Inzwischen wird die internet-Adresse (URL) allerdings schon längst wieder verwendet: https://linksunten.indymedia.org
wenn auch nur für ein Archiv der alten Beiträge, aber einschliesslich der 2017 in der Verbotsverfügung inkriminierten Artikel.
Praktisch durchlöchtert, ist das Verbot juristisch dennoch weiterhin in Kraft. Dagegen wenden sich mittlerweile drei beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängige Verfassungsbeschwerden.
Anfang Juni erhoben diejenigen, denen die Verbotsverfügung 2017 zugestellt worden war und die das Bundesinnenministerium für die damaligen BetreiberInnen von linksunten hält, Verfassungsbeschwerde (Legal Tribune Online vom 08.06.2020). Sie waren am 29. Januar 2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit einer Klage gegen das Verbot gescheitert, weil sie nicht bereit waren, als VertreterInnen des vermeintlichen „Vereins“ aufzutreten – das heisst: sich als ehemalige BetreiberInnen zu bekennen (SZ v. 30.01.2020). Dagegen richtet sich nun deren Verfassungsbeschwerde. Sie versuchen nun in Karlsruhe mit einem Argument zum Zuge zu kommen, mit dem sie das Bundesverwaltungsgericht nicht überzeugen konnten:
„Rechtsanwältin Furmaniak erinnerte an den Grundsatz, dass niemand gezwungen werden könne, sich selbst zu belasten“ (FAZ v. 29.01.2020) / „‚Wenn unsere Mandanten sagen würden: ‚Ja, wir haben Indymedia-Linksunten gemacht', könnten sie sich damit selber belasten', erläuterte Rechtsanwalt Sven Adam in der Verhandlungspause gegenüber der WELT. Schliesslich sei das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nur vorläufig und mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eingestellt worden.“ (Die Welt vom 30.01.2020)
Diese Woche erhob nun der/die Berliner PolitikwissenschaftlerIn und PublizistIn Detlef Georgia Schulze, der/die u.a. zur Geschichte des deutschen und spanischen Rechtsstaats und zur angelsächsischen Tradition der rule of law publiziert hat, eine weitere Verfassungsbeschwerde. Schulze – selbst bekennendeR LeserIn und AutorIn von linksunten – hatte im vergangenen Jahr – um den zweiten Jahrestag des Verbotes herum – beim Bundesinnenministerium die Rücknahme des Verbotes beantragt – Begründung: „linksunten sei ein Medium, eine ‚Internetzeitung' gewesen [...]. Als Zeitung sei Indymedia durch die Pressefreiheit geschützt, was insbesondere bedeute, dass eine Zensur verboten sei. Ihren Antrag hat Schulze mit ‚Der zensierende Staat ist ein Monster' überschrieben. Sie argumentiert, dass der Staat nicht präventiv alle künftigen Beiträge durch eine Abschaltung der Plattform verhindern dürfe, selbst wenn einzelne Beiträge in der Vergangenheit womöglich strafbar gewesen seien.“ (taz vom 11.08.2019)
Nachdem das Bundesinnenministerium nicht innerhalb der gesetzlichen 3 Monats-Frist des § 75 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung geantwortet hatte, beantragte Schulze um Mitte November vergangenen Jahres – zwecks Begrenzung des Kostenrisikos – beim Bundesverwaltungsgericht Prozesskostenhilfe für eine Klage mit dem Ziel, dass das Bundesinnenministerium verpflichtet wird, den Antrag zumindest überhaupt zu bescheiden; bestenfalls: ihn positiv zu bescheiden.
Das Bundesverwaltungsgericht blieb bei seinem Dogma, dass gegen Vereinsverbote nur die verbotenen Vereine klagen dürfen und dass deshalb Schulze, der/die nicht zum HerausgeberInnenkreis von linksunten gehörte, sondern nur LeserIn und AutorIn war, als „Nichtmitglied des verbotenen Vereins […] durch das Verbot nicht in einer die Klagebefugnis [...] begründender Weise betroffen“ sei (Beschluss v. 13.05.2020 zum Az. 6 PKH 6.19, Textziffer 7) – und dies, obwohl
• auch Schulzes Artikel, die in der linksunten-Verbotsverfügung nicht beanstandet worden waren, rund 1 ½ Jahre nicht zugänglich waren
und
• Schulze (wie alle anderen Interessierten) auch heutzutage unter der URL https://linksunten.indymedia.org weder eigene neue Artikel veröffentlichen noch fremde neue Artikel lesen kann.
Schulze sieht darin nicht nur eine Verletzung seiner/ihrer eigenen Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit, sondern des Rechts aller BürgerInnen auf Informationsfreiheit. Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 und 2 lauten: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äussern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ (Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht wird die Allgemeinzugänglichkeit durch die Intention der jeweiligen HerausgeberInnen bestimmt; staatliche Verbote stellen dagegen einen Eingriff in die Allgemeinzugänglichkeit dar.)
Deniz Yücel schrieb in der Welt vom 30.01.2020 über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Vortage: „In einem anderen Sinne halbherzig fiel auch das Urteil aus. Denn die Richter umschifften die Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit weitgehend und blieben in dem Rahmen, in dem schon die dreieinhalbstündige Verhandlung grösstenteils geblieben war: bei Finessen des Vereinsrechts.“
Schulze versucht nun – als bekennende LeserIn und AutorIn von linksunten – das ins Zentrum zu rücken, was das Bundesinnenministerium durch die Finte ‚Mediumsverbot via Vereinsverbot' zu umgehen versuchte, und was auch das Bundesverwaltungsgericht umschiffte: Die