„(1) Wer sich an […] Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen […] die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt […], wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__125.html; Hv. hinzugefügt) (Ausser den gewalttätigen Landfriedensbruch gibt es auch den bedrohenden und den aufwiegerlischen Landfriedensbruch; dazu später.)
Ein Gericht muss also Folgendes als erwiesen ansehen, damit es verurteilen darf:
• Dass es zu (1.) „Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen“ kam.
• Dass diese (2.) „aus einer Menschenmenge“ und (3.) „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“ (4.) „mit vereinten Kräften“ begangen wurden.
• Und dass die Person, die verurteilt werden soll, (5.) TäterIn oder zumindest TeilnehmerIn dieser Gewalttätigkeiten ist. TeilnehmerInnen dieser Gewalttätigkeiten sind – wie in Teil A. schon gesagt – gerade nicht die TäterInnen der Gewalttätigkeiten, sondern diejenigen, die zu den Gewalttätigkeiten anstiften oder zu ihnen Beihilfe leisten.
Gehen wir diese fünf Punkte also der Reihe nach durch.
Gehwegplatten zerkloppen und eventuelle weitere Gewalttätigkeiten
Zu einigen Gewalttätigkeiten kam es tatsächlich – das gestand auch die Verteidigung zu. Wieviel Gewalttätigkeiten es genau waren, blieb aber umstritten. Einer der Verteidiger sagte: „Drei Bauzäune wurden auf die Strasse gelegt, ein paar Gehwegplatten wurden zerkloppt, ein Nebeltopf wurde gezündet, eventuell wurde ein Graffiti gesprüht.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-23-vom-27-08-2024/)Meines Erachtens war davon nicht alles gewalttätig7, aber lassen wir dies dahinstehen. Ausserdem wurde sich noch über angebliche Gewalttätigkeiten gegen
• einen Fahrplanhalter,
• ein ÖPNV-Wartehäuschen,
• eine schleswig-holsteinische Polizeieinheit
• die bundespolizeiliche Festnahmeeinheit Blumberg gestritten.
Fahrplanhalter und ÖPNV-Wartehäuschen
Zu dem Fahrplanhalter und ÖPNV-Wartehäuschen vertritt die Verteidigung wohl die Auffassung, dass es sich um ein und dieselbe Örtlichkeit handele und allenfalls ein Fahrplanhalter kaputt gegangen sei – aber auch das nicht am Tag der Rondenbarg-Demo:„Die zivile Polizeiaufklärerin Groth, welche für diesen Prozess nicht vernehmungsfähig war, hätte damals von zwei völlig zerstörten Bushaltestellen berichtet. Dass tatsächlich Bushaltestellen zerstört wurden seien, sei mehr als fraglich. Bei der Firma Wall, die diese Bushaltestellen betriebe sei eine Reparatur nicht dokumentiert worden. Bei einer Kontrolle am 10.07.2017 sei nichts aufgefallen. Erst am 11.07.2017 sei lediglich ein kaputter Fahrplanhalter festgestellt worden.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-23-vom-27-08-2024/)
Die Staatsanwaltschaft ist dagegen der Auffassung, dass es sich um zwei Örtlichkeiten gehandelt habe und beides beschädigt wurde:
„Die Staatsanwältin behauptet, dass nicht nur der Fahrplanhalter einer Bushaltestelle demoliert wurde, sondern, dass die Scheiben einer anderen Bushaltestelle eingeworfen worden seien.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/)
Auf die Behauptung der Staatsanwaltschaft, dass es sich um zwei unterschiedliche Örtlichkeiten handele („anderen Bushaltestelle“) ging die Verteidigung in ihren späteren Plädoyers anscheinend nicht ein.
Das Gericht sah die Zerstörung des Wartehäuschens nicht als erwiesen an; die des Fahrplanhalters aber schon – Auskunft der Gerichts-Pressestelle: „Es wurde lediglich die Beschädigung eines Fahrplanaushangkastens festgestellt (auf Grundlage einer Videoaufnahme, zweier Zeugenaussagen sowie eines Videos von einer Pressekonferenz, auf welcher die Beschädigung der Bushaltestelle eingeräumt worden ist).“
Schleswig-Holsteinische Polizeikräfte
Rechtsanwalt Schrage sagte laut Protokoll auf der Webseite „Gemeinschaftlicher Widerstand“: „Einen Bewurf auf die BFE8 Eutin bevor die Demonstration in den Rondenbarg eingebogen ist, habe es zudem nicht gegeben. Der Bewurf sei widerlegt. Der Fahrer des vorderen Einsatzfahrzeuges hätte von einem Bewurf, wenn er denn stattgefunden hätte, mitbekommen müssen. Auch in den Fundprotokollen [wohl vielmehr gemeint: Funkprotokollen] kommt kein Bewurf vor.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-23-vom-27-08-2024/)Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen zuvor behauptet: „In der Einmündung zum Rondenbarg sei die Gruppe auf die Polizeieinheit Eutin getroffen. Die Einheit sei von der Gruppe mit 10 bis 15 Gegenständen beworfen worden. […]. Die Staatsanwältin bezieht sich auf die Zeugen Jokschat und Elwert, die einen Bewurf auf die Einheit Eutin mit Steinen, Pyrotechnik und Rauchkörpern ausgesagt haben. Für Meesenburg gibt es keine Anhaltspunkte, dass diese Aussagen nicht glaubhaft sind. Der Zeuge Koenig-Marx, der angab keinen Bewurf gesehen zu haben, als er an der Kreuzung ankam, sei immer wieder aus dem Fahrzeug ausgestiegen, so dass er den Bewurf nicht mitbekommen haben könnte. Bei den Aufnahmen des Wasserwerfers sei zudem aufsteigender Rauch zu sehen und es liegen zwei Gegenstände auf der Strasse. Die Kamera des Wasserwerfers habe aber nicht den ganzen Bereich der Strasse erfassen können. Die Zeugen Janzer und Bruse, welche den Bewurf nicht mitbekommen hatten, hatten laut der Staatsanwältin kein gutes Blickfeld und waren beschäftigt. Ausserdem sei die Situation hektisch gewesen.
Die Staatsanwältin geht auf die EPS-Webprotokolle ein und meint, dass die Meldung 14 ‚200 Personen, Schwarzer Finger, Kräfte wurden mit Pyro angegangen' nicht von der Blumberg Einheit stammen kann, da deren Meldung erst später kam. Die Meldung sei somit fälschlicherweise der Einheit Blumberg zugeordnet worden. Die Meldung müsse entweder von der Einheit Eutin kommen oder von Hünfeld. Auch dann bezöge sich die Meldung auf den Bewurf von Eutin.“ Auf die Beweiskraft der von der Staatsanwältin angesprochenen Video-Aufzeichnung und auf die Frage der Zuordnung der fraglichen „Meldung 14“ scheint die Verteidigung in ihren späteren Plädoyers nicht eingegangen zu sein.
Auffassung des Gerichts dazu – laut Pressestelle: „Der Bewurf der Eutiner Polizeieinheiten ergibt sich für die Kammer insbesondere aus den Bekundungen zweier Zeugen, die indiziell durch die Bekundungen eines weiteren Zeugen sowie Videomaterial gestützt werden. In den Videoaufnahmen ist nach Auffassung des Gerichts zu erkennen, dass in dem von den Zeugen bezeichneten Bereich auf der Fahrbahn Steine und ein pyrotechnischer Gegenstand liegen.“
Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Blumberg
Die Situation unmittelbar vor der Zerschlagung stellt sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft folgendermassen dar: „Im Rondenbarg auf Höhe der Hausnummer 20 sei die Gruppe in Sichtweite der Blumberger Einheit gekommen. Die Beamten versperrten mit ihren Fahrzeugen die Strasse. Die Gruppe bewegte sich auf die Einheit zu. Vorne seien die Personen fast ausnahmslos vermummt gewesen. Es seien Rauchtöpfe in Richtung der Beamten geworfen worden sowie drei weitere pyrotechnische Gegenstände und acht faustgrosse Steine. Fahrzeuge wurden nicht beschädigt. Die Beamten hätten sich erst danach der Gruppe genähert.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/) In dem Protokoll der Plädoyers der Verteidigung heisst es zur Situation direkt im Rondenbarg nur: Es „bleibt unklar, woher die am Rondenbarg aufgefundenen bzw. gesammelten Gegenstände kommen. Eine Kiste mit Werkzeugen könnten beispielsweise auch vom unmittelbar angrezenden Bauwagenplatz kommen. […]. Die Verletzungen im Rondenbarg waren erheblich. Die Darstellung der Staatsanwaltschaft sei empathielos. Die Verletzten haben sich ihre Verletzungen nicht selber zuzuschreiben. Von vorne und hinten habe die Polizei gleichzeitig Gewalt gegen die Demonstrierenden ausgeübt. Die Verletzungen rühren nicht alleine daher, dass ein Zaunelement herausgebrochen sei, sondern auch durch Schläge und Tritte der Blumberger BFE und dem gleichzeitigen Wasserwerfereinsatz.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-23-vom-27-08-2024/)Kommt es überhaupt darauf an, um wieviel gewalttätige Situationen es sich handelte?
Jedenfalls9 dann, wenn das jeweilige Gericht die Auffassung vertritt, dass ab einem bestimmten Ausmass von Gewalttätigkeiten eine Pflicht zur Entfernung (vielleicht auch nur: Entmummung) entstanden sei und dann das vermummte Verbleiben in der Demo während weiterer Gewalttätigkeiten die voluntative Beihilfe darstelle. Sofern dieser Auffassung überhaupt zu folgen ist (die Verteidigung der Angeklagten sagt bemerkenswerter „ja“10; ich bin davon nicht überzeugt), kann die Strafbarkeit aber allenfalls dann eintreten, wenn zeitlich und den Umständen nach überhaupt die Möglichkeit bestand, sich zu entfernen: „So ist insbesondere nicht etwa festgestellt – was die Annahme eines Landfriedensbruchs in der Form psychischer Beihilfe hätte nahelegen können –, dass sich der Angeklagte innerhalb des grossen Demonstrationszuges einer besonders aktiven Teilgruppe angeschlossen hätte, aus der heraus Gewalttätigkeiten begangen wurden, und dort während schwerer gewaltsamer Auseinandersetzungen ohne äusseren Zwang verblieben wäre“. (BGH, Urteil vom 08.08.1984 zum Aktenzeichen 3 StR 320/84, Textziffer 2; Hv. hinzugefügt)
Das heisst: Es muss einen gewissen zeitlichen Abstand zwischen der die entfernungspflicht11-auslösenden Gewalttätigkeit und den weiteren Gewalttätigkeiten geben.
Zu beachten ist, dass – auch wenn der BGH damals psychische Beihilfe durch vermummtes Dableiben prinzipiell als möglich ansah – in dem vom BGH entschiedenen Fall der Freispruch des vermummt bei einer gewalttätigen Demo anwesenden Angeklagten bestätigt wurde. (Er wurde vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen; den Vermummungsstraftatbestand gab es damals noch nicht.) Es gibt also jedenfalls keinen Automatismus ‚Wenn vermummte Anwesenheit bei einer gewalttätigen Demo, dann Beihilfe zu den Gewalttätigkeiten', sondern es muss irgend ein x zu der vermummten Anwesenheit bei einer gewalttätigen Demo hinzukommen.
Nun haben wir aber in dem Rondenbarg-Fall die Situation, dass das Gericht der Auffassung ist, „dass die in Rede stehende Versammlung gerade keinen anderen, sondern den von Anfang an gebilligten unfriedlichen Verlauf genommen hat.“
Dazu habe ich der Gerichts-Pressestelle, die dankenswerterweise sehr nachsichtig damit umgeht, dass ich nicht bei der Urteilsverkündung war, auch noch mal zwei bzw. drei Nachfragen gestellt: „Also war der bedrohende Landfriedensbruch nach Ansicht des Gerichts von der ersten Minuten der Demo an gegeben? –
Aber gewalttätiger Landfriedensbruch erst ab der ersten Gewalttat? – Oder soll der auch so eine Art ‚Demo-Dauer-Delikt' gewesen sein?“ Antwort: „ob Ihre rechtlichen Schlussfolgerungen sich mit denen der Kammer decken, vermag ich insoweit leider nicht zu beantworten. Es gilt, die schriftliche Begründung abzuwarten.“12
(2.) „aus einer Menschenmenge“ / (4.) „mit vereinten Kräften“
Diese beiden Merkmale scheinen jedenfalls für einen Teil der Gewalttätigkeiten nicht gegeben zu sein13: „Die Staatsanwältin behauptet, dass nicht nur der Fahrplanhalter einer Bushaltestelle demoliert wurde, sondern, dass die Scheiben einer anderen Bushaltestelle eingeworfen worden seien. Es hätten sich immer wieder Einzelne aus dem Zug entfernt.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/; Hv. von mir hinzugefügt)
Der Bewurf der Schleswig-Holsteiner Polizeikräfte soll dagegen laut Staatsanwaltschaft aus einer Gruppe heraus erfolgt sein: „In der Einmündung zum Rondenbarg sei die Gruppe auf die Polizeieinheit Eutin getroffen. Die Einheit sei von der Gruppe mit 10 bis 15 Gegenständen beworfen worden.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/) Diesbezüglich kann aber bezweifelt werden, ob diese Gruppe und die Demo ein- und dieselbe Menschenmenge waren – und falls nicht, dann könnten sich insoweit allenfalls die Leute in der Teilgruppe (aber nicht alle [vermummten] Demo-TeilnehmerInnen) strafbar gemacht haben.
(3.) „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“
Von diesem Tatbestandsmerkmal sollte sich keine einschränkende Wirkung versprochen werden, denn, wenn es zu rechtswidrigen Gewalttätigkeiten kommt, ist die öffentliche Sicherheit nicht nur gefährdet, sondern sogar definitiv schon verletzt.14 Krauss meint dagegen:
„Vom verwaltungsrechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit, wie er insbesondere durch das Polizeirecht konkretisiert wurde, unterscheidet sich der Begriff der öffentlichen Sicherheit in § 125 dadurch, dass die Störung nicht in einem Verstoss gegen beliebige Strafrechtsnormen besteht, sondern nur Gewalttätigkeiten und Gewalttatdrohungen als der öffentlichen Sicherheit gefährlich gelten, weshalb grober Unfug und ganz unerhebliche Einwirkungen mit Bagatellcharakter die allgemeine Sicherheit nicht bedrohen.“
(Krauss, in: Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, 200912, § 125, Randnummer 57) Aber dass es sich um Gewalttätigkeiten (und nicht bloss Unfug) handeln muss, ergibt sich schon aus dem Wort „Gewalttätigkeiten“; „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“ bringt demgegenüber (leider) keine weitere Einschränkung.
(5.) „Täter oder Teilnehmer“
Die Frage nach „Täter“ hatte sich erledigt, nachdem die Staatsanwaltschaft ihre ursprüngliche15 MittäterInnenschafts-These hat fallen lassen.
Bleibt die Frage, ob die beiden Verurteilten tatsächlich „Teilnehmer“ der Gewalttätigkeiten waren. „Teilnehmer“ von Straftaten sind – wie eingangs erklärt – nach BRD-Terminologie gerade nicht die TäterInnen der fraglichen Straftaten, sondern die, die dazu anstiften oder Beihilfe leisten.
Anstiftung hatte die Staatsanwaltschaft den beiden Angeklagten eh nicht vorgeworfen; und die Beihilfe, die vorgeworfen wurde, soll auch nicht physisch (z.B. Zureichen von Steinen oder Spenden der Pyros, die geworfen wurden), sondern psychischer (genauer: voluntativer) Art gewesen sein. Sie sollen den Tatentschluss (den Willen zur Tat der GewalttäterInnen) bestärkt haben. Wie sollen sie das gemacht haben, wenn ihnen doch die Staatsanwaltschaft nicht Anstiftung vorwirft? Der Norddeutsche Rundfunk stellt die Argumentation des Gerichts – wie schon in Teil A. zitiert – folgendermassen dar (und die Gerichts-Pressestelle hat die Darstellung im Grundsatz bestätigt16):
„Der schwarze Block sei martialisch aufgetreten und hätte die Menschen rundum eingeschüchtert. Die ‚Unfriedlichkeit' sei schon im Keim angelegt gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin bei ihrer Urteilsbegündung. Das sei auch den Angeklagten klar gewesen. Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf. Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten.“ (https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Zwei-G20-Gegner-in-Hamburg-zu-Geldstrafen-verurteilt,gzwanzigprozess136.html) Das einzige, was sie gemacht haben sollen, ist also:
• überhaupt hinzugehen und trotz der Gewalttätigkeiten dazubleiben (allein daraus ergibt jedenfalls noch keine Beihilfe zu den Gewalttätigkeiten)
• sie sollen sich schwarze Klamotten angezogen haben; die Frau eine Sturmhaube; der Mann laut Staatsanwaltschaft anscheinend einen Anglerhut: „Sie [Die TeilnehmerInnen des Schwarzen Fingers] waren bis auf wenige Ausnahmen komplett schwarz gekleidet. Es wurden Fischer- beziehungsweise Anglerhüte getragen und Turnschuhe mit weissen Sohlen. Es beteiligten sich Mitglieder der Bonner Jugendbewegung daran, diese führten ein Megafon mit sich. Hier befand sich auch einer der Angeklagten.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/) Die Sturmhaube mag den Vermummungs-Straftatbestand des BRD-Rechts erfüllen; aber auch sie (und erst recht der Anglerhut und Schuhe mit weissen Sohlen) ergeben allein noch keinen Landfriedensbruch.
• Und die beiden Verurteilten sollen den Gewalttätigen „Schutz in der schwarzen Masse geboten“ haben. Ob sie für diesen „Schutz“ irgendetwas Spezifisches getan haben sollen, oder ob der sich allein daraus ergeben soll, dass die beiden Verurteilten schwarz gekleidet da waren, blieb anhand der NDR-Meldung unklar.
Ebenso blieb unklar, worin die ‚Solidarisierung mit den Gewalttätern' bestanden haben soll: Sollen sie etwas Bestimmtes gesagt haben? Sollen sie sich der Polizei in den Weg gestellt haben? Oder ist ‚Solidarisierung' eine blosse gerichtliche Deduktion aus den schwarzen Klamotten?
Inzwischen hat mir die zuständige Gerichts-Pressestelle dazu Genaueres mitgeteilt. Konkret hatte ich gefragt: „Woher weiss das Gericht das erstere? Ist das eine blosse Deduktion aus den schwarzen Klamotten oder gibt es dafür auch einen konkreten Beweis? Und zu dem zweiten: Ging dieser Schutz über das Mass hinaus, das ohnehin daraus folgt, dass Landfriedensbruch per definitionem aus einer Menschenmenge heraus erfolgt? Dies ist deshalb wichtig, weil dieses Normalmass noch nicht strafbar ist, denn es erkennen alle an, dass die alleinige Zugehörigkeit zu der Menschenmenge seit 1970 nicht mehr strafbar ist.“
Antwort der Gerichts-Pressestelle: „Ja, der Schutz ging aus Sicht der Kammer über das von Ihnen genannte Mass hinaus und wurde ausführlich dargestellt. Ich muss Sie an dieser Stelle leider noch einmal darauf verweisen, dass Sie die Gelegenheit, der mündlichen Urteilsbegründung beizuwohnen nicht wahrgenommen haben und meine schriftlichen Auskünfte diese naturgemäss nicht wiederholen und erst Recht nicht die noch ausstehende schriftliche Urteilsbegründung vorwegnehmen können. Insbesondere hat die Kammer darauf abgestellt, dass man es mit einer Menschenmenge zu tun hatte, bei der man die beteiligten Personen bewusst schwerlich voneinander unterscheiden konnte.“
Wenn wir nun die weiter oben zitierte BGH-Formulierung mit der NDR-Formulierung vergleichen, dann ist der Unterschied jedenfalls nicht gross (abgesehen von dem Unterschied, dass
• der BGH über eine hypothetische Situation sprach [„hätte nahelegen können“]
• der NDR über das berichtet, was das Landgericht Hamburg in dem Rondenbarg-Fall als bewiesen ansieht):
BGH17 Landgericht Hamburg laut NDR18
„So ist insbesondere nicht etwa festgestellt – was die Annahme eines Landfriedensbruchs in der Form psychischer Beihilfe hätte nahelegen können –, dass sich der Angeklagte innerhalb des grossen Demonstrationszuges einer besonders aktiven Teilgruppe angeschlossen hätte, aus der heraus Gewalttätigkeiten begangen wurden, und dort während schwerer gewaltsamer Auseinandersetzungen ohne äusseren Zwang verblieben wäre“ „Der schwarze Block sei martialisch aufgetreten und hätte die Menschen rundum eingeschüchtert. Die ‚Unfriedlichkeit' sei schon im Keim angelegt gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin bei ihrer Urteilsbegündung. Das sei auch den Angeklagten klar gewesen. Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf. Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten.“
• besonders aktiven Teilgruppe, aus der heraus Gewalttätigkeiten begangen wurden
• dort während schwerer gewaltsamer Auseinandersetzungen ohne äusseren Zwang verblieben
• Die ‚Unfriedlichkeit' sei schon im Keim angelegt gewesen.
• Das sei auch den Angeklagten klar gewesen.
• Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten. Zusatz der Gerichts-Pressestelle (sinngemäss): Also nicht einfach durch Masse-Bildung, sondern durch Einhaltung eines gemeinsamen Dresscodes, der die einzelnen schwer identifizierbar machte. Auch wenn der Bundesgerichtshof augenscheinlich eine grosse bunte Demo und einen schwarzen Block als Teilmenge vor Augen hatte, während im Rondenbarg-Fall die ganze (kleine) Demo den „Keim“ der Unfriedlichkeit von Anfang in sich getragen haben soll, dürfte das in BGH-Sicht keinen ausschlaggebenden Unterschied bedeuten. Es wird sich in beiden Fällen – so die Gerichtssicht – in Kenntnis des Charakters der Menschenmenge angeschlossen und dann auch nach Beginn der Gewalttätigkeit dageblieben.
Das ist eine andere Situation als
• eine grosse Demo, bei der Leute z.B. im JuSo-Block laufen, dann da ein paar schwarz Vermummte reinstürmen, eine Bank entglasen und dann wieder in einem anderen Demo-Teil verschwinden
• eine Gross-Demo, die von der Polizei aus irgendeinem Grunde zerschlagen wird, dabei kommen die Blöcke durcheinander und die PazifistInnen von der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) befinden sich auf einmal zwischen Steine werfenden Schwarzbejackten. Die JuSo- und ESG-DemonstrantInnen blieben nach dem Massstab der Krefeld-Entscheidung unbestraft und werden auch nach dem Massstab des Rondenbarg-Urteils unbestraft bleiben.
Wenn wir dann noch berücksichtigen, dass mir die Gerichts-Pressestelle mitgeteilt hat: „Die Kammer hat ausdrücklich erklärt, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handele und auch nach ihrer Rechtsauffassung keinesfalls ein einfaches Mitlaufen bei einer Demonstration zur strafrechtlichen Verfolgung führe“,
dann scheint das Hamburger Landgericht auch keinen Automatismus der Art ‚wenn vermummte Anwesenheit bei einer gewalttätigen Demo, dann immer Beihilfe' zu behaupten, sondern sehr spezifisch die (vermeintliche) Beweislage im konkreten Fall zu würdigen.
Ich hatte der Pressestelle drei Fragen gestellt:
1. Stellt dies [der NDR-Bericht] die gerichtliche Argumentation korrekt dar?
2. a) Sollen – nach Ansicht der Kammer – in Zukunft alle TeilnehmerInnen an Schwarzen Blöcken wegen Landfriedensbruch durch Beihilfe zu Gewalttätigkeiten verurteilt werden, sofern aus dem jeweiligen Block heraus Gewalttätigkeiten erfolgen? – Oder gab es b) nach Ansicht der Kammer etwas, was im Falle dieser Demo über das hinausgeht, was bei anderen Schwarzen Blöcken passiert?
3. Setzt sich die Kammer damit auseinander, dass 2. a) nicht der bisherigen Strafverfolgungspraxis entspricht, sondern eine massive Änderung der Staatspraxis bedeuten würde? Und falls ja: Was sagt die Kammer dazu konkret?
Meine Interpretation der erhaltenen Antwort hat die Pressestelle auf Nachfrage auch noch mal ausdrücklich bestätigt: „Auch nach Auffassung des Gerichts macht sich nicht jeder, der bei einem Schwarzen Block mitläuft, des Landfriedensbruchs schuldig. In der mündlichen Urteilsbegründung hat die Vorsitzende etwa das Beispiel dreier junger Frauen gebildet, die in einer der ausgewerteten Videoaufnahmen zu sehen sind und sich optisch nicht in den schwarzen Finger einfügten. Bei diesen, so hat sie ausgeführt, fehle es an einem Tatbeitrag.“ (meine Hv.)
Bei dieser Sachlage eine erfolgreiche Revisionsschrift zu verfassen, wird nicht einfach…
Wir19 sind jetzt in der Realität und nicht nur als Gefahr genau bei dem Problem, auf das ich schon im Januar hinwies:
„Leute, denen kein ‚gemeinsamer Tatplan' und auch keine ‚psychische Beihilfe' nachgewiesen werden kann, müssen sich im jetzigen Verfahren keine Sorgen machen und müssen sich auch für künftige Demos keine Sorgen machen. – Leute, denen ‚psychische Beihilfe' oder gar ein ‚gemeinsamer Tatplan' nachgewiesen werden kann, mussten sich dagegen schon immer Sorgen machen. Schon 1984 entschied der BGH:
‚So ist insbesondere nicht etwa festgestellt – was die Annahme eines Landfriedensbruchs in der Form psychischer Beihilfe hätte nahelegen können –, dass sich der Angeklagte innerhalb des grossen Demonstrationszuges einer besonders aktiven Teilgruppe angeschlossen hätte, aus der heraus Gewalttätigkeiten begangen wurden, und dort während schwerer gewaltsamer Auseinandersetzungen ohne äusseren Zwang verblieben wäre' (BGH, Urteil vom 08.08.1984 zum Aktenzeichen 3 StR 320/84, Textziffer 2; Hv. hinzugefügt).
Das heisst: Landfriedensbruch durch psychische Beihilfe zu Gewalttätigkeiten kommt in Betracht – nur liess sie sich damals nicht nachweisen, weshalb es damals einen Freispruch gab. – Jetzt meint die Hamburger Staatsanwaltschaft mehr beweisen zu können, als damals das Landgericht Krefeld als Vorinstanz des BGH als erwiesen ansah.
Das heisst: Die entscheidende juristische Frage für den Rondenbarg-Verfahren ist nicht rechtlicher Art (Wie ist § 125 StGB auszulegen?), sondern tatsächlicher Art (Was kann die Staatsanwaltschaft beweisen?). Die tatsächliche Frage zu ignorieren, wird für die Anklagten nicht von Vorteil sein – ausser, dass Gericht kümmert sich (auch ohne, dass Angeklagte und Verteidigung darauf wertlegen) darum.“