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Kanonen statt Butter – Clemens Fuest ist zu allem bereit

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Clemens Fuest ist zu allem bereit Kanonen statt Butter

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Politik

Im Sommer 2006 startete die „Initiative „Partner für Innovation“ unter Führung eines ehemaligen Vorsitzenden der Bertelsmann-AG die Medienkampagne "Du bist Deutschland“.

Clemens Fuest bei der Wissenschaftlichen Round-Table-Jahrestagung 2012.
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Clemens Fuest bei der Wissenschaftlichen Round-Table-Jahrestagung 2012. Foto: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (CC-BY 2.0 cropped)

Datum 8. März 2024
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Ziel war, einen Beitrag zur Entwicklung „positiven Denkens“ und ein „neues deutsches Nationalgefühl“ zu verankern.

Die Kampagne ging schief, denn ihr Motto war nicht ganz taufrisch. Schon 1935 hatte es, wie sich herausstellte, Hitler-Porträts mit der Schlagzeile: „Denn du bist Deutschland“ gegeben. Als das öffentlich bekannt wurde fanden sich zwar noch einige, die die Nationalgefühl-Kampagne dennoch verteidigten und darauf verwiesen, der Nazi-Spruch von 1935 und der Kampagnentitel von 2006 seine bloss „zufällig übereinstimmend“ (Hans Mommsen, Hans-Ulrich Wehler).

Aber die Kampagne überlebte diesen GAU nicht[1]. Die Erinnerung an ihr Scheitern und die sie skandalisierenden kritisch-satirischen Kommunikationsguerilla-Aktionen dürften sie deutlich überlebt haben.[2]

Vor wenigen Tagen, am 22. Februar 2024, äusserte sich der Chef des Ifo-Institus, Clemens Fuest, zur Notwendigkeit, die sozialstaatlichen Ausgaben zu senken, um die Rüstung anzukurbeln. Er griff dafür auf die bekannte Metapher von Kanonen und Butter zurück.

Locker, lässig und seiner Sache völlig sicher äusserte er im ZDF:

„Ja ich glaube, wenn man mal zurückschaut – es gibt ja Untersuchungen darüber, wie das in der Vergangenheit war, wenn man für das Militär mehr ausgeben musste – und das Ergebnis ist ganz klar: dann wurde eben weniger für andere Dinge ausgegeben.“

An seine Diskussionspartner/in in der Talkshow, die GRÜNEN-Kovorsitzende Lang und den FDP-Vorsitzende Lindner gewandt, fügte er hinzu: „Ich verstehe, was Sie sagen, Frau Lang. Wir können uns jetzt nicht hinstellen und sagen, also Leute, wir kürzen jetzt den Sozialstaat zusammen.

Aber das wird so sein. Also: Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht. Also: Kanonen ohne Butter. Das heisst, wir werden Einbussen haben. … Wir werden ihn weiter finanzieren, den Sozialstaat, aber er wird halt kleiner ausfallen.“[3]

Damit griff Fuest wörtlich die zentrale Propaganda-Metapher zu Bewältigung der sogenannten „Fettlücke“ Nazideutschlands zurück, die gemeinsam mit der „Eiweisslücke“ und der „Faserlücke“ den weniger begüterten Teilen der deutschen Volksgemeinschaft das Leben während der gesamten Naziherrschaft erschwerte.

Damals wie heute lautete das Zauberwort, mit dem solche Probleme beseitigt werden sollen, „Wir“. Es wurde und wird die Behauptung aufgestellt, den Gürtel enger zu schnallen, für die Kanonen auf Butter verzichten zu müssen sei ein quasi naturgegebenes Phänomen mit alternativlosen Konsequenzen, mit dem alle, „wir“, gleichermassen zu kämpfen hätten.

In Wahrheit, aber das wollte weder Goebbels noch will es Fuest sagen, ist die Frage nach dem Verhältnis von Kanonen und Butter, die Frage nach dem Verhältnis von Investitionen in Rüstung oder in das Projekt einer an Gleichheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit orientierten Gestaltung der Gesellschaft eine Verteilungsfrage. Und Verteilungsfragen sind wesentlich gesellschaftliche Machtfragen. Menschen haben sie entschieden und Menschen können diese Entscheidung auch umstürzen und durch bessere ersetzen.

Joseph Goebbels formulierte 1936 – auch das war für Clemens Fuest vielleicht solch ein Teil der „Vergangenheit, in dem man mehr Geld für die Rüstung ausgeben musste“:

„Wir werden zu Not auch einmal ohne Butter fertig werden, niemals aber ohne Kanonen.“[4] Rudolf Hess und Hermann Göring griffen diese Propagandawendung im selben Jahr auf, wobei Goering den Vogel abschoss, als er für einen „freiwilligen Fett-Verzicht der Bevölkerung von 25%“ plädierte.[5]

Natürlich darf man Clemens Fuest nicht unterstellen, er habe Goebbels direkt zitieren wollen. Vermutlich kannte er den dargestellten historischen Kontext nicht, sonst hätte er diese Metapher vielleicht dann doch nicht gewählt.

Es ist also viel schlimmer: offensichtlich fällt dem Chef des renommierten ifo-Instituts im Jahr 2024 zu der angeblich unumgänglichen Idee, die Aufrüstung für einen bevorstehenden Krieg mit einer drastischen Senkung des Lebensstandards der Bevölkerung finanzieren zu wollen, exakt dasselbe inhaltliche Rezept ein, dasselbe demagogische und klassenüberwölbend-volksgemeinschaftliche „Wir“ und dieselbe Metapher von den Kanonen und der Butter, wie 1936 Joseph Goebbels. Er musste ihn nicht zitieren. Er wählte ganz von sich aus dieselben Worte wie der seinerzeitige Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda.

Dreieinhalb Jahre nach der Goebbelsrede über Kanonen und Butter begann Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg. Es reichten weder die Butter noch die Kanonen, weder die eigenen noch die zusammengestohlenen, um die deutsche Terrorherrschaft über weite Teile Europas aufrechtzuerhalten.

Wie sehr die in letzter Instanz damals wie heute tragende und treibende Kraft des deutschen Imperialismus und Faschismus, das deutsche Monopolkapital, 2024 in dieselbe Richtung denkt wie 1914 und ab 1933 führt Clemens Fuest in freundlich Beiläufigkeit und gerade darum so glaubwürdig vor. Ebenso zeigt der fehlende Aufschrei bei Moderatorin Maybrit Illner, bei Lang und Lindner, wie weit sie allesamt in dieser Frage mit Fuest auf einer Linie liegen.

Ob die Mehrheit der Menschen im Land wirklich bereit ist, weiter als die bisher bereits ertragenen Steigerungen des Kriegsetats auf Kosten ihrer Lebensqualität und ihrer Zukunftsperspektiven hin zu nehmen, wird sich zeigen.

Die „Kanonen-statt-Butter-Strategie“ führt mit absoluter Sicherheit zum Krieg. Das ist erprobt und erwiesen.

Zeit, es mal umgekehrt zu versuchen, und zu dem Zweck am Besten die Produktion von Butter und allem anderen, was Menschen zum Leben brauchen, gesellschaftlich zu planen und bei der Gelegenheit die Rüstungskonzerne zu entmachten sowie das ifo-Institut wegen erwiesener Friedens-Unfähigkeit zu schliessen.

Hans Christoph Stoodt