Stein des Anstosses ist ein Link in einem Artikel (!) auf der Webseite von Radio Dreyeckland, der zu dem Archiv (!) der 2017 eingestellten internet-Zeitung linksunten.indymedia.org führt. Dadurch soll die verbotene angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indmedia'“ unterstützt (!) worden sein soll.
Die Inhalte wurden nach dem – 2017 (nach dem G20-Gipfel in Hamburg) vom Bundesinnenministerium verfügten „Vereinsverbot“ – (jedenfalls nicht vom Staat2 aus dem Netz genommen; 2020 wurde das Archiv mit neuem Vorwort und ohne Möglichkeit weitere Artikel zu veröffentlichen, von Unbekannten wieder online gestellt.
Inzwischen wurde das Ermittlungsverfahren gegen den medienrechtlich Verantwortlichen eingestellt und der bekennende Artikel-Autor Fabian Kienert angeklagt3. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts Karlsruhe liess allerdings die Anklage gegen Kienert nicht zu und eröffnete das Hauptverfahren nicht4. Weder könne davon ausgegangen werden, dass die angeblich unterstütze Vereinigung weiterhin existiere, was aber Voraussetzung für die Möglichkeit einer Unterstützung sei, noch lasse sich Kienerts Artikel eine die „Vereinigung“ unterstützende Tendenz entnehmen. Allein Kritik an dem Verbot reiche dafür nicht aus. Nicht-Eröffnungs-Beschlüsse sind selten (Linkszeitung vom 25.05.2023) – können also als ziemlicher Schuss vor den Bug der Staatsanwaltschaft betrachtet werden.
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe legte trotzdem Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ein (taz-Blogs vom 08.06.2023) und war damit nun erfolgreich5. Zwar wurde schon nach dem Beschluss des LG vor allzu viel Euphorie gewarnt; aber dass das Oberlandesgericht gleich in beiden Punkten dem Landgericht nicht folgt, kommt schon überraschend; auch hat die dürre Begründung des Oberlandesgerichts ein ziemlich ungutes Geschmäckle.
Die ‚Argumentation' des Oberlandesgerichts
Das OLG ist der Ansicht, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass Kienert am Ende verurteilt werden müsse. Dies sei deshalb überwiegend wahrscheinlich, weil- zum einen ebenfalls überwiegend wahrscheinlich sei, dass der unterstütze verbotene ‚Verein' noch existiere, und
- zum anderen wiederum überwiegend wahrscheinlich sei, dass Kienert diesen ‚Verein' durch Verbreitung (nämlich Verlinkung) dessen „Gedankengut“ (sic! Von wegen Meinungsfreiheit) unterstützt habe.
Das OLG hält es zum anderen für überwiegend wahrscheinlich, dass für Kienert „die Information der Öffentlichkeit über Propagandatexte“ einer verbotenen Vereinigung (d.h.: über die URL des linksunten-Archivs) „nur ein Vorwand“7 war, „um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen“ (S. 15 unten / 16 oben des OLG-Beschlusses). Dies sei jedenfalls dann nicht nur straflose Sympathiewerbung (dass blosse Sympathiewerbung nicht unter Strafandrohung steht, wird auch vom OLG anerkannt!), sondern strafbare Unterstützung, wenn das identifikatorische / zu eigen machende Informieren der Öffentlichkeit über die Propagandatexte der Vereinigung die Form der Verbreitung/Verlinkung dieser Texte annimmt: „Insgesamt überwiegen damit die Argumente, den Artikel des Angeklagten nicht als straflose (Sympathie-)Werbung für die verbotene Vereinigung anzusehen (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 19.07.2012, 3 StR 218/12, StV 2013, 303ff), sondern als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung.“ (S. 16 des OLG-Beschlusses)
Insbesondere über den letzten Punkt habe ich mich Detlef Georgia Schulze unterhalten:
Mit „Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“ scheint das Oberlandesgericht wohl die Verlinkung des linksunten-Archivs zu meinen.
Ist Verlinkung eine Verbreitung im BRD-juristischen Sinne?
Frage: Was hältst Du von der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart, dass eine Verlinkung bestimmter Inhalte eine Verbreitung dieser Inhalte sei? Verbreitung = körperliche8 Weitergabe.Antwort: Nichts, denn Verbreitung setzt (auch von der herrschenden juristischen Meinung in der BRD anerkannt) – jedenfalls in der Regel – eine physische Weitergabe voraus: „Im Rahmen von § 86 bedeutet ‚Verbreiten' – im Gegensatz zu den §§ 186, 187 und in Übereinstimmung mit §§ 74d Abs. 1, 80a, 90 Abs. 1, 184 Abs. 1 Nr. 5 – nicht jede Weitergabe oder Mitteilung eines Propagandamittels an einen anderen, sondern die mit der körperlichen Weitergabe der Schrift verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift ihrer Substanz nach einem grösseren Personenkreis zugänglich zu machen, wobei dieser nach Zahl und Individualität so gross sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist.“ (Steinsiek, in: Cirener u.a. [Hg.], Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, de Gruyter: Berlin/Boston, 202313, § 84, Randnummer 19) Die Ausnahmen, die von der herrschenden juristischen Meinung von dem Erfordernis der körperlichen Weitergabe gemacht werden (eine Datei wird per mail oder auch Download-Link versandt9; gedruckte Broschüren werden abgesandt, aber gehen auf dem Postweg verloren oder werden [vom Staat] abgefangen10; ein Plakat wurde aufgehängt11 (geklebt?) und liess sich nur um den Preis der Zerstörung entfernen [also nicht von einer anderen Person in Besitz nehmen] oder wurde mangels Interesse von anderen Personen nicht in Besitz genommen, obwohl es nur lose angebracht war; Flugis werden ausgelegt, aber landen gleich danach im Müll), sind bei einer blossen Linksetzung nicht einschlägig: Denn einE Link-SetzerIn hat weder die (technische) Kontrolle über den Bereitstellungsort (= Server der Webseite, die verlinkt wird), noch über das Verhalten seiner Leserschaft:
- Der/Die LinksetzerIn besitzt also gar nichts, was er/sie anderen zur Verfügung stellen könnte, und,
- es liegt in der Entscheidung der LeserInnen, ob sie einen Link anklicken oder nicht. Der Link ist – jedenfalls für sich – nur eine Quellenangabe bzw. ein Hinweis – ähnlich einer Fussbote in einem gedruckten Buch oder einem wissenschaftlichen Zeitschriften-Aufsatz12: Der/die AutorIn, der/die die Fussnote setzt, verbreitet damit nicht die Quelle, die in der Fussnote genannt ist.
Der Unterschied zwischen Verbreitung und Zugänglichmachung
Dass die Datei-Versendung per mail oder Download-Link etwas anderes ist als die Verlinkung einer fremden Webseite, wird auch anhand der in FN 9 genannten BGH-Entscheidung deutlich. Denn der BGH unterscheidet dort folgendermassen zwischen Verbreitung und Zugänglichmachung: „Ein Verbreiten (§ 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB) im Internet liegt vor, wenn die Datei auf dem Rechner des Internetnutzers angekommen ist. Dabei ist es unerheblich, ob dieser die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten genutzt oder ob der Anbieter die Daten übermittelt hat.Ein Zugänglichmachen (§ 184 Abs. 3 Nr. 2 StGB) im Internet liegt vor, wenn eine Datei zum Lesezugriff ins Internet gestellt und dem Internetnutzer so die Möglichkeit des Zugriffs auf die Datei eröffnet wird.“ (BGHSt 47, 55 - 62 (55 [Leitsatz 2]) Kienert hat also auch seinen eigenen Artikel bloss zugänglich gemacht („zum Lesezugriff ins Internet gestellt“), aber ihn nicht verbreitet: Dadurch dass Kienert den Artikel veröffentlicht hat, kam er jedenfalls (noch) nicht auf dem Rechner von LeserInnen. Kienert hat zu seinem Artikel auch keine Möglichkeit angeboten, diesen beispielsweise als .pdf-Datei auf den eigenen Rechner herunterladen. Zwar können einzelne Webseiten oder ganze Domain-Inhalte von interessierten LeserInnen auf dem eigenen Rechner gespeichert werden, aber dies ist dann vollständig deren Initiative und Handlung, die unabhängig davon ist, was der/die Seiten-AnbieterIn/-AutorIn getan hat.
Frage: Aber muss nicht eine Webseite schon irgendwie auf dem eigenen Rechner landen, um sie lesen zu können / angezeigt zu bekommen?
Antwort: Das weiss ich technisch nicht so genau. Klar ist jedenfalls: Sofern die Browser-history nicht deaktiviert ist, wird die Adresse der aufgerufen Webseiten in der history auf dem eigenen Rechner gespeichert. Aber das ist ja nicht der Artikel-Inhalt, sondern bloss die Adresse. Jedenfalls hört es sich bei Thomas Fischer in der Tat so an, wie Du sagst: „der Unterschied [zwischen Verbreitung und Zugänglichmachen] liegt darin, dass vor dem Lesezugriff die Datei im (Arbeits-)Speicher des Nutzers nicht angekommen ist“. (Fischer, Strafgesetzbuch, Beck: München, 202370, § 184, Randnummer 34; Hv. i.O.) Das dürfte implizieren: Ab dem Lesen sei sie angekommen.
Aber der Hinweis auf „Arbeitsspeicher“ in den Gesetzgebungsmaterialien von 1997 (siehe FN 15) bezieht sich auf die Tatbestandsvariante „zugänglich machen“ (nicht auf die Variante „verbreiten“). Im übrigen wäre – selbst bei maximalem Bestrafungswillen im Rahmen des § 86 StGB – sinnlos, zu sagen, eine Handlung, die zunächst nur „zugänglich machen“ ist, werde dadurch zu „verbreiten“, dass LeserInnen den Artikel lesen. Denn das Zugänglichmachen steht dort unter der gleichen Strafandrohung wie das „verbreiten“. Auch ist wenig überzeugend, dass sich dadurch, was Dritte (internet-NutzerInnen) tun (den Artikel lesen oder nicht lesen) die rechtliche Einordnung, dessen was internet-AutorInnen zuvor getan haben (Artikel schreiben und veröffentlichen), ändern soll13.
Frage: Aber könnte nicht (bei Verzicht auf das Verkörperungs-Kriterium) gesagt werden: Eine Zugänglichmachung sei eine versuchte Verbreitung.
Antwort: Ja, prinzipiell könnte das schon gesagt werden, aber: Die Gesetzgebungsorgane haben ja gerade nicht die versuchte Verbreitung unter Strafandrohung gestellt, sondern das Zugänglichmachen als Tatbestandsvariante daneben gestellte. – Es bleibt also dabei: Kienert hat seinen eigenen Artikel zugänglich gemacht, aber nicht verbreitet.
Frage: Schön und gut – das bezog sich jetzt auf Fabians Artikel. Und wie es mit dem linksunten-Archiv? Hat Fabian das Archiv „zugänglich“ gemacht?
Antwort: Ich würde sagen: Seinen eigenen Artikel hat Fabian zugänglich gemacht (aber nicht verbreitet), aber das linksunten-Archiv hat er nicht einmal „zugänglich“ gemacht. Denn laut BGH-Entscheidung hängt das Zugänglichmachen daran, dass der/die TäterIn „eine Datei“ (oder mehrere) „zum Lesezugriff ins Internet gestellt“ hat. Dass Kienert die Dateien des linksunten-Archivs ins internet gestellt habe, behauptet auch das Oberlandesgericht nicht. Die Archiv-Dateien haben unbekannte Leute ins internet gestellt; und Kienert hat bloss die Adresse der schon vor Veröffentlichung seines Artikels allgemein-zugänglichen Archiv-Seite genannt.
Schliesslich hat Kienert das Archiv auch nicht verbreitet. Denn er hat die Archiv-Datei weder als mail-Anhang versandt, noch als Download-Link zum Herunterladen angeboten. Allerdings bietet der Link – wie jeder Link – die Möglichkeit, mit rechtem Mausklick und „Ziel speichern unter…“, die konkret verlinkte Seite (im hier interessierenden Fall also: die Startseite des Archivs) auf dem eigenen Rechner zu speichern. Aber das ist banal und für diejenigen, die sich über die Archiv-Inhalte informieren möchten, praktisch nutzlos. – Kienert hätte allerdings auch (hat er aber nicht), wenn er es gewollt hätte, die komprimierten Archiv-Dateien, die auf der Startseite des Archivs angeboten werden (die „linksunten-html.zip“ enthält die linksunten-Artikel und die „linksunten-media.zip“ die Artikel-Anhänge [Bilder, Audio-Dateien, etc.)14, in seinem Artikel verlinken können; aber auch dann wäre er immer noch nicht derjenigen, der die Dateien „bereith[ä]lt“15 bzw. ins internet ‚eingespeichert'16 hat; die Datei liegt immer noch auf dem Server der Archiv-Seite linksunten.indymedia.org17 und wurde dort von anderen Leuten gespeichert.
Frage: Nun hast Du ja aber in unserem gemeinsamen indymedia-Artikel von Freitag (23.06.2023) selbst eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart aus dem Jahre 2006 zitiert, die das Gegenteil von dem sagt, was Du sagst: „die Frage […], ob der Linksetzer als Täter oder Gehilfe einzuordnen ist, [kann] letztlich offen bleiben. Der Senat neigt allerdings dazu, die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme von den im jeweiligen Tatbestand vorausgesetzten Handlungsformen abhängig zu machen und nach den auch sonst üblichen Kriterien vorzunehmen. Das Setzen eines – wie hier – direkten Links auf strafbare Inhalte wird das Zugänglichmachen regelmässig in der Form der Täterschaft erfüllen (vgl. Stadler, Haftung im Internet, 2. Aufl. Rn 183; Malek, Strafsachen im Internet Rn 135), da mit einem Seitenaufruf verbundene Schwierigkeiten beseitigt und die Verbreitung strafbarer Inhalte wesentlich beeinflusst werden können (Heghmanns JA 2001, 71, 73; Satzger CR 2001, 109).“ (Urteil vom 24.4.2006 zum Aktenzeichen 1 Ss 449/05; http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=7170, Texziffer 14)
Antwort: Ja, aber auch Oberlandesgerichte (selbst der Bundesgerichtshof und die anderen Höchstgerichte sowie das Bundesverfassungsgericht) liegen des öfteren falsch. Jedenfalls enthält die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Begründung. – Aber ich habe noch keine Zeit gehabt, mir die vom Oberlandesgericht angeführten Fundstellen anzusehen, vielleicht finde ich dort ja Argumente, die mich überzeugen.
Beim jetztigen Stand der Dinge sage ich: Das Oberlandesgericht liegt falsch; es ist Quatsch zu sagen, etwas ohnehin bereits Allgemein-Zugängliches könne durch Verlinkung noch einmal zugänglich gemacht werden.
Frage: Heisst das nicht: ‚Wir' und insbesondere die Verteidigung von Fabian können uns / kann sich nicht darauf verlassen, dass sich Deine Auffassung zu dem Begriff „zugänglichen machen“ durchsetzt?
Antwort: So es ist! Aber immerhin hat auch das OLG Stuttgart 2006 (das war damals der 1. Strafsenat) implizit gesagt, Verlinkung ist nicht Verbreitung und es hat explizit gesagt: Verlinkung ist (vielmehr?) Zugänglichmachung. – Nun hat sich aber jetzt der 2. Strafsenat des OLG in der Entscheidung zu Fabians Artikel nicht auf den Begriff „zugänglich machen“, sondern auf den Begriff „verbreiten“ bezogen.
Frage: Aber muss nicht befürchtet werden, dass die Gerichte sagen: Auch Zugänglichmachung sei ein Unterfall von Unterstützung?
Antwort: Ausgeschlossen ist das nicht. Aber jedenfalls hat das Gericht selbst das in der Entscheidung zu Fabian nicht behauptet. Hinzukommt: Der 1. Strafsenat hatte 2006 offengelassen, ob Verlinkung seines Erachtens Zugänglichmachung oder blosse Beihilfe zur Zugänglichmachung ist – in Bezug auf blosse Beihilfe zur Zugänglichmachung wäre aber noch problematischer, sie zu einem Unterfall von „Unterstützung“ zu erklären: Denn „Unterstützung“ ist ja selbst schon so etwas wie „Beihilfe“ – nur zu einem eigenen Straftatbestand verselbständigt.
Frage: Das heisst aber, dass sich auf Deine Auffassung nicht verlassen werden kann.
Antwort: Ja, das heisst es; ich bin ja keine HellseherIn! Ich kann darstellen, was die herrschende juristische Meinung sagt; ich kann auch die Argumente für meine etwaige abweichende Auffassung darlegen. Manchmal wird auch von Gerichten abweichend von der herrschenden Meinung entschieden; und herrschende Meinung und Rechtsprechung können sich auch ändern. Aber ich kann jedenfalls nicht voraussehen, welche Entscheidungen Gerichte in Zukunft treffen. Und andere können das auch nicht. Deshalb halte ich auch nichts von optimistischen Prognosen der Marke „Am Ende werden wir spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht siegen“. – Solche wunschdenkerischen Prognosen produzieren unberechtigtes, ent-politisierendes und de-mobilisierendes Vertrauen in juristische ExpertInnen – ich plädiere dagegen für eine Politisierung statt Verrechtlichung. Voraussetzung dafür ist meines Erachtens aber eine sorgfältige Unterscheidung zwischen Recht und Politik – statt politizistischem Voluntarismus in Rechtsdingen, der die Verrechtlichung und das gutgläubige Verhältnis zur Justiz verstärken – darüber hatten wir ja schon bei anderer Gelegenheit gesprochen:
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/03/Schill_interviewt_Schulze_T_I-1_-_T_I-3.pdf, S. 16 - 19
und
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/04/Schill_interviewt_Schulze_Teil_II.pdf, S. 3 f. und 38 - 40
Frage: Also ist es nötig, weitere Argumente als Deine Argumente zur juristischen Bedeutung der Begriffe „verbreiten“ und „zugänglich machen“ parat zu haben?
Antwort: Ja, definitiv – auch wenn die ebenfalls keinen Erfolg garantieren können: (Auch) in der (Rechts)Geschichte gibt es keine Garantie! Für die vergangenen Entwicklungen können Ursachen genannt / Erklärungen gegeben werden; für die Zukunft können nur Möglichkeiten aufgezeigt werden. Aber niemandE kann in die Zukunft sehen!
Frage: Gibt es denn weitere Argumente gegen die Position des OLG Stuttgart?
Antwort: Zu zwei wichtigen Punkten hast Du doch selbst schon in Deiner Einleitung zu unserem Gespräch gewichtige Argumente vorgebracht:
- Anders als das OLG meint, ist es – leider – alles andere als wahrscheinlich, dass der alte BetreiberInnenkreis von linksunten noch existiert18: Es sieht alles danach aus, dass das rechtliche Verbot auch faktisch zur Auflösung/Zerschlagung des BetreiberInnenkreises führte.
-
Die Vorwand-These des OLG (Fabian habe nur informiert, um Propaganda
zu verbreiten) überzeugt auch nicht:
Das
OLG bezieht sich auf drei (teils nur angebliche) Zitate aus dem
Artikel von Fabian: „wir sind alle linksunten“, „konstruiertes
Verbot“ und „rechtswidrige Durchsuchung“. Wie Du ja aber schon
in Fussnote 7 gesagt hast:
- „wir sind alle linksunten“ ist keine Formulierung von Kienert selbst, sondern eine Parole an einer Hauswand, die auf einem Foto zu sehen ist, das Kienerts Artikel bebildert. Das Foto ist wie folgt beschriftet: „‚Wir sind alle linksunten' – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“
- Fabian sprach nicht von „konstruiertem Verbot“, sondern von „konstruiertem Verein“.
- Fabian schrieb in der Tat: „Im November 2020 hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg schon die Durchsuchung der KTS im August 2017 im Zuge des konstruierten Vereins Indymedia Linksunten für rechtswidrig erklärt.“ Dieser Satz ist (abgesehen von einer kleinen Ungenauigkeit) wahr – es war schon im Oktober 2020: Am 12.10.2020 entschied der Verwaltungsgerichtshof Mannheim zum Aktenzeichen 1 S 2679/19: „Es wird festgestellt, dass die Durchsuchungsanordnung in Nr. 1 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22. August 2017 – 4 K 7022/17 – rechtswidrig gewesen ist.“
Mir (Achim) scheint: Aktuell wird die Grenze zwischen [angeblich] (staatlich) akzeptiertem politischen Spektrum und Kriminalisierungspotential einem brisanten Stresstest unterzogen.20 Man darf gespannt sein, ob diejenigen, die in der Gefahr stehen, als grenzwertig eingestuft zu werden, darauf anders als mit Angst reagieren werden. Zu wünschen wäre natürlich ein Politisierungs-Effekt. Allein, der Zeitgeist trübt den Glauben (an ein ‚Besseres' als die Gegenwart).
Weitere Informationen zum Fall „Radio Dreyeckland“:
- Presseschau zu Razzia bei Radio Dreyeckland am 17.01.2023, Das sagen die anderen; https://rdl.de/beitrag/das-sagen-die-anderen (wird weiterhin aktualisiert)
- Presseschau zur Anklage gegen einen Journalisten des Freiburger Radios Dreyeckland (RDL), in: publikum.net vom 10.05.2023