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Kaum diskutiert wurde, dass ausgerechnet beim Holocaust-Gedenktag im Bundestag die Shoah relativiert wird

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Kaum diskutiert wurde, dass ausgerechnet beim Holocaust-Gedenktag im Bundestag die Shoah relativiert wird Der Tabubruch vor dem Tabubruch

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Politik

Die Sitzung des Deutschen Parlaments am 29. Januar 2025 wird noch länger im Gedächtnis bleiben.

Selektion ungarischer Juden auf der Rampe in Auschwitz-II-Birkenau im deutsch besetzten Polen, Mai/Juni 1944, in der Endphase des Holocaust. Die Juden wurden entweder zur Arbeit oder in die Gaskammer geschickt.
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Selektion ungarischer Juden auf der Rampe in Auschwitz-II-Birkenau im deutsch besetzten Polen, Mai/Juni 1944, in der Endphase des Holocaust. Die Juden wurden entweder zur Arbeit oder in die Gaskammer geschickt. Foto: Bernhard Walter (PD)

Datum 6. Februar 2025
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Denn am späten Nachmittag des 29. Januar stimmten die Abgeordneten von Union, FDP, BSW mit der rechten AFD zusammen für eine massive Migrationsabwehr.

SPD, Grüne und LINKE sprechen von einem Tabubruch. Erstmals sei die vielbemühte Brandmauer zur AfD durchbrochen worden, in dem die bürgerliche Mitte die Rechtsaussenpartei in die Mehrheitsbeschaffung einbezogen hat, so die Kritik. Weitgehend unter ging die Gedenkstunde zum 80ten Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau in den Mittagsstunden des 29. Januars.

Einige Kommentator*innen merkten immerhin kritisch an, dass ausgerechnet nach dieser Gedenkveranstaltung der zumindest temporäre Bruch der Brandmauer nach Rechtsaussen vollzogen worden sei. Was aber kaum jemand wahrnehmen wollte. Auch bei dieser Gedenkstunde vollzog sich ein Tabubruch, indem die Shoah, der Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden, in die allgemeine Verbrechensgeschichte eingemeindet wurde.

Lange Geschichte der Relativierung der Shoah

Nun ist es keineswegs eine neue Entwicklung. Schon häufig wurde von sehr unterschiedlichen Seiten diese Relativierung der Shoah auch sprachlich vollzogen. Das zeigte sich daran, dass alle möglichen Ereignisse mit dem Begriff Holocaust bedacht wurden. Dafür kann man Beispiele aus sämtlichen politischen Lagern, auch der gesellschaftlichen Linken finden.

So wurde immer wieder die Politik Israels mit dem Holocaust verglichen und damit unterstellt, die israelische Regierung ginge mit den Palästinenser*innen heute so um wie die Nazis mit den Juden. Dass diese Aussage nicht nur historisch falsch, sondern auch antisemitisch ist, müsste sich eigentlich herumgesprochen haben.
Nach dem von dem israelischen Politiker Natan Scharanski entwickelten 3-Regeln, in denen er den Unterschied zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierung und einer antisemitisch grundierten Abwehr gegen Israel beschreibt, wird die Gleichsetzung der israelischen Politik mit den Naziverbrechen als Teil der Dämonisierung Israels beschrieben.

Wer von einem Holocaust durch die israelische Regierung spricht, beteiligt sich aber nicht nur an der Dämonisierung Israels sondern auch an der Relativierung des Massenmords an den europäischen Juden. Doch diese Relativierung betrifft eben nicht nur den Vergleich der Shoah mit der Politik Israels. Da sind wir bei den Ausführungen von Roman Schwarzman, der als Shoah-Überlebender die zentrale Rede bei der Gedenkstunde am 29. Januar 2025 im Bundestag hielt. Sehr ergreifend schilderte er im ersten Teil seiner Ansprache die Entrechtung, die er selber erlebte:

„Über 80 Jahre sind vergangen, aber ich erinnere mich immer noch an den Geschmack des Wassers, das die Besatzer nach dem Waschen des Fleisches weggeschüttet haben.“

Putin gleich Hitler?

Umso problematischer ist der zweite Teil, in dem Schwarzmann den russischen Angriff auf die Ukraine, umstandslos mit der Shoah gleichsetzte und eben nicht nur verglich. Das wird in diesen Passagen seiner Rede deutlich:

„Putin versucht, uns als Nation zu vernichten. So wie Hitler versucht hat, das jüdische Volk im Zweiten Weltkrieg zu vernichten. Damals wollte mich Hitler töten, weil ich Jude bin. Jetzt versucht Putin, mich zu töten, weil ich Ukrainer bin.“ (Aus der Rede von Roman Schwarzman beim Holocaust-Gedenken im Deutschen Bundestag.)

Im Anschluss rief er zu einer verstärkten Bewaffnung der Ukraine auf. Auch hier wird die Gleichsetzung des russischen Angriffskriegs mit der Shoah ganz deutlich:

„Heute möchte ich Sie an diesem historischen Ort bitten, weiter für die Ukraine und meine Heimatstadt Odessa zu kämpfen. Heute müssen wir erneut alles daransetzen, die Barbarei in die Schranken zu weisen. Dies ist der einzige Weg zu Frieden und gegenseitigem Verständnis.“
Nun kann man argumentieren, dass Schwarzman als Ukrainer, der die aktuelle Regierung in Kiew unterstützt, jedes Recht hat, solche Forderungen zu stellen.

Historische Fakten werden zum Verschwinden gebracht

Doch problematisch ist, dass das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz und die Shoah hier derart von der aktuellen Politik in Beschlag genommen wird. Damit werden auch historische Fakten zum Verschwinden gebracht. Es war die Rote Armee und die in ihr eingeschlossenen Divisionen, die am 27. Januar 1945 die letzten Überlebenden von Auschwitz befreit hat.

Als diese riefen „Die Russen kommen“ war das ein Schrei der Freude, weil sie ihnen das Leben gerettet haben. Auschwitz stand bisher für ein einzigartiges Menschheitsverbrechen, die fabrikmässige Ermordung von Juden, nur weil sie Juden waren. Es ging nicht um die Eroberung von Land, nicht um die Unterwerfung von Menschen. Es ging um ihre Vernichtung. Diesen Unterschied hat die Philosophin Hanna Arendt im Gespräch mit Günther Gaus in dessen Sendung „Zur Person“ so auf den Punkt gebracht.

„Der Tag, als wir von Auschwitz erfuhren, ist der eigentliche Schock gewesen. … Und ich meine nicht die Zahl der Opfer. Ich meine die Fabrikation der Leichen. Da ist etwas passiert, womit wir alle nicht mehr fertig werden.“

Genau diese wichtige Erkenntnis der Einzigartigkeit der Shoah wird negiert, wenn sie mit den Verbrechen von Putin und seinen Militärs in der Ukraine in Eins gesetzt wird. Werden diese Thesen nun noch auf einer Gedenkstunde zur Auschwitzbefreiung im Deutschen Bundestag vorgetragen, dann bekommt diese Form der Relativierung der Shoah offizielle Weihen.

Ganz im Sinne der deutschen Wiedergutwerdung

Das ist ganz im Sinne einer deutschen Politik, die seit Jahrzehnten an einer solchen Relativierung arbeitet. Die Shoah wird heute von der deutschen Politik anders als in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr geleugnet oder relativiert. Nein, seit den 1990er Jahren geriert sich Deutschland als Gedenkweltmeister, der sogar allen anderen Staaten in der Welt zeigt, wie die richtige Geschichtsaufarbeitung angeblich geht. Besonders gerne haben deutsche Politiker immer wieder den Alliierten gegen Hitler-Deutschland zu verstehen gegeben, dass die gefälligst jetzt „ihre Verbrechen“ ebenso aufarbeiten sollen wie es Deutschland so mustergültig vorgemacht habe.

Wenn nun auf der offiziellen Gedenkstunde für den Holocaust der Nachfolgestaat der ehemaligen Sowjetunion, dessen Armee Auschwitz befreit hat, als der Wiedergänger der Nazis dargestellt wird, gegen den Deutschland nun Waffen schicken soll, dann ist die Wiedergutwerdung Deutschlands im Sinne von Eike Geisel endgültig abgeschlossen. Noch vor einem Jahrzehnt wäre eine solche Rede auch von vielen Holocaust-Überlebenden als absoluter Tabubruch heftig kritisiert worden.

Viele von ihnen leben heute nicht mehr. Im Jahr 2025 hingegen gibt es kaum noch jemand, der kritische Fragen stellt, wenn die Shoah mit anderen Verbrechen wie den russischen Einmarsch in die Ukraine gleichgesetzt wird.

Das liegt nicht nur daran, dass nur wenige Stunden nach der Rede zum Holocaust-Gedenktag die AfD normalisiert wurde. Vielleicht sollte man sich mal fragen, ob die Relativierung der Shoah wenige Stunden vorher ausgerechnet bei der Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag dieser Entwicklung nach rechts nicht den Weg bereitet hat.

Peter Nowak