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Die Heimat schützen

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Immer mehr Ungediente wollen Reservedienst leisten Die Heimat schützen

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Politik

Die Bundeswehr bietet derzeit Ausbildungsprogramme für sogenannte Ungediente an, um sie im künftig im Heimatschutz einsetzen zu können.

Tag der Bundeswehr 2024 auf dem Fliegerhorst Fassberg.
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Tag der Bundeswehr 2024 auf dem Fliegerhorst Fassberg. Foto: Tim Rademacher (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 25. September 2024
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„Ich mag mein Land“, so Olaf S. auf die Frage warum er sich auf einen Einsatz der besonderen Art vorbereitet. „Hier habe ich meine Familie und meine Arbeit. Deutschland hat einen starken Rechtsstaat, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und relativ gute Infrastruktur“, erläutert der 55-Jährige weiter. Er hat sich entschieden an einem Ausbildungsprogramm für Heimatschützer teilzunehmen, um anschliessend in der Territorialen Reserve zu dienen. „Da ich zeitlebens in Westberlin gewohnt habe und der Westteil der Stadt bis zur Wende demilitarisierte Zone war, habe ich nie Wehrdienst geleistet. Ich will nun die Grundlagen militärischer Ausbildung nachholen.“

Zusammen mit Olaf S. haben weitere neun Männer und eine Frau im Juli 2024 das Ausbildungsprogramm für sogenannte Ungediente in der Kaserne des Landeskommandos Brandenburg aufgenommen. Es richtet sich speziell an Personen, die zuvor noch nicht in der Bundeswehr gedient haben, sich aber im Heimatschutz engagieren wollen. Hauptsächlich bilden ehemalige Zeit- und Berufssoldaten oder Personen, die den aktuellen Freiwilligen Wehrdienst abgeleistet haben das Personal der Reserve.

Die Aufgaben der Reserve

Die Reservist:innen sind Teil der verfügbaren Streitkräfte in Deutschland. Sie sollen im sogenannten „Spannungs- und Verteidigungsfall“ den Aufwuchs und die Durchhaltefähigkeit der Armee als Personalreserve und -verstärkung ermöglichen und das inländische Territorium und seine Grenzen als Teil der Landes- und Bündnisverteidigung schützen. Vornehmlich gehört hierzu die Sicherung der Kontrolle über kritische Infrastrukturen wie Verkehrspunkte, Kraftwerke, Munitionslager als auch digitale Infrastruktur. Ausserdem gilt es Truppen- und Materialverlegungen zu gewährleisten.

In Friedenszeiten erbringt die sogenannte Territoriale Reserve den Heimatschutz als Teil der Vorsorge. Dazu gehören dann vor allem Wach- und Sicherungsaufgaben etwa von Bundeswehrkasernen und -liegenschaften, Streifendienste oder die Unterstützung der Bundeswehr bei der Durchführung von Personenkontrollen. Auch hier sind Reservist:innen also in einer Entlastungsfunktion für die aktiven Soldat:innen vorgesehen.

Zusätzlich leistet die Territoriale Reserve im Falle von Naturkatastrophen oder ähnlichen Notlagen Unterstützungsleistungen im Rahmen der subsidiären Amtshilfe. Nicht alle Angehörigen der Reserve sind auf einen Dienstposten beordert – im „Verteidigungsfall“ stehen der Bundeswehr damit derzeit etwa 900.000 solcher nicht aktiven Reservist:innen zur Verfügung. Und schliesslich wird von Reservist:innen und besonders ihrem Verband erwartet, in der Gesellschaft zur Legitimierung der Bundeswehr und ihrer je aktuellen Einsatzfelder beizutragen.

In Übung bleiben

Die in Brandenburg derzeit auszubildenden Ungedienten erhalten zunächst in zehn Ausbildungsmodulen eine militärische Grundausbildung und sollen dann möglichst in weiteren Ausbildungseinheiten über insgesamt zwei Jahre zum Einsatz im erweiterten Reservedienst befähigt werden. Vorgesehen sind die Rekrut:innen aus den Reihen der Ungedienten in der Regel für die Verstärkung der Heimatschutzkompanien.

Neben den genannten Aufgaben im Heimat- und Katastrophenschutz kommt ihnen die Funktion zu, für den Erhalt und die Erweiterung der militärischen Kenntnisse und Fertigkeiten der Reservist:innen zu sorgen. Denn die „ordnungsgemässe Durchführung“ etwa von Wach- und Sicherungsdiensten und auch das angemessene Verhalten in möglicherweise angespannten Situationen währenddessen sollen abrufbar bleiben. Ebenso wie die Fähigkeiten beim Schiessen und der korrekte Umgang mit verschiedenen Waffen. „Das alles erfordert immer wieder Übung. Das ist ja nichts, womit man im zivilen Alltag etwas zu tun hat“, sagt Oberstleutnant Patrick S.

Warum im Heimatschutz dienen?

Olaf S., im zivilen Leben Bauingenieur, hat vor allem die Erfahrung des Ukrainekrieges zu einer Ergänzung seines Zivilistendaseins bewogen: „Was in der Ukraine geschieht, kann auch hier passieren. Und der russische Aggressor geht wie man gesehen hat auch gegen Zivilisten vor. Deshalb hatte ich mir gesagt, ich muss mich für den Ernstfall vorbereiten. Frieden ist nicht selbstverständlich.“

Damit steht er nicht allein da: Den Ukrainekrieg und die von der deutschen Regierung verkündete „Zeitenwende“ geben Teilnehmende verschiedener Ungedienten-Ausbildungen in Deutschland am häufigsten als Anstoss für ihren Willen zum Engagement im Heimatschutz an. Beides wird als Zäsur der bis dahin als friedlich wahrgenommenen gewohnten Verhältnisse innerhalb Europas wahrgenommen. Einerseits wird Krieg plötzlich als eine reale Gefahr begriffen. Andererseits wird wird die deutsche Antwort auf die russische Invasion in die Ukraine in Form einer militärpolitischen „Zeitenwende“ als Aufforderung verstanden, sich an ihr verantwortlich zu beteiligen.

Die militärstrategische Bedeutung der Heimatschutzkräfte

Damit gehören die angehenden Heimatschützer:innen zu denjenigen, die der veränderten Ansprache und Erwartungshaltung besonders gut entsprechen. So hat der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ im Oktober 2023 der deutschen Bevölkerung gegenüber eröffnet: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heisst: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“[1] Die vergangenen Monate hat das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr den in Details geheimen „Operationsplan Deutschland“ erarbeitet.

Er soll die planerische Vorsorge sein für ein zielgerichtetes Handeln im „Krisen- und Konfliktfall, (…) um gemeinsam mit anderen staatlichen und zivilen Akteuren Deutschland, dessen territoriale Integrität und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und zu verteidigen sowie den Aufmarsch der alliierten Streitkräfte über und durch Deutschland an die Ostflanke sicherzustellen.“[2] Im Falle eines Krieges mit der Russischen Föderation wird hierin Deutschlands Rolle innerhalb der NATO-Aufgabenteilung definiert. Es soll als zentrale militärische und logistische Drehschreibe des Bündnisses fungieren, um „den geplanten Aufmarsch und die Versorgung verbündeter und eigener Streitkräfte, insbesondere durch Host Nation Support“[3] zu gewährleisten. Die Bundeswehrplaner gehen davon aus, dass „ein grösserer Teil“ der aktiven Soldat:innen der Bundeswehr an der „NATO-Ostflanke“ benötigt werde und somit nicht zur Absicherung des deutschen Territoriums „eingeplant“ werden könne.

„Ich muss diesen Schutz aber sicherstellen. Das mache ich mit den neu aufzustellenden Heimatschutzkräften“, sagte der Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, Generalleutnant André Bodemann, der Deutschen Presse-Agentur.[4] Bis 2027 sollen sechs Heimatschutzregimenter mit insgesamt 6000 Dienstposten aufgestellt werden; insgesamt gibt die Bundeswehr einen Bedarf von 60.000 (Stand aktuell: 34.000) aktiven Reservedienstleistenden an. Die Reservist:innen sollen die Streitkräfte personell entlasten und ihnen damit ermöglichen, ihre Kräfte auf die „Ostflanke“ zu konzentrieren.

Die Ausbildung von bislang Ungedienten ist hierbei wie auch der neue „Freiwillige Wehrdienst“ Teil des politischen Bemühens, mehr Kräfte für die Territoriale Reserve zu akquirieren. Die berufsbegleitende und vergleichsweise unverbindliche Ausbildung soll diese Rekrut:innen an die Bundeswehr heranführen und ausserdem für die zivil-militärische Zusammenarbeit neue Kräfte erschliessen.

Identifikation mit der nationalen Sache

Die Zäsur des russischen Einmarsches in die Ukraine, der westliche Wille Russlands machtpolitische Ambitionen per Wirtschaftskrieg und militärischer Unterstützung der Ukraine zum Scheitern zu bringen; die deutsche Zeitenwende, inklusive in Angriff zu nehmender militärischer Ertüchtigung und militärstrategischer Vorbereitung auf einen grossen Krieg mit Russland, stellen neue Ansprüche an die deutsche Bevölkerung. Die Rekrut:innen der Ungedient-Ausbildung stellen sich ihnen. „Ich möchte meinem Land etwas zurückgeben, weil ich dankbar bin für ein Leben in Freiheit und Demokratie“, wie es die Ungediente Renate F. formuliert.

Dieses hohe Mass an persönlicher Einsatzbereitschaft für die nationalen Belange versteht sich nicht von selbst. Hierzu ist es erforderlich, sich das zwischenstaatliche Kriegsgeschehen in der Ukraine und die politischen Folgerungen und strategischen Ambitionen der deutschen „Zeitenwende“ zur persönlichen Sache zu machen. Die Möglichkeit der direkten Kriegsbeteiligung Deutschlands und damit auch des militärischen Konflikts im „eigenen“ Land ist für viele Rekrut:innen ein wesentliches Motiv für ihre Bereitschaft zum Einsatz an der „Heimatfront“.

So wird der Krieg zwischen Russland und der Ukraine zunächst über die Identifizierung des russischen Angriffes als Verstoss gegen europäische oder universelle Regeln als potenziell existenzielle Bedrohung für das eigene, europäische Land wahrgenommen. Die Einsicht in die Abhängigkeit der persönlichen Existenz vom Funktionieren der staatlichen Ordnung fördert dabei die persönliche Bereitschaft zur staatsbürgerlichen Verantwortungsübernahme für eben die bestehenden national-staatlichen Existenzbedingungen. So hängt die Bestreitung der Existenz vom Arbeiten über das Wohnen bis zum Konsumieren von wahrgenommen Rechten ab, die der Staat seinen inländischen Bürger:innen zusichert.

Diese Verpflichtung auf die geltende Rechtslage lässt keine anderen Wege der gesellschaftlichen Organisation und Interessenverfolgung als die erlaubten zu, woraus gefolgert wird, dass die gültigen Regeln dann auch für die Interessen der Menschen vorgesehen seien. Das Leben unter den bestehenden rechtlich-politischen Bedingungen wird so als wechselseitiges Verpflichtungsverhältnis von Staat und Bevölkerung gedeutet: Während der Staat mit seinem Rechtsschutz den Bürger:innen diene, hätten sie sich umgekehrt für den Erfolg ihres politischen Gemeinwesens einzusetzen.

Der Einordnung des Kriegsgeschehens als politische Existenzfrage entspricht dann die verschärfte Bereitschaft zum persönlichen – nun eben existentiellen – Einsatz für Bestand und Durchsetzung der deutschen Ordnung in Form des angestrebten Soldatendienstes. Die Identifikation mit der nationalen Sache begründet damit die Bereitschaft zur militärischen Ertüchtigung als Wahrnehmung einer persönlichen Pflicht gegenüber dem „eigenen“ Land. Gemäss dieser staatsbürgerlichen Selbst-Identifizierung ist mit der Möglichkeit einer Krise der als Heimat begriffenen nationalen Ordnung dann auch selbstverständlich der Einsatz ihrer Angehörigen für sie verknüpft.

So machen sich Heimatverteidiger:innen mit ihrer patriotischen Gesinnung zur Ressource ihrer Nation, die unter Rückgriff auf solche Einsatzbereitschaft ihre aussenpolitischen Ordnungsansprüche verfolgt. Landesverteidigung sollte man also nicht mit der Sicherheit seiner Bewohner:innen gleichsetzen angesichts der Rolle, die sie im Ernstfall für die nationale Sicherheit einzunehmen haben: Ihre Existenz geht im Zweifelsfall buchstäblich im im Dienst an der deutschen Souveränität auf und dabei verlustig.

Isidore Beautrelet