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Die Schlüsselübergabe: Wie die Demokratie ihre Kinder frisst

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Wie die Demokratie ihre Kinder frisst Die Schlüsselübergabe

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Politik

Wie die demokratische Mitte des krisengeplagten Deutschlands dem Faschismus den Weg ebnet.

Demonstration gegen den Auftritt von Alice Weidel am 16. Januar 2025 im Hamburger Rathaus. Stopp durch eine willkürliche Polizeikette in der Mönckebergstraße mit Live-Übertragung in der ARD.
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Demonstration gegen den Auftritt von Alice Weidel am 16. Januar 2025 im Hamburger Rathaus. Stopp durch eine willkürliche Polizeikette in der Mönckebergstraße mit Live-Übertragung in der ARD. Foto: Gerd-HH (PD)

Datum 22. Januar 2025
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Die Leichtigkeit und Reibungslosigkeit, mit der sich die Faschisierung der Bundesrepublik im Wahlkampf 2025 vollzieht, kann regelrecht schwindlig machen. Es geht Schlag auf Schlag, ein Verschnaufen, ein reflektierendes Innehalten sind kaum noch möglich. Erich Kästner verglich die faschistische Dynamik vor der Machtübergabe 1933 mit einem Schneeball, der mit der Zeit zu einer Lawine ausartet, die kaum noch aufzuhalten sei. Deutschland ist inzwischen von solch einer braunen Lawine erfasst worden. Die antifaschistischen Grossdemonstrationen des letzten Jahres,[1] die in Reaktion auf verfassungswidrige Deportierungspläne im Umfeld der AfD initiiert worden sind, blieben wirkungslos. Ein Verbotsverfahren gegen die AfD ist nicht in Sicht – während die AfD inzwischen offen die als „Remigration“ bezeichneten Massendeportationen in das Wahlprogramm aufnehmen konnte.[2]

Ein dezidiert faschistisches Regime scheint ab der übernächsten Legislaturperiode 2029 durchaus realistisch, wie es auch die AfD in ihren Strategiepapieren anvisiert. Im Land der Täter machen sich deren politische Erben daran, wieder die Macht zu „ergreifen“. Dabei ist dies eigentlich gar nicht entscheidend. Denn es sind gerade Kräfte der demokratischen Mitte, die einen mühelosen, friktionslosen Übergang in die faschistische Krisenverwaltung ermöglichen. Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch – doch diesmal scheint es nicht mal Geburtswehen zu geben.

Da sind zum einen die demokratischen Rechtsparteien wie die konservative CDU und die wirtschaftsliberale FDP, die sich längst in einem faschistoiden Überbietungswettbewerb mit der AfD befinden. Doch längst haben auch die anderen Parteien, wie die SPD, die Grünen und die Linkspartei vor der rechten Hegemonie kapituliert und ihre Rhetorik entsprechend angepasst. Die lächerliche Figur des FDP-Chefs Christian Lindner, der quasi rechtslibertäre Liebesbriefe an Elon Musk schreibt,[3] um dann sich von der AfD aus dem Rampenlicht verdrängt zu sehen,[4] ist nur ein Symptom für den generellen Trend gerade der neoliberalen Mitte zum Faschismus – der sie letztendlich verschlingt.

Die faschistische Forderung nach massenhaften Deportationen von Menschen mit Migrationshintergrund erweitert die CDU um Forderungen nach dem Entzug der Staatsbürgerschaft bei straffällig gewordenen Doppelstaatlern.[5] Die permanenten Verschärfungen des Internierungsregimes von Flüchtlingen, die von allen Parteien auf Druck der AfD betrieben werden, sind inzwischen beim Motto „Bett, Brot Seife“ angekommen.[6] Strafmündigkeit ab 12 Jahren,[7] Zwangsarbeit für Arbeitslose, die in Schwerin schon gemeinsam von CDU und AfD eingeführt wurde,[8] öffentliche Vorstösse, die SS zu rehabilitieren,[9] etc., pp. – es gibt keine Skandale mehr, wenn zivilisatorische Tabus alltäglich gebrochen werden, nachdem die deutsche Gesellschaft voll von der faschistischen Lawine erfasst wurde.
Ihren ideologischen Endsieg konnte die AfD schon nach dem islamistischen Anschlag von Solingen im Herbst 2024 erringen,[10] als Bundespräsident Steinmeier nicht etwa den Extremismus, sondern den Flüchtling zum Staatsfeind Nummer 1 erklärte. Dabei folgte der oberste Grüssaugust der Bundesrepublik schlicht faschistischer Logik, der Personifizierung von Krisenursachen – und dies in einem Jahr, in dem rechtsextreme Straftaten einen neuen historischen Höchststand erreichten, der weit über dem Stand islamistischer Straftaten lag (Ganz abgesehen davon, dass es sich beim Islamismus nur um die dem islamischen Kulturkreis eigener Form faschistischer Krisenideologie handelt,[11] die anhand ähnlicher Mechanismen – Extremismus der Mitte, Identitätswahn, Krisenkonkurrenz – in Krisenzeiten getriggert wird). Die Parole „Flüchtlinge Raus!“ ist nun deutsche Staatsdoktrin.

Das alles hat seine böse binnenkapitalistische Krisenlogik. Der globale Krisenprozess lässt die kapitalistische Verwertungsmaschine auch in den Zentren, auch in der BRD, zunehmend ins Stottern geraten – und innerhalb derer Funktionseliten wird faktisch eine nahezu reibungslose Schlüsselübergabe organisiert, in bei der letztendlich der Modus der Krisenverwaltung verändert wird. Der aufgeschäumte Faschismus als terroristische Krisenform kapitalistischer Herrschaft wird diesmal von einer opportunistischen Transformation des gesamten politischen Systems begleitet, das sich an diesen vermittels Autoritarismus, Ressentimentproduktion und Populismus anzupassen bemüht. Die faschistische „Schlüsselübergabe“, um mal im Bild zu bleiben, findet auch innerhalb der demokratischen Parteien statt.

Wie die Demokratie ihre Kinder frisst

Es schockt gerade das liberale Bürgertum und die demokratiegläubigen Verfassungspatrioten, dass der Übergang von der Demokratischen zur autoritär-faschistischen Krisenverwaltung so nahtlos verläuft. Dies gilt ja nicht nur für die BRD, sondern vor allem für die USA. Der Krisentheoretiker Robert Kurz hat diese Entwicklung schon zur Jahrtausendwende in seinem Essay Die Demokratie frisst ihre Kinder. Bemerkungen zum neuen Rechtsradikalismus[12] korrekt prognostiziert. Die kapitalistische Demokratie beruht auf allgemeiner Marktkonkurrenz, durch die letztendlich der fetischistische Prozess uferloser Kapitalverwertung perfektioniert wird. Der ganze demokratische Diskurs, der „Wettstreit demokratischer Parteien“ kreist ja hauptsächlich um die Wirtschaft, also um die Optimierung der Kapitalverwertung. Die absurde, orwellsche Konstitution kapitalistischer Demokratie beruht gerade darauf, dass hier die Insassen der kapitalistischen Tretmühle ihre Ausbeutung und Unterwerfung unter die Prämissen des Verwertungsprozesses des Kapitals in Eigenregie perfektionieren.

Sobald aber das System aufgrund der sich zuspitzenden inneren und äusseren Widersprüche des Verwertungsprozesses ins Stottern gerät, sobald die materiellen Gratifikationen ihrer Unterwerfung für substanzielle Teile der Mittelschichten wegfallen, setzen quasi naturwüchsig – aus der inneren Logik des demokratischen Diskurses heraus – entsprechende Bemühungen ein, die Verwertungslogik ins barbarische Extrem zu treiben. Verstärkte Unterwerfung unter die sich krisenbedingt zuspitzenden Sachzwänge des Kapitals geht dann mit der Exklusion, und letztendlich Auslöschung von Konkurrenten oder ökonomisch überflüssiger Bevölkerungsschichten einher – die ja zur Personifizierungen des Krisenprozesses ideologisiert werden.

Dabei geraten zwei Bevölkerungsgruppen ins Fadenkreuz dieser permanenten rechten Hetzkampagnen: Neben Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund sind es vor allem Arbeitslose und marginalisierte Bevölkerungsschichten, die abermals – wie schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts bei der Durchsetzung der berüchtigten Hartz-IV-Arbeitsgesetze[13] – zu Feindbildern aufgebaut werden. Die Verschärfungen und die zunehmenden Repressionen, die an Flüchtlingen vor allem bei der Hetzkampagne Ende 2023 eingeübt worden sind[14] – sie sollen nun auch gegen marginalisierte „Einheimische“ zur Anwendung gelangen. Potentiell werden aber alle ökonomisch „überflüssigen“ Gruppen ins Fadenkreuz geraten.

Die abermalige Dynamisierung des Faschismus in der Bundesrepublik, die inzwischen fast schon fliessenden Grenzen zwischen der Mitte und den „Extremisten“,[15] sie können somit nur in Zusammenhang mit dem jüngsten Krisenschub in der Bundesrepublik verstanden werden – Faschismus ist vor allem eine Krisenideologie. Deutschland befindet sich in einer Wirtschaftskrise, die gerade durch dessen exportfixiertes Wirtschaftsmodell verstärkt wird.[16] Der durch die Pandemie getriggerte Krisenschub erschütterte die Globalisierung, auf der Deutschlands Exportweltmeisterschaften beruhten.

Die ab 2020 aufkommende, hartnäckige Inflation führte dazu, dass die Notenbanken ihre expansive Geldpolitik beenden mussten, die jahrzehntelang Grundlage der neoliberalen Finanzblasenkonjunktur und der korrespondierenden globalen Defizitkreisläufe war. Das Weltsystem trat in die Krisenära der Stagflation ein.[17] Mit den Versorgungsengpässen und der Überlastung der globalisierten Produktionsketten konnten sich während der Pandemie endgültig Tendenzen zum Protektionismus und zur Deglobalisierung durchsetzen – mit den USA als deren Zentrum, die verstärkt auf vertikale Integration,[18] Nearshoring[19] und Reindustrialisierung setzten. Der Ukraine-Kreig fungierte als ein weiterer disruptiver Schock des Globalisierungsprozesses.[20]

Deutsche Ideologie in der Krise

Dem deutschen Wirtschaftsmodell, das seit der Einführung des Euro und der Durchsetzung von Hartz IV auf die Erzielung von Exportüberschüssen abzielte – also auf den Export von Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Deindustrialisierung – ging somit die Luft aus. Die Krise der Globalisierung, an die sich die Deutschland AG anpasste, bildet den eigentlichen Hintergrund der sich beschleunigenden Wirtschaftskrise in der Bundesrepublik. Mit der Exportindustrie geraten aber auch diejenigen Kräfte innerhalb der deutschen Funktionseliten weiter in die Defensive, die dem Erstarken der extremen Rechten aus eigenem wirtschaftlichen Interesse opponierten.[21] Besonders verheerend ist in diesem Zusammenhang auch der Wahlsieg Trumps, da hierdurch der äussere Druck zur Bekämpfung faschistischer Tendenzen in der Bundesrepublik weitgehend wegfällt.
Bislang befand sich die Ideologie der AfD in Konflikt mit den Interessen der Exportwirtschaft, die immer auch auf ein gutes internationales Ansehen der Marke Made in Germany achten musste – das etwa 2018 von den mit Crystal Meth vollgepumpten Naziorks in Chemnitz bei ihren pogromartigen Ausschreitungen gegen Migranten beschädigt wurde.[22] Damit ist seit der Krise der deutschen Exportwirtschaft und der anhaltenden Wirtschaftsmisere weitgehend Schluss: wurde im Neoliberalismus der Segen offener Märkte gepredigt, so überbieten sich derzeit alle relevanten Akteure mit Forderungen nach Grenzschliessungen, nach Abschottung und Zuzugsbegrenzung, nachdem die langjährige Exportkonjunktur eingebrochen ist.

Es liegt auf der Hand, dass hier – bei dem Drang zur Abkapselung, Volkstümelei, Nationalisierung, etc. – einfach nur die ideologische Widerspiegelung des Umbruchs in der globalen Krisenentfaltung stattfindet,[23] die dem deutschen Vorfaschismus Auftrieb verschafft. Aus der Distanz betrachtet, wirkt das Ganze geradezu lächerlich. Jahrelang profitierte Deutschland aufgrund enormer Handelsüberschüsse von der Globalisierung im Rahmen seiner Beggar-thy-Neighbor-Politik mit dem Export von Schulden und Arbeitslosigkeit.[24] Die Widersprüche der Krise des Kapitals wurden schlicht exportiert, während die deutsche Ökonomenzunft sich über die Schuldenberge im Ausland empörte, die eben die deutschen Handelsüberschüsse zwangsläufig hervorbringen. Nun, da diese Exportüberschüsse und die globalen Handelsungleichgewichte den entsprechenden protektionistischen Fallout mit sich gebracht haben, kehrt die Krise auch zum ehemaligen Exportüberschussweltmeister zurück – und ein Gefühl des Betrogenwerdens macht sich in den krisenignoranten Mittelschichten breit, dessen Ursachen wiederum ausserhalb der deutschen Leistungs- und inzwischen auch wieder Volksgemeinschaft verortet werden.

Deutschland hat gelitten, den Gürtel enger geschnallt, sich grossgehungert, um sich perfekt an das Rattenrennen in der neoliberalen Globalisierung anzupassen – und nun wird es besonders stark unter der grossen Kehrtwende zur Deglobalisierung leiden. Der rechte Hass auf ideologische Personifizierungen der rasch zunehmenden Krisendynamik, den dieser Paradigmenwechsel auslöst, fokussiert sich in bewährter Tradition auf Flüchtlinge, Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeitslose und sozial Schwache. Im Rahmen des faschistischen Extremismus der Mitte, der in Krisenzeiten aufschäumt, kommt nun die sozialdarwinistische, nationalistische und mitunter schon wieder schlicht rassistische Krisenkonkurrenz zur weitgehenden Übereinstimmung mit der spätkapitalistischen Krisenrealität. Während der ganze liberale Diskurs, wonach Deutschland viele Einwanderer brauche, aus dem öffentlichen Raum mit dem Voranschreiten der Wirtschaftskrise zunehmend verschwindet.

Nahezu alle Kräfte des politischen Spektrums der BRD sind inzwischen auf die Linie der AfD eingeschwenkt, um in der Migration, in den Flüchtlingen ein Grundübel der maroden Deutschland AG zu halluzinieren – wodurch ja praktischerweise die kapitalistische Systemkrise, wie auch die Rolle der Bundesrepublik bei deren Entfaltung ignoriert werden kann. Dies gilt auch für die Grünen, deren Kanzlerkandidat offen arbeitslose Flüchtlinge abschieben will.[25] Und dies gilt auch für die sogenannte Linkspartei, die den Populismus Wagenknechts – der die blosse ideologische Begleitmusik zur Ausformung der Querfront bildete – in allem opportunistischen Ernst in Gestalt sozialer Demagogie zu kopieren versucht.[26] In der Flüchtlingsfrage scheint die Uniformität innerhalb des gesamten politischen Spektrums einen regelrecht totalitären Beigeschmack zu erlangen. Da ist kaum noch etwas, was den Weg der AfD zur Macht aufhalten könnte, nachdem die zivilisatorische Wirkung grosser Handelsüberschüsse auf die deutsche Innenpolitik zunehmend schwindet.

Doch wird auch die Hetze gegen das zweite grosse Feindbild nach Ausbruch der Wirtschaftskrise – gegen den Arbeitslosen – nicht mehr zur Ausbildung einer tragfähigen Wirtschaftspolitik beitragen können: Die zwischenzeitliche, halbherzige Abschaffung von Zwangsarbeit in der Bundesrepublik, die von der sogenannten Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP umgesetzt wurde, soll auf Druck der Rechten wieder abgeschafft werden. Faktisch werden 2025 wieder die Hartz-IV-Arbeitsgesetze eingeführt werden, wenn es nach der CDU, SPD, FDP, AfD oder dem BSW ginge.

Der Untertan in der Krise

Der Krisenreflex, der von der Rechten in etlichen Hetzkampagnen gegen sozial Marginalisierte befördert wird – von der FDP, über die CDU bis hin zur AfD – besteht in einer Wiederbelebung der sadistischen Methoden der Disziplinierung und Absenkung der Kosten der Ware Arbeitskraft, wie sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Rahmen des Hartz-IV-Programms und der Agenda 2010 durchgesetzt worden sind.[27] Die Faschisierung der Bundesrepublik kehrt faktisch auf einer höheren Stufenleiter an ihren Ursprungsort zurück, denn die deutsche Rechte spürt instinktiv, dass dieses Unterwerfungsprogramm am Anfang ihres politischen Aufstiegs stand. Und es ist tatsächlich ein autoritärer Reflex, der angesichts der Wirtschaftskrise in breiten Bevölkerungsschichten hochkommt, wie vor rund einem Vierteljahrhundert.

Der Sozialpsychologe Oliver Decker hat diese Ökonomisierung autoritärer und rechter Ideologien, die von der Agenda 2010 befeuert wurde, schon 2010 folgendermassen auf den Punkt gebracht:[28]

„Die ständige Orientierung auf wirtschaftliche Ziele – präziser: die Forderung nach Unterwerfung unter ihre Prämissen – verstärkt einen autoritären Kreislauf. Sie führt zu einer Identifikation mit der Ökonomie, wobei die Verzichtsforderungen zu ihren Gunsten in jene autoritäre Aggression münden, die sich gegen Schwächere Bahn bricht.“

Je stärker der Druck auf dem autoritär fixierten Lohnabhängigen lastet, desto grösser sein Bedürfnis, schwächere Menschen genauso ausgepresst und ausgebeutet zu sehen, wie er es selbst wird. Dieser „autoritäre Kreislauf“ bildet auch den Morast, der in Wechselwirkung mit den Krisenschüben des 21. Jahrhunderts dem deutschen Faschismus den Weg bahnt. Der kausale Zusammenhang zwischen Verelendung und Entrechtung der Arbeitslosen und der Verschärfung der eigenen Arbeitsbedingungen wird hierbei ausgeblendet und weicht irrationalen Reflexen von Hass und Sadismus, die den Boden für neofaschistische Krisenideologien bereiten.
Die neoliberale „Verzichtspolitik“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts – die Unterwerfung unter die Prämissen des Verwertungsprozesses – förderte somit die autoritäre Aggression gegen die Krisenopfer, auf der rechtspopulistische wie rechtsextremistische Ideologien gleichermassen beruhen. Die neoliberale Unterwerfungsideologie, die oftmals einen hohlen Freiheitsbegriff instrumentalisierte, bildete die Brutstätte rechter Krisenideologien. Die Begriffe des Extremismus der Mitte und der konformistischen Rebellion sind folglich unabdingbar, um den Erfolg der Neuen Rechten und des Neo-Nationalismus als die Erben des Neoliberalismus zu verstehen. Genau hierhin will die Rechte angesichts der sich zuspitzenden Krise 2025 wieder zurück. Und dieses Unterwerfungsprogramm lässt man sich auch etwas kosten – die bereits Ende 2024 beschlossenen Verschärfungen des „Bürgergeldes“ führen nicht etwa zu Einsparungen, sondern zu Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe.[29] Das Gerede vom massenhaften Missbrauch durch Arbeitslose ist eben nur eine ideologische Chimäre.

Der Kapitalismus als ein durch den Fetischismus des Kapitals[30] belebter Todeskult, als eine das Menschenopfer einfordernde säkulare Religion[31] kommt hierbei voll zu sich selbst. Durch Leiden, durch die Aufopferung – vorzugsweise der schwächsten, schutzlosen Gesellschaftsmitglieder – soll Deutschland wieder die Gunst des Kapitals in seiner widerspruchsgetriebenen Eigendynamik als automatisches Subjekt erlangen, das bei seinem uferlosen Verwertungszwang die Menschheit und Welt sozial und ökologisch verheert. Zwangsarbeit, Hungertod, Abschaffung bezahlten Krankheitsurlaubs, Arbeitslager, Absenkung von Lohnkosten – das ganze alte Programm, dasselbe Gerede, das bei der Durchsetzung von Hartz-IV auf Hetze gegen die faulen Arbeitslosen setzte, ist wieder zu hören.

Und es sind ja nicht nur die Rechtsparteien, auch hier haben wir es mit einer nahezu totalitären Uniformität zu tun. Wieder hat das Ganze einen Zug ins Lächerliche, etwa wenn SPD-Politiker mit haargenau denselben Phrasen gegen Arbeitslose hetzen, wie es schon ihrer Vorgänger zu Beginn dieses Jahrtausends taten. „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, diese Hetzphrase, die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder absonderte,[32] wiederholte im Herbst 2024 auch der SPD-Chef Lars Klingbeil.[33] Selbstverständlich kann sich die SPD auch vorstellen, die Totalkürzung von Bürgergeld und die Wiedereinführung von Zwangsarbeit mitzutragen, wie sie von der CDU gefordert wird.

Neue deutsche Dysfunktionalität

Das binnenkapitalistische Problem bei dieser reflexartigen Zuflucht zum Arbeitssadismus besteht nur darin, dass dieser – rein ökonomisch betrachtet – inzwischen dysfunktional ist. Hartz IV und Agenda 2010 waren deswegen erfolgreich, weil sie den Preis der Ware Arbeitskraft in Deutschland in der Aufstiegsphase der Globalisierung im Schnitt absenkten, wodurch die Lohnstückkosten in der Bundesrepublik abgesenkt werden konnten. In der Ära der Globalisierung ermöglichte dies die regelrechte Explosion der deutschen Handelsüberschrüsse zu Beginn des 21. Jahrhunderts – gerade mit der Euroeinführung. Doch ist dieser Krisenausweg, bei dem Volkswirtschaften Zuflucht in einer Beggar-thy-Neighbor-Politik suchen, angesichts des zunehmenden Protektionismus und der Deglobalisierung der Deutschland AG verstellt.

Diese Massnahmen werden nur die soziale Krise weiter verschärfen, ohne dass dies zu einer etwaigen „Rendite“ in Form einer Exportkonjunktur führen kann. Weder die aussereuropäischen Absatzmärkte, noch die durch Deutschlands obersten Sparsadisten Wolfgang Schäuble leidgeprüften Länder der Eurozone werden solche extremen deutschen Handelsüberschüsse nochmals zulassen. Was dieser sadistische Wiederholungszwang des Hartz-IV-Systems aber sicher bewirken wird, ist die endgültige Etablierung von Zwangsarbeit in der BRD – womit ein weiteres Merkmal faschistischer Krisenverwaltung in der manifesten Systemkrise Einzug halten dürfte.

Wie schon mehrmals ausgeführt, gewinnt diese zur Lawine sich steigernde faschistische Dynamik ihre scheinbare Zwangsläufigkeit aus der Tatsache, dass sie ganz natürlich aus der herrschenden spätneoliberalen Ideologie[34] und der spätkapitalistischen Nationalidentität[35] erwächst. Bei Ignorierung der irreversiblen sozialen und ökologischen Krise, an der das Kapital scheitern muss, da es deren Ursache ist, wirkt die Ideologie und Praxis des deutschen Vorfaschismus nahezu zwangsläufig, sie scheint auch den Interessen der Lohnabhängigen Rechnung zu tragen, die darauf hoffen können, dass es die anderen trifft – die als „asozial“ beschimpften Marginalisierten, die Ausländer, die Flüchtlinge, die Minderheiten, die Alten, die Arbeitsunfähigen, die Schwulen, die Transsexuellen etc., pp.

Die monströsen, schlicht selbstmörderischen Lügen, auf denen dieser faschistische Extremismus der Mitte aufbaut, werden erst bei radikaler Reflexion des Krisenprozesses sichtbar – die immer mit einem Ausbruch aus dem ideologischen und identitären Gedankengefängnis des Spätkapitalismus einhergehen muss. Deportationen, Repression, Grenzschliessungen und autoritäre Staatsformierung werden die Krise des Kapitals weder in ihrer ökonomischen noch ökologischen Dimension[36] überwinden. Die Krise kommt nicht von ausserhalb, sie ist hausgemacht. Das globale Produktivitätsniveau, die Klimakrise – sie lassen sich nicht an den Grenzen aussperren oder deportieren.

Selbst das dem europäischen und amerikanischen Abschottungswahn zugrunde liegende Kalkül, wonach in der Klimakrise zuerst der globale Süden unbewohnbar wird, und man sich folglich im Norden dagegen schon jetzt abkapseln müsse, ist angesichts der vielen Unbekannten der kommenden Klimakatastrophe illusorisch. Ein Zusammenbruch des Golfstroms, der sich binnen weniger Jahre vollziehen kann, würde gerade Europa und Nordostamerika besonders stark treffen – also gerade die Regionen, in der die Rechte ihren potenziellen massenmörderischen Abschottungswahn besonders erfolgreich popularisieren konnte.[37]

Wenn es noch eine Linke gäbe, die ihrem Begriff gemäss als progressive Kraft agierte, würde sie gerade diese einfache, offen zutage liegende Wahrheit offensiv thematisieren und zur Grundlage einer emanzipatorischen Transformationspraxis machen: Eine Hoffnung auf die Aufrechterhaltung des Zivilisationsprozesses kann nur bei Überwindung des in Agonie sich befindlichen Kapitals aufrechterhalten werden.[38] Das ist der archimedische Punkt, der eine erfolgreiche, auf der Krisenrealität aufbauende antifaschistische Mobilisierung ermöglichen würde. Nur hierdurch könnte der faschistische Todeskult erfolgreich bekämpft werden. Das einzige Interesse, das rational in der spätkapitalistischen Dauerkrise formuliert werden kann, ist das Interesse nach einer rasch initiierten Systemtransformation.

Tomasz Konicz

Fussnoten:

[1] https://www.konicz.info/2024/01/31/ein-letztes-mal-antifa/

[2] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100571646/afd-parteitag-in-riesa-alice-weidel-laesst-die-maske-fallen.html

[3] https://nachrichten.ag/deutschland/lindner-verteidigt-musk-deutschland-braucht-mut-wie-milei/

[4] https://www.tagesschau.de/inland/bundestagswahl/parteien/weidel-musk-100.html

[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/pass-weg-fuer-kriminelle-cdu-legt-nach-laesst-aber-entscheidende-fragen-offen_2de31ee3-ca90-435a-9f8d-ead567469fdc.html

[6] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/merz-asylpolitik-migration-cdu-csu-wahlprogramm-100.html

[7] https://www.n-tv.de/ticker/CDU-fordert-schaerferes-Jugendstrafrecht-article25055763.html

[8] https://www.focus.de/politik/deutschland/nach-thueringer-vorbild-schwerin-verhaengt-arbeitspflicht-fuer-buergergeld-empfaenger_id_260607674.html

[9] https://www.morgenpost.de/politik/article242439534/Nach-Krah-Aussagen-AfD-Politiker-normalisiert-SS-Verbrechen.html

[10] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/anschlag-solingen-104.html

[11] https://www.konicz.info/2021/08/17/von-gruenen-und-braunen-faschisten-2/

[12] https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=29&posnr=49

[13] https://www.konicz.info/2013/03/15/happy-birthday-schweinesystem/

[14] https://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/667/die-extreme-mitte-9310.html

[15] https://www.konicz.info/2022/10/27/radikalitaet-vs-extremismus/

[16] https://www.konicz.info/2024/01/25/leerlauf-der-exportdampfwalze/

[17] https://www.konicz.info/2021/11/16/zurueck-zur-stagflation/

[18] https://www.konicz.info/2024/01/09/vertikal-gewinnt/

[19] https://www.konicz.info/2023/11/20/neue-kapitalistische-naehe-2-0/

[20] https://www.konicz.info/2022/05/24/eine-neue-krisenqualitaet/

[21] https://www.konicz.info/2023/12/26/konjunktur-fuer-faschismus/

[22] https://www.saechsische.de/kultur/5-jahre-nach-den-ausschreitungen-neonazi-achse-chemnitz-dortmund-ist-eine-einbahnstrasse-YBFWXIHAFEKUJYZXU3RS2674SY.html

[23] https://www.konicz.info/2022/05/24/eine-neue-krisenqualitaet/

[24] https://www.konicz.info/2012/12/21/der-exportuberschussweltmeister/

[25] https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/robert-habeck-macht-klare-ansage-an-syrer-ohne-arbeit/ar-AA1x1UyM

[26] https://www.konicz.info/2022/11/07/rockin-like-its-1917/

[27] https://www.konicz.info/2013/03/15/happy-birthday-schweinesystem/

[28] https://www.welt.de/politik/deutschland/article10442527/Wirtschafts-Fixierung-schuert-autoritaere-Aggression.html

[29] https://www.welt.de/wirtschaft/plus254289756/Buergergeld-351-Millionen-Euro-fuer-Zusatz-Termine-der-heikle-Preis-der-neuen-Haerte.html?utm_source=pocket_reader

[30] https://www.konicz.info/2022/10/02/die-subjektlose-herrschaft-des-kapitals-2/

[31] https://www.konicz.info/2014/01/07/die-prophezeiung/

[32] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-126811.html

[33] https://web.de/magazine/politik/spd-chef-buergergeld-ansage-recht-faulheit-40110276

[34] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/376/neo-aus-liberal-wird-national-5145.html

[35] https://konicz.substack.com/p/europa-im-identitaetswahn

[36] https://www.konicz.info/2022/01/14/die-klimakrise-und-die-aeusseren-grenzen-des-kapitals/

[37] https://www.konicz.info/2024/02/23/von-oekonomischen-und-oekologischen-sachzwaengen/

[38] https://www.konicz.info/2022/10/12/emanzipation-in-der-krise/