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Unser Autor Richard Albrecht engagierte sich nicht nur vor zehn Jahren 2010 öffentlich unter anderem in einem kritischen Strafrechtsblog des Münchener Beck-Verlags für nachhaltige Aufklärung von Verantwortlichkeiten und rechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für das unsägliche Leid für Tote und Verletzte. Sondern versuchte auch, nachdem sich Anfang 2019 in Form eines sog. Rechtsgesprächs die Option Verfahrungseinstellung abzeichnete, eine kritische Bilanz des Destruktionsereignisses selbst wie von dessen nun formell beendeter justizieller Aufarbeitung.Duisburg, city, North Rhine–Westphalia Land (state), western Germany. It lies at the junction of the Rhine and Ruhr rivers and is connected with the North Sea German ports by the Rhine-Herne Canal, which links it to Dortmund and thus with the Dortmund-Ems Canal. Duisburg's modern importance dates from increasing industrialization after 1880 and its absorptionof the outer communities of Ruhrort (which includes the harbour) and Meiderich in 1905 and Hamborn (the chief industrial area), Hochfeld, Neudorf, and Duissern in 1929. Duisburg was occupied by Belgian troops (1921–25) and was called Duisburg-Hamborn from 1929 to 1934. The union of Duisburg and the outlying centres made it one of the world's largest inland ports and one of western Europe's principal iron and steel centres. In 1975 the outlying cities of Rheinhausen, Homberg-Niederrhein, Rumeln-Kaldenhausen, and Walsum were annexed,enlarging the city yet again.[1]
Germany's annual Love Parade was the temporary centre of the world of electronic dance music during its two-decade run. First organized in 1989 in West Berlin by planetcom, a company affiliated with the defunct E-Werk club, the parade was registered with the city as a political demonstration for “peace, joy, and pancakes” and until 1997 was held on the Kurfürstendamm, Berlin's main shopping street. The first Love Parade consisted of a couple of vans playingtechno music for a crowd of about 300 fans, but the event soon grew into a festival that attracted corporate sponsorship, heavy coverage by MTV Europe, and many more spectators; in 1997 estimates of crowd size ranged from 750,000 to 1,500,000 people. Each year, Berlin authorities threatened to ban the Love Parade for environmental or safety reasons,and permits for the event had by 2006 become too difficult to secure, forcing its relocation to the Ruhr region. Although the parade itself got most of the media attention, the real point for the fans was the hundreds of parties in nearby clubs during the weekend, when nearly every major star of the electronic dance music world appeared. Organizers ended the event after a tragic stampede at the 2010 Love Parade in Duisburg killed 21 and injured more than 500.[2]
Eine eigens eingerichtete Netzseite erklärt den fiktiven "Tatort"-Kommissar Horst Schimanski öffentlich zum "berühmtesten Sohn der Stadt Duisburg"[3] In der realen Stadt Duisburg gibt es wirklich eine Horst-Schimanski-Gasse im Stadtteil Duisburg-Ruhrort, ein paar Strassenzüge vom dortigen Amtsgericht entfernt[4]
Dieser Beitrag erinnert zunächst an die Duisburger Loveparade im Sommer 2010 und ihre unmittelbare Verkehrung ins direkte Gegenteil, die Death Parade. Und verweist weitergehend auch auf das Ende einer justiziellen Fahnenstange in Form der geplanten, öffentlich so umstrittenen wie strafrechtswissenschaftlich missbräuchlichen, Verfahrenseinstellung durch Rechtsgespräch zum Fall Loveparade. Im Ausblick geht es konstrastiv um die aktuelle Entwicklung des der Loveparade vergleichbaren social event, das britische Hillsborough Drama 1989.
Im Beitrag ausgeblendet bleiben theoriekritische Überlegungen zum Transformationsprozess der Verkehrung von fingierter Liebe in reale massenhafdte Tode und körperliche und seelische Verletzungen wie die dreifach wirksame Destruktivität von negativer Dialektik, negativer Vergesellschaftung und negativer Individualisierung. Weiters bleibt einschränkend darauf hinzuweisen: die klassische Leitfrage, was diese Welt im Innersten zusammenhält, wird weder angesprochen noch gelöst werden. Auch die talkshowige Befestigung eines spätbürgerlichen, im Selbstverständnis linksliberalen, Zeitgeistes und seine hofnärrische "Veränderung" (Gregor Gysi) ist hier ebensowenig zu erwarten wie die Reproduktion "irreführender Repräsentanz" (Enno Patalas). Vielmehr geht es um den Gegenpol jedes "ideologischen" Gedächtnisses - um "una memorial histórica, testimonial" (Jorge Semprún) als Beitrag zur zeitgenössischen Aufklärung.
Loveparade 2010
Über das hier Destruktionsereignis genannte Event in Duisburg am Sonnabend, dem 24. Juli 2010, berichtet das deutschsprachige Netzlexikon WikipediA in einem ausführlichen Lemma zusammenfassend und sachlich zutreffend:"Das Unglück der Loveparade ereignete sich während der 19. Veranstaltung dieser Art am 24. Juli 2010 in Duisburg. Dabei kamen 21 Menschen ums Leben, 541 weitere wurden schwer verletzt. Nach Angaben des Selbsthilfevereins LoPa-2010 vom Juli 2014 begingen darüber hinaus mindestens sechs Überlebende der Katastrophe aufgrund andauernder seelischer Belastungen Suizid: Das [... ] Unglück geschah an einer Engstelle im Zugangsbereich der Loveparade, wo es wegen möglicherweise fehlgeleiteter Besucherströme und Planungsfehlern zu einem Gedränge unter den Besuchern gekommen war. Die Staatsanwaltschaft Duisburg leitete ein Ermittlungsverfahren gegen 16 Mitarbeiter der Stadtverwaltung Duisburg sowie gegen verantwortliche Mitarbeiter des Veranstalters und der Landespolizei ein. Die Unglücksursache und weitere Details konnten noch nicht abschliessend geklärt werden und sind Gegenstand u. a. eines Strafverfahrens vor dem Landgericht Duisburg. Das Gericht stellte zunächst in einem Zwischenverfahren fest, dass es keinen hinreichenden Tatverdacht bei den Angeklagten gebe. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde daher vom Landgericht Duisburg zunächst abgelehnt. Mit Beschluss vom 18. April 2017 hob das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch den Beschluss des Landgerichts Duisburg auf und liess die Anklage gegen alle zehn Angeklagten zu. Die Hauptverhandlung begann am 8. Dezember 2017 vor der 6. grossen Strafkammer des Landgerichts Duisburg, welche vor dem Hintergrund des grossen erwarteten Besucheraufkommens in einer eigens in Düsseldorf eingerichteten Aussenstelle tagt. Infolge der Katastrophe beendete der Organisator der Loveparade die seit 1989 bestehende Veranstaltungsreihe."[5]
Alle Spekulationen darüber, warum die 1989 in Berlin begründete Grossveranstaltung im Sommer 2010 erstmalig nach Duisburg geholt wurde, sollen hier unterbleiben.[6] Der zitierte Bericht soll auch nur in einem Punkt ergänzt werden: Der CDU-Politiker Adolf Sauerland, im Oktober 2004 als Oberbürgermeister von Duisburg und erneut im August 2009 (wieder)gewählt, wurde im Feber 2012 durch Bürgerbegehren einer kommunalen Bürgerinitiative abgewählt – nicht zuletzt wegen fehlender Verantwortungsübernahme nach der Loveparade.
Der Prozess
Nachdem das Landgericht Duisburg keine öffentliche Anklage gegen zehn staatsanwaltschaftlich Beschuldige erheben wollte, wurde es im April 2017 dazu vom Oberlandesgericht Düsseldorf veranlasst. Und eröffnete das Hauptverfahren im Dezember 2017:"Im Loveparade- Verfahren wird sich Mitte Januar voraussichtlich entscheiden, ob der Prozess bis zu einem Urteil fortgesetzt oder vorher ohne Urteil eingestellt wird. Das Landgericht (LG) Duisburg hat dazu für den
16. Januar die beteiligten Juristen zu einem Rechtsgespräch eingeladen. Der Termin steht aber unter dem Vorbehalt, dass das bis dahin noch geplante umfangreiche Beweisprogramm mit weiteren acht Verhandlungsterminen bis Jahresende und den weiteren Terminen Anfang Januar wie geplant durchgeführt werden kann. Staatsanwaltschaft, Nebenklagevertreter und Verteidiger können dann zum bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme und dem vorläufigen Ergebnis Stellung nehmen, wie das Gericht am Dienstag mitteilte. Das Gericht will zudem eine eigene Einschätzung abgeben. 'Es soll auch eine Erörterung der Frage stattfinden, wie das Verfahren fortgeführt werden könnte', hiess es weiter [...] Ein Gerichtssprecher ging am Dienstag davon aus, dass das Gespräch mehrere Stunden dauern wird. Daran teilnehmen können bis zu 75 Juristen: 32 Verteidiger, 37 Nebenklage-Anwälte, drei Staatsanwälte und die drei Juristen der Strafkammer. Grundlage des Rechtsgesprächs soll auch ein im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstelltes Gutachten zum Hergang der Tragödie sein. Bei der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg waren am einzigen Zu- und Abgang zum Veranstaltungsgelände im Gedränge 21 Menschen erdrückt und mindestens 652 verletzt worden. Angeklagt sind sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier des Veranstalters Lopavent. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor."[7]
Gerichtsverfassungsgesetz, Strafgesetz und Strafprozessordnung kennen das Institut des allein aktiv verberuflichten Volljuriste(inn)en zugänglichen Rechtsgesprächs im Strafprozess mit seiner Nähe zum konspirativen speak-easy deal als Handel mit Gerechtigkeit nicht; genauer: Jedes berufsrichterlich veranlasste geheime Rechtsgespräch gilt aus bürgerrechtlicher Sicht nicht nur wegen der Verhinderung von Öffentlichkeit im öffentlichen Prozess als rechtlich höchstproblematisch – sondern wurde bereits 2004 am Beispiel des Mannesmann-Prozesses in Düsseldorf aus rechtswissenschaftlicher Sicht öffentlich als Farce bezeichnet[8].
Erwartungsgemäss ergab das volljuristische Rechtsgespräch im Duisburger Strafprozess um Verantwortung & Schuld und Schuld & Sühne bei der Loveparade 2010 die Option der schlussendlichen Verfahrenseinstellung ohne Gerichtsurteil. Das bedeutet nach dem oberlandesgerichtlich gerügten Nichtverfahren bei Verfahrenseinstellung konkret vor allem den offensichtlichen Bankrott bürgerlicher Menschenrechte im gegenwärtigen Ganzdeutschland: was als unveräusserbare Würde des Menschen, die alle staatliche Gewalt zu achten und zu schützen hat, gilt und zu der vor allem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gehören, konnte nicht geschützt werden.
In der vom Landgericht Duisburg am 17. Jänner 2019 veröffentlichten Presseerklärung[9] zum Rechtsgespräch am Vortag wird vor allem darauf abgehoben, dass aus landgerichtlicher Sicht die invididuelle Schuld jedes Angeklagten "gering bis allenfalls mittelschwer" wäre. Folglich soll es im weiteren Prozessablauf um die "vorstellbaren Bedingungen einer Verfahrenseinstellung" seitens der Prozessparteien (Staatanwaltschaft als Anklagehebörde, Verteidiger als Vertreter der Angeklagten, Nebenkläger als Vertreter der Geschädigten) gehen. Und damit um Einzelheiten des im Rechtsgespräch vereinbarten deals nach Strafprozessordnung.[10]
Das ist jedoch nichts Anderes als die gerichtlich organisierte Unschuld in Form schlussendlicher Verfahrenseinstellung; genauer: Die Berufsrichterei[11] begibt sich bei geplanter Verfahrenseinstellung ohne Urteil in die manus manum lavat-Pose, in der eine Hand die andere wäscht - ermöglicht durch eine kleingekackerte bürgerliche Rechtsstruktur mit ihrer Negativindividualisierung einzelner Täter und deren Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspartikeln. Im Namern des Volkes wird individuelle Schuld prozessproduziert so gering(st), dass marktkonforme Justiz Strafverfolgung und Verurteilung nicht mehr betreibt: Erweisliches Unrecht wird formal verrechtlicht, Gerechtigkeit als rechtsstaatliches Handeln bestimmender Leitsatz aufgehoben und Rechtsentwicklung ins reaktionäre Gegenteil verkehrt.
Denkalternativen
Auffällig bei diesem professionsjuristischen Verfahren der Verlust jeden alternativen Denkens. Etwa als should-have-known-Vorhalt: Sie hätten als verantwortliche Veranstalter und/oder kontrollierendes Aufsichts- und Dienstpersonal der Loveparade aber wissen müssen ... Auch Hanah Arendts Hinweis – Das-hätte-nie-geschehen-dürfen[12] – gilt juristisch herrschender nebst Mindermeinung ebenso als höchstgefährlicher militanter Humanismus wie schon eine schlichte gedankenexeperimentelle Überlegung zur Beweislastumkehr nach dem wirklichen Vernichtungsereignis. Und die naheliegendste Massnahme: dass das Ganze dienstaufsichtsbehördlich spätestens einen Tag vorher, am Freitagmittag dem 23. Juli 2010 bis 12 Uhr, vom zuständigen Regierungspräsidenten, damals dem seit 1995 in Düsseldorf amtierenden nordhein-westfälischen SPD-Spitzenfunktionär Jürgen Büssow, hätte untersagt werden können (oder müssen), liegt bis heute dem beteiligten Justizpersonal allerlei Geschlechter und sämtlicher Formate, Besoldungstufen und Preisklassen fern(er als fern).So gesehen, ist was gelegentlich organisierte Verantwortungslosigkeit genannt wird nur logische und empirische Folge der Grundstruktur (spät)bürgerlichen Strafrechts ganzdeutscher Ausprägung. Welches nicht mal post festum, nach tödlichen und verletzenden Ereignissen, Leben und körperliche Unversehrtheit ideel achten und schützen helfen kann. (Dies ist ein Zusammenhang, der in der auf Völkermordverhinderung ausgelegten internationalen Genozidforschung als second killing oder der zweite Tod bezeichnet wird.[13])
Hillsborough 1989
Anders die mit dem bisher angesprochenen Komplex vergleichbare insulare bürgerliche Rechtspraxis des Vereinigten Königreichs:"Die Hillsborough-Katastrophe war ein schweres Zuschauerunglück mit 96 Toten und 766 Verletzten am 15. April 1989 im Hillsborough Stadium in Sheffield. Sie ereignete sich während des Halbfinalspiels um den FA [Football Association] Cup zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest und gilt bis heute [...] als eine der grössten Katastrophen in der Geschichte des Fussballs. Die Ursache für das Unglück war lange umstritten. Erst 27 Jahre später erklärte die Jury einer Untersuchungskommission, dass die 96 Opfer von Sheffield „rechtswidrig getötet“ (englisch unlawfully killed) wurden. Auslöser der Tragödie waren demnach schwere Fehler der Polizei und nicht – wie jahrelang von behördlicher Seite behauptet – das Fehlverhalten der Zuschauer. Der damalige Einsatzleiter der Polizei, David Duckenfield, hatte, entgegen seiner früheren Aussage, eingeräumt, durch das unbedachte Öffnen eines Tores eine Mitverantwortung für die Katastrophe zu tragen. Bereits 2012 hatte eine unabhängige Kommission in ihrem Bericht nahegelegt, dass Mitglieder der Polizei und der Hilfskräfte sowohl bei den Ursachen der Katastrophe als auch deren Ausmass eine erhebliche Schuld traf. Dies führte zu einer offiziellen Entschuldigung von Premierminister David Cameron, der Polizei von South Yorkshire, dem englischen Fussballverband FA sowie der Zeitung The Sun für die Rolle, die sie bzw. ihre Organisationen in dem Geschehen gespielt haben."[14]
Zu ergänzen ist WikipediA auch hier: im dreissigsten Jahr nach dem Destruktionsereignis selbst muss sich seit Mitte Jänner 2019 mit dem chief superintendent ein Hauptverantwortlicher vor dem Preston Crown Court, Lancashire, öffentlich verantworten.[15]
Und auch die kurze öffentliche Ansprache des damals amtierenden Tory- PM David Cameron im Jahr 2012 gab es wirklich.[16]