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Die Absage der Politik an das bedingungslose Grundeinkommen

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Der Staat lebt vom Volk und nicht etwa umgekehrt Die Absage der Politik an das bedingungslose Grundeinkommen

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Politik

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat ein „Weissbuch Arbeiten 4.0“ herausgebracht, in dem es sich über die „Arbeitswelt der Zukunft“ (S. 4) im Allgemeinen und „den Sozialstaat betreffende Fragen“ (S. 177) im Besonderen auslässt.

Neubau des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Berlin-Mitte, hier die Fassade an der Mohrenstrasse 65.
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Neubau des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Berlin-Mitte, hier die Fassade an der Mohrenstrasse 65. Foto: Jörg Zägel (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 10. Mai 2017
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Was Ersteres angeht, so will es selbstverständlich die „Chancen“ nutzen und politisch befördern, die es mit der „Digitalisierung“ für „unsere Wirtschaft“ und „unser Land“ geboten sieht. Hinsichtlich des Letzteren aber hat es definitiv bei „unmittelbar an Erwerbsarbeit geknüpften sozialen Sicherungssystemen“ (S. 177) zu bleiben, auch wenn durch die digitale Umgestaltung des Wirtschaftslebens massenhaft Arbeitskräfte ihre Erwerbsarbeitsplätze verlieren. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, „das auch im Deutschland seit Jahren diskutiert wird und unter dem Eindruck der Digitalisierung neue Anhänger findet“ (S. 179), kommt jedenfalls nicht in die Tüte.

Die Einführung einer unabhängig von Erwerbsarbeit gesicherten Einkommensquelle stellte nämlich, so das BMAS, einen „grundlegenden Systemwechsel“ dar; es „würde bedeuten, sich von der Arbeitsgesellschaft abzuwenden“ (S. 179). Und das geht für das gleichnamige Ministerium keinesfalls. Schliesslich ist die Festlegung aller auf Gelderwerb durch Arbeit oder durch arbeiten lassen die Art und Weise, wie in der kapitalistischen Marktwirtschaft Reichtum produziert wird. Die Arbeit der Lohnabhängigen in den und für die Unternehmen, die sie beschäftigen, schafft deren Gewinn und wird mit einem Einkommen entgolten, mit dem die Arbeitenden auszukommen haben. Dieses (ausbeuterische) Zusammenspiel von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist Quelle des gesellschaftlichen Reichtums und darin Grundlage für die Macht, die dem Staat nach innen und aussen zur Verfügung steht.

Daraus bezieht er seine Mittel und für dessen erfolgreiches Funktionieren setzt er sich ein. Und weil dieses Zusammenspiel tatsächlich einen ökonomischen Gegensatz darstellt – der Lohn, den die Beschäftigten brauchen, weil sie davon leben müssen, ist für die Unternehmen, die ihn zahlen, ein Kostenfaktor, also ein Abzug vom Gewinn und deshalb niedrig zu halten – hat er hinsichtlich der Lohnarbeiterklasse einiges zu tun. Pflichtversicherungen für Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter … werden aus Lohnabzügen bei allen Beschäftigten finanziert, um in Bedarfsfällen, für die die jeweils Einzelnen mit ihrem Einkommen nie aufkommen könnten, Mittel verfügbar zu machen. Die „unmittelbar an Erwerbsarbeit geknüpften sozialen Sicherungssysteme“ (s. o.) zwingen die Gesamtheit der Lohnabhängigen dazu, die widrigen Umstände, die zu ihrer Erwerbstätigkeit gehören, selbst abzusichern und sorgen so dafür, dass sie die lebenslange existenzielle Abhängigkeit vom Profitinteresse der Gegenseite überhaupt aushält und funktional bleibt.

Ideen wie das BGE, die das Leben in dieser Gesellschaft – wenigstens ein Stück weit – vom Zwang zur Erwerbsarbeit befreien wollen, widersprechen also dem Zweck des Sozialstaats: Er ist kein Almoseninstitut für ein für die Reichtumsproduktion nicht gebrauchtes, also unnützes Volk, sondern er betreut ein Leben von und für die Erwerbsarbeit. Die wird nun allerdings zunehmend weniger, wenn der Einsatz von Robotern und smarten Maschinen die Herstellung eines Produkts verbilligt, indem die dafür notwendige Arbeitszeit reduziert wird. Arbeitskräfte werden überflüssig und entlassen. Für die Sozialkassen heisst das: mehr Anspruchsberechtigte und weniger Einzahler. Dieses Problem sieht auch das BMAS – und setzt ihm seine „Zukunftsperspektive“ entgegen: Es gilt, dem von Erwerbsarbeit abhängigen Volk „staatliche Unterstützung bei dem Versuch an Arbeit teilzuhaben“ (S. 179) zukommen zu lassen. Politische und gesellschaftliche Aufgabe sei es, „Gestaltungschancen“ wahrzunehmen „für eine Arbeit, die den Menschen nützt und unsere Wirtschaft voranbringt“ (S. 5).

Gegen die angekündigten und bereits praktizierten Konkurrenzoffensiven der deutschen Wirtschaft, mit denen diese sich selbst im Kampf um globale Geschäfte voranbringen will, hat das BMAS grundsätzlich nichts einzuwenden – die fallen ja unter ‚Fortschritt' und ‚Zukunftschancen'. Dass sie dafür – das Weissbuch zitiert Studien, Unternehmerauskünfte und Zukunftsprognosen – tendenziell weniger Arbeitskräfte benötigen und die verbleibenden mit immer schneller wechselnden Anforderungen konfrontieren wird, stellt die Arbeits- und Sozialpolitik allerdings vor „Gestaltungsaufgaben“.

Den ArbeitnehmerInnen ist dabei auf die Sprünge zu helfen, dem „Veränderungs-., Anpassungs- und Innovationsdruck“ (S. 18), der ihnen laut Weissbuch gar nicht von den Unternehmern, sondern von anonymen Zukunfts- und Fortschrittstrends („Digitalisierung“, „Globalisierung“ …) aufgemacht wird, so nachzukommen, dass „Industrie 4.0“ nicht mit Arbeitslosigkeit 4.0 einhergeht. Aus der Arbeitslosen- soll eine „Arbeitsversicherung“ (S. 109) werden, die sie in ihren zu erwartenden „nicht linear verlaufenden Erwerbsbiografien“ (S. 107) durch Weiterbildung „unterstützt“. An ihnen soll herumgebastelt werden, womit der Umgang mit und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit ganz in die Hände des Individuums gelegt wäre: Das hat sich mit finanzieller Hilfe und entsprechendem behördlichen Nachdruck um seine „individuelle Beschäftigungsfähigkeit“ (ebd.) zu kümmern, ganz als sei abhängige(!) Beschäftigung eine persönliche Eigenschaft.

Tolle Aussichten also für „Arbeiter 4.0“: Sie müssen es einerseits hinbekommen, tagtäglich ihre Leistung an hochverdichteten Arbeitsplätzen zu bringen. Zweitens müssen sie dafür mit den neuen Techniken klarkommen, die ihnen am Arbeitsplatz vor die Nase gesetzt werden, was im Zweifel gerne auch Einsatz nach Feierabend bedeutet. Und weil klar ist, dass der schöne Arbeitsplatz chronisch von Streichung bedroht ist, sollen sie sich während und neben der Arbeit auch noch präventiv auf Leistungen vorbereiten, die Unternehmen womöglich demnächst fordern. Ob sie die richtig vorausgeahnt und sich die Mühen gelohnt haben, wird sich dann zeigen, wenn es zur angepeilten „Beschäftigung“ kommt.

Falls nicht, liegt es eben an mangelnder „Beschäftigungsfähigkeit“. Das ist absurd, weil es denen, die beschäftigt werden, die aktive Rolle im Beschäftigungsverhältnis zuspricht! Als kriegten alle die, die sich auskennen einen Job, weil sie sich auskennen; als läge also, dass sie fürs Geschäft nicht mehr gebraucht werden, daran, dass ihnen bestimmte Qualitäten fehlen, und als würden sie fürs Geschäft gebraucht, wenn und weil sie brauchbare Qualitäten aufzuweisen hätten.

Was man auf dem Kasten haben muss, um „beschäftigungsfähig“ zu sein, lässt sich – wen wundert's – dem Weissbuch inhaltlich nicht entnehmen. Was diejenigen, die tatsächlichen über das Beschäftigungsverhältnis bestimmen, von den Beschäftigten verlangen, ändert sich „in einer hochdynamisierten Arbeitswelt“ (S. 107) mit den Geschäftserfordernissen ja auch laufend. Dass die, die von einer solchen Beschäftigung abhängen, sich ebenso laufend und lebenslang abstrampeln, um dem zu genügen, das ist zusammengefasst die „Qualifikation“, die sie haben müssen. Und was die verlangte Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeit angeht, so erfahren sie auch da politische Unterstützung: In der „Diskussion“ sind rechtliche Regelungen, „betriebliche Experimentierräume einzurichten“ (S. 116), in denen es – vorbehaltlich der Zustimmung von Gewerkschaft und/oder Betriebsrat – möglich ist, von den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes abzuweichen.

Wenn trotz all dieser „aktiven Begleitung der Erwerbstätigen in ihren Veränderungs- und Anpassungsprozessen“ (S. 106 ) Arbeitslosigkeit eintritt, dann könnte, nach dem Vorschlag der SPD, ein verlängertes „Arbeitslosengeld Q“ (Q wie Qualifikation – s.o.) dafür sorgen, dass die Arbeitslosen es sich überhaupt leisten können, für ihre „Beschäftigungsfähigkeit“ die Schulbank zu drücken.

„Arbeiten 4.0“ findet, sofern es denn stattfindet, oftmals nicht in Form klassischer Festanstellung statt. In der schon ziemlich gegenwärtigen „Arbeitswelt der Zukunft“ (S. 4) erledigen selbständige Click- und Crowdworker Einzelaufträge für meist mehr als mässige Bezahlung. „Unsere Wirtschaft“ bringt das allemal voran: Die Lohnkosten sinken, Vorschriften über Arbeitszeit, Kündigungsschutz, Urlaub und Mindestlohn entfallen und Sozialabgaben sind auch nicht zu entrichten. Den so arbeitenden Menschen nützt es weniger. Die können oft genug davon nicht leben und sind auf (Aufstockung aus) Hartz IV oder später auf Grundsicherung angewiesen – ohne dass dafür Sozialversicherungsbeiträge gezahlt wurden. Und das ist nicht so ganz das, was das Ministerium unter „Guter Arbeit“ versteht. Die bietet nämlich „soziale Sicherheit“ (S. 93) durch Sozialversicherungspflicht und füllt die Sozialkassen so, dass das, was rechtlich als ‚Sicherheit' definiert ist, aus ihr auch finanziert werden kann.

Für diese Pflicht muss also gesorgt werden: Selbstständige sollen „grundsätzlich“ in die Rentenversicherung einbezogen werden. Und Solo-Selbstständige, zumindest „bestimmte Typen“ von ihnen, sind möglicherweise als Arbeitnehmer zu definieren, für die Arbeits- und Sozialrecht incl. Versicherungspflicht gelten und ihre Auftraggeber als Arbeitgeber. Als solche sollen beide Seiten dann die „Arbeitswelt … partnerschaftlich gestalten“ (S. 152) – am besten tarifpartnerschaftlich. Von Tarifbindung und Tarifpartnerschaft hält das Ministerium nämlich so viel, dass es sie „über die Schaffung von Anreizen für den Beitritt in Arbeitgeberverbände bzw. Gewerkschaften“ (S. 157) zu „steigern“ gedenkt. Durch den Abschluss von Tarifverträgen sieht es die „Regulierung von Arbeitsbedingungen“ am allerbesten geregelt:

Denn erstens kann man sich bei den hiesigen Gewerkschaften und Betriebsräten darauf verlassen, dass in den von ihnen unterzeichneten Tarifverträgen und Vereinbarungen „unterschiedliche Belange von Betrieben auch innerhalb von Branchen umfassende Berücksichtigung finden.“ (S. 157). So „individuell“, „flexibel“ und „passgenau“, so das Weissbuch lobend, kriegen gesetzliche Regelungen betriebsspezifische Unternehmerfreundlichkeit gar nicht hin. Es stellt zusätzliche Vorteile in Gestalt von allerhand Ausnahmeoptionen und Öffnungsklauseln hinsichtlich bestehender arbeitsrechtlicher Vorschriften in Aussicht, die nur per sozialpartnerschaftlicher Vereinbarung möglich wären: „ – mehr Flexibilität ja, aber nur mit Tarifvertrag.“ (S. 157) Zweitens nämlich steht mit Tarifvertrag, ganz gleich was inhaltlich festgelegt wird, jedenfalls eines fest: es sind entsprechende Sozialabgaben zu zahlen.

So wäre die Armut, mit der die „Arbeitswelt der Zukunft“ einhergeht, dann sozialstaatlich angemessen gestaltet und verwaltet.

Berthold Beimler

Alle Zitate aus: https://www.bmas.de