Blick auf die Besonderheiten der gesellschaftlichen Lage und kommunikativen Situation eingebend zu diskutieren. Erst dann nämlich wird man der Skylla der Missachtung und Unterschätzung und der Charybdis der Beachtung und Überschätzung auch des politischen Flüsterwitzes im Dritten Reich wirksam begegnen können und auf der Basis ausgiebiger Dokumentation zur theoretischen Deutung im Sinne einer wissenschaftlichen, also „methodischen (d. h. systematischen und kritischen) Weise der Erkenntnissuche” (Hofmann 1968, 50) zu wesentlichen Ergebnissen in diesem besonderen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Dunkelfeld kommen können.
II.
Natürlich lassen sich Witze im Allgemeinen unter ganz verschiedenen und nicht selten unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Der bekannteste Zugriff auf den Witz und seine verschiedenen Formen und Mechanismen dürfte sicherlich Sigmund Freuds Essay Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten sein (1905) - zumal hier, auch in Überwindung der im 19. Jahrhundert vorwiegenden philosophischen und ästhetischen Betrachtung des Lachens, erstmalig ein psychoanalytischer Versuch skizziert wurde. Dieser Zugang dürfte freilich für Studien zum politischen Flüsterwitz im Dritten Reich weniger bedeutsam sein, weil es hier nicht vorrangig um die Binnensicht von Witzkonstruktion und Humorwirkung, sondern vielmehr um historische Sozial- und Kulturwissenschaft geht.Speziell zum politischen Flüsterwitz im Dritten Reich nun liegen recht verschiedene Materialien vor: einmal etwa die wichtigste Materialsammlung (Gamm 1979), die durch zahlreiche weitere Witzsammlungen - erschienen in der Publizistik des antifaschistischen deutschen Exils seit 1933 bis zu Buchveröffentlichungen der letzten Jahre - ergänzt wird. Auffällig jedoch an allen Flüsterwitz(teil)sammlungen ist, dass sie typischerweise allein die Wort-Witze versammeln, aber nur in geringem Masse auf die gesellschaftlich-politische Lage einerseits und die sozialkommunikative Situation andererseits eingehen, dazu in der Regel die Funktion politischer Flüsterwitze als „kleinen Widerstand” (Frei 1978) überakzentuieren.
Dass dies nicht notwendig zutreffen muss, hatten bereits Kirche (1964) und verallgemeinernd Droge (1970) bemerkt: So konnte Kurt Hirche, der sich bisher am weitestgehenden auf eine politische Soziologie des Flüsterwitzes eingelassen hat, anhand dreier „kurz nach der von Hitler befohlenen Ermordung seines damaligen SA-Stabschefs Ernst Röhm” kursierender Witze argumentativ belegen, dass es sich um Witze aus „NS-Kreisen, genauer: aus Kreisen der SS und der .rechten' SA” handelte (Hirche 1964,22). Und Franz Droge verallgemeinerte die Ergebnisse seiner Forschungen zum Gerücht - dem anderen bedeutenden Medium untergründiger 'Mundpublizistik' - im Zweiten Weltkrieg in der These, dass „auch solche Menschen mundpublizistisch kommuniziert haben, die dem Regime nahestanden und sich zum Teil in unmittelbarer Nähe der Entscheidungszentren bewegten” (Droge 1970,28).
Dies trifft - wie aus den SD-Berichten (Boberach 1984) der letzten Jahre des Regimes unverkennbar - auf ganze Witzgruppen, z. B. die 'Vergeltungswitze', zu. Es sind dies - so zitiert Marlies Steinen (1970,448) parteiamtliche Quellen - „Witze über führende Parteigenossen, über die Partei, böse Witze, die sogar vor der Person des Führers nicht haltmachen”. Wie etwa dieser (Steinen 1970, 348), der Stimmungen konservativer Mitläuferkreise ausdrücken könnte: Der Führer sei nach dem Tannenbergdenkmal gefahren und habe Hindenburg zugerufen: „Hindenburg du grosser Streiter, hier steht ein Gefreiter und kann nicht weiter!”
Was bislang speziell zum politischen Flüsterwitz im Dritten Reich gleichwohl nur fragmentarisch angesprochen und wissenschaftlich unzulänglich entfaltet wurde, hat endlich Detlev Peukert (1982,55-77) methodisch elaboriert im Rahmen eines Zugangsversuchs zur 'Volksmeinung' skizziert. Dieser Autor versucht im besonderen, Spottverse und Witze als .autochthon entstandene kommunikative Äusserungsformen ernst zu nehmen und in ihrer realempirischen und realhistorischen Widersprüchlichkeit - teilweise dabei in quellenkritischer Konfrontation mit den SOPADE- und SD-Berichten - als Indikatoren für aktuell politisch-moralisches .Meinungsklima' und das je wechselnde „Stimmungsbild des ”kleinen Mannes'” historiographisch aufzuarbeiten (Peukert 1982, 55-77). Peukerts wichtiger Beitrag, der auch die Ebene vorbewusster Mentalitäten berührt, deutet so auch einen methodenbewussten besonderen Zugang zu „Lebenslage und Alltagserfahrung der „kleinen Leute” unterm Hakenkreuz an (Peukert 1982,76). Sein vorläufiges und sicherlich bedenkenswertes Resümee berührt dabei auch die - eingangs angesprochene - widersprüchliche Einheit im Witz als kommunikativer Äusserungsform selbst; der Autor macht den Widerspruch beispielsweise so namhaft:
„Sicherlich [lässt sich] das Bild einer harmonischen Volksgemeinschaft nicht länger halten [...]. Vielfältige Kritik und .Meckerei' vertrug sich durchaus mit der partiellen Anerkennung des Regimes oder zumindest mit einer passiven Hinnähme der Obrigkeit” (Peukert 1982, 74).
Und weiter heisst es mit Blick auf das System nationalsozialistischer Herrschaft und ihrer Entwicklung: „In Wirklichkeit versandete die Dynamik der nationalsozialistischen Bewegung nach der Machtergreifung in Rangeleien um Posten und Einflussmöglichkeiten auf der einen Seite und in ritualisierten Aufmärschen ohne wirkliche innere Beteiligung auf der anderen Seite, versank die Masse der nicht-nationalsozialistischen Bevölkerung in passiver Missstimmung, nörglerischer Resignation und privatisierendem Arrangement mit dem Regime. Insofern waren das Gerüchtewesen und die Meckerei' weniger Anzeichen einer umfassenden 'Volksopposition' als vielmehr Indiz für eine tiefgreifende Fragmentierung der Öffentlichen Meinung in eine - zunehmend unglaubwürdige - gelenkte Meinungssphäre [...], in die äussere Loyalität bezeugende Meinungsäusserung der Bürger im öffentlich einsehbaren Raum, in die internen Meinungsbildungsprozesse der Behörden und NS-Organisationen und in die Sphäre unzensierter privater Gespräche” (Peukert 1982, 75)
So wundert denn auch nicht die relative Wirkungslosigkeit des an sich - so Peukert - „relativ breiten Potentials von Missstimmungen und Kritik”. Denn die an sich etwa im Medium des politischen Flüsterwitzes durchaus gegebene Wirksamkeit von Missstimmungen unterlag einer doppelten Einschränkung: einmal der Isolation „der kritischen Äusserungen und ihrer Befangenheit im jeweiligen Eigeninteresse” zum anderen handelte es sich um „Einzelkritik” die „oftmals durch Aspekte der Zustimmung zum Regime relativiert wurde” (Peukert 1982, 75 sq.).
III.
Freilich gab es auch im Dritten Reich einen gleichermassen geduldeten und staatlich geförderten Humor: Davon jedenfalls legen sowohl die einschlägigen, auf positiv-staatsbejahenden Humor ausgelegten und „Meckerer” und „Kritikaster” (Joseph Goebbels) abzielenden Bücher einerseits, aber auch die im April 1942 von Goebbels in einem Leitartikel für Das Reich geprägte, scheinbar verständnisvolle Metapher vom „Stuhlgang der Seele” (Goebbels 1942) Zeugnis ab. Nicht immer freilich wurden die so gesetzten Grenzen eingehalten; Dies jedenfalls zeigten das Schicksal des Berliner Kabarettisten Werner Finck und die berühmte Faschingsausgabe der Münchner Neuesten Nachrichten - veröffentlicht als Münchner Netteste Nachrichten (vor Aschermittwoch 1937, num. 00).Insofern waren die Grenzen für publizistische Schwejkiaden und damit auch für das Medium des Kabaretts eng gezogen (cf. etwa die Kommentare Schwarz van Berks 1935, 73-77 und 84-86 und vor allem Goebbels' Erklärung zum Ausschluss Werner Fincks aus der 'Reichskulturkammer' [Goebbels 1939]). Mehr noch: nicht einmal der gewiss auch unter nationalsozialistischer Herrschaft anfallende .unfreiwillige Humor' in der deutschen Tradition des Galletti und der Friederike Kempner wurde - nachdem die Nationalsozialisten auch in diesem Feld vor 1933 verspottet wurden (Hovorka 1932, 341) - 1933 ff. veröffentlicht -was auch ein bezeichnendes Licht auf die kürzlich wieder überbetonten Möglichkeiten der Camouflage im herrschenden nationalsozialistischen Mediensystem wirft (Lilienthal 1985). Dies wurde natürlich auch im politischen Flüsterwitz selbst ausgedrückt, wenn es in einem Witz zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hiess (zitiert nach Holmsten 1982, 109 sq.):
„1. Wer etwas unternimmt oder unterlässt, wird bestraft;
2. Art und Mass der Strafe richten sich nach dem Volksempfinden;
3. Was Volksempfinden ist, bestimmt der zuständige Gauleiter.”
Grundlegende Schwäche aller Witzsammlungen mit politischen Flüsterwitzen ist allerdings die mangelnde oder ungenügende Berücksichtigung der sozialkommunikativen Situation (während die historisch-politische Lage durchaus aus dem Witzmaterial selbst entschlüsselt werden kann und deshalb hier nicht weiter angesprochen wird). Daher habe ich versucht, einige der in Veröffentlichungen ganz unterschiedlicher Provenienz - teilweise eingehend - beschriebenen besonderen Witzsituationen im Dritten Reich aufzuarbeiten, ohne jedoch vorschnell die Elle sozialpsychologischer und kommunikationswissenschaftlicher Deutungen (cf. etwa Geiger 1962, 286) anzulegen. Darüber hinaus ergeben sich bei exemplarischer Diskussion einiger typologisch ausgewählter Witzsituationen vier grundlegende Einschränkungen:
Erstens ist es in diesem Stadium der Aufarbeitung ganz ausgeschlossen, die Herkunft der jeweiligen Witze zu bestimmen - zumal das Problemfeld der kommunikativen Diffusion von Gerüchten, Witzen etc. zu den schwierigen Arbeitsfeldern der Witzforschung gehört. Richtig allerdings ist, dass der vorgebliche Nachweis eines bekannten Witzmusters bei Hirche (1977, 30 sq.) mit dem britischen Publizisten Vernon Bartlett als Urheber dieser Variante3 einer quellenmässigen Überprüfung nicht standhielt4.
Zweitens verweist auch dieser Witz auf gelegentlich von sensiblen Beobachtern angemerkte Zusammenhänge und politische Witzmuster (cf. Hagemann 1951, 144; Kirche 1964; id, 1977). Tatsächlich kann hier weder berücksichtigt werden, dass auch politische Flüsterwitze im Dritten Reich auf bereits vorher benutzte Witzmuster zurückgreifen, noch kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass im Dritten Reich verwendete Witze später in der Bundesrepublik aktualisiert und jeweils auf das regierende politische Personal zugeschnitten wurden.
Drittens kann trotz der mitgeteilten Situationen des Witzerzählens und der in diesen Episoden aufscheinenden Einblicke in die Sozialfigur des Witzerzählers auch unter den Bedingungen des Dritten Reiches und seiner verschiedenen historischen Entwicklungsphasen die an sich sinnvolle Idealtypik (cf. Hagemann 1951, 144) zwischen dem Witzerzähler als typischerweise 'unbewusstem' Meinungsbildner und dem politischen Redner und Publizisten nicht verdeutlicht werden: zumal sich in der Praxis des Witzerzählens beide Seiten vermischen und verbinden.
Viertens schliesslich kann nicht mit letzter Sicherheit - dies verweist erneut auf die Bedeutung der Quellenarbeit und Quellenkritik - „authentisches” Material vorgelegt werden, obgleich ich einige vergleichbare Quellen „innerer Emigranten” - Ursula von Kardorffs Berliner Aufzeichnungen (21981) mit den hauptstädtischen Journalistenwitzen beispielsweise - eben wegen der letztlich nicht erweislichen Authentizität für diesen Zusammenhang nicht ausgewertet habe. Demgegenüber gelten mir als weitgehend authentisch sowohl die noch während des Dritten Reichs von Journalisten und Reisenden veröffentlichten Texte sowie die unmittelbar nach der nationalsozialistischen Herrschaft publizierten Aufzeichnungen, die auch den später beanspruchten Status des .inneren Emigranten' überzeugend und nicht selten selbstkritisch ansprachen.
Wertet man nun das so verbleibende .authentische' Material der Witzsituationen im Dritten Reich aus, dann fällt vor allem auf, dass offensichtlich nur wenige unpolitische, aber zweifelnde Menschen das Medium Witz überhaupt für aufzeichnenswert hielten (cf. Obenaus 1980,27 sq.). Und auch in den 24 teilveröffentlichten Tagebüchern 'einfacher' Menschen aus dem Dritten Reich (Breloer 1984,167) wird nur einmal von einer 17jährigen Schülerin in Hamburg in einer existentiellen Krisensituation auf politische Flüsterwitze zur Bestärkung einer sich herausbildenden antinationalsozialistischen Haltung verwiesen (vor . allem über die sogenannten V-Waffen für den 'Endsieg', Eintrag 21. 9.1944), Durchgängig verbreitet auch in politisch wenig interessierten Gruppen dürften dagegen jene Flüsterwitze gewesen sein, die ideell dem Druck begegnen und die Furcht überwinden sollten:
„Ich erinnere mich an einen Abend in Köln. Das mag 1938 gewesen sein [...]. Da sass ich mit einer Freundin allein an der Endhaltestelle in einer Strassenbahn. Während wir auf die Abfahrt warteten, erzählten wir uns mit dem Strassenbahnfahrer politische Witze. Ehe er zur Abfahrt abklingelte, drohte er scherzend mit dem Finger: .Aber Froilein! Fein det Maul jehalten! Se wesse ja! Erster Preis - drei Jahre Konzertlarer!” (Drey-Fuchs 1967, 39).
Und die Autorin kommentiert: „Wir zufälligen drei in der Strassenbahn, wir wussten wohl nicht genau, was alles in den KZ geschah, aber die Angst, nicht hineinzukommen, war hellwach, und wir wussten genau, was zu vermeiden war, um nicht hineinzukommen. Die Angst war ein Helfer, sie war vielleicht selbst die Spürnase, die anzeigte, mit wem man sich die Witze erzählen konnte, und mit wem nicht” (ibid.). Das Beispiel, das in Hinblick auf die Verfolgung in der Substanz natürlich zutrifft5, verweist auf allgemeinere Zusammenhänge6.
Aber auch einige Witze und Witzsituationen aus dem Arbeitsmilieu der Arbeiterklasse, deren Auswertung Timothy W. Mason (1981, 299) für sozialgeschichtlich belangvoll hält, lassen sich aus den bereits aufgearbeiteten Erinnerungen entnehmen: So berichtet ein politischer Gefangener in Anspielung auf den Abflug des .Stellvertreters des Führers' Rudolf Hess nach Schottland (unter dem Datum 11. Mai 1941):
„Wissen Sie schon das Neueste?' fragt Löffler, als er wie gewöhnlich morgens Viertel nach sechs bei mir aufschliesst. .Brauner Wellensittich entflogen'. Er geniesst mein Erstaunen. Doch ich kapiere überhaupt nichts. Löffler jedoch nimmt sich Zeit, ehe er mir triumphierend erklärt: 'Rudolf Hess ist mit 'nem Flugzeug nach England abgehauen'” (Gute 1970).
Und der anonyme Berichterstatter der sozialdemokratischen Emigrantengruppe [Willi Jesse], auf dessen Angaben der spätere Bericht über den 20. Juli 1944 beruht, veröffentlichte Anfang 1945 diese „Episode, die er selbst mit erlebt hat”:
„Unter den Arbeitern war ein SA-Mann, der auch immer mit grossem Stolz in seiner Uniform zur Arbeit gekommen war. Da er sonst ein anständiger Kerl war, wurde die Kameradschaft leidlich mit ihm aufrechterhalten. Jetzt aber kam unser Gewährsmann dazu, als ihn seine Kollegen 'durch den Kakao' zogen. 'Hast Du Dir schon den Baum ausgesucht, an dem Du Dich aufhängen willst?' ,Nee, Du', sagte ein anderer, 'nimm lieber einen Laternenpfahl'. 'Aber wo kriegen wir bloss einen Strick her?', fragte der Dritte. Das Opfer der Unterhaltung setzte sich mit keinem Wort zur Wehr” (London Representative 1945, 9).
Dieser Galgenhumor (im wörtlichen Sinne) gehört auch zum Spektrum des politischen Flüsterwitzes in der Endphase des Dritten Reichs - und mag die grimmige Stimmung in Teilen des proletarischen Arbeitsmilieus angesichts der unabwendbaren militärischen und politischen Niederlage des deutschen Faschismus veranschaulichen7.
Die wichtigsten bisher aufgefundenen Quellen jedoch sind die Rechenschaften der .inneren Emigranten' Tami [Marie Wilhelmine] Oelfgen (1946; 1955) und Hermann Stresau (1948) sowie schliesslich der zuerst 1942 veröffentlichte Erfahrungsbericht des US-Journalisten Howard K. Smith (deutsch 1982) mit seinen zahlreichen Beobachtungen auch gestisch-witziger Handlungen (z. B. Smith 1982,124). Tami Oelfgen schildert ausgiebig verschiedene Realsituationen des Witzerzählens und gestischer Anti-Nazi-Aktionen - auch wenn sie selbst einseitig die Ventil- These als „Hinüberkippen in das Banale als Erleichterung” von Spannungen (Oelfgen 1946, 98) akzentuiert, Stresaus - soweit erkennbar -authentische Tagebucheinträge und Reflexionen lassen, obgleich auch dieser Autor die Ventil-These vertritt (Stresau 1948, 84), darüber hinaus Datierungen von Witzen und Witzgruppen zu8 und bedenken auch den nationalsozialistischen Humor (Stresau 1948, 304).
Wie immer man auch diese Materialien im einzelnen bewerten mag9 - sicher scheint mir: dass hier namentlich für eine politische Soziologie des Flüsterwitzes als Beitrag zur historischen Sozial- und Kulturforschung wichtige Einsichten und bisher unberücksichtigte Aspekte - vor allem die nachgezeichneten Situationen - herausgearbeitet werden können und damit auch die widersprüchliche Einheit des politischen Flüsterwitzes im Dritten Reich leichter fasslich werden kann.
IV.
Zu allen Zeiten und noch in jedem gesellschaftlichen System sowie unter allen möglichen politischen Gegebenheiten und Herrschaftsbedingungen hat es Witze gegeben. Und wie ihr Studium im allgemeinen immer wichtige Einsichten in die innere sozial-moralische Verfasstheit sozialer Systeme ermöglicht, so im besonderen Untersuchungen zum Flüsterwitz im Dritten Reich. Hier interessieren vor allem Witze als Ausdruck subjektiver Bewältigungsformen des ,Alltags unterm Hakenkreuz', genauer: des Alltagslebens und seiner subjektiven Färbung unter totalitär-faschistischen Herrschafts- und Lebensbedingungen, Insofern soll - und kann - der Flüsterwitz und die in ihm als besonderer Kommunikations- und Äusserungsform ausgedrückte Erfahrung eines sozialen und politischen Systems bedeutsame Hinweise auf kulturelle Verarbeitungsformen von Unterdrückung - ihrer Wirksamkeit und ihrer Grenzen gleichermassen - erschliessen helfen.Dieser Zugriff zielt vor allem auf die mit dem Flüsterwitz berührten sozialen Innensichten einer Phase deutscher Geschichte. Es geht damit auch um den so schwierig zu rekonstruierenden strukturellen Zusammenhang eines sozialen, politischen und kulturellen Systems nicht zuletzt in der Verbundenheit von Oben und Unten, Unterdrückern und Unterdrückten, Verfolgten und Verfolgern und schliesslich um die breite Vermittlungsebene zwischen den Antipoden.
Ausgangspunkt ist konzeptionell eine im Witz im allgemeinen wie im Flüsterwitz speziell immer schon gegebene widersprüchliche Einheit: Der Flüsterwitz wird verstanden als dialektische Einheit zweier scheinbar gegensätzlicher Wirkungselemente - der (jeweils ideellen) Flucht aus einer sozialen Wirklichkeit und der Auflehnung gegen diese. Beide sozialmoralischen Komponenten wirken - funktionell gesehen - gleichermassen, so dass jeweils nur konkret beurteilt werden kann, ob das Moment der Freisprechung („absolution”) oder, das Moment des Aufbegehrens („rebellion”) dominant wirksam ist, ob also allgemein die Ventil- oder die Auflehnungs-These zutrifft, wobei hier auch die Milieuspezifik zu berücksichtigen ist. Dieser konzeptionelle Ansatz verweist damit auf eine doppelte Differenzierung des sozialwissenschaftlichen Situationsansatzes und erfordert im Rahmen indirekt-rekonstitutiver Sozialbeobachtung und historischer Sozialforschung die Unterscheidung von Lage und Situation:
a) hinsichtlich der historischen Lage entsprechend der Realentwicklung des Dritten Reichs einschliesslich der das System tragenden, ertragenden und wider-ständischen Kräfte (wobei auch das Feld der Nicht-Mehr-Ertragenden und Noch-Nicht-Widerständischen sprechen zu machen ist);
b) hinsichtlich der jeweiligen konkreten Situation der Witzkommunikation und -kommunikation (Erzählen, Verbreiten) und ihrer unterschiedlichen Folgen (gefühlsmässige Bestätigung von Distanz bis hin zur Gegnerschaft einerseits, Angst und Abwehr andererseits z.B.).
Der indirekte Zugang wird hier - einmal - das bereits vorliegende umfängliche Flüsterwitz- Material auch nach Entwicklungsphasen des Dritten Reichs entsprechend der historischen Lage unterschiedlich klassifizieren und typologisieren. Er wird aber auch - zum anderen - über quasi- authentische Zeitzeugenberichte, die nachweislich schon im Dritten Reich selbst entstanden, die Situation(en) von Flüsterwitzkommunikation(en) eingehend untersuchen und verstehend deuten. Darüber hinaus müsste die Ebene alltäglichen politischen und kulturellen Erfahrens, Erlebens und Bewältigens vieler Menschen interessieren. Dies bedeutet einen - wenn auch indirekten und zeitgeschichtlich bisher wenig erprobten - sozialhistorischen Zugriff auf das besondere soziale Verhältnis: Mentalität - verstanden als mehr oder weniger unmittelbarer seelischer Ausdruck erfahrener Lage.
Insofern geht es auch um einen konzeptionell tragfähigen Vermittlungsversuch zwischen im Dritten Reich besonders ausgeprägten - labilen und wechselnden - Stimmungen und zugleich einem relativ gefestigten Bewusstsein bei einer Minderheit der Beherrschten. Dieser Ansatz könnte schliesslich einen verallgemeinerbaren methodischen Zugang zur Politizität und damit auch zur politischen Soziologie der Gefühle als zukünftigem - und wichtigem - Forschungsfeld historischer Sozial- und Kulturwissenschaft erproben.