Der Kongress will den gegenwärtigen Autoritarismus und Faschismus in einer globalen Perspektive diskutieren und zielt dabei auf antifaschistische Kämpfe gegen die autoritäre Formierung vor Ort. Dabei legt er eine radikale Kapitalismuskritik ohne reformistische Anbiederung zugrunde und richtet sich in seinem Selbstverständnis gegen „autoritäre“ Linke.
Angesichts der vom Kongress zurecht konstatierten Krise der radikalen Linken und des Antifaschismus wäre eine intensive und breit angelegte Diskussion über die Theorie und Praxis des Antifaschismus, die möglichst viele antikapitalistische Antifaschist:innen zusammenbringt, in der Tat bitter nötig. Gegenüber den derzeitigen reformistischen Antifa-Debatten in Linkspartei und NGOs, aber auch in linksradikalen Antifa-Gruppen wäre die Neubegründung eines revolutionären Antifaschismus das Gebot der Stunde. [2]
Der hier angekündigte Kongress konterkariert eine solche Diskussion allerdings. Weder geht er auf den derzeit hegemonialen Antimigrationsdiskurs noch auf die Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs durch den deutschen Staat ein. Es fragt sich daher insbesondere auch, inwieweit er seinem eigenen antideutschen Anspruch eigentlich gerecht wird, und nicht de facto deutsche Ideologie reproduziert, und sich auf die Seite des deutschen Staates stellt. Der Kongress soll daher im Folgenden im Sinne einer immanenten Kritik an seinem eigenen antifaschistischen Anspruch gemessen werden. Denn worin, wenn nicht in einer Positionierung gegen Deutschland, besteht der Gehalt „gegen Deutschland“, also antideutsch, zu sein? Im Ursprung der antideutschen Bewegung stand noch der Kampf gegen die Annexion der DDR durch die BRD und das historische Bewusstsein, dass ein „wiedervereinigtes“ Deutschland zu dem mächtigsten Land in Europa werden würde. Gerade aufgrund des durch dieses Land verübten industriellen Massenmords und Vernichtungskriegs wäre ein neues autoritäres oder faschistisches Deutschland unbedingt zu verhindern. [3]
Antimigrationsdiskurs
Es ist kein einziger Vortrag oder Workshop zum Antimigrationsdiskurs programmiert. Dieser stellt jedoch aktuell die rechtsradikale Hauptideologie dar und wurde spätestens seit dem letzten Jahr auch von den bürgerlichen Parteien übernommen. Die Konsequenzen dieser rassistischen Hegemonie sind unter anderem stark steigende physische Angriffe auf Migrant:innen und der voraussichtlich bevorstehende weitere Abbau des Asylrechts. Auf der Website wird Rassismus lediglich ein einziges Mal erwähnt – nicht um die rassistische Hegemonie, sondern Abschiebephantasien linker Antisemitismuskritiker:innen zu problematisieren.Stattdessen wird vor allem ein zunehmender sogenannter „linker Autoritarismus“ und vor allem der Islamismus diskutiert – letzterer von knapp der Hälfte der Vorträge. Die Autoritätshörigkeit der Neoleninist:innen mag man nicht gut finden, sie einfach auf eine Ebene mit Stalinismus oder rassistischer Gewalt zu stellen ist hanebüchen. Islamismus zu kritisieren ist ziemlich wichtig, müsste aber in Deutschland mit der aktuellen deutschen Ideologie abgeglichen werden, die das Islamismus-Bashing als gewissermassen amtliche Genehmigung für den antimuslimischen Rassismus benutzt. (Zumindest ist auf der Website nichts davon zu lesen, auch auf der Vorbereitungsveranstaltung kam die Problematik dem Bericht zufolge nicht zur Sprache [4]).
Eine kritische Veranstaltung gegenüber Islamismus und Antisemitismus in der Linken gerade am 1. Mai in Berlin wäre durchaus angezeigt. Denn die autonome 1.-Mai-Demonstration in Berlin-Kreuzberg, die für die Identität des nichtmigrantischen linken Kreuzberg zentral ist, wurde im letzten Jahr von einer seltsamen Allianz von neoleninistischen mit postkolonialen Gruppen veranstaltet und galt einzig dem Krieg in Gaza.
Auch wenn diese exklusive Umwidmung des Kampftags der Arbeiter:innenklasse für den 1. Mai diskutabel erscheinen mag, sie würde am Frauenkampftag oder am Tag der Befreiung vom Faschismus von kaum jemand akzeptiert werden. Zudem gab es auf der Demonstration (die ich kurz besucht hatte) etliche antisemitisch interpretierbare Symbole und Slogans (also möglicherweise auch tatsächlich antisemitische) zu sehen. Die Allianz wird ermöglicht von einer entleerenden und autoritativen Reinterpretation des Antizionismus, in der kontroverse Positionen wenig erwünscht sind. Vom anarchischen Fest des Kreuzberger 1. Mai und seinem antiautoritären Spirit war kaum etwas übrig.
Dabei könnte in der revolutionären 1.-Mai-Demonstration durchaus an einen historischen revolutionären Antizionismus angeknüpft werden, etwa an Matzpen, eine antiautoritär-kommunistische und trotzkistische Organisation aus dem jüdisch-israelischen 1968. [5] In einem solchen, um Sorgfalt, Differenzierung und Geschichtsbewusstsein bemühten Framing, in dem natürlich auch viel falsch gemacht werden kann, könnte eine Kritik erfolgen. Das Framing des Kongresses ist stattdessen absolut und kompromisslos: „antifaschistischer Kampf gegen den Antisemitismus“.
Deutsche Akteur:innen
Während also der Fokus des Kongresses auf dem Islamismus und der Linken liegt, ist von deutschen Akteur:innen, die die autoritäre Wende betreiben, kaum die Rede. Zwar gibt es eine Handvoll Veranstaltungen zur radikalen Rechten in Deutschland, die mit der Berliner Neonazi-Szene und rechten Influencer:inenn durchaus wichtige Themen abdecken, aber quantitativ fallen diese kaum ins Gewicht. Es ist auch zumindest eigenwillig, dass die AfD, also die zentrale rechtsradikale Organisation unserer Zeit, quasi nicht thematisiert wird; oder dass der faschistische Philosoph Martin Heidegger zwar diskutiert wird – aber nicht in seiner grossen Relevanz für das Weltbild der radikalen Rechten, sondern paradoxerweiser für die Postmoderne. Was soll ausgerechnet die mit der autoritären Wende zu tun haben?Aber die autoritäre Wende in Deutschland wird eben nicht nur von der radikalen Rechten vorangetrieben, sondern von den bürgerlichen Parteien. Das gesamte demokratische Parteienspektrum ist weit nach rechts gerückt. Der autoritäre Staatsumbau in Deutschland findet heute statt, nicht durch Linke oder Islamist:innen, sondern durch die bürgerlichen Parteien, insbesondere die CDU, die Brandmauer und Asylrecht immer weiter aushöhlen und die Militarisierung des Landes vorantreiben. Vielfach finden diese autoritären Prozesse auch unbeachtet statt, eben weil sie sich gegen Migrant:innen und Linke richten. In Bezug auf letztere ist der kürzliche Tarifabschluss im öffentlichen Dienst bemerkenswert, in dem die Gewerkschaften einer „Extremismusklausel“ zugestimmt haben. [6] All dies kommt nicht vor. Ebenfalls nur am Rande ist die Rede vom brachialen autoritären Staatsumbau im mächtigsten Land der Welt, das derzeit die internationalen Bündnisse zerstört und in Europa autoritären Regime Change betreibt. Mit keinem Wort erwähnt wird die Auflösung der Rechtsstaatlichkeit in Israel, seine immer nationalistischer und religiöser werdende Regierungskoalition und der mörderische, extrem destruktive Krieg in Gaza. Zwar müsste ein antifaschistischer Kongress in Deutschland nicht unbedingt die Faschisierungsprozesse in Israel oder Russland thematisieren (letzteres tut er). Aber wenn sich ein Kongress so massiv wie dieser mit Israelhass, Antisemitismus am 7. Oktober und der Palästinasolidaritätsbewegung beschäftigt, wäre ein Blick auf Israel schon angebracht.
Der Grund für all diese Seltsamkeiten steht im Selbstverständnis: Es geht im Grunde einzig und allein um Antisemitismus. Der Antifaschismus des Kongresses richtet sich zuerst und zuletzt gegen Antisemitismus, alles andere spielt lediglich eine beiläufige Rolle.
Antisemitismus
Antisemitismus ist eine grundlegende Ideologie der Moderne. In Israel wurden am 7. Oktober 2023 eine grosse Zahl von jüdischen Menschen durch ultrareaktionäre palästinensische Antisemit:innen ermordet. In Deutschland sind jüdische Menschen zunehmender Gewalt ausgesetzt, in der Palästinasolidaritätsbewegung gibt es verbreitete antisemitische Stereotype, die wenig hinterfragt werden, und die offenen Antisemit:innen in ihr werden innerhalb der Bewegung nur eher selten herausgefordert. Mit all dem hat der Kongress recht, wenn er auch selber für die Heterogenität der Palästinasolidaritätsbewegung keinen Blick zu haben scheint und sicherlich der Beobachtung widersprechen würde, dass es dort eine grosse Zahl von antisemitismuskritischen Aktivist:innen gibt.Wieder fehlt jedoch die Reflexion darauf, dass der Antisemitismusbegriff dem deutschen Staat zur Begründung von massiven Grundrechtsverletzungen dient. Der Staat verwendete den Antisemitismusbegriff seit dem 7. Oktober 2023, um die Linke zu spalten und in einem rassifizierten Gesellschaftsbereich die autoritäre Wende gewissermassen in einem Experimentierfeld zu erproben.
Es ist sowohl die Übung autoritärer Praktiken durch die Polizei als auch die Probe darauf, inwieweit die Öffentlichkeit systematische Grundrechtsverletzungen akzeptiert, wenn diese rassistisch aufgeladen sind. Dies ist teilweise drastisch: Teilnehmenden an palästinasolidarischen Demos wurde unter anderem das Aslyrecht aberkannt, EU-Bürger:innen sollen ausgewiesen werden. Eine Kritik des Antisemitismus unter den gegenwärtigen Bedingungen kann ohne Kritik der öffentlichen Entwertung des Antisemitismusbegriffs durch den Staat nicht mehr durchgeführt werden.
Im Selbstverständnis des Kongresses heisst es in Bezug auf die Palästinasolidarität, dass Antisemitismus durch den Staat unterbunden werde (wobei das nicht ausreiche, weil der Staat die gesellschaftlichen Bedingungen des Antisemitismus nicht ändert). Wenn tatsächlicher Antisemitismus durch den Staat unterbunden würde, wäre das zwar gut, aber die Frage ist: Was versteht der deutsche Staat hier unter Antisemitismus – und was der Kongress? Dazu ist ein Workshop „Psychoanalyse der Palästinasolidarität“ von Christine Kirchhoff und Christian Voller angekündigt, die zu dem Thema schon auf der Vorbereitungsveranstaltung vorgetragen haben: etwas grob zusammengefasst ist Palästinasolidarität generell als Antisemitismus zu psycho-analysieren. Der Kongress liefert also von links Support für den staatlichen Anti-Antisemitismus, ohne dessen strukturellen Rassismus zu reflektieren.
Gegen Deutschland
Die Tragik der gegenwärtigen Situation besteht darin, dass sich dieser linke Anti-Antisemitismus und die Tolerierung des Antisemitismus in der Palästinasolidaritätsbewegung in ihrer lautstarken wechselseitigen Hetze gegenseitig in ihrem jeweiligen Wahn stabilisieren. Dennoch hat der linke Anti-Antisemitismus in Deutschland eine andere Qualität als der Antisemitismus in der Palästinasolidaritätsbewegung, der von der Polizei eben unterbunden wird, während der linke Anti-Antisemitismus die autoritäre Formierung nicht bekämpft (wie im Titel beansprucht), sondern fördert.Man müsste zwar einen anderen Text schreiben, wenn wir in Gaza, Rojava oder in Iran diskutieren würden. Aber wir leben in Deutschland und müssen den deutschen Autoritarismus bekämpfen. Was soll es überhaupt bedeuten, antideutsch zu sein, wenn sich die Antideutschen in eben dieser entscheidenden geschichtlichen Situation, in der alle Zeichen auf einem neuen deutschen Autoritarismus stehen, sich nicht gegen den deutschen Staat, sondern praktisch an seine Seite stellen?
Im Grunde müsste sich der Kongress fragen, ob er nicht selbst Rassismus strukturell befördert oder sogar möglicherweise in seiner eigenen Intention rassistisch ist. Die Chance zur kollektiven Diskussion antifaschistischer Theorie und Praxis, die so dringend nötig wäre, wird hier auf eklatante Weise vertan.