«Der schlimmste Ort» Die Geschichte des KZ Katzbach
Politik
Mitten in Frankfurt am Main wurde eines der grausamsten KZ-Aussenlager des Dritten Reiches betrieben. Bis heute kämpfen private Initiativen um eine Gedenkstätte.
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28. September 2018
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Am Morgen waren aus dem KZ-Aussenlager "Katzbach", das sich mitten in der Stadt auf dem Gelände der "Adlerwerke" befand, zwei Häftlinge entflohen. Die Adlerwerke waren bereits 1880 als Heinrich Kleyer GmbH gegründet worden und hatten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges unter anderem Fahr- und motorisierte Dreiräder, Autos, Motorräder und Schreibmaschinen produziert. Nachdem grosse Teile des Frankfurter Werkes bei Bombenangriffen zerstört worden waren, konzentrierte man sich seit 1944 weitgehend auf den Bau von Motoren und Fahrgestellen für kriegswichtige Fahrzeuge und da die Arbeitskräfte auszugehen drohten, hatte man auch KZ-Häftlinge angefordert.
Ende Oktober 1944 schliesslich war das KZ-Aussenlager innerhalb des Gebäudekomplexes der Adlerweke eingerichtet und von 1139 Häftlingen bezogen. Das KZ mit dem Decknamen "Katzbach", benannt nach der "Schlacht an der Katzbach", bei der 1813 deutsch-russische Truppen während der so genannten Befreiungskriege die französischen Einheiten zurückgedrängt hatten, war eines der wenigen, die mitten in einer Grossstadt errichtet wurden. Die Räume waren von Beginn an überbelegt, insgesamt wurden bis Kriegsende, also in etwa sieben Monaten, rund 1600 Häftlinge in dem Lager unter- und zum grössten Teil umgebracht.
Zwei von ihnen, Georgi Lebedenko und Adam Golub waren an jenem Morgen aus dem KZ-Aussenlager geflohen. Weit kamen beide nicht, auch weil sich an ihrer Ergreifung "offenbar die halbe Nachbarschaft beteiligt hatte", wie Ernst Kaiser und Michael Knorn bereits 1998 in ihrer Studie "Wir lebten und schliefen zwischen den Toten - Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken" dokumentierten. Demnach wurde Lebedenko zuerst gefasst und "um 6:00 Uhr morgens" in einer Strasse nahe den Adlerwerken im Frankfurter Stadtteil Gallus erschossen. Golub gelang es etwas länger, sich zu verstecken.
Er wurde schliesslich in der nahen Lahnstrasse im Keller eines Wohnhauses entdeckt. Rund 30 Frankfurtern, die sich auf der Strasse versammelt hatten, bot sich eine Szenerie, die die Hausfrau Maria L. nach dem Krieg in ihrer Vernehmung durch die Kriminalpolizei Frankfurt so darstellte: "Weiss (gemeint ist Martin Weiss, einer der wegen seiner Brutalität im Umgang mit KZ-Häftlingen gefürchtetsten Frankfurter SS-Männer, N.H.) begab sich in den Keller, er hatte schon einen Revolver oder eine Pistole in den Händen gehalten. Der Häftling kam aber von allein die Treppe herauf und sagte zu Weiss 'Kamerad, nicht schiessen', worauf Weiss seine Pistole wieder einsteckte und nach einem herumliegenden Knüppel griff.
Auf der Strasse dann wollte er den Häftling schlagen, worauf ich vom Fenster meiner im ersten Stock gelegenen Wohnung dem Weiss zurief, er solle den Häftling nicht schlagen. Weiss liess tatsächlich den Knüppel fallen und auf der Strasse erschoss er den Betreffenden von hinten mit einem Kopfschuss." Georgi Lebedenko und Adam Golub waren zum Zeitpunkt ihrer Hinrichtung 21 bzw. 19 Jahre alt.
Die Geschichte des KZ Katzbach und den davon profitierenden Adlerwerken ist in mehrfacher Hinsicht exemplarisch, einerseits für die Rolle der deutschen Industrie und ihrer Manager im Dritten Reich, andererseits für den Umgang der Bundesrepublik und ihrer Institutionen mit Tätern und Opfern.
So konnten die Adlerwerke mit Hilfe der KZ-Häftlinge im Jahr 1944 den höchsten Bilanzgewinn während des Zweiten Weltkrieges verbuchen, man profitierte reichlich von den eingesetzten Zwangsarbeiter*innen, deren gesamter Arbeitswert beim Unternehmen blieb und deren Arbeitsfähigkeit man nur gerade so aufrecht erhielt - der Faschismus war auch hier Wegbereiter eines kapitalistischen Schlaraffenlands. Gleichzeitig war das Lager unter den Häftlingen berüchtigt. Die extra für diesen Zweck zusammengestellte private Wachmannschaft, die sich gemeinsam mit der SS um die Insassen kümmerte, wütete wie an kaum einem anderen Ort.
Der Häftling Zygmunt Swistak erzählte später der Journalistin Joanna Skibinska von den Bedingungen im Frankfurter KZ: "Wir waren ja im Herbst und im Winter dort und hatten nur diese Sommersträflingsanzüge. Wir besassen überhaupt keine Unterwäsche. An den Füssen trugen wir Holzschuhe, ohne Socken und auf dem Kopf eine gestreifte Mütze. Das war alles. Es war wahnsinnig kalt. (...) Dazu noch diese Behandlung, dieses ständige Schlagen. Die Treppe herauf und herunter jagen! An jeder Ecke stand ein Deutscher mit einem Stock und hat uns angetrieben."
Ein anderer Überlebender, Andrzej Branecki, der zuvor bereits die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Mannheim kennengelernt hatte, betonte: "In Buchenwald haben wir untereinander von Dachau als einem 'Sanatorium' gesprochen. Und Frankfurt war später der schlimmste Ort, an dem ich in meinem ganzen Leben gewesen bin" Auch der ebenfalls mit Auschwitz-Erfahrung nach Frankfurt verschleppte Wladyslaw Jarocki bestätigte: "Die Adlerwerke waren viel schlimmer als ein Lager, das war ein Todeskommando! Die Sterblichkeitsrate war unheimlich hoch - durch Läuse und Hunger. () Ich wog 40 Kilo! Die Suppe bestand aus Pressrückständen von Zitronen und Kartoffelschalen aus der SS-Küche. Diese Abfälle haben sie in einen Kessel geworfen und gekocht - oder auch nicht. () Unsere Holzschuhe legten wir vor dem Einschlafen auf der Pritsche unter den Kopf wie ein Kissen. Wir hatten nicht einmal ausreichend Decken. Manchmal standen die Bretter dieser Pritschen so weit auseinander, dass man das Gefühl hatte, man schliefe auf einer Leiter. Das kann man nicht beschreiben."
Kurz vor Kriegsende wurden die Häftlinge evakuiert. Am 13. März 1945 wurden etwa 500 von ihnen in das KZ Bergen-Belsen verbracht, acht davon überlebten das Kriegsende rund sechs Wochen später. Am 24. März 1945 begann für die übrigen rund 400 Häftlinge der so genannte Evakuierungsmarsch von Frankfurt nach Buchenwald, wo knapp vier Wochen später nur rund 40 von ihnen ankamen und kurz darauf von der US-amerikanischen Armee befreit wurden.
72 Jahre später spricht die Künstlerin Stefanie Grohs im Frankfurter Nordend von einer Aktion, die sie im Jahr 2015 durchgeführt und bei der sie im Stadtgebiet rund 1600 Stoffbinden an Baumstämmen angebracht hatte. Die gestreiften Binden orientierten sich an der Häftlingsbekleidung, sorgten in der Stadt monatelang für Aufsehen und sollten laut Grohs die rund 1600 Todesopfer des Frankfurter KZs repräsentieren. "Alles hat damit angefangen, dass ich die Geschichte meiner eigenen Familie nachvollziehen wollte, die allerdings eher im Bereich des Tätervolks angesiedelt ist", erzählt sie im Gespräch, "und bei der Recherche bin ich dann in der Gedenkstätte in Auschwitz gelandet, was so ein Schockerlebnis war, dass ich das starke Bedürfnis entwickelt habe, mich dazu zu positionieren." Von der ehemaligen Existenz eines KZs in Frankfurt habe sie erst später erfahren und festgestellt, "dass es unglaublich viele Menschen in der Stadt gibt, die das nicht wissen, auch Leute die ihr ganzes Leben hier verbracht haben." Deshalb habe sie überlegt, wie diese Tatsache in das Bewusstsein der heutigen Bevölkerung zu bringen sei und so sei die Idee mit den Stoffbinden entstanden.
Nachdem die Stadt Frankfurt jahrzehntelang eher daran interessiert gewesen sei, Katzbach totzuschweigen, freut sich Grohs darüber, dass mit ihrem und zwei weiteren Kunstprojekten, die finanziell unterstützt worden waren, auch das Interesse der aktuellen Stadtregierung an zumindest einem aktiven Erinnern sichtbar geworden sei, sie mahnt aber auch: "Das sind allerdings nur temporäre Kunstaktionen gewesen und das reicht nicht."
Neben ihrem künstlerischen Engagement ist Grohs auch Mitglied eines Fördervereins, der sich für die Errichtung einer Gedenkstätte zum KZ Katzbach einsetzt.
Die "Initiative gegen das Vergessen" kämpft seit Mitte der 90er Jahre um ein angemessenes Gedenken und eine Entschädigung für die Überlebenden - erstaunlicher Weise mit einigem Erfolg. So gibt es seit November 1997 in Frankfurt einen Golub-Lebedenko-Platz, benannt nach den hingerichteten Flüchtlingen aus dem Frühjahr 1945 und man erstritt 1998 eine Entschädigung für die elf noch lebenden Katzbach-Häftlinge in Höhe von insgesamt 80.000 D-Mark von der Dresdner Bank, die 1945 Mehrheitsaktionärin der Adlerwerke war - selbstverständlich gegen den massiven Widerstand seitens Management und Aktionärsversammlung. Seit Jahren streitet der Verein nun für eine Gedenkstätte und damit für ein angemessenes Gedenken an die Opfer der staatlich organisierten Verbrechen in Frankfurt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges.
Zwar hat die Stadt mittlerweile signalisiert, dass sie an der Einrichtung einer solchen Gedenkstätte grundsätzlich interessiert sei, so "schnell" geht das dann aber doch nicht, und so werden wohl auch die letzten Überlebenden dieser siebenmonatigen Hölle ein angemessenes Gedenken an ihr Martyrium nicht mehr miterleben.
Auf Anfrage erklärt die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig, sie "unterstütze die Initiativen darin, diesem Ort und den hier stattgefundenen Verbrechen dauerhaft zu gedenken", allerdings sei es notwendig, "unter Berücksichtigung der in den letzten Jahrzehnten veröffentlichten Quellen und Dokumente, die Lücke zwischen den älteren Untersuchungen und heute zu schliessen", schliesslich habe man erst "mit diesem neuen Wissen () eine fundierte Grundlage für eine Gedenkstätte". Eine Historikerin am Fritz Bauer Institut sei bereits "mit der Aktualisierung des Forschungsstandes zum KZ Katzbach" befasst.
Auch wenn alle Initiativen-Vertreter*innen im Gespräch angeben, Frau Hartwig sei es mit der Gedenkstätte durchaus ernst und sie keinesfalls die Schuldige an dem Desaster: Über 70 Jahre nach der Befreiung der Häftlinge nehmen es deutsche Behörden in guter deutscher Tradition doch sehr genau mit Forschung und fundierter Grundlage, wenn es um das Gedenken an die Opfer geht - da ist Eile offenbar nicht geboten. Mit der Rehabilitierung und Auszeichnung der Mörder hingegen konnte es gar nicht schnell genug gehen und so setzten auch die Verantwortlichen für den Frankfurter Nazi-Mordrausch ihre Karrieren nach Kriegsende weitgehend unbehelligt fort.
Ernst Hagemeier, 1944/45 "Betriebsführer" der Adlerwerke, konnte nach kurzer Inhaftierung bereits im Juli 1948 auf seinen alten Posten als Vorstandsvorsitzender zurückkehren. Vom NS-Nachfolgestaat BRD wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Carl Goetz, von 1939 bis 1945 Vorsitzender des Aufsichtsrates der Adlerwerke, erhielt ebenfalls das Bundesverdienstkreuz.
Der "Abwehrbeauftragte" des Unternehmens, Dr. Franz Engelmann, ebenfalls einer der Hauptverantwortlichen, wurde 1950 zum "Minderbelasteten" erklärt und nicht weiter rechtlich belangt.
Der als Lagerführer und SS-Hauptscharführer Chef der Frankfurter Mörderbande, Erich Franz, setzte sich nach Österreich ab, ein möglicher Prozess wurde von der Wiener Staatsanwaltschaft gar nicht erst ernsthaft angestrengt, man halte "die vorliegende Sach- und Beweislage () für aussichtslos", hiess es 1967 lustlos in der Begründung - trotz eindeutiger Indizien. Der mehrfache Mörder Franz wurde bis zu seinem Tod 1985 nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
SS-Lagerkoch Martin Weiss, der Mörder des Teenagers Adam Golub und vieler weiterer Menschen, kehrte in seine rumänische Heimat zurück, wurde nicht weiter belangt und starb 1995 im Alter von 79 Jahren. Laut Kaiser und Knorn, die den Katzbach-Komplex in den 1990er Jahren als Lehrer im Rahmen eines Schülerprojektes und ohne finanzielle Hilfen aufrollten, wurden die Personalangaben des 1965 ausgestellten, für das Bundesgebiet gültigen Haftbefehls "mit derartigem Desinteresse bearbeitet, dass der zuständige Staatsanwalt im Jahre 1984 lakonisch vermerkte, damit 'dürfte allerdings kaum jemand festzunehmen sein, selbst wenn der Schuldige auftauchen sollte.'" [1]
Fussnoten:
[1] Kaiser/Knorn: "Wir lebten und schliefen zwischen den Toten", Campus-Verlag, Frankfurt/M. 1998
[1] Kaiser/Knorn: "Wir lebten und schliefen zwischen den Toten", Campus-Verlag, Frankfurt/M. 1998