I
Dass es in extremen menschlichen Bedrohungslagen wie namentlich in deutschen Konzentrationslagern1 nicht zuletzt immer auch ums Überleben und den - sei es individuellen, sei es kollektiven - Kampf gegen drohende, nicht selten aktuelle und fassliche Vernichtung humaner Existenz ging, ist bekannt. Und dass dieser Kampf, dessen weltliterarisch bedeutsame Ausdrucksversuche Überlebende erst nach Jahrzehnten des Abstands von Vernichtungsdrohung, Grauen und Scham unternehmen konnten2, auch eine bis heute verschwiegene furchtbare Wahrheit3 infolge von Überlebensnotwendigkeiten derer, die nicht in den sicheren Tod gebracht werden wollten, enthält, scheint mir unbestreitbar; auch wenn es möglicherweise weitere Jahrzehnte dauern mag, bis auch diese erfahrene Erschütterung literarisch ausgesprochen werden kann.Beim Überlebenskampf in deutschen Konzentrationslagern spielte nun auch - was auf den ersten Blick vielleicht erstaunen mag, jedoch nicht wegzuleugnen ist - der Witz zur Bewältigung der neuen Lage und ihrer Bedrohlichkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Genauer: auch mit Hilfe von Witzen versuchten, noch im Jahr 1933 in einem neueingerichteten staatlich-preussischen Konzentrationslager, nämlich im KZ Börgermoor/Papenburg, bedrohte politische Gefangene im „dritten Reich" ihre Überlebenschancen zu sichern: indem sie sich mit dem Witz als Medium und im Medium des Witzes Handlungsspielräume gegenüber ihren SS-Wächtern als Vertretung der faschistischen Staatsmaschinerie sicherten.
Genau dies hat der handelnde Betroffene Wolfgang Langhoff4 in einem besonderen Kapitel („Zirkus Konzentrazani") seines zuerst 1935 im schweizerischen Exil veröffentlichten 'unpolitischen Tatsachenberichts' „Die Moorsoldaten"5 authentisch dokumentiert.
Wolfgang Langhoffs Erfahrungsbericht zeichnet dabei - im Gegensatz etwa zu Karl August Wittfogels kurze Zeit später veröffentlichtem Roman6 und dem dort fiktionalisierten Schicksal des schliesslich erschossenen, radikalen Intellektuellen Martin Schneehagen - nicht nur Bilder von Grauen, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, sondern versucht, eigne Erlebnisse und Erfahrungen in Form eines dokumentarischen und scheinbar „unpolitischen Tatsachenberichts" (der Untertitel der ersten Buchauflage fehlt in der 1946 erschienenen Ausgabe7) als widersprüchliche Einheit von „Kampf und Verzweiflung, Hoffnung und Resignation"8 dialektisch zu verarbeiten, so dass allen Bedrückungen und Gefährdungen zum Trotz, die den Autor schliesslich nach seiner Freilassung in die Emigration treiben, die menschliche Extremlage im KZ nicht nur als hoffnungs- und ausweglos erscheint.
Im Zusammenhang dieser Autorenhaltung und der antifaschistischen Sendung Wolfgang Langhoffs kommt dem Kapitel „Zirkus Konzentrazani", in dem auch das heute noch bekannte und gesungene „Börgermoorlied"10 veröffentlicht wurde, gerade mit Blick auf die scheinbar bloss witzigen Partien einer Zirkusvorstellung im abgelegenen Konzentrationslager besondere Bedeutung zu - treffen doch hier, verfremdet in einer zunächst gespenstisch erscheinenden künstlichen Zirkuswelt im KZ und zugleich eingebunden in die verkehrten Rollen von Akteuren (den Festgenommenen als bedrohten Opfern) und Zuschauern (der SS), die personifizierten Antipoden als Kollektive aufeinander.
Diese authentische Situation mag, gerade infolge ihrer Verkehrung zur Kenntlichkeit im Sinne des Philosophen Ernst Bloch (1885-1977), als Modellfall untersucht werden. Im von Fortschreiten vom Besonderen zum Allgemeinen ausgerichteten Analyseverfahren sollen aus diesem Modellfall für Witz-Kommunikation einige bedenkenswerte grundlegende kommunikations- und verhaltenswissenschaftliche Muster und Erkenntnisse herausgearbeitet werden, die das, was Paul E. McGhee im Kontext seiner Vorstellungen von „mental health" als „coping mechanism"11 identifiziert, genauer eingrenzen. Zugleich wären die so gewonnenen Ergebnisse sicherlich in das kürzlich von Bjørn Ekmann vorgelegte anregende Szenario zur „Ästhetik des Lachens"12 integrierbar - gerade weil es hier um eine von der kommunikationsästhetischen Seite her gesehen besondere und zugleich elementare ,einfache Form"3 und nicht um ,Volkspoesie' im allgemeinen14 geht. Das Witzmaterial, das Langhoff mitteilt, ist schliesslich weder als politischer' Witz allgemein15 noch als - inzwischen reichhaltig dokumentierter - deutscher „Flüsterwitz" unter den Herrschaftsbedingungen einer faschistischen Diktatur16 zu bewerten, sondern eher als situativer Ausdruck einer neuen, sozial ungeregelten und insofern soziologisch ,anomischen' Lage aus dem Feld eines geheimgehaltenen, verborgenen gesellschaftlichen Segments17.
Die Modelluntersuchung wird freilich auch nach der besonderen Rolle von „Humor"18 und seinen konkreten Ausprägungen in der skizzierten existentiellen Extremsituation fragen müssen und die Funktion(en) des Witzes dabei herauszuarbeiten haben - wobei im einzelnen zu zeigen sein wird, worin denn die allgemein Gemeinschaftlichkeit stiftende Rolle von Witzen19 unter den Lager- und Todesbedingungen im Speziellen besteht und was mithin aus dieser Modellanalyse mit Blick für eine Kommunikationssoziologie des Witzes für (noch) Beherrschte und (noch) Herrschende möglicherweise gelernt werden könnte.
II
Wolfgang Langhoffs Kapitel „Zirkus Konzentrazani"20 beschreibt Vorbereitungen, Durchführung und Wirkungen der makabren Zirkusvorstellung im KZ Börgermoor/Pa-penburg im Herbst 1933. Und wie nicht anders zu erwarten, hatte es „viele Kämpfe gekostet unter den eigenen Kameraden, bis sich unser Plan durchsetzte"21:„Tausenderlei Bedenken tauchten auf. Das wichtigste Argument gegen unsere Absicht war, dass unsere Veranstaltung photographiert werden und als Propaganda für die ,humane' Gefangenenbehandlung in deutschen Konzentrationslagern verwandt werden könne. Wir hielten aber dagegen, dass es jetzt vor allen Dingen darauf ankäme, trotz aller Misshandlungen den Kopf hochzutragen und uns nicht unterkriegen zu lassen."22
Das Lagerleben seiner Peiniger und damit der Adressaten dieses besonderen KZ-Zirkus beschreibt Langhoff so:
„In ihren Mannschaftsbaracken herrschten Stumpfsinn und Saufereien. Sie kamen sich selber wie verbannt vor. Weit und breit keine Stadt, wo sie Urlaub oder Freizeit verbringen konnten. So hockten sie dann in der Kantine und soffen ... Ihre Unterhaltungen in der Baracke entsprachen gewissen Kasernenhofscherzen; z.B. wenn sie alle bis zur Besinnungslosigkeit betrunken waren, fielen sie über einen jungen S.S.-Mann her, der erst frisch zur Wachmannschaft gekommen war, und beschmierten seinen Geschlechtsteil mit schwarzer Schuhwichse oder holten Jod aus der Lazarettbaracke und malten das Gesicht des Betrunkenen mit Jod ein, dass er tagelang wie ein Indianer herumlief. Das war aber schon das höchste an Humor, was sie aufbrachten."23
Die Weltorientierung und -erfahrung dieses SS-Publikums, auf das sich die Gepeinigten im KZ einstellen mussten und auch in der Weise einstellten, dass „der gesamte Ablauf [der Zirkusvorstellung] schnell, exakt und diszipliniert vor sich ging, weil ich mir sagte, dass allein schon durch straffe Ordnung und Tempo ein gewisser Eindruck auf die S. S. ausgeübt werden könne"24, skizziert Langhoff recht eingehend:
„Hauptsache war und blieb die Sauferei. Das wurde von ihnen auch ganz ehrlich als zur deutschen Mannestugend gehörend verteidigt. Der Kommandant soff selber mit ihnen - sie waren stolz, wieviel er vertragen konnte! - und aus dieser Atmosphäre heraus ist auch ihre Kameradschaft zu verstehen. Alte Zechbrüderschaft, - Raufgemeinschaft durch Dick und Dünn - das war ihr Ideal! Abgrundtiefe Verachtung für alle Waschlappen, ,Nurpolitiker' und Spiesser. Dass ihre Saufereien und flachen Ehr- und Treuebegriffe selber nur wildgewordenes Spiessertum waren, kam ihnen dabei nicht in den Sinn! Ihr Lieblingslied war:
'Dies und das - Suff und Frass
muss ein Landsknecht,
muss ein Landsknecht haben!'
Ich will nicht einmal behaupten, dass diese Haltung Verlogenheit oder Pose war - im Gegenteil, sie hätten sicher auch ihr Leben für diese seltsamen Begriffe von 'deutschem Mannestum' eingesetzt. - Wenigstens manche von ihnen! -
Ihre soziale Zusammensetzung war so: ca. 60% waren Söhne von verarmten Kaufleuten, Gastwirten, kleinen Ladenbesitzern, Post- und Eisenbahnbeamten, deren Eltern ihnen kein Studium, keine Zukunft mehr bieten konnten. 20% waren ,Gebildete', das heisst, verkrachte Lehrer, Ingenieure, Techniker, Studenten - und ungefähr 20% Arbeiter.
Die Führerstellen waren aber fast durchweg mit den ,Gebildeten' besetzt oder mit alten Berufssoldaten aus der Reichswehr und Baltikumkämpfern. Von Arbeitern waren nur solche chargiert, die sich durch besondere Brutalität auszeichneten.
Die Hauptschlägergruppe bestand aber aus den Herren der ,besseren Kreise'. Z. B. ,Zachel', der das Polytechnikum in Aachen besucht hat, ,Entenschnabel', der ein verkrachter Junglehrer war, ,Grosskopf', der Laute spielte und Nietzsche las!
Diese Leute gaben auch den politischen' Ton in der Mannschaft an. Sie ergingen sich in hochtrabenden Phrasen, halbverstandenen Zitaten und in einer Judenhetze, Marke Streicher Nürnberg, die nur aus einer verdorbenen Sexualität erklärlich ist."25
Der Ablauf der Vorstellung des „Zirkus Konzentrazani" fand an einem Sonntagnachmittag im Herbst 1933 statt und war, soweit unter den Extrembedingungen überhaupt einzurichten, auch mit Blick auf die moralisch-politischen Bedenken der politischen Gefangenen gesichert: „Die S.S. hatten wir absichtlich so placiert, dass sie gegen die Sonne schauen mussten, im Fall es einem einfallen sollte, einen Photo mitzubringen und zu knipsen. Ausserdem hatten wir auch beschlossen, die Vorstellung sofort abzubrechen, wenn ein Photoapparat auftauchen sollte."26 - Die Zirkusvorstellung konnte dann auch nach so witziger wie disziplinierter Ankündigung und Organisierung nach Einzug der SS-Leute „mit dem Kommandanten an der Spitze"27 unter herrlichem Wetter, strahlendblauem Himmel und lachender Sonne28 beginnen29.
Auch unter den Extrembedingungen des KZs wirkten freilich die allgemeinen Handlungsmuster und Rituale der speziellen sozialen Situation ,Zirkus'; auftritt „Direktor Konzentrazani" unter „nicht endenwollende[m] Empfangsapplaus" und „Lachsalven über Lachsalven, noch ehe er den Mund aufgemacht hatte!"30 - und in der entsprechenden Programmabfolge präsentierten sich politische Gefangene der Nationalsozialisten als „Artisten", in verschiedenen Rollen verfremdet: so als die bauchtanzenden „schönsten Girls der Welt, unsere fünf Moorgirls", als turnende „Arabertruppe", als „Clowns" und spassmachende „dumme Auguste", als „Keulenschwinger" und witzerzählender „Humorist", als „Ringer" und „Boxer", als wahrsagender „Storch" und „Moorsoldaten" in einer „Pat und Patachon-Ausgabe" - mit dem schliesslichen Höhepunkt als Schluss der Vorstellung von „Zirkus Konzentrazani", dem das „Börgermoorlied"31 zunächst behutsam vortragenden „Gesangschor", der die letzte Strophe des Lieds „Die Moorsoldaten" mit ihrem trotzigen Refrain „plötzlich laut und hart"32 ausklingen liess:
„Dann ziehn die Moorsoldaten Nicht mehr mit dem Spaten Ins Moor!"
Dem Lied schreibt Wolfgang Langhoff die beeindruckendste Wirkung dieser Zirkusvorstellung im KZ 1933 zu: einerseits war das „Eis ... gebrochen und die ersten menschlichen Worte wurden von beiden Seiten gewechselt"33, verlangten SS-Leute von ihren Opfern Abschriften des Liedes, so dass der „Erfolg grösser [war], als wir erwartet hatten" - andererseits: „Zwei Tage darauf wurde das Lied verboten."34 -
Der Regisseur dieser Zirkusvorstellung kommentierte das Ereignis und sein Anliegen in seinem „unpolitischen Bericht" ein gutes Jahr später auch mit einem Hinweis auf den Mut zum Lachen in der nachgezeichneten menschlichen Extremlage:
„Es ging mit durch den Kopf, dass ich vor einem solchen Publikum und für solches Publikum noch nie im Leben gearbeitet hatte und wohl auch nie mehr arbeiten werde! Sucht Euch Menschen auf der Welt wie diese Gefangenen, die durch unmenschliche Martern und Qualen gegangen sind, fast jeder von ihnen durch die Keller der S.A. geschleift, und jetzt in einem Lager mit schwerster Fronarbeit, täglichen Misshandlungen und der ständigen Drohung ,auf der Flucht erschossen' zu werden - sucht Euch die, die dann noch den Mut aufbringen, so zu lachen, so das Leben zu bejahen -, dass die S.S., von der Ursprünglichkeit und Heiterkeit überrumpelt, mitlachte und gegen ihren eigenen Willen von ihnen beeindruckt wurde !"35
III
Ausgelegt aufs „Mitlachen" der SS-Leute waren in der Vorstellung des „Zirkus Konzen-trazani" natürlich vor allem die Witze. Sie mussten so angelegt sein, dass sie einmal den bornierten Landsknecht-Horizont der Peiniger ansprechen und ihn, zum anderen, so erweitern konnten, dass mit der jeweiligen Pointe ein einheitsstiftendes ,befreiendes' Lachen über die Situation und die sie verursachenden sozialen Kräfte möglich wurde. In diesem Sinn stellten die im „Zirkus Konzentrazani" kommunizierten und von Wolfgang Langhoff, seinem Regisseur, gewiss ohne wesentlichen Authentizitätsverlust veröffentlichten Witze36 eine angesichts der drohenden praktischen Folgen jedes ,falsch' ankommenden Witzes bei der SS gar nicht hoch genug zu bewertende rationale und emotionale, politische, psychologische, ästhetische und moralische Hervorbringung dar. Nicht zuletzt deshalb wirkt Wolfgang Langhoffs Erklärung: „Bei jedem Witz wurde immer auf die S.S. geschielt, wie sie die Sache wohl aufnehmen würde"37 - angesichts der Bedrohlichkeit der Lage und der Gefährdung nicht nur der Akteure des „Zirkus Konzentrazani", sondern letztlich aller politischen Gefangenen des KZ Börgermoor/Papenburg an jenem Sonntagnachmittag im Frühherbst 1933 - so glaubhaft.Nach der turnenden „Arabertruppe" kamen in der Programmabfolge die beiden ,dum-men Auguste':
„Sie hatten ihr Gesicht mit Mehl und Kohle zurecht gemacht und stürzten mit Hallo in die Manege. Der eine trug ein grosses Fernrohr unter dem Arm, das er in der Mitte aufstellte.
Um den folgenden Witz verstehen zu können, muss ich vorausschicken, dass unser Kommandant Fleitmann eine ständige Redensart hatte: ,Guckste durch?' Das hiess so viel wie: ,verstanden? schaust Du durch?' Und jedesmal, wenn er mit seinem polternden Bass einen anbrüllte oder einen Befehl gab, schloss er mit ,Guckste durch?'
Der eine Clown stellte sich also ans Fernrohr, richtete es auf den Kommandanten, sah hinein und der andere stellte sich daneben und brüllte: ,Guckste durch, guckste durch?' Alles wälzte sich vor Lachen. Der Kommandant übrigens auch."38
War diese gefährliche - zur Auslotung des Handlungsspielraums des „Zirkus Konzentrazani" entscheidende - Lage so erfolgreich ,bewältigt' und ,das Eis gebrochen', konnten unter stetiger Abnahme der Gefährdung weitere Witze und Clownerien, die sowohl von den ,dummen' Augusten als auch später von einem „Humoristen" erzählt wurden, gleichermassen versuchen, Naziüberzeugungen und Überzeugungen der Nazis witzig zu hinterfragen und im Medium des Witzes die Lage der politischen Gefangenen selbst gegenüber ihren SS-Wächtern zu veröffentlichen.
Die beiden folgenden Witze schliessen sich an eine witzig präsentierte Forderung der Gefangenen an und verfremden zentrale Aussagen der Nazipropaganda39 über „Bonzen" und „Schieber":
,„Was suchst Du denn?' fragte der eine Clown den anderen. ,Was suchst Du denn?' Und der am Fernrohr schrie in höchsten Tönen: ,Die tägliche Raucherlaubnis!' Das sass!- Dann richtete er das Fernrohr auf den ganzen Kreis und sein Freund fragte wieder: ,Was suchst Du denn jetzt?' ,Ich suche die grossen Bonzen hier im Lager.' Ein beinahe erschrockenes Lachen antwortete auf diesen aggressiven Witz, denn es waren ja nur alles Arbeiter, die Ärmsten der Armen, die hier von den Nazis eingesperrt waren und von den sogenannten grossen ,Novemberverbrechern', mit denen die Nazis so viel Propaganda machten, war nichts zu sehen. ,Hast Du denn schon welche gefunden?' 'Nein. Aber eine Menge Schieber!' ,So - Schieber?' 'Ja. - Lorenschieber.' Und damit waren unsere Kameraden gemeint, die die Loren der Feldbahn schieben mussten."40
Nicht zuletzt durch das Wörtlichnehmen - dies zur Witztechnik im letztzitierten Kalauer - von „Schieber" wurde so jene Sinnverschiebung in der Pointe produziert, mit deren Hilfe die politischen Gefangenen glaubten, ihren SS-Wächtern die Absurdität ihrer wie der gemeinsamen Lage mitteilen zu können.
In anderen Programmteilen sprachen weitere Witze, in denen u. a. auf die (damals populären) Kölschen Witztypen Tünnes und Scheel rekurriert wurde41, wieder die Lebens- und Leidensbedingungen im KZ selbst an:
„Es folgte ein Humorist, der sich ein Mikrophon aus einer Konservendose gebaut hatte und ,5 Minuten Moorfunk' brachte. Er definierte den Namen ,Humorist' als einen Mann, der im ,Hu! Moor ist'. Verschiedene riefen: ,Au'! Dann erzählte er Witze vom ,Tünnes und Scheel', den beiden Kölschen Jungens, die unter anderem auch im Konzentrationslager Börgermoor waren und sich über das Essen dort unterhielten:
,Dat Essen, Scheel, dat war dir komisch! Dat Mehl war in der Wurst, und die Kartoffeln im Brot!' Jut war et nich - dafür aber wenig!'"42
Was hier politische Gefangene als letzten Witz in einer zunächst nur künstlich geregelten sozialen Lage als situativ und kritisch gewendeten Tünnes-und-Scheel-Witz im „Zirkus Konzentrazani" (abgekürzt: Z.K.) ihren Nazibewachern mitteilten, dürfte denn auch mehr bedeutet haben als blosse seelische Entlastung und ,mental health' für die Unterdrückten und Gefährdeten. Vielmehr drückt auch der letztzitierte Kalauer als Moment einer „mental rebellion" (George Orwell) in einer leicht fasslichen Form gleichermassen politische Forderung - nach angemessener und ausreichender Verpflegung - und moralische Selbstachtung - nämlich den Überlebenswillen selbst - der Erniedrigten und Geschundenen aus. Auch dieser Witz diente so als Versuch einer, wenngleich zunächst ideellen, Neudefinition43 der bedrückenden Lage und ihrer durch Gewalt und Todesdrohung bestimmten Kräfteverteilung - ohne dass der Konflikt selbst witztypisch doch nur bloss weggelacht wird: denn die hier nicht nur verschiedenen Wertsysteme44, sondern gegensätzlichen und feindlichen Welten bestehen ebenso weiter wie die übergreifende Lage der Gefangenschaft im Konzentrationslager45.
Insofern kann auch ein an sich so faszinierender wie eingängiger lachtheoretischer Ansatz - Michail Bachtins sozioästhetische und volkskulturelle Erklärung46 - die besondere soziale Lage des „Zirkus Konzentrazani" nicht fassen.
IV
Ist damit nun das, was als „Zirkus Konzentrazani" von Wolfgang Langhoff unter den Bedingungen faschistischer Herrschaft in der Extremsituation im Konzentrationslager Börgermoor/Papenburg an einem Sonntagnachmittag im Frühherbst 1933 inszeniert wurde nichts weiter als ein frühes und besonders anschauliches Beispiel für ,Galgenhumor' unter Extrembedingungen ? Also - um McGhees zusammenfassende Kennzeichnung dieser Humorsorte zu bemühen - „the most extreme example of using humor to cope with distress"? Dessen Entäusserung dem einzelnen dazu verhelfen kann, „trying to go through the motions of humor in order to prevent being overtaken by the fearfulness of the Situation"47?Und erhielte dieser „gallows humor" im „Zirkus Konzentrazani" nicht eine doppelte „soziale Funktion" - indem er nämlich einmal „die Illusion [verschaffte], dass die Unterdrückten noch einiges an Macht und Unabhängigkeit besassen, und stärkte dadurch die Widerstandskraft" und zum anderen „nicht nur als ein Indikator für die Moral der Unterdrückten, sondern auch für die Stärke der Unterdrücker" wirkte? - Brächten dann nicht gerade die im „Zirkus Konzentrazani" kommunizierten Witze und Kalauer die Lage auf den Punkt: „Wenn nämlich die Unterdrücker es sich erlauben können, diese Witze zu übersehen, ist ihre Stärke offensichtlich gross; versuchen sie aber, sie mit Gewalt zu unterdrücken, dann sind sie offenbar sehr unsicher - trotz allen Säbelrasselns"48?
Die operative Gerichtetheit des ,Galgenhumors' jedenfalls, zuallererst der so bedrohlichen wie zu bewältigenden jeweiligen extremen Lage geschuldet, ist immer praktisch bestimmt:
„Not humor-for-humor, but humor with a definite purpose - that is, to ridicule with irony, invectives, and sarcasm in order to become a means of an effective social control. This teleological character of gallows humor determines its social function, which is twofold - positive and negative. Its positive effect is manifested above all in the strengthening of the morale and the spirit of resistance of people who struggle for their individual and national survival; its negative effect (which, of course, is again something very positive from the viewpoint of the oppressed) reveals itself by its disintegrating influence among those against whom it is directed. In both instances it proves to be an extremely powerful weapon."49
In dieser soziologischen Deutung des ,Galgenhumors' durch Antonin Obrdlik, der Erfahrungen anlässlich der Besetzung der CSR 1939 durch Nazitruppen einvernimmt, scheint sicherlich ein wichtiges Moment in Gestalt der die Möglichkeiten von Humor und Witz bestimmenden (reflexiv jeweils von Unterdrückern und Unterdrückten wahrgenommenen) Lage und ihrem jeweiligen sozialen Kräfteverhältnis auf.
Und doch ist damit eine Besonderheit der im „Zirkus Konzentrazani" 1933 verbreiteten Witze und mithin auch dieser Sorte von Humor, meines Erachtens, noch nicht angemessen angesprochen: denn hier handelte es sich um bewusste, kollektiv organisierte und getragene Formen von Humor- und Witzverbreitung, die den Unterdrückten gegenüber den Unterdrückern vor allem eines sichern helfen sollten: erweiterte Aktionsräume, mit deren Hilfe das kollektive und individuelle Überleben in einer besonderen und tödlichen Gefährdungssituation allein zu bewältigen sein konnte.
So gesehen, drücken Humor und Witz im „Zirkus Konzentrazani" - aber auch die Tatsache der bewussten, kollektiven und organisierten Hervorbringung der Zirkusveranstaltung selbst unter genannten Lebens- und Kampfbedingungen - modellhaft zumindest zweierlei aus: einmal den Überlebensmut, auch mittels der humanen Entäusserungsform des Lachens gegen die an sich naheliegende Selbstaufgabe zu arbeiten; und zum anderen das situative Zutrauen, diese menschliche Gattungsfähigkeit als scheinbar einheitsstiftendes (Unterdrücker und Unterdrückte dialektisch verbindendes) Medium auch gegenüber den Vernichtungs- und Destruktionsgewalten einzusetzen, um die Unterdrückten überleben lassen zu können.
Witze, Humor, das Börgermoor-Lied wie die Inszenierung des „Zirkus Konzentrazani" waren dabei freilich immer nur Mittel zum Zweck - dem bewussten, zielgerichteten und organisiertem Kampf ums Überleben.