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Plädoyer gegen Kriegstüchtigkeit und Militarismus

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„Zur glaubwürdigen Abschreckung gehört auch die Fähigkeit zum Angriff“ Plädoyer gegen die Kriegstüchtigkeit

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Politik

Die Debatten sind entkontextualisiert: kein Kontext, kein Zusammenhang, keine Analyse, mehr noch: Analyseverbote ohne Ende, erst Corona, dann Ukraine, nun auch Israel/Palästina.

Boris Pistorius bei einem Besuch in Virginia, USA, Mai 2024.
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Boris Pistorius bei einem Besuch in Virginia, USA, Mai 2024. Foto: Abigail Carey (PD)

Datum 19. Juli 2024
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Wer sich diesem Verbot widersetzt ist ein Systemrisiko, wird bedroht durch existentielle Gefährdungen bis zum Berufsverbot.

„Boris Pistorius hat sich etwas getraut, was viele bislang gescheut haben. Bei 'Berlin direkt' sagte er, Deutschland müsse 'kriegstüchtig' werden. Eine Aussage, die überfällig ist“, so Ines Trams nicht etwa in einem Magazin für Bundeswehroffiziere, sondern dem ZDF, am 31.10.2023. „Pistorius spricht unbequeme Wahrheit aus“, so ist ihr Beitrag über die jüngsten Wortmeldungen des Bundesverteidigungsministers in der Mediathek betitelt. Soso, eine „unbequeme Wahrheit“, unter einer „Wahrheit“ geht es in Zeiten fortgeschrittener Militarisierung der deutschen Gesellschaft nicht. „Kriegstüchtig“, er betonte mehrfach, dass dies kein Versprecher nach Art der Baerbock'schen Kriegserklärung war. Die „öffentlich-rechtlichen“ Medien verkommen vollends zum Militärfunk in dieser Zeit.

Militarismus ist „Wahrheit“, friedensbewegte Positionen sind also „Fake“, Putins Desinformation aufgesessen. Orwell hätte Stoff für eine Real-Satire ohnegleichen gehabt. Etwas anderes als „noch mehr Krieg, noch mehr Waffen“ fällt der herrschenden Politik und den reichweitenstarken Medien gar nicht mehr ein. Ex-Verteidigungsminister Guttenberg bezeichnete Pistorius als „Lichtblick“ in der „Maischberger“-Talkshow am 14.11.2023. Erhöhungen des Verteidigungsetats werden kaum mehr hinterfragt, während im Sozialbereich ohne Ende Gelder zusammengestrichen werden. Ein regelrechter Grossversuch, wie viel die Menschen bereitwillig hinnehmen (und wer wundert sich da eigentlich wirklich noch über den Zulauf zur AfD?).

Eine zur allgemeinen Dienstpflicht (unter Einbeziehung der Frauen) ausgebaute Wehrpflicht wird allen Ernstes diskutiert, angeregt durch keinen Geringeren als den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Krieg in der Ukraine manchen ganz recht kommt, denen die deutsche Anti-Kriegs-Stimmung immer schon suspekt war. „Töten und getötet werden gehört zur neuen Realität“, so die „Welt“-Journalistin Dagmar Rosenfeld bei „Maischberger“. Nun fallen offenbar, verstärkt durch den Umstand, dass die Militarisierung bisher von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wird, alle Schranken.

Eine „Zeitenwende“, die täglich in den Medien als alternativlos heruntergebetet wird, wird als sich selbst erfüllende Prophezeiung herbeidiskutiert. Der „Staatsbürger in Uniform“ als neue Normalität, inklusive Traditionspflege, ein „Veteranentag“ soll her, unterstützt von SPD, FDP, Grünen, CDU, CSU. Diese „Zeitenwende“ soll nicht nur zur Reaktivierung der Wehrpflicht (gar ihrer Erweiterung) beitragen – abgeschafft war sie ohnehin nie, lediglich ausgesetzt, und dies auch nicht aufgrund demokratischer oder friedenspolitischer Beweggründe, sondern aufgrund einer angestrebten Effizienzsteigerung der Armee als schnelle, globale Eingreiftruppe: die vielen Wehrpflichtigen waren dafür schlicht überflüssig, zu teuer, die „Truppe“ dazu in jener Phase nicht „kriegsfähig“ genug.

Die „Zeitenwende“ überstrahlt alle gesellschaftlichen Bereiche. Für die nicht „Dienstpflichtigen“ soll dann womöglich eine „Arbeitspflicht“ (der CDU-Generalsekretär Linnemann im Oktober 2023) kommen, wo Staatsbürgerpflichten doch gerade weithin anerkannt werden, soll die Gunst der Stunde genutzt werden. Auch in der Bildungs- und Forschungspolitik schreitet die Militarisierung voran. Seit Jahren schon wirbt die Bundeswehr – trotz offiziellem Werbeverbot – auf unterschiedliche Weise an den Schulen, nun will die FDP gar „Jugendoffiziere“ an die Schulen schicken.

Unter dem Vorwand, die Forschung „vor China zu schützen“ will Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger „die Trennung von ziviler und militärischer Forschung hinterfragen“. Auch diese Trennung ist ohnehin schon reichlich wackelig, doch noch gibt es die sogenannte „Zivilklausel“. Militärmanöver verstärken das allgegenwärtige Säbelrasseln. „Zur glaubwürdigen Abschreckung gehört auch die Fähigkeit zum Angriff“, so der Inspekteur der deutschen Marine, Vizeadmiral Jan Kaack. Entsprechend reihen sich die Manöver immer schneller aneinander. Im Juni 2023 fand mit „Air Defender“ das grösste Luftwaffenmanöver der NATO seit deren Gründung statt, und im September 2023 fand mit „Northern Coasts“ das grösste NATO-Seemanöver seit langem statt.

Im November fand im durch die Castor-Transporte widerstandserprobten Anti-Atom-Kreis Wendland ein Manöver niederländischer Soldaten statt – und es gab wenig Proteste, immerhin aber unter dem Motto „Krieg beginnt hier“ einige kleinere Blockaden gegen die Manöverfahrzeuge. Bei alledem fragt kaum einer mehr danach, wem das alles nutzt, und was die möglichen Interessen dahinter sind.

Die Debatten sind entkontextualisiert: kein Kontext, kein Zusammenhang, keine Analyse, mehr noch: Analyseverbote ohne Ende, erst Corona, dann Ukraine, nun auch Israel/Palästina. Wer sich diesem Verbot widersetzt ist ein Systemrisiko, wird bedroht durch existentielle Gefährdungen bis zum Berufsverbot. Diesem Druck alleine zu widerstehen scheint fast unmöglich. Eine umfassende, breite antimilitaristische Perspektive ist daher von zentraler Bedeutung.

Gerald Grüneklee