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Hamburg: Alternativer Genossenschaftskongress von unten - Mitglieder klagen über fehlende Rechte

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Demokratie in Wohnungsgenossenschaften? Mitglieder klagen über fehlende Rechte. Hamburg: Alternativer Genossenschaftskongress von unten

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Politik

Für den 15. Februar 2025 luden die Berliner, Dortmunder und Hamburger Initiativen „Genossenschaft von unten“ mit Unterstützung der Mietervereine zum „2. alternativen Genossenschaftskongress von unten“ nach Hamburg ein.

2. Alternativer Genossenschaftskongress in Hamburg.
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2. Alternativer Genossenschaftskongress in Hamburg.

Datum 14. März 2025
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Elisabeth Voss aus Berlin gab zum Auftakt einen Input, den sie für diese Veröffentlichung für eine bessere allgemeine Verständlichkeit leicht bearbeitet hat.

Grosse, alte Wohnungsgenossenschaften sind sehr wichtig für eine sichere und bezahlbare Versorgung mit Wohnraum für ihre Mitglieder. Aber es gibt auch zunehmend Unzufriedenheiten – ausgerechnet um die Frage der demokratischen Mitentscheidung. Dabei gilt doch die Genossenschaft als demokratische Rechtsform, in der nicht das Geld zählt, sondern die Menschen.

Die Hamburger Initiative „Genossenschaft von unten“ schreibt ihrer Einladung zum Kongress: „Eine Demokratie funktioniert nur, wenn die demokratischen Strukturen intakt sind und mit Leben gefüllt werden. Viele erleben die bundesdeutsche Demokratie derzeit als gefährdet. Dasselbe gilt für Wohnungsgenossenschaften.“

Dabei ist es – bei aller notwendigen Kritik – wichtig, immer wieder zu betonen, dass Genossenschaften eine wichtige Funktion haben, gerade in diesen immer räuberischeren Immobilienmärkten.

Probleme mit der genossenschaftlichen Demokratie

Da geht es dann zum Beispiel darum, dass Genossenschaften ihren Mitgliedern das Nutzungsentgelt erhöhen und das mit dem Mietspiegel begründen. Das widerspricht dem Genossenschaftsgedanken der Mitgliederförderung, auf den Genossenschaften verpflichtet sind, denn was hat der Mietspiegel damit zu tun, wie eine Genossenschaft intern die Kosten der Bewirtschaftung verteilt?
Ein anderes Problem ist, dass oftmals Modernisierungen über die Köpfe der Mitglieder hinweg durchgeführt werden. Sie sind dann mit den entsprechenden Modernisierungsaufschlägen auf ihr Nutzungsentgelt konfrontiert, so dass manche Angst haben, das nicht mehr bezahlen zu können.

Ein weiteres Problem gibt es, wenn Genossenschaften preisgünstigen Wohnraum abreissen, um dann teuer neu zu bauen. Oft wird das mit Klimaschutz begründet, und dass es angeblich nicht wirtschaftlich sei, die alten Gebäude klimatisch herzurichten. Aber irgendwann wird dann doch deutlich, dass es eigentlich darum geht, dass sich mit diesen Neubauten deutlich höhere Nutzungsentgelte erzielen lassen. Da werden dann gewachsene Gemeinschaften auseinandergerissen, teils von älteren Leuten die sich gegenseitig unterstützt haben. Die Mitglieder können sich beklagen, aber sie können nichts tun.

Und wenn sie dann in ihrer Verzweiflung an die Öffentlichkeit gehen, droht ihnen möglicherweise sogar der Ausschluss aus der Genossenschaft, wegen genossenschaftswidrigem Verhalten. Das kann schlimmstenfalls dazu führen, dass sie dann als Nichtmitglied auch ihre Wohnung verlieren, weil die Genossenschaft – wie man es sonst aus der Privatwirtschaft kennt – auf Eigenbedarf klagt. Ein Nichtmitglied muss dann vielleicht Mitgliedern von der Warteliste Platz machen. Das ist ein grosses Problem, dabei hat doch die Genossenschaft eigentlich diesen besonderen Charakter der Mitgliederförderung statt der Geldvermehrung.

Wie kommt das?

Ich möchte drei Ursachen benennen.

Das erste ist die rechtliche Situation. In der Genossenschaft gilt „ein Mitglied, eine Stimme“, aber worüber darf dieses Mitglied mit seiner einen Stimme entscheiden? In ganz vielen Genossenschaften kann das Mitglied gerade mal die Vertreter wählen, und das war's dann – und das ist ja nun keine besonders ausgeprägte Form der demokratischen Mitentscheidung.

Wenn dann die Vertreter- oder Generalversammlung – je nachdem, wie das in der Genossenschaft geregelt ist – zusammenkommt, was kann die entscheiden? Sie kann den Aufsichtsrat wählen, den Vorstand oft schon nicht mehr, weil der vom Aufsichtsrat benannt wird, obwohl er auch von den Mitgliedern gewählt werden könnte. Aber die meisten Genossenschaften, jedenfalls die grossen, handhaben das anders. Die Versammlung kann Satzungsänderungen beschliessen – Satzungen sind oft in einem so autoritären Befehlston verfasst, so direktiv, allein von der Wortwahl her schon topdown.

Die Versammlung kann den Jahresabschluss feststellen und die Gewinnverwendung oder Verlustdeckung besprechen und darüber entscheiden. Sie kann den Vorstand und Aufsichtsrat entlasten, also zusagen, dass die Mitglieder gegen das, wovon sie Kenntnis haben, nicht gerichtlich vorgehen werden und keine Regressansprüche stellen werden – nur darauf bezieht sich die Entlastung.
Sehr viel mehr gibt's für die Mitglieder eigentlich nicht zu entscheiden, das ist also eine sehr, sehr eingeschränkte Form der Mitentscheidung. Alles andere entscheiden die Vorstände, das liegt an diesem Paragraph 27 des Genossenschaftsgesetzes, der sagt: „Der Vorstand hat die Genossenschaft in eigener Verantwortung zu leiten“. Es gibt seit ein paar Jahren Ausnahmen für Genossenschaften bis 20 Mitglieder, das hat aber für grosse Wohnungsgenossenschaften keine Relevanz.

Es gab im letzten Jahr den Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform“, da sollte eigentlich vom Justizministerium her dieser Passus entfallen. Es sollte möglich sein, in der Satzung – unabhängig von der Grösse der Genossenschaft – zuzulassen, dass der Vorstand an das Votum der Generalversammlung gebunden ist. Das hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf wieder rausgenommen, und hat es auf Genossenschaften bis 1.500 Mitglieder beschränkt. Ob dieses Gesetz nun jemals durchkommt, ist unklar, der Entwurf liegt seit November vor.

Das zweite Problem ist die Genossenschaftskultur. Viele Mitglieder wollen einfach in Ruhe wohnen, die interessieren sich nicht für viel mehr, sind überwiegend zufrieden, und das ist ja auch schön. Aber sie fühlen sich auch oft nicht gesehen von ihrer Genossenschaft, nicht angesprochen. Wann hat ein Mitglied denn Kontakt mit seiner Genossenschaft? Wenn es die Nebenkostenabrechnung bekommt, oder vielleicht die Dividendenabrechnung – das ist auch so ein Thema: warum muss eine Genossenschaft Dividenden ausschütten, obwohl sie nicht zur Geldvermehrung da ist?

Hinzu kommt, dass früher Mitgliederzeitung gedruckt wurden, nun jedoch Genossenschaften zunehmend dazu übergehen, diese nur noch online abrufbar bereitzustellen. Es erschwert den Kontakt, wenn die Zeitung nicht mehr einfach auf dem Frühstückstisch liegt, denn wer macht schon diesen Online-Abruf? Viele wissen wohl gar nicht mehr, dass sie eigentlich Mitglieder sind, dass sie Miteigentümer*innen sind, dass sie eigentlich Teil einer demokratischen Organisation sind.

Auf der General- oder Vertreterversammlung ist es leider so, dass oft eine drückende Stille herrscht, dass kaum jemand sich traut, etwas zu sagen, kritisch zu fragen. Und wenn doch, dann kann es leider auch passieren, dass man von anderen Mitgliedern als Querulant angesehen und angeranzt wird: „hey, hör doch mal auf“ oder so, so dass viele sich gar nicht trauen, etwas zu sagen. Es gibt leider auch fast schon bedrohlich wirkende Äusserungen vom Podium der Vorstände und Aufsichtsräte. Und insofern ist das oft so eine Stimmung von Anpassung, man orientiert sich an anderen, man guckt, wie stimmen die ab, okay, dann hebe ich mein Händchen an der richtigen Stelle. Das ist keine lebendige Gesprächskultur, oder nur ganz selten.

Die Gruppendynamik innerhalb der Leitungsorgane oder zwischen ihnen, also innerhalb und zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, sollte auch nicht unterschätzt werden. Man sitzt viel zusammen, man geht gemeinsam essen – auf Kosten der Genossenschaft – fühlt sich miteinander verbunden, ist genervt von den Mitgliedern – die stören, wie können wir uns die vom Hals halten – und im Konfliktfall macht man gemeinsam Front gegen die Mitglieder. Es ist auch schon vorgekommen, dass dann bei der Generalversammlung ein Jurist neben dem Vorstand auf dem Podium sitzt, und die Mitglieder-Fragen beantwortet. Das ist dann der Endpunkt der nicht vorhandenen Kommunikation.

Das dritte Problem ist die wirtschaftliche Orientierung. Vorstandsmitglieder kommen oft aus der herrschenden Betriebswirtschaftslehre, es gibt auch zu wenig Ausbildungsstätten für genossenschaftliches Wirtschaften, das ja vollkommen anders funktioniert als die konventionelle Gewinnerzielungswirtschaft. Da gibt es immer die schönen Werte und Prinzipien, die sagt man gerne her, aber die wirklich zu durchdringen, wirklich zu verstehen und zu leben und umzusetzen, das ist leider nicht so verbreitet, und das macht sich dann fest an der Gewinnorientierung statt der Mitgliederförderung und der Kostendeckung.

Das ist in den Geschäftsberichten zu sehen, wenn da steht: „wir haben gute Gewinne erzielt“ und „wir sind wettbewerbsfähig“ – warum muss eine grosse Wohnungsgenossenschaft wettbewerbsfähig sein? Es gibt keinen Grund dafür. Die Prüfungsverbände spielen eine ganz grosse Rolle. Sie geben vieles vor, auch an Material für die Öffentlichkeitsarbeit, und sie sagen zum Beispiel Satzungsänderungen an, die dann oftmals direkt eins zu eins von den Genossenschaften übernommen werden.
Die Verbände machen Lobbyarbeit, sie sind ja auch Sturm gelaufen gegen die geplante Genossenschaftsgesetz-Änderung vom letzten Jahr, und haben sich ganz stark gegen diese Möglichkeit ausgesprochen, in der Satzung vorzusehen, dass Mitglieder dem Vorstand Anweisungen erteilen können. In Berlin zum Beispiel ist es sogar so, dass der BBU – der Prüfungsverband der grossen Wohnungsgenossenschaften – auch gewinnorientierte Konzerne in der Mitgliedschaft hat, sogar Vonovia. Und die haben eine Kampagne gemacht mit dem Bauklötzchenverband – diesem Marketing-Verband der Genossenschaften – gegen den Berliner Mietendeckel und gegen „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Diese Verbände sind also ein richtig grosses Problem.

Was tun?

Erstens: Aktiv werden und miteinander ins Gespräch kommen ist das A und O, dass Mitglieder miteinander reden, dass Mitglieder auch mit ihren Vertreter*innen reden. Das ist sonst wie eine repräsentative Demokratie, man wählt die Vertreter, und dann machen sie fünf Jahre lang, was sie wollen. Dabei müssen sie ja mitbekommen, was die Mitglieder brauchen. Ich will jetzt nicht alle über einen Kamm scheren, aber das ist ganz oft ein Problem.

Wichtig ist auch die Vernetzung über verschiedene Genossenschaften hinaus. Das passiert ja zum Teil auch, dass sich sowohl Mitglieder als auch Vertreter*innen austauschen, auch mit Vorständen und Aufsichtsräten ins Gespräch kommen – das ist auch wichtig, sie für die Anliegen der Mitglieder zu gewinnen. Und sich auch mit sozialen Bewegungen und mit Mietrechtsbewegungen jenseits von Genossenschaften auszutauschen und zu vernetzen.

Ein zweiter Punkt: Für all diesen Austausch sind Strukturen notwendig. Es reicht nicht aus, mal miteinander zu reden, das bleiben dann so einzelne Geschichten, sondern man braucht Strukturen, das heisst man braucht Räume für physische Treffen, vielleicht auch Online-Foren oder andere Möglichkeiten, sich auszutauschen.

Man braucht Verbindlichkeit, Regelmässigkeit, und Leute, die das auch verantwortlich koordinierend in die Hand nehmen. Denn ohne Strukturen, und ohne sich zu organisieren, bleiben das Eintagsfliegen und einmalige Aktionen. Es ist toll, auch so etwas zu machen, aber wenn wir langfristig etwas erreichen wollen, dann sind Strukturen unabdingbar.

Und der dritte Punkt ist die rechtliche Ebene: Die Genossenschaftssatzung verändern, und den Mitgliedern darin mehr Mitentscheidungsrechte geben. Da ist aber das Problem in Grossgenossenschaften, dass man per Gesetz zehn Prozent der Mitglieder braucht, um überhaupt so eine Genossenschaftssatzungsänderung, in der dann dieses Quorum auch herabgesetzt werden könnte, auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist in grossen Genossenschaften nahezu unmöglich. Und insofern ist da einiges zu tun, und man muss trotzdem versuchen, es irgendwie durchzusetzen, und perspektivisch auch das Genossenschaftsgesetz entsprechend zu ändern.

Es gibt noch einige weitere Themen, beispielsweise die Frage Dividendenzahlung statt genossenschaftlicher Rückvergütung, die Frage von sozialer Verantwortung von Genossenschaften – wer kann überhaupt in Genossenschaften wohnen –, und die Frage der Vertreterversammlung, soll es so etwas geben, Pro und Kontra.

Und es ist wichtig, immer wieder zu betonen: Die drei Organe der Genossenschaft: Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung – oder Vertreterversammlung, die an die Stelle der Generalversammlung tritt – sind keine drei gleichberechtigten Organe, sondern die Generalversammlung oder Vertreterversammlung ist das höchste beschlussfassende Organ einer Genossenschaft.

Die meisten Mitglieder wissen das nicht. Sie glauben, dass sie untergeordnet sind, aber die soziale Organisation einer Genossenschaft unterscheidet sich fundamental von jedem Immobilienkonzern, jedem kapitalistischen gewinnorientierten Unternehmen, aufgrund der sozialen Organisation. Es ist nicht das letztlich entwürdigende Unterordnungsverhältnis der Mieter*innen, die den Vermietern ausgeliefert sind, sondern die Mitgliedschaft ist das oberste beschlussfassende Organ, und der Aufsichtsrat ist dazu da, diese Mitglieder – und zwar die Interessen der Mitglieder – zu vertreten, indem er den Vorstand in seiner Geschäftsführungstätigkeit überwacht, kontrolliert und auch berät.

Insofern ist der Aufsichtsrat im Interesse und im Auftrag der Mitgliedschaft tätig. Der Vorstand hat zwar nach Paragraph 27 Genossenschaftsgesetz diese Geschäftsführungsbefugnis, ist dabei aber an Gesetz und Satzung gebunden, und hat im Interesse der Mitglieder zu handeln und sie zu fördern. Das ist richtig wichtig.

Elisabeth Voß

Der Mitschnitt steht hier online.

Zusatzinfos:

Die Berliner Initiative „Die Genossenschafter*innen“ hat 2021 mit der Rosa Luxemburg Stiftung eine Broschüre veröffentlicht: „Selbstverwaltet und solidarisch wohnen – Genossenschaften und ihre Bedeutung für eine gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik“, an der die Autorin auch mitgewirkt hat. Sie steht zum kostenlosen Download bereit und ist als Print ebenfalls kostenlos bestellbar.

Die Veröffentlichungen von Elisabeth Voss zum Thema Genossenschaften sind hier zu finden: elisabeth-voss.de/?id=15