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Nazis welcome

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Wie der Krieg um die Ukraine der deutschen Querfront Zulauf verschafft Nazis welcome

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Politik

Sie geben sich keine Mühe mehr. Die Ausreden und Ausflüchte, mit denen Deutschlands national gesinnte Sozialisten ihr Abdriften in den Nationalsozialismus legitimieren, werden immer durchsichtiger.

Protest des Manifests für den Frieden von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer mit der Forderung die Ukraine nicht mehr in ihrem Kampf gegen die russische Invasion zu unterstützen.
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Protest des Manifests für den Frieden von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer mit der Forderung die Ukraine nicht mehr in ihrem Kampf gegen die russische Invasion zu unterstützen. Foto: Leonhard Lenz (PD)

Datum 4. Mai 2023
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Lesezeit8 min.
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Es sind nur noch lästige Pflichtübungen, die lieblos abgespult werden. Sowohl Wagenknecht wie Lafontaine haben im Vorfeld der Realsatire, die anlässlich des ersten Jahrestages des Ukraine-Krieges als „Friedenskundgebung“ vermarktet wurde, missverständlich klargemacht, dass dabei Nazis willkommen seien. Lafontaine sprach sich im Vorfeld generell gegen den Ausschluss von „Rechten“ bei Demonstrationen oder Streiks, da dies eine „unsinnige Diskussion“ sei.

Die debile Ausrede, mit der diese offizielle Kollaboration mit dem Faschismus legitimiert wird, verweist darauf, dass man bei Grossveranstaltungen ja keinen „Gesinnungstest“ bei allen Teilnehmern durchführen könnte – als ob das irgendwer fordern würde und es bei einer klaren, bislang selbstverständlichen Abgrenzung gegen rechts überhaupt notwendig wäre.1

Ähnlich argumentierte Wagenknecht. Gegenüber dem Querfrontorgan der sogenannten Nachdenkseiten erklärte die altgediente Querfront-Tante der „Linkspartei“, dass auf der Kundgebung jeder willkommen sei, der „ehrlichen Herzens“ für „Frieden und gegen Waffenlieferungen demonstrieren möchte“.2 Nur die Nazi-Fahnen sollten doch bitte diesmal zu Hause belieben, da sie auf einer „Friedenskundgebung nichts zu suchen“ hätten.

Was für ein braun anlaufendes Milieu sich bei den Nachdenkseiten zusammenrottet, machte schon das Stichwort (von einer Frage kann kaum die Rede sein) klar, auf das Wagenknecht reagierte. Die Redaktion erreichten „zahlreiche Leserzuschriften“, hiess es, die „die Gretchenfrage in Bezug auf die Teilnahme von AfD-Mitgliedern“ stellten und sich fragten „ob es in dieser existenziellen Frage von Krieg oder Frieden nicht geboten sei, mit den Kräften aller politischen Lager zusammenzuarbeiten“.

Nazis welcome, also. Und die nahmen die Einladung gerne an. In einem launigen Bericht der neurechten Sezession des Götz Kubitschek hiess es etwa, dass man auf der Kundgebung zwar nicht „als Nazi“ identifiziert wurde, aber zugleich viele Leser traf und „dutzendmal“ herzlich gegrüsst wurde.3 Die Sezession-Autorin Ellen Kositza fühlte sich auf der Querfront-Demo der Linkspartei-Prominenz inmitten der eigenen Leserschaft sauwohl – bei einer Stimmung, die „insgesamt so heiter wie harmlos“ war. Beifall und Anerkennung Kositzas fanden die Redebeiträge Wagenknechts („mitreissende Rednerin“) und des sich „staatstragend“ gebenden Brigadegenerals a.D. Erich Vad, der „ausserdem Sezession-Autor“ sei.

Für Heiterkeit unter den Kundgebungsteilnehmern sorgten laut Kostiza schliesslich einige feministische Floskeln, die Alice Schwarzer bei ihrer Rede zum besten gegeben habe, wobei die Sezession deren fehlende Abgrenzung gegen rechts erwähnte. Für Schwarzer sei die „Unterscheidung zwischen links und rechts“ heutzutage „äusserst kompliziert“, da der „Frontverlauf ist längst ein anderer“ sei. Wen wunderst – bei all den Rechten und Rechtsextremen im Publikum und auf der Bühne. In Leserbriefen an die Sezession lobten AfD-Männer die Redebeiträge, wie auch die „halbfreundlichen“ Reaktionen kommunistischer „Uraltesel“, denen gegenüber sich der Rechte zu erkennen gegeben habe.

„Nazis raus!“ Dies absolute zivilisatorische Minimum, der minimale, aus dem Schwur von Buchenwald geformte Konsens all dessen, was in der BRD noch Teil der Linken ist, wurde anlässlich dieser Kriegskundgebung bewusst und offen gebrochen und aufgekündigt. Faktisch handelt es sich um das letzte Verpuppungsstadium, um die finale braune Form einer regressiven und schlicht reaktionären Postlinken, die den Gang nach rechts 2014 mit den Friedensmahnwachen antrat, um ihn über Flüchtlingskrise und die Pandemie-Schwurbelei bis zur jetzigen Karikatur einer rechtsoffenen „Friedensbewegung“ fortzusetzen.

Kräfte, die bewusst Schulter an Schulter mit Nazis marschieren und demonstrieren, können selbst bei grosszügigster Interpretation nicht mehr als links bezeichnet werden. Damit hätte sich die Sache eigentlich erledigt, der Ausschluss dieser – um es mal vorsichtig zu formulieren – „rechtsoffenen“ Kräfte aus der Linken wäre reine Formsache. Nur, dies ist offensichtlich nicht der Fall. Im Gegenteil, die offene Kollaboration der alten Linken mit der Neuen Rechten löste einen Reflex der Normalisierung dieser evidenten Querfront aus, der vom Linke-Parteiapparat, dem orthodoxen, konservativ-reaktionären Spektrum der Linken und dem medialen Umfeld der Querfront getragen wurde.

Wieso nicht mal mit Nazis? Dies scheint das neue Motto des in offenen Zerfall übergehenden „linkskonservativen Spektrums“, wie es von Wagenknecht in ihrem letzten Machwerk bezeichnet wurde, (siehe Konkret 06/21),4 zu sein. Es ist nicht nur die aus verkürzter Kapitalismuskritik geborene Affinität zur Neuen Rechten. Hinzu kommt der Opportunismus in Gestalt des um seine Posten und Pfründe besorgten Parteiapparats, der sich angesichts einer Kette von Wahlniederlagen vor dem Abgrund befindet. Da ohne die Wagenknecht-Querfront die „Linkspartei“ totsicher aus den meisten Parlamenten fliegen würde, soll nun die Querfront in der Linken „normalisiert“ werden. Die Abspaltung wird von der Querfront inzwischen offen als Druckinstrument gegenüber der um Pöstchen und Gelder besorgten Restpartei eingesetzt, um weitere Spielräume zu gewinnen.

Auch im besagten Nachdenkseiten-Interview spekulierte Wagenknecht über die Gründung einer eigenen Partei. Kurz nach der Demo kündigte die über alle Parteiausschlussverfahren erhabene Wagenknecht gar an, künftig nicht mehr für die „Linkspartei“ antreten zu wollen. Die rot-braunen Kräfte, die offen die Parteigründung erwägen,5 haben jetzt – abgesehen von einzelnen Fällen handzahmer Pseudokritik – Narrenfreiheit. Dies schlich aus opportunistischem, wahltaktischen Kalkül der Parteiführung.

Ein ganzer Parteiapparat samt medialem Umfeld bangt um seine Posten und Einkünfte angesichts immer neuer Wahlniederlagen – und scheint aus blanker Existenzangst heraus vor nichts mehr zurückzuschrecken. Mitunter werden schlicht schon die Fühler ausgestreckt in Richtung einer etwaigen national-sozialen Parteineugründung.

In die Bewerbungsschlange der linken Naziversteher und Opportunisten, die in der Demo in Berlin partout keine Querfront sehen wollten, obwohl Rechte auf der Bühne wie im Publikum zuhauf zu finden waren, reihten sich u.A. ein: die „Kommunistische Plattform“6 der Linkspartei, das sozialdemokratische Blättchen Jacobin der Ines Schwerdtner,7 das posttrotzkistische Parteinetzwerk Marx21,8 der Linke-Studentenverband SDS,9 die Konkret-Autorin Carmela Negrete, die das Lafontaine-Buch ins „Ami go home“ ins Spanische übersetzt, die Parteivorstandsmitglieder Thies Gleiss und Christine Buchholz (witzigerweise für Antifa zuständig)10 sowie – last but not least – der RLS-Funktionär Ingar Solty, der in einem bizarren Elaborat für die nationabolschewistische Putin-Postille junge Welt, die schon mal auf Nazidemos verteilt wird, sich faktisch für die Entwaffnung der Ukraine aussprach (Solty Ukraine-Texte gleichen inzwischen öffentlichen Bewerbungsschreiben an Frau Wagenknecht).11

Ach ja, das rechtsextreme Compact-Magazin Jürgen Elsässers veröffentlichte im Vorfeld der „Friedenskundgebung“ Ausschnitte eines Interviews mit dem sehr „rechtsoffenen“ Linkspartei-Politiker Dieter Dehm,12 der „als Vertrauter von Sahra Wagenknecht“ gelte und von 2005 bis 2021 für die Linkspartei im Bundestag sass. (Kostprobe: Die Anti-Hitler Koalition des 2. Weltkrieges, war das nicht auch eine Art Querfront?). Um das Bild zu komplettieren: Selbstverständlich ist das Parteiausschlussverfahren gegen Dehm gescheitert.

Naziversteher – das könnte bei einigen dieser Prachtexemplare des Sozialismus deutscher Prägung noch ein Understatement sein: Isabelle Casel, Wagenknechtlerin und Sprecherin des BAG „Frieden und Internationale Politik“, redete bei einer parteiinternen Diskussion über die Wagenknecht-Kundgebung geschichtspolitischen Klartext: Man solle ihr nicht mit „Hitler“ kommen, denn es sei nicht richtig gewesen, während des Zweiten Weltkrieges „ganz Deutschland mit seiner Zivilbevölkerung in Schutt und Asche zu legen mit den Bombardierungen der Alliierten sogar noch nach Kriegsende“, so Casel. Es habe auch damals „Kriegsverbrechen auf ALLEN Seiten“ gegeben und Gewalt führe ohnehin nie zu einer Lösung. Es ist ein deutscher Pazifismus, der traditionell sich nie um Tatsachen oder Kausalitäten schert – und den die Sezession nicht hätte besser auf den Punkt bringen können.

Es sind nicht nur nationalbolschewistische Kampfblätter wie die junge Welt und Querfront-Organe wie die Nachdenkseiten oder Telepolis, in denen die dort als „Linke“ verkauften Querfrontler nun partout keine Querfront sehen wollten. Das nationasoziale Wagenknecht-Lager schaffte es in den vergangenen Jahren, im linken Medienumfeld eine stabile mediale Einflusssphäre aufzubauen, die auch den Freitag13 und die rechtsoffene14 Berliner Zeitung15 umfasst – in beiden Medien konnten Wagenknechtler anlässlich der Berliner Kundgebung für Wagenknecht und die „Friedensquerfront“ fleissig Werbung machen. Hinsichtlich massenmedialer Multiplikatoren steht das national-soziale Wagenknecht-Lager bereits jetzt besser dar als die Restpartei.

Der durch die Krise befeuerte Krieg, der ja tatsächlich die Gefahr eines verheerenden Grosskrieges in sich trägt, bietet – nach den Anläufen mit Pandemieschwurbelei – der Querfront die perfekte ideologische Grundlage für ihren endgültigen Durchmarsch nach rechts. Die Reste der deutschen Linken werden im Krieg zwischen den Fronten zerrieben.16 Es ist ein Dammbruch, getriggert durch den Ukraine-Krieg, bei dem offensichtlich weite Teile der deutschen Linken kollabieren und in Nationalsozialismus oder grünennehmen Linksliberalismus abdriften.17 Linker Opportunismus, Ignoranz gegenüber der Weltkrise des Kapitals, die daraus resultierende verkürzte Kapitalismuskritik und entsprechende Ideologiebildung haben zu Ausbildung dieses anachronistischen Zuges in der vergangenen Dekade beigetragen.

Inzwischen ist evident, dass die Querfront als eine Art linker „Einstiegsdroge“ in die Wahnwelt der Neuen Rechten fungierte. Ihr Erfolg beruht darauf, rechte Ideologie in linke Rhetorik zu verpacken. Objektiv fungiert die Querfront als ein reaktionärer Transmissionsriemen, der einerseits rechtes Gedankengut in linke und progressive Milieus hineinträgt, und andrerseits der Neuen Rechten immer neues, verblendetes Menschenmaterial zuführt. Dass viele in Regression befindliche Linke subjektiv in dem Spektrum aus anderer Motivation heraus aktiv werden, etwa um die „Menschen dort abzuholen, wo sie stehen“, ändert nichts an der objektiven Funktion der Querfrontstrukturen. Entscheidend ist somit nicht, was diese postlinken Kräfte wollten, sondern was sich objektiv gesellschaftlich vollzieht.

Mitunter wird der Weg nach rechts – in den Nationalsozialismus als die spezifisch deutsche Form faschistischer Krisenideologie – auch bewusst eingeschlagen. Eben deswegen gibt sich auch die Querfront kaum noch Mühe bei der pseudolinken Maskierung ihrer rechten Umtriebe, da sie eine entsprechende braune Nachfrage in den eigenen Reihen bedient. Und es sind nicht zuletzt die Wahlergebnisse der „Linkspartei“, die eindrucksvoll belegen, dass es sich beim Gerede vom „Abholen“ der Rechten, mit dem die Querfront hausiert, um blosse Ideologie handelt, um die auch in der Linken krisenbedingt ansteigenden Ressentiments zu bedienen.

Tomasz Konicz

Fussnoten:

1 https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/lafontaine-gegen-ausschluss-von-rechten-bei-demonstrationen-100951.html

2 https://www.nachdenkseiten.de/?p=94067

3 https://sezession.de/67188/friedensdemo-mit-wagenknecht-und-schwarzer-in-berlin

4 https://www.konicz.info/2021/06/29/schreiben-wie-ein-internettroll/

5 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sahra-wagenknecht-gruendet-sie-eine-neue-partei-a-0041fb0b-a740-453f-b9e7-264a6e1a9109

6 https://www.jungewelt.de/artikel/446060.eine-querfront-kennt-ihre-f%C3%BChrer.html

7 https://jacobin.de/artikel/neue-alte-friedensbewegung-friedensdemo-berlin-sahra-wagenknecht-alice-schwarzer-linkspartei-ines-schwerdtner/

8 https://www.marx21.de/aufstand-fuer-den-frieden-friedensbewegung-nicht-alleine-lassen/

9 https://linke-sds.org/aktuelles?

10 https://christinebuchholz.de/2023/02/26/friedensbewegung-nicht-alleine-lassen-als-antikriegs-partei-wieder-handlungsfaehig-werden/

11 https://www.jungewelt.de/artikel/445935.linker-bellizismus-knoten-im-kopf.html

12 https://www.compact-online.de/diether-dehm-ueber-querfront-in-compact-3-2023/

13 https://www.freitag.de/autoren/katharina-koerting/demonstrationen-in-berlin-gegeneinander-fuer-den-frieden

14 https://www.zeit.de/kultur/2022-10/berliner-zeitung-kulturchef-viktor-orban

15 https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/der-frieden-muss-vernichtet-werden-li.320792

16 https://www.konicz.info/2022/04/26/krisenimperialismus-und-krisenideologie/

17 https://www.untergrund-blättle.ch/politik/europa/telepolis-kritik-ukraine-politik-7014.html


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