Im vorliegenden Fall gab es aber 40 Tage ‚Verzögerungs-Rabatt' (die ‚Tat' [also: das Huttragen] war wie gesagt 2017; inzwischen schreiben wir 2024): „Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung gelten jeweils 40 Tagessätze der verhängten Strafe als vollstreckt“, teilte die zuständige Gerichts-Pressestelle auf Anfrage mit.
Also: (90 Tagessätze minus 40 Tagessätze) x ca. 1/30 des (erzielbaren) Einkommens. Ausserdem wurde den beiden Verurteilten Ratenzahlung bewilligt; die Verfahrenskosten müssen sie – als Verurteilte – logischerweise auch zahlen. Wie's weitergehen kann…
Revisions-Einlegung und schriftliche Urteilsbegründung
Beide Seiten hatten (nur) eine Woche Zeit, zu entscheiden, ob sie Revision einlegen. „Die Revision muss bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__341.html)Beide Seiten hatten schon kurz nach dem Urteil angekündigt, die Revisions-Einlegung zu prüfen (siehe meinen taz-Blogs-Artikel vom 04.09.2020). Tatsächlich haben die beiden Angeklagten inzwischen Revision eingelegt; die Staatsanwaltschaft dagegen nicht. Die Revisions-Einlegung der Angeklagten ist jedenfalls deshalb sinnvoll, weil die schriftliche Urteilsbegründung erst später vorliegen wird; § 275 Absatz 1 Strafprozessordnung der BRD bestimmt: „Dies [Die zur Aktenbringung der Urteilsgründe – also das Verfassen des schriftlichen Urteils] muss spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__275.html)
Da die Hauptverhandlung in dem Verfahren an 24 Tagen (wenn auch auf mehrere Monate verteilt) stattfand, ergibt sich also:
5 Wochen + 31 angebrochene Zehntages-Zeiträume x 2 Wochen = 11 Wochen. Erweist sich die schriftliche Urteilsbegründung als wasserdicht, können bereits eingelegte Revisionen später wieder zurückgezogen werden.
Mögliche Revisionsgründe
Angesichts dessen, dass es die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht gibt, lässt sich bisher nur wenig zu möglichen Revisionsgründen sagen.Klar ist jedenfalls: Einerseits bestimmt § 337 der BRD-Strafprozessordnung:
„[1] Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.
[2] Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__337.html)
Andererseits bestimmt § 261 BRD-StPO: „§ 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__261.html)
Das heisst: Die Beweiswürdigung des Tatgerichts darf der Bundesgerichtshof nicht überprüfen; auf Rechtsfehler hat der BGH das Urteil des Tatgerichts dagegen zu überprüfen.
An das Erstere hält sich der BGH nicht so richtig: Er prüft auch, ob die Tatgerichte – seines Erachtens – zu strenge oder zu laxe Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung richten…
Wo könnte mit einer Revisionsschrift der Verteidigung eingehakt werden? Nach dem was wir bisher über die Auffassung und Argumentation des Gerichts wissen, maximal bei Folgendem; aber auch das Folgende wird kaum etwas nutzen, wenn der BGH nicht – als grundlegenden Baustein – die Auffassung des Landgerichts kassiert, „dass die in Rede stehende Versammlung […] den von Anfang an gebilligten unfriedlichen Verlauf genommen hat“. Dass der BGH die Auffassung kassiert, ist aber äusserst unwahrscheinlich, weil der BGH – im Prinzip (siehe oben) – nur für Rechtsfehler zuständig.
Ich muss daher leider noch mal daran erinnern, dass ich bereits bei Beginn der Hauptverhandlung geschrieben hatte: „Die entscheidende juristische Frage für den Rondenbarg-Verfahren ist nicht rechtlicher Art (Wie ist § 125 StGB auszulegen?), sondern tatsächlicher Art (Was kann die Staatsanwaltschaft beweisen?). Die tatsächliche Frage zu ignorieren, wird für die Anklagten nicht von Vorteil sein […].“ (https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/01/Schleppender_Auftakt__S_23_-_49_u_Endnoten.pdf, S. 25)
Nahm die Demo – wie das Landgericht meint – einen „von Anfang an gebilligten“ unfriedlich Verlauf?
Die Demo mag von Anfang einen unfriedlichen Zweck gehabt haben, aber tatsächlich unfriedlich war sie allenfalls erst ab dem Moment, wo die ersten Gehwegplatten zerkloppt wurden – und ob das der ganzen Demo zuzurechnen ist, ist auch noch die Frage.Dazu könnte auf der rechtlichen Ebene vielleicht argumentiert werden, dass das Landgericht einen zu weiten Begriff von „unfriedlich“ und ein zu enges Verständnis von „friedlich“ im Sinne des Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz vertrete („Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“) – aber vor Kenntnis der schriftlichen Urteilsbegründung lässt sich dazu wenig sagen.
Ein Problem zeigt sich allerdings schon jetzt – gerade in dem Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auf das sich die Kampagnen „Grundrechte verteidigen“ und „Gemeinschaftlicher Widerstand“ in ihrer gemeinsamen Presseerklärung zum Rondenbarg-Urteil berufen2 heisst es: „Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt (vgl. § 13 I Nr. 2 VersG) oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben (vgl. § 5 Nr. 3 VersG) oder zumindest billigen, dann muss für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (vgl. v. Münch, a.a.O., RdNr. 18 zu Art. 8 GG; Herzog, a.a.O., RdNr. 59 f., 89 f. zu Art. 8 GG; Hoffmann-Riem, a.a.O., RdNr. 23 zu Art. 8 GG; Blanke/Sterzel, a.a.O. ; Schwäble, a.a.O., S. 229 und 234; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 6. Aufl, 1983, RdNr. 4 zu Art. 8).“ (BVerfGE 69, 315 - 372 [361]; Hv. hinzugefügt)
Anders herum ausgedrückt: Wenn die VeranstalterInnen oder deren Anhang einen gewalttätigen Verlauf anstreben, müssen – laut Brokdorf-Urteil – auch die friedlichen DemonstrantInnen (für diese Demo) nicht mehr geschützt werden, sondern können darauf verwiesen werden, an anderem Ort oder zu anderer Uhrzeit zu demonstrieren. –
In § 5 Nr. 3 Versammlungsgesetz („§ 5 Nr. 3 VersG“) heisst es wiederum: „Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn
1. […], 3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben, 4. […].“ (https://www.gesetze-im-internet.de/versammlg/__5.html) Diese Norm bezieht sich zwar direkt nur auf Versammlungen in geschlossenen Räumen, während die Rondenbarg-Demo unter freiem Himmel stattfand, aber gegen Versammlungen unter freiem Himmel darf der Staat schneller vorgehen als gegen Versammlungen in geschlossenen Räumen.
„[D]er Veranstalter oder sein Anhang einen solchen [gewalttätigen oder aufrührerischen] Verlauf anstreben“ – also das, worum es in dem gerade zitierten Paragraphen geht und wovon das BVerfG im Brokdorf-Urteil spricht –, ist haargenau das, was das Landgericht Hamburg für die Rondenbarg-Demo als bewiesen ansieht… – das heisst zwar nicht, dass allein schon das ‚Anstreben' der vollendete (oder auch nur versuchte) Landfriedensbruch sei3, aber es ist auch nicht irrelevant.
Geschah bei der Demo tatsächlich – wie das Landgericht meint – „das, was die Angeklagten vorhersahen und billigten“?
An dieser Stelle rächt sich meines Erachtens zweierlei:
• Erstens, dass in der Anti-Rep-Arbeit in Bezug auf das Rondenbarg-Verfahren die ganze Zeit die Tatsachen-/Beweisfrage auf die leicht Schulter genommen und gemeint wurde, die Angeklagten kämen allein mit dem Verweis darauf, dass blosse Anwesenheit nicht strafbar sei, aus der Nummer raus.
• Zweitens, eine dogmatische Handhabung des Konzeptes der Aussageverweigerung bzw., dass die Angeklagten nicht bereit oder in Lage waren, sich glaubhaft dahingehend einlassen, dass zwar in der Tat etwas Handgreifliches geplant war4, aber für einen anderen Ort und einen anderen Zeitpunkt – und dass das, was passiert ist, nur passiert ist, weil konzept-widrig dazwischen gefunkt wurde.
Bleibt noch mein in Teil C. gemachter Einwand gegen die gerichtliche Interpretation des „Aktionskonsens[es] des Bündnisses ‚Fight G20'“ (Auskunft der Pressestelle vom 05.09.2024) und dort insbesondere des Satzes:
„Dass Angriffe auf Bushaltestellen und Kleingewerbe uns keine Hilfe sind, sollte den meisten ebenso einleuchten, wie die Sinnhaftigkeit und Vermittelbarkeit von beschädigten Banken, Konzernzentralen und Einrichtungen der Repressionsbehörden.“
Mein Einwand lautete, mit dem Zitat lasse „sich nur beweisen, dass bestimmten Aktionsformen für ‚[v]ermittelbar' befunden wurden, aber nicht, dass derartige Aktionen konkret geplant waren und dafür der in Rede stehende Dresscode verabredet wurde“.
Aber eine Interpretation eines bestimmten Beweismittels (hier: Textes) ist schwerlich eine Rechtsfrage. Allenfalls kann sich darauf berufen werden, dass das Bundesverfassungsgericht sagt:
„die Gerichte [dürfen] ihr [einer Äusserung] keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben (vgl. zuletzt zusammenfassend BVerfGE 93, 266 <295 ff.5>).“ (BVerfG, Beschluss vom 29.07.1998 zum Aktenzeichen 1 BvR 287/93, Textziffer 40)
Allerdings ist zu beachten, dass es in dem Rondenbarg-Fall nicht um ein Äusserungsdelikt ging, sondern darum, was der fragliche Aktionskonsens für den Vorwurf des Landfriedensbruchs beweist.
Bestand überhaupt Gelegenheit, sich vom Acker zu machen oder ging alles so schnell, dass auch die Unschuldslämmer, die weg gewollt hätten, nicht mehr konnten?
• Wieviel Gewalttätigkeiten sah das Tatgericht als erwiesen an?
• Hat das Tatgericht die Begriffe „aus einer Menschenmenge“ und „mit vereinten Kräften“ korrekt ausgelegt? Wieviele vom Tatgericht als bewiesene angesehene Gewalttätigkeiten fanden „aus einer Menschenmenge […] mit vereinten Kräften“ statt?
• Hat das Tatgericht beachtet, dass es einen gewissen zeitlichen Abstand zwischen der (angeblich) entfernungspflicht-auslösenden Gewalttätigkeit und den weiteren Gewalttätigkeiten geben muss, damit – sofern überhaupt – durch tatentschluss-bestärkendes Dableiben psychische (genauer: voluntative) Beihilfe geleistet werden kann? Also: Bestand überhaupt Gelegenheit, sich vom Acker zu machen oder ging alles so schnell, dass auch die Unschuldslämmer, die weg gewollt hätten, nicht mehr konnten?
Zu beachten ist allerdings zweierlei: 1. Diese drei Fragen sind allenfalls in Bezug auf „gewalttätigen Landfriedensbruch“, aber nicht in Bezug auf „bedrohenden Landfriedensbruch“ relevant. 2. Auch in Bezug auf den „gewalttätigen Landfriedensbruch“ können die drei Fragen nichts ausrichten, sofern nicht vorher die Auffassung des Landgerichts gekippt wird, die Demo habe einen von Anfang an geplanten und von den Angeklagten gebilligten unfriedlichen Verlauf genommen.
Das Konzept der psychischen (genauer6: voluntativen) Beihilfe
• Darüber hinaus könnte das Konzept der voluntative Beihilfe als solches kritisiert werden; das fände ich juristisch richtig und politisch nützlich. Aber viel Erfolgschancen hat das angesichts der gefestigten BGH-Rechtsprechung nicht.
• Es könnte spezifischer bei der Frage eingehakt werden, ob
es im speziellen psychische Beihilfe zu den Gewalttätigkeiten im Sinne von § 125 Absatz 1 Nr. 1 BRD-StGB geben kann
ob es sich wenn, dann um Aufwiegelung im Sinne der dritten Alternative in § 125 Absatz 1 StGB („wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen [Gewalttätigkeiten und Bedrohungen] zu fördern“) handeln muss. Auch da wird BGH aber eher nicht von der herrschenden Meinung abweichen und psychische Beihilfe in Bezug auf die Gewalttätigkeiten für rechtlich möglich halten (jedenfalls hat er 1984 so entschieden – wenn auch, ohne sich mit dem Gegenargument/Einwand auseinanderzusetzen).
Es ist – wie gerade gesagt – eh schon ziemlich unwahrscheinlich, dass der BGH am Konzept der voluntativen Beihilfe rütteln wird – aber es ist ganz besonders unwahrscheinlich, wenn es sich im konkreten um einen Fall handelt, in dem das Tatgericht davon ausgeht, „dass die in Rede stehende Versammlung […] den von Anfang an gebilligten unfriedlichen Verlauf genommen hat“.
Schliesslich:
Klar ist, dass wegen blosser Anwesenheit bei Gewalttätigkeiten, „die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden“, nicht bestraft werden darf. Das hat – entgegen der Szene-Legendenbildung – auch die Hamburger Staatsanwaltschaft nie anders behauptet; siehe: Vogel-Strauss-Politik ist eine schlechte Verteidigung. de.indymedia vom 03.09.2024 https://de.indymedia.org/node/453122
und
„juristischer Unsinn“ und die wirklichen Schwachpunkte der Anklage. Über treffende und fehlgehende Kritik an der Anklage taz-Blogs vom vom 24.01.2024 https://blogs.taz.de/theorie-praxis/juristischer-unsinn-und-die-wirklichen-schwachpunkte-der-anklage/.
Wieviel mehr als blosse Anwesenheit bei einer gewalttätigen Demo ist für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruch nötig?
Aber fraglich ist: Wieviel mehr als blosse Anwesenheit muss es sein?
Insbesondere sollte meines Erachtens die folgende Frage aufgeworfen werden:
Muss es nicht, bevor weiteres (vermummtes) Verbleiben innerhalb einer Demo als voluntative Beihilfe zu Gewalttätigkeiten (das heisst: als Landfriedensbruch) gewertet werden darf, eine polizeiliche Aufforderung, zu verschwinden oder zumindest die Vermummung abzulegen, gegeben haben?
Warum könnte diese Frage zu bejahen sein? Aus zwei Gründen:
Keine Versammlungszerschlagung (und folglich auch keine Entfernungspflicht7) ohne vorherige Versammlungsauflösung
Erstens: Die Rechtssicherheit erfordert, dass den Leute gesagt wird, ob sie sich – nach Polizeiansicht –, wenn sie weiter (vermummt) Dableiben nicht nur wegen Vermummung, sondern auch wegen Landfriedensbruchs strafbar machen. Auch dieses Rechtssicherheits-Argument wird allerdings massiv entwertet, wenn es sich um eine Versammlung gehandelt haben soll, die einen „von Anfang an gebilligten unfriedlichen Verlauf genommen hat“. Dass es bei unfriedlichem Verlauf massiven Ärger gibt, wissen ja eh alle.
Es ist jedenfalls klar, dass unfriedlich gewordene Versammlungen aufgelöst werden dürfen, da Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz („Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“) nur friedliche Versammlungen schützt. Andererseits ist aber auch anerkannt, dass die Polizei kommunizieren muss, wenn sie meint, eine Versammlung sei unfriedlich geworden. Sie muss die Versammlung erst auflösen (das heisst: eine Auflösungsverfügung8 durchsagen/verlesen) und darf nicht ohne vorherige Auflösungsverfügung wahllos alle Leute verprügeln, die noch rumstehen oder rumschlendern:
„§ 15 Abs. 3 BVersG9 stellt eine abschliessende Befugnisnorm dar, die auch für unfriedliche Versammlungen gilt und zwar auch dann, wenn die Gesamtheit der Teilnehmer sich nicht mehr im Schutzbereich befindet, weil sie gewalttätig geworden ist. […]. Eine Auflösung kann auch nicht konkludent erfolgen, etwa durch Einkesselung der Teilnehmer und erst recht nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs. Den Betroffenen muss unmissverständlich klar gemacht werden, dass ihre Versammlung beendet ist.“
„Auflösung und Auflagen ergehen meist in einer turbulenten Situation mit entsprechendem Schallpegel. […]. Deshalb sind bei der Bekanntgabe an die inhaltliche Bestimmtheit, Eindeutigkeit und Verständlichkeit besondere Anforderungen zu stellen. Gegebenenfalls ist die Bekanntgabe mehrfach zu wiederholen, damit alle Betroffenen akustisch erreicht werden.“ (Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 201918, Randnummer 210 und 215 sowie 2013)
„Die Unterbindung einer Versammlung kann auch in den Fällen ausschliesslich auf diese Vorschrift10 gestützt werden, in denen die Auflösung der Versammlung den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG“ – z.B., weil es sich um eine Versammlung von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit handelt oder weil es sich um eine unfriedliche gewordene Versammlung handelt – „nicht berührt und deshalb keine Beschränkung der Versammlungsfreiheit im Sinne von Art. 8 Abs. 2 GG darstellt.“ (BVerwG, Beschluss vom 14.01.1987 zum Aktenzeichen 1 B 219.86, Textziffer 10)
„Art. 8 GG gebietet, diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten nicht geringer zu gewichten als die Förmlichkeiten, deren Verletzung eine Bestrafung nach § 113 StGB in anderen Fällen ausschliesst. Denn es handelt sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit wesentlich ist. In Versammlungen entstehen häufig Situationen rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Könnten Versammlungsteilnehmer nicht wissen, ab wann der Schutz der Versammlungsfreiheit endet und dürften [Konjunktiv!, dgs] sie gleichwohl wegen eines ihrer Ansicht nach von der Versammlungsfreiheit geschützten Verhaltens negativ sanktioniert werden, könnte diese Unsicherheit sie einschüchtern und von der Ausübung des Grundrechts abhalten.“ (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007 zum Aktenzeichen 1 BvR 1090/06, Textziffer 41; Hv. hinzugefügt)
Argument aus dem aufgehobenen § 125 Absatz 2 BRD-StGB 1985 - 1989
Nun zum zweiten Grund:
Ausgangspunkt: Das, was von 1985 bis 1989 als Landfriedensbruch light strafbar war, ist heute nur als Vermummung strafbar
Der BRD-Landfriedensbruch-Paragraph 125 Absatz 2 Strafgesetzbuch bestimmte von 1985 bis 1989: „Wer in einer Menschenmenge, aus der Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen im Sinne des Absatzes 1 begangen werden,
1. Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmassnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich führt oder
2. sich in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung seiner Identität zu verhindern, aufhält, obwohl ein Träger von Hoheitsbefugnissen auf Grund des Versammlungsgesetzes oder eines Polizeigesetzes dazu aufgefordert hat, diese Gegenstände oder Aufmachungen abzulegen oder sich zu entfernen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://web.archive.org/web/20231127145310/https://lexetius.de/StGB/125,3)
Dieser Absatz wurde aber 1989 – zugunsten der allgemeinen Vermummungs-Normen § 17a und § 27 Absatz 2 im Versammlungsgesetz – wieder aus dem Strafgesetzbuch rausgestrichen. Daraus kann zweierlei geschlussfolgert11 werden:
• Das, was von 1985 bis 1989 als Landfriedensbruch light bestraft werden konnte, kann heute nur als Vermummung gemäss § 27 Absatz 2 Versammlungsgesetz bestraft werden.
• Das, was von 1985 bis 1989 nicht einmal als Landfriedensbruch light bestraft werden konnte, konnte damals erst recht nicht und kann auch heute erst recht nicht als ‚Standard-Landfriedensbruch' nach § 125 Absatz 1 Strafgesetzbuch bestraft werden.
Für den Landfriedensbruch light gemäss § 125 Absatz 2 StGB 1985 - 1989 war notwendige Voraussetzung, dass „ein Träger von Hoheitsbefugnissen auf Grund des Versammlungsgesetzes oder eines Polizeigesetzes dazu aufgefordert hat, diese Gegenstände oder Aufmachungen abzulegen oder sich zu entfernen“. Also: Wegen blosser vermummter Anwesenheit bei Gewalttätigkeiten, „die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden“, darf es keine Verurteilung nach § 125 Absatz 1 StGB wegen Landfriedensbruch geben. Die Polizei muss vielmehr mindestens erst dazu auffordern, entweder die Vermummung abzulegen oder sich (vermummt oder unvermummt) vom Ort des gewalttätigen Geschehens zu pissen, bevor das (vermummte) Dableiben als Landfriedensbruch strafbar wird.
Dies gilt nicht nur für Versammlungen – seien sie unfriedlich geworden oder nicht –, sondern auch für andere Menschenmengen. Denn auch der § 125 Absatz 2 StGB 1985 - 1989 differenzierte nicht zwischen Versammlungen und anderen Menschenmengen, sondern verlangte generell eine Aufforderungen „auf Grund des Versammlungsgesetzes oder eines Polizeigesetzes“.
Wird das, was die Gesetzgebungsorgane 1989 bewusst aus dem Gesetz rausgestrichen haben, von den Gerichten wieder ins Gesetz hineingelesen oder das Gesetz sogar noch über das hinaus, was mal drinstand, gerichtlich ausgeweitet (= vermummtes Dableiben sei auch ohne vorherige polizeiliche Aufforderung, zu gehen oder sich zu entmummen, als Landfriedensbruch strafbar), dann ist das weder mit der Gesetzesbindung der Justiz im allgemeinen12 noch speziell mit Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz vereinbar:
„Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_103.html)
Probleme bei der Übertragung des Arguments auf den vom Landgericht Hamburg als bewiesen angesehenen Rondenbarg-Sachverhalt
Auch hier stellt sich aber wiederum die Frage, ob dieses Argument noch greift, wenn es sich um einen „von Anfang an gebilligten unfriedlichen Verlauf“ gehandelt haben soll…13
1. Auflösung/Billigung: Ein erster Einwand, der aus der zitierten Überzeugung des Landgerichts folgen könnte, ist: Nach der Regelung von 1985 bis 1989 kam es nicht darauf an, ob die Gewalttätigkeit gebilligt wurden. Es wurden vielmehr diejenigen bestraft, die (1.) trotz gegenteiliger Aufforderung (2.) vermummt in der Menge, aus der heraus die fraglichen Gewalttätigkeiten erfolgen, bleiben.
Das heisst: Das Landgericht hat jetzt nicht für weniger als damals erforderlich verurteilt (das wäre klar unzulässig), sondern wegen etwas anderem: Das Landgericht hat das damals im Gesetz stehende Kriterium ‚trotz Aufforderung' durch das Kriterium ‚unter Billigung der Gewalttätigkeiten' ersetzt. Um der Klarheit halber: Selbstverständlich war (auch) von 1985 bis 1989 strafbar, ‚trotz Aufforderung' und ‚unter Billigung der Gewalttätigkeiten' vermummt da zu bleiben.
Die juristisch entscheidende Frage ist nun also: War das, wegen dem das Landgericht Hamburg jetzt verurteilt hat (einheitlich bekleidetes Dableiben [was weniger als Vermummung sein kann] ‚unter Billigung der Gewalttätigkeiten'), schon vor 1985 nach § 125 Absatz 1 StGB strafbar? Oder wurde es nur von 1985 bis 1989 in den Fällen als Landfriedensbruch strafbar, in denen (zusätzlich zu der Billigung, auf die es damals gar nicht ankam) eine Nicht-Befolgung der Aufforderung zum Gehen oder Entmummen gegeben war?
Dazu sagen weder der Bericht des Rechtsausschusses, der die 1985 verabschiedete Fassung begründete, noch der vorausgegangene Regierungsentwurf, der noch einen anderen Regelungsvorschlag enthielt, etwas Direktes. In dem Regierungsentwurf stand aber: „Der geltende § 125 Abs. 1 StGB bedroht diejenigen mit Strafe, die sich als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen, die aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften begangen werden, beteiligen oder die auf die Menschenmenge einwirken, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern. Von der Strafvorschrift werden danach nur die am gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruch Beteiligten und die sogenannten Anheizer erfasst.“ (Bundestags-Drucksache 10/901, S. 4, re. Sp. unten)
Damit haben wir eine neue Frage: War – nach Ansicht des Landgerichts Hamburg – das Verhalten derjenigen, die es am 3. September 2024 verurteilte bei der Rondenbarg-Demo so, wie sich das der Bundestag 1985 (und 1970) als Verhalten von „Beteiligten und […] sogenannten Anheizer“ vorstellte?
• Falls ja, sitzen die beiden Verurteilten – sofern sich nicht noch die tatsächlich „Feststellungen“ des Landgerichts kippen lassen – juristisch tief in der Tinte. Haben sich die beiden Verurteilten – nach Landgerichts-Ansicht – dagegen harmloser verhalten, dann gibt es für die Angeklagten einen Sonnenstrahl am Himmel des BRD-Rechts: Sie dürften dann nicht wegen Landfriedensbruchs nach § 125 Absatz 1 StGB (gewalttätiger, bedrohender und aufwiegelerischer Landefriedensbruch) verurteilt werden. Allerdings ist folgendes noch zu bedenken – der Bundestag stellte sich 1985 anscheinend14 folgende begriffliche Systematik vor:
• Es gibt einerseits die „Täter oder Teilnehmer“ an Gewalttätigkeiten (§ 125 Absatz 1 Nr. 1 StGB: gewalttätiger Landfriedensbruch) oder Bedrohungen (§ 125 Absatz 1 Nr. 2 StGB: bedrohender Landfriedensbruch)
• andererseits die „Anzeizer“ – das seien die Aufwiegelnden bzw. ‚Einwirkenden' des (§ 125 Absatz 1 dritte Alternative StGB: aufgewielerischen Landfriedensbruch15).
Das ist in der Tat die begriffliche Systematik, von der der Bundestag 1970 ausgegangen waren. Die Fraktionen von SPD und FDP hatten zunächst folgende Fassung des § 125 Absatz 1 StGB vorgeschlagen:
„Wer sich als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder an nach § 113 mit Strafe bedrohten Handlungen beteiligt, die aus einer Menschenmenge in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, soweit die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“ (Bundestags-Drucksache VI/139, S. 1 f.)
Neben verschiedenen anderen Unterschieden war in dem Fraktionsentwurf der aufwiegelerische Landfriedensbruch also noch nicht vorgesehen. Die Formulierung „Täter oder Teilnehmer“ stand dagegen schon in dem Fraktionsentwurf.
In den Ausschussberatungen ergab sich dann folgendes: „Unter dem Eindruck dieser zahlreichen Stellungnahmen konnte im Sonderausschuss ein Teileinverständnis darüber erzielt werden, dass einerseits die an Gewalttätigkeiten Beteiligten sowie die sogenannten Anheizer vom Tatbestand erfasst […] sein müssten. […]. die Mehrheit [gelangte] zu dem Ergebnis, dass es durchaus genüge, wenn zusätzlich zu den durch § 125 StBG i. d. F. des SPD/FDP-Entwurfs erfassten Täter noch derjenige einbezogen wird, der ‚auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern'. Unter ‚Einwirken' kann auch eine psychische Beeinflussung verstanden werden, die nicht verbal geschieht.“ (Bundestags-Drucksache VI/502, S. 9 li Sp. oben und unten)
Es ergibt sich also klar: Zu den „Täter[n] oder Teilnehmer[n]“ (= Beteiligten) aus dem Fraktionsentwurf kamen in Folge der Ausschussberatungen als dritte Gruppe die „Anheizer“ (= Einwirkenden/Aufwiegelnden) hinzu, wobei das ‚Einwirken' auch psychisch erfolgen folgen sollte16. Diejenigen, die sich passiver oder indifferenter verhielten, als sich das für „Anheizer“ vorgestellt wurde,
• durften von 1970 bis 1985 und dürfen seit 1989 wiederum gar nicht wegen Landfriedensbruchs verurteilt werden;
• von 1985 bis 1989 waren sie dagegen gem. § 125 Absatz 2 StGB wegen ‚Landfriedensbruchs light' zu bestrafen, wenn sie (1.) entgegen Aufforderung (2.) vermummt dablieben.
Ausserdem ist Folgendes an den Gesetzgebungsmaterialien von 1985 interessant. Sowohl in dem Regierungsentwurf als auch in dem Ausschussbericht wurde das aus Staatssicht bestehende Problem, das durch die damalige Gesetzesänderung angegangen werden sollte, folgendermassen beschrieben: „Das eigentliche ‚Militanzpotential', gegen das sich die Strafdrohung [von 1970] richtet, kann seine Ausschreitungen – gedeckt, abgeschirmt und nicht selten motiviert durch die Menge – ohne grösseres Risiko begegnen.“
„Dies [Dem Tatbestand des Landfriedensbruchs seine den öffentlichen Frieden sichernde Funktion wiederzugeben] erscheint auch unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der Massenpsychologie geboten, wonach die Masse auf den einzelnen eine eigentümliche Sogwirkung – verbunden mit einem Solidarisierungseffekt – ausübt und das Verantwortungsgefühl herabsetzt.“ (Bundestags-Drucksache 10/901, S. 5 li. Sp. oben und S. 4 re. Sp. obere Hälfte; Hv. hinzugefügt)
„Die Gewalttäter gehen meist in der Weise vor, dass sie aus einer mehr oder weniger grossen Gruppe von nicht selbst aktiven Komplizen ihre strafrechtlichen Aktivitäten entwickeln. Es ist deshalb für die Polizeikräfte sehr schwierig, an diese Gewalttäter heranzukommen.“ (Bundestags-Drucksache 10/3580, S. 2, re. Sp. obere Hälfte)
Das heisst: Die Gesetzesänderung von 1985, die aber – soweit es den Landfriedensbruchs-Paragraphen betrifft – 1989 wieder abgeschafft wurde, sollte ziemlich genau das Verhalten treffen, das den Rondenbarg-Angeklagten jetzt zum Vorwurf gemacht wird – sehen wir uns noch einmal die von der Gerichts-Pressestelle im Grundsatz bestätigt NDR-Meldung an: „sie [hätten] sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten.“ (https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Zwei-G20-Gegner-in-Hamburg-zu-Geldstrafen-verurteilt,gzwanzigprozess136.html)
Davor hiess es in der NDR-Meldung noch: „Der schwarze Block sei martialisch aufgetreten und hätte die Menschen rundum eingeschüchtert. Die ‚Unfriedlichkeit' sei schon im Keim angelegt gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin bei ihrer Urteilsbegündung. Das sei auch den Angeklagten klar gewesen. Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf.“
Es scheint zumindest fraglich zu sein, ob diese Sätze mehr enthalten, als das Material, aus dem der letzte Satz geschlussfolgert ist.
Falls das alles stimmt, was ich vorstehend zu der Gesetzesänderung 1985 und der NDR-Meldung geschrieben habe, dann
• hat das Landgericht Hamburg die beiden Angeklagten wegen eines Sachverhalts, der hinter den Tatbestandsmerkmalen des § 125 Absatz 2 StGB 1985 - 1989 zurückbleibt17 verurteilt;
• also wegen eines Verhaltens, das nicht einmal damals strafbar war und das angesichts dessen, das der 1985 eingefügte Absatz 1989 wieder gestrichen wurde, jetzt erst recht nicht strafbar ist.
Das wäre poena sine lege (Strafe ohne Gesetz). Das Grundgesetz ordnet aber das Gegenteil an: nulla poena sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz). / „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ (Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz) – Spätestens das Bundesverfassungsgericht müsste die Verurteilungen aufheben.
Aber freuen wir uns nicht zu früh – sehen wir uns sicherheitshalber noch die Begründung für die 1989 erfolgte Streichung des zwischenzeitlich geltendem Absatzes 2 an:
„Im Hinblick auf die in Artikel 3 Abs. 1 Nr. 4 vorgesehene generelle Strafbewehrung des Verbots von passiver Bewaffnung und Vermummung ist die Strafvorschrift des § 125 Abs. 2 StGB aufzuheben. Die Pönalisierung von Vermummung und passiver Bewaffnung stellt gegenüber § 125 Abs. 2 StGB geringere Anforderungen; die vorgesehenen neuen Vorschriften besitzen einen weiteren Anwendungsbereich18, der die bisher durch § 125 Abs. 2 StGB erfassten Verhaltensweisen nahezu vollständig abdeckt.“ (Bundestags-Drucksache 11/2834, S. 13 li. Sp. oben)
Also: Keine Rede davon, die fragliche Verhaltensweise (vermummtes Deckgebung für Gewalttätige) sei – unter bestimmten Voraussetzungen – im Rahmen von § 125 Absatz 1 StGB strafbar.
2. Die gesetzgeberische Intention von 1970: Die sozialliberale Reformmehrheit, die 1970 den BRD-Landfriedensbruch-Paragraphen etwas liberalisierte, wollte allerdings nur diejenigen schützen, die „– ohne die Gewalthandlungen fördern zu wollen – in der Menge bleiben“ (BTag-Drs. VI/502, S. 9; Hv. hinzugefügt).19 Im Rondenbarg-Fall soll es sich – laut Landgericht – aber um Angeklagte handeln, die (von Anfang an) einen unfriedlichen Verlauf billigten. Nun ist aber eine Billigung (auch eine vorher und währenddessen erfolgende Billigung) nicht notwendigerweise eine Förderung… Das Wollen der Förderung der Gewalttätigkeiten – davon war in der Drucksache von 1970 die Rede! – dürfte dagegen schon eine Billigung der Gewalttätigkeiten einschliessen. – Im Rondenbarg-Fall kommen ausserdem die Dresscode-Einhaltung und die daraus folgende schwierigere Identifizierbarkeit der Einzelnen hinzu…
In Bezug auf das Auflösungserfordernis – und darum geht mir ja (um das Auflösungserfordernis als Element des x, das mehr als vermummte Anwesenheit erforderlich ist [siehe FN 7, zweite Absatz]) – kann (= Möglichkeit!) den Angeklagten helfen, dass das Landgericht nicht sagt, die Versammlung sei von Anfang unfriedlich gewesen20, sondern nur sagt, ein unfriedlicher Verlauf sei „von Anfang an [von den Angeklagten] gebilligt“ worden. Damit kommt dann das im Abschnitt „Keine Versammlungszerschlagung (und folglich auch keine Entfernungspflicht) ohne vorherige Versammlungsauflösung“ Gesagte wieder ins Spiel.
Die Sache bleibt also unübersichtlich…
Einwände gegen die Verurteilungen wegen Beihilfe zu einem tätlichen Angriff usw.
Ein Problem bleibt allerdings auch dann bestehen, falls es gelingen sollte, den BGH davon zu überzeugen, dass die Gesetzgebungsgeschichte des § 125 StGB gegen die Verurteilung wegen Landfriedensbruchs spricht: Die Verurteilungen wegen Beihilfe zu versuchter gefährlicher Körperverletzung, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung blieben davon zunächst einmal unberührt. Denn die aus der Systematik und Gesetzgebungsgeschichte des § 125 StGB entwickelten Argumente betreffen nur diesen – und nicht die anderen Paragraphen, wegen denen verurteilt wurde.
Hinsichtlich dieser anderen Verurteilungen müsste es also gelingen, den BGH davon zu überzeugen,
• die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts aufzuheben (was – wie gesagt – unwahrscheinlich ist)
• das Konzept der voluntativen Beihilfe aufzugeben oder zumindest enger zu fassen (was ebenfalls – wie auch schon gesagt – unwahrscheinlich ist).
Hinsichtlich des zweiten Punktes kann sich auf den Wortlaut des § 27 Absatz 1 StGB („Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.“) berufen und dann argumentiert werden, dass Leute die sog. voluntative ‚Beihilfe' leisten, • gerade nicht Hilfe „zu dessen [des Täters] vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat“ leisten,
• sondern bloss den/die – potentiellen – TäterIn tatgeneigter machen (ohne, dass es sich bereits um Anstiftung handelt) – z.B. dadurch, dass sie dem/die TäterIn nicht bei der Tat, sondern dabei, nicht identifiziert zu werden, helfen.
Das ist dem BGH allerdings sicherlich eh klar (dafür braucht es mich nicht) – nur beeinflusst es seine Rechtsprechung nicht…
Tut mir Leid, dass ich keine besseren Nachrichten überbringen kann.